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um stiller Zuhörer zu sein. Er hörte ihr Kommen schon an dem Rauschen ihrer Robe, wenn sie an dem Sperr sitz des Orchesters oorbeiglitt, bevor er im Halbdunkel ihr bleiches Gesicht vor sich auftauchen sah. Sie flüsterte ihm dann mit graziöser Koketterie und fast weichem Tonfall einige Worte ins Ohr, wie: „Herr Viktor, find Sie zufrieden mit mir? ... Za? .. . Ist es auch wahr? Weshalb find Sie denn immer so traurig und nehmen eine Miene an, als ob Sie einen Selbstmord planen?" Dann zog sie sich wieder zurück und übernahm von neuem auf dem Theater die Rolle der jungen barba rischen Königin. Wenn sie so vertraulich zu ihm sprach, erschien sie ihm reizend, aber bald darauf zeigte sie sich wieder so zerstreut und gleichgiltig, daß sein Herz sich krampfhaft zusammenzog. Ost, tagelang, schien sie ihn kaum zu kennen, während er es mit ansehen mutzte, wie sie ihre Anmut vor der Menge ihrer Kurmacher verschwendet«. Der Stolz bäumte sich in ihm auf, und er faßte den heroischen Entschlutz, diese verhängnisvolle Leidenschaft in sich zu ersticken; aber das war leichter gedacht als ausgeführt. „Herr von Monts, bleiben Sie doch noch, ich habe mit Ihnen zu sprechen," sagte sie eines Tages zu Viktor. „Habe ich gut gespielt, — ich meine nach Ihrem Sinn?" fragte sie dann. „Ganz nach meinem Sinne. Sie waren bewunde rungswürdig in Ihrer Rolle. Ich wollte Ihnen soeben meinen Beifall überbringen. . . . Aber all« diese Leute störten mich!" „Alle diese Leut« störten mich!" wiederholte sie in seinem betrübten Tone. „Aber weshalb denn? Ich kamt doch koinen Stock nehmen und sie hinaustreiben! — O, ich verstehe ja wohl, was Sie meinen, — ich kenne die Männer genügend . . . Nun sind wir allein. Jetzt sind Sie zufrieden, nicht wahr? So wollen Sie es doch haben? Oder wünschen Sie noch etwas?" „Ach," murmelte der junge Mann mit leiser be wegter Stimme, „es gibt so vieles, was ich Ihnen zu sagen hätte!" „So vieles?! . . . Sagen Sie es lieber nicht, mein Freund, es wird bester für Sie sein, glauben Sie mir!" Indem sie so sprach, ordnete sie ihr Haar vor dem Spiegel und wandte ihm den Rücken zu. „Sie find ein tadelloser junger Mann," fuhr sie fort, „der Sohn einer gebildeten Familie, braver Leute Kind, das sieht man Ihnen an. Und Sie werden einmal eine liebe, kleine Fron heiraten, die so achtbar ist, wie Sie selbst, denn Si« find ein solider Mensch. Was Sie aber mir zu sagen haben, sind törichte Dinge. — Hören Sie mich an, Herr Viktor, ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Morgen ist Sonntag, da haben wir keine Probe. Holen Sie mich also zu Mittag von zu Hause ab; wir wollen dann zusammen nach dem Kirchhofe Mont- parnaste gehen." „Nach dem Kirchhofe Montparnaste?" fragte Viktor, der im ersten Augenblicke glaubte, sie mache sich einen Scherz mit ihm. Aber Mary Gerald scherzte nicht; während sie ihre Haare zusammensteckte, fügte sie in ernstem Ton hinzu: „Dort liegt meine Mutter, ich besuche ihr Grab jeden Monat einmal, und es würde mir Vergnügen machen, mit Ihnen dorthin zu gehen." Viktor dankte für diesen eigentümlichen Beweis ihres Vertrauens und war wirklich ganz gerührt davon, wie es in seinem Alter und an seiner Stelle vielleicht mancher, der darüber lächelt, ebenfalls gewesen wäre. „Und nun sind Sie entlasten," wandte die Schau spielerin sich ihni wieder zu. Viktor war am nächsten Tage pünktlich zu der ver abredeten Zeit bei der Künstlerin. Er fand sie zum Gehen bereit, vnd die schwarze Kleidung, die sie ange legt hatte, vermehrte noch das vornehme ihrer Erschei nung. Sic hatte ganz