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7 gut /annw, Sie an Ser Dorfstraße wohnte. Er ging ins Haus und bat, ihm zum Wegtragen des Kahnes behilflich zu sein. Mann, Sohn und Frau waren daheim und bereit. Sie nahmen einen Handwagen mit. Eine Viertelstunde darauf, der Arzt kam zu gleicher Zeit den Wiesenweg herun ter, stellten sie den Kahn ins Wasser. Die Leute hatten ihre schweren Bedenken, aber da Robert die erste Ueberfahrt ge glückt war, glaubten sie mit ihm auch an das Gelingen der zweiten. Sie waren neugierig, wie der Doktor sich verhalten würde, wenn er vor dem Eisgänge stand. Dr. Schulz hatte aber bereits telefonisch mit Frau Scharf gesprochen und erfahren, daß auch bis zur Minute noch kein anderer Arzt hatte herbeigeholt werden können; er hatte auch die Verzweiflung der Mutter wahrgenommen und ihr versprochen, daß er sich sofort auf den Weg machen wer de. Auf welchen Weg, das hatte er nicht gesagt. „Das sieht böse aus! Aber ich hoffe mit Ihnen, daß es gut geht! Wir unternehmen das Wagnis ja nicht aus Leicht sinn! Also los!" sagte er. Sie waren cingepiegen. Die Leute, die den Kahn hat ten herschaffen Helsen, blieben am Ufer. Sie waren auch schon durchnäßt, aber die Sorge um die beiden Männer bannte sie, und sie warteten, bis sie nichts mehr von dem Kahne sahen. Dunst, Regen, Schnee verhüllten ihnen den schweren Kampf, den Robert Friederich jetzt führte! Er hatte, wiederum weit abgetrieben, die halbe Strecke glücklich hinter sich gebracht, da steckte er plötzlich im Eise. Die Schollen wollten den Kahn überrennen. Der ging tiefer, und der Doktor in seiner Ratlosigkeit griff nach einer Scholle, die sich über einer anderen hochschob. „Loslassen!" schrie Friede rich ihn an; denn es galt im Gegenteil, vom Eise loszukom men. Eine Weile hatte er den Staken gar nicht gebrauchen können, jetzt hob er ihn und stieß ihn wütend gegen die Schollen. Der Kahn wurde längs zum Strom gedreht. Er hatte das wohl gar nicht beabsichtigt, aber es war die Rettung. Zu beiden Seiten konnten die Schollen weiter schwimmen. Der Kahn war noch eingezwängt und wurde mitgerissen. Immer wieder stieß Robert den Staken gegen das Eis, um zurückzubleiben, und endlich gelang ihm das auch. Er war wieder einmal im freien Wasser. Mit Mühe gewann er die Querrichtung. Da prasselte, knirschte, zischte es von neuem; Eiskrümel und Wasser sprühten den beiden Männern ins Gesicht. Der Kahn schien von einem Schwarm wütender Bestien überfallen worden zu sein. Robert sah sie aber nicht, er konnte sich die Augen nicht ausreiben. Er arbeitete mit Aufwendung der letzten Kraft. Auf einmal wurde ihm der Staken ganz leicht. Was war das? „Him mel!" brüllte er. Das Holz war zerbrochen. Der Arzt merkte es nicht, er glaubte, sein Fährmann stieße die Stange immer auf den Grund. Aber der stocherte verzweifelt nur gegen die Schollen. Näherten sie sich dem Ufer oder ging es mit der Strömung fort? Er wußte es nicht. Die Augäpfel und die Stirn waren ihm geschwollen. Es schmerzte, wenn er die Lider Hochriß. Darum hatte er nicht beobachten können, daß eine dicke Eisplatte auf sein Fahrzeug losrannte. Sie traf die Spitze. Der Kahn drehte sich und schoß ein Stück durch freies Wasser hin. Da rief Dr. Schulz: „Wir sind da! Hier ist das Ufer! Ran! Ein paar Stöße! Ran!" Du hast gut reden! Lachte Robert. Er konnte den Kahn nicht regieren; das Stakenstück reichte nicht auf den Grund. Er versuchte, damit zu rudern. „Was denn? Was denn? Ihr Staken —l" Mit Entsetzen stellte der Arzt fest, welches Unglück sie gehