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LLM) Illusionen. Roman nach dem Französischen von Heinrich Köhler. lr. S»r<f«tz»n«.) M ugenscheinlich weniger geblendet durch seine Vor- DZ zöge, als die Heine Komtesse, warf Mary Gerald einen Blick gleichgültiger Überlegenheit auf den jungen Mann, grüßte ihn mit einem kaum merklichen Kopf nicken und lud ihn ein Platz zu nehmen. Dann setzte sie ruhig ihre Unterhaltung mit den anderen Herren fort. Viktor bemerkte zu seiner Überraschung, daß sie, die er sich nur in tragischer Haltung denken konnte, heiter und scherzend sprach; ihre Redeweise war sogar ein wenig familiär, und ihre merk würdigen Äußerungen erinnerten an die eines verwöhnten Kindes. Er bemerkte auch, daß ihre tiefen, sehr lebhaft blickenden Augen einige Male während des Ge spräches sich mit einer Art erstaun ter Neugierde auf ihn richteten. Nach einiger Zeit gab sie die Unter haltung auf und ihr blaßes Gesicht nahm einen Ausdruck von Lange weile an. Die offenbar den vor nehmen Kreisen angehörendcn Herren schienen dieses Zeichen zu verstehen; sie erhoben sich gleich zeitig, küßten ihr einer nach dem anderen die Hand uird zogen sich zurück. Die Schauspielerin war von ihrem Ruhesitze aufgestanden, um die Scheidenden bis an die Tür des Salons zu begleiten. Dann wandte sie sich, mit einer geschickten Fuß bewegung die Schleppe ihres langen Hauskleides zurückwerfend, zu Viktor. „Mein Herr," sagte sie, „ich verstehe Ihr Ansuchen nicht ganz. Ich bin es doch nicht, welche die Stücke in Empfang zu nehmen hat, — das ist Sache meines Direktors?" „Es war mir vor allem darum zu tun, zu erfahren, ob die Hauptrolle in dem Stück Ihnen gefällt," ant wortete der junge Mann. ,Menn es nicht der Fall ist, würde ich auf die Aufführung verzichten!" „Bah! Weshalb denn das?" sagte sie mit leichtem Achselzucken, und sich schnell umwendend, um ein Lächeln zu verbergen, kehrte sie ihm den Rücken zu. — „Außer dem spielt man derartige Stücke gar nicht bei uns! Tie hätten sich an ein anderes Theater wenden müssen!" „Ich bitte um Verzeihung, mein Fräulein, aber ich weiß, daß man schon mehrere solcher Stücke auf Ihrem Theater aufgeführt hat!" „O ja, früher! Aber das ist schon lange her. Immerhin, versuchen Sie doch, ob es angenommen wird. Es ist wohl Ihr erstes Werk?" „Ja, mein Fräulein." „Dann sind Sie also bisher nur durch Ihren Familiennamen be kannt geworden?" „Einzig und allein!" Sie sah ihm mit einer Art spöttischer Bosheit ins Gesicht und verneigte sich vor ihm. „Ich wollte Sie natürlich mit meinen Worten nicht beleidigen.— Ist dieses hier Ihr Stück?" „Jawohl, mein Fräulein." „Lassen Sie mich einmal sehen!" Sie blätterte in dem Manuskript und las hier und dort einige Zeilen. „Run, mein Herr, es ist doch wohl am besten, wenn Sie es mir vorlesen. Es ist etwas lang." Und als Viktor zögerte, fuhr sie fort: „Nun, so lesen Tie doch! — Können Sie wohl genügend bei dieser Lampe sehen? . . . Rücken Sie den Tisch näher heran . . . Nein, Sie sehen immer noch nichts." — Sie erhob sich hastig, zog die Hänge lampe tiefer auf den Tisch herab, und sich dann wieder auf den Diwan werfend und zurücklehnend, sagte sie: „Jetzt beginnen Sie." Und Viktor begann die Lektüre seines Dramas. Aber er war bereits in der Mitte des dritten Aktes angeLommen, ohne von seiner Zuhörerin das geringste Zeichen des Beifalls oder auch nur der Aufmerksamkeit Z» ihrem IllN. Iod«t«ee, IS. ?uli «Irxt li-he Sritr 2N.> Nummer 2S. Zohrgaug Ivlll.