und gar die ernste Miene einer jungen Dame angenommen, die im Begriff« ist, einen Akt der Pietät zu erfüllen. Der Kirchhof Montparnaste war von der Rue Trvuchet sehr weit entfernt, und der junge Gras schwelgte schon im stillen im Gedanken an ein so lange» Zusammensein mit seinem Ideal, als er zu seiner großen Enttäuschung wahrnahm, daß sie einen Wagen mit vier Plätzen zu holen befahl, da die Kammerzofe mitgenommen werden sollte. Und diese boshafte Nein« Person hielt es auch nicht einmal der Mühe wert, ihr spöttisches Lächeln zu verbergen, als sie dem bestürzten Viktor gegenüber im Fiaker Platz nahm. In Gegenwart dieser Zeugin war di« Unterhaltung natürlich eine gezwungene; hauptsächlich mutzte die gestrig« Vorstellung den Stoff dazu bieten, und Viktor war froh, als er die Zypressen und Grabsteine des Friedhofes, die ihm das Ende dieser langweiligen Fahrt ankündigten, vor seinen Blicken auftauchen sah. Mary Gerald lietz ihr Kammermädchen im Wagen zurück. Sie sprang leichtfüßig auf das breite Trottoir, das die Kirchhofsmauer umgab, und blieb vor einer der Hallen stehen, in denen man Zmmortellenkränz« und anderen Erabesschmuck verkaufte. Sie nahm einen Kranz auf ihren Arm, und von Viktor gefolgt, der sich mit Buketts beladen hatte, trat sie in den Friedhof ein. Nachdem sie die Haupallee ein Stück hinaufgegangrn war, verlor sie sich in dem dichten Gewirr von Gräbern und schlängelte sich leichtfüßig durch die engen Wege hindurch, ohne einen Augenblick die geschmeidige Grazie ihrer Gangart zu verlieren. Endlich blieb sie vor einer sehr bescheidenen Grabstätte stehen, die von einem ein fachen Schutzgitter umgeben, und auf welcher ein Kreuz von Stein angebracht war. „Hier ist es!" sagte sie leise. Sie nahm den vertrockneten Kranz, der noch an dem Kreuze hing, ab und befestigte an seiner Stelle den neu mitg«brachten. Dann sich zu Viktor umwendend und ihm die Blumen abnehmend, sagt« sie mit beweg ter Stimme: „Das ist leider alles, was ich noch für sie tun kann, und sie hat doch so viel Mühe mit mir ge habt! . . . Und jetzt, wo ich es ihr vergelten könnte —" Sie unterbrach sich, breitete die frühen Kinder Floras auf dem kleinen Hügel aus und kniete dann mit ernster Miene, aber doch ein wenig theatralisch, auf die Erde nieder, legte ihr Gesicht in beide Hände, stützte die Stirn auf das Gitter und schien in Erinnerungen versunken zu sein oder zu beten. Nach einigen Minuten erhob sie sich wieder und nahm eines der Veilchenbuketts von dem Grabe und steckte es an ihre Brust. Dann machte sie Bittor ein stummes Zeichen mit dem Kopfe und trat den Rück weg an. Bei dem Wagen angekommen, zögert« sie einen Moment. Sie sah nach ihrer Uhr, dann nach dem Himmel, der kein Gewölk zeigte, wandte sich schließlich zu ihrer Kammerzofe, indem sie sagte: „Sie können allein nach Hause fahren, Helene. Ich werde zu Fuß zurückkehren." Einen fragenden Blick auf Viktor werfend, fügte sie hinzu: „Sie find doch da mit einverstanden?" Zn seinen Augen las sie, datz ihm diese Einrichtung außerordentlich zusagte, und sie nahm, ohne eine Ant wort abzuwarten, den Arm ihres jungen Begleiters. Sie hängte sich vertraulich wie ein« Verlobte an ihn, und so gingen sie zusammen, di« äußeren Boulevards durchstreifend, der Stadt zu. Mary Gerald war dabei heiter und schwatzhaft, wie ein kleiner Vogel. Vor den großen Bauterrains und Zrmmerplätzen, wo das Holz symmetrisch aufgestapelt war, und den dürftig umgitterten Anlagen, die den kleinen Restaurants dieses Viertels als Vorgärten dienen, blieb sie stehen und sagte, daß sie für das Land leben schwärme. (Fortsetzung folgt.)