Volltext Seite (XML)
13. Sonnabend, den «O MSrz. 1887. Aetletrißische Aeitage zum sächsischen Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. Treue Freundschaft. Von Quida. Deutsch von Olga Piorkowska. (Schluß.) Er hatte sein Möglichstes gethan, das Uebrige lag in Gottes Hand. So dachte er in dem kindlichen, unerschütterlichen Glauben, der ihm in der kleinen Capelle zwischen den Weiden und Pappeln gelehrt worden war. Der Winter war schon sehr hart. Am Abend, nachdem Nello und Patrasche die Hütte erreicht hatten, fing es an zu schneien und schneite mehrere Tage ohne Unterlaß fort, so daß alle Fuß- und Feldwege verweht und all die kleinen Flüsse zu gefroren waren. Da wurde es nun freilich eine schwere Aufgabe, während das ganze Land noch in Dunkel gehüllt war, im Dorfe herumzu gehen und die Milch zusammenzutragen und sie dann durch die Dämmerung nach der noch stillen Stadt zu bringen. Eines Nachmittags, als Nello mit seinem Gefährten von Antwerpen zurück über den Schnee wanderte, der hart und eben wie Marmor über der flämischen Ebene lag, fand er auf der Land straße ein hübsches Spielzeug — ein ganz roth und goldenes, ungefähr sechs Zoll hohes Tam- bourin; es war noch ganz neu und vom Herab fallen nicht beschädigt. Nello versuchte Alles, den Eigenthümer zu ermitteln; da es ihm aber nicht gelang, glaubte er, es mit gutem Gewissen behalten und Aloise ein Geschenk damit machen zu können. Es war schon völlig dunkel, als er an der Mühle vorüber kam; er kannte das kleine Fenster ihres Zimmers und hielt cs nicht für Unrecht, wenn er ihr seinen kleinen gefundenen Schatz gab; waren sie doch so lange Zeit Spiel gefährten gewesen. Gerade unter ihrem Fenster befand sich ein Keiner Schuppen mit einem schrägen Dache. Auf dieses stieg"er und Köpfte an das Gitter; drinnen war Licht. Das Kind öffnete das Fenster und schaute halb erschrocken hinaus. Nello legte ihr das Tambourin in die Hand und flüsterte: „Hier ist ein Spielzeug, welches ich im Schnee fand; nimm es, Aloise, nimm es, und Gott segne Dich, Liebe." Bevor sie Zeit hatte, ihm zu danken, glitt er schon wieder herab von dem Dach des Schuppens und verschwand in der Dunkelheit. In derselben Nacht brach in der Mühle Feuer aus, und wenn auch die Mühle selbst und das Wohnhaus verschont blieben, so verbrannten doch einige Seitengebäude und viel Korn. Das ganze Dorf war in Schreck, und die Feuerspritzen kamen rasselnd über den Schnee von Antwerpen her. Trotzdem der Müller versichert war und nichts verlor, war er doch wüthend und erklärte laut und öffentlich, daß das Feuer nicht aus Zufall entstanden sei, sondern daß dem eine boshafte Absicht zu Grunde liege. Nello wurde aus dem Schlafe aufgeschreckt und lief, wie alle anderen Dorfbewohner, um zu helfen; Baas Cvgez aber schob ihn ärgerlich bei Seite und sagte barsch: „Du triebst Dich nach Dunkelwerden noch hier herum, und bei meiner Seele, ich glaube, Du weißt mehr von dem Feuer, als irgend Einer." Schweigend und verblüfft hörte ihn Nello an. Er konnte sich nicht denken, daß Jemand so Etwas anders als im Scherz sagen könne, und wiederum begriff er nicht, wie Jemand in einem solchen Augenblicke scherzen könne. Nichtsdestoweniger sprach dec Müller am folgenden Tage dieselbe Vermuthung gegen mehrere seiner Nachbarn aus, und wenn auch nie eine ernste Untersuchung gegen den Burschen eingelcitet wurde, so wurde doch ausgesprengt, daß Nello nach Dunkelwerden im Mühlhof ans geheimen Wegen gesehen worden sei und daß er gegen Baas Cogez Groll hege, weil ihm dieser den Verkehr mit seiner Tochter untersagt hatte, und so nahm das ganze Dorf, welches in knechtischer Weise nachsprach, was die Reichen unter seinen Bewohnern äußerten, und dessen Familien alle hofften, Aloisens Reichthümer in Zukunft für ihre Söhne zu sichern, die Gelegenheit wahr, Jehan Daas' Enkel mit unfreundlichen Blicken und kalten Worten zu begegnen. Niemand sprach sich offen gegen ihn aus, aber das ganze Dorf stimmte der Meinung des Müllers bei, und in den Hütten und Pachthöfen, in denen Nello und Patrasche jeden Morgen vorsprachen, um die Milch für Antwerpen abzu holen, ersetzten abgewandte Blicke und kurze Reden das frühere freundliche Lächeln und die herzlichen Begrüßungen. Zwar glaubte Niemand wirklich an des Müllers abgeschmacktem Verdacht und die schändliche Anklage, aber die Leute waren alle sehr arm und unwissend, und der eine reiche Mann der Ortes war gegen ihn. Nello in seiner Unschuld, ohne irgend einen Freund, hatte nicht