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22. Sonnabend, den S8. Mal. Aetletrißische Aeilage zum sächsischen Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. 1887. Mr ^UaHtigatl ^MngKgesMg! Von Friedrich Rückert. Zu Pfingsten sang die Nachtigall^ Nachdem sie Thau getrunken; Die Rose hob beim Hellen Schall Das Haupt, das ihr gesunken. O kommt, ihr Alle, trinkt und speist, > Ihr Frühlingsfestgenossen, Weil übers ird'sche Mahl der Geisti Des Herrn ist ausgegossen. Die Himmeljünger, groß und klein,; Sind von der Kraft durchdrungen,/ Man hört sie reden insgemein ? In wunderbaren Zungen. ; Und da ist keine Zung' am Baum,; Kein Blatt ist da so kleines, Es redet auch mit drein im Traum,; Als sei's voll süßen Weines. O, ihr Apostel, gehet aus Und predigt allen Landen, - Mit Säusellust, mit Sturmesbraus Von dem, der ist erstanden! ; Legt aus sein Evangelium, Auf Frühlingsau'n geschrieben, - Daß er uns lieben will darum, Wenn wir einander lieben. ; Sprecht von der Liebe Löhnungen, Sprecht von des Friedens Schmauste, Sprecht von den vielen Wohnungen In unsers Vaters Hause! Die Liebe macht die Sonnen dreh'n, Die Liebe wölbt den Himmel Und freut sich, unter ihm zu seh'n Ein lebendes Gewimmel. Wer liebend sich an's nächste hält Und will nur das gewinnen, Umfaht darin die ganze Welt, Und Gott ist mitten drinnen! Ein dunkler Schatten. Erzählung von F. L. Reimar. (Fortsetzung.) Die Lust, seine Neckerei fortzusetzen, verging ihm bei dem Ton, mit welchem sie sprach, er schämte sich der selben fast, als ihm plötzlich die Erinnerung an Alles, was sie in dieser Zeit ausgestanden haben mochte, zurückkehrte. Indem er flüchtig mit der Hand über ihren Scheitel strich, sagte er, nun gleichfalls ernst: „Ja, ja, ich weiß, armes.Kind — Du hast viel fache Trübsal zu überwinden gehabt; von der Krank- heitsnoth in unserem Dorfe an bis zu dem Ende des Dir fremden Mannes in der Herberge." „Ah", sagte sie, ihn anblickend, „Du weißt also schon, daß der Hauptmann v. Bensberg gestorben ist?" „Ja", entgegnete er, „und wir werden später noch mehr über ihn sprechen — Du sollst mir erzählen, wie es kam, daß Du ihn pflegtest! Jetzt möchte ich aber von Deiner Reise hören und erfahren, zu welchem Zweck Du sie unternahmst." „Gustav," sagte sie, „meine Reise hing zusammen, mit dem Sterben jenes unglücklichen Mannes. Ich hatte seinen letzten Auftrag an eine ihm verwandte Dame zu überbringen." „Eine ihm verwandte Dame?" fragte Gustav mit hörbarer Betroffenheit, „verstehe ich Dich recht, Anna?" „An die verwittwete Geheimräthin von Solling!" entgegnete sie. Eine^iahle Blässe lagerte sich, als die junge Frau den Namen langsam und leise aussprach, plötzlich über Gustav's Gesicht, aber nur, um eben so rasch einer dunklen Gluth, die ihm in die Wangen strömte, Platz zu machen. „Ich will nicht glauben, Anna, daß Du, Du selbst die Schwelle der Frau, welche Du eben nanntest, be treten hast!" stieß er hervor. „Doch — ich war bei,ihr, Gustav," entgegnete sie, „aber Du darfst deshalb nicht zürnen!" „Nicht zürnen, rief er heftig, „nicht zürnen, daß Du —" er besann sich. „Verzeih'," sagte er, sich ge waltsam fassend, „Du konntest ja nicht wissen, wer jene Frau ist, welches Innere die verführerische Hülle deckt!" „Gustav," fragte sic erregt, „sprichst Du so, weil Du Frau von Solling einst, als sie noch Therese von Radenhansen hieß, kanntest? — Glaube nicht, daß ich mich in Deine Geheimnisse drängen will, aber sage mir das Eine, ob Du sie so kanntest, wie man sich kennen lernt, wenn ein Herz auf die Stimme des andern achtet und horcht?" Daß ihre Wangen bleich geworden waren, hatte er vielleicht nicht bemerkt, und eben so wenig gesehen, daß sie ihre Hände angstvoll und bittend zugleich gegen ihn ausgestreckt hielt, denn er selbst war, während sie sprach, wie in innerem Kampf hin und her geschritten, die Worte aber hatte er gehört, und darum, als sie nun schwieg, blieb er vor ihr stehen und sagte: „Ich will Ja zu Deiner Frage sagen, Anna, und mehr noch, ich will Dich selbst fragen, ob Du in dieser Stunde mehr aus meinem Munde hören willst. Ich fühle jetzt, daß ich zu Dir reden kann und — daß es zum Guten zwischen uns führen wird!" „Zum Guten," flüsterte sie ihm nach, um dann gleich mit mühsam errungener Fassung hinzuzusetzen: „So sprich denn, Gustav!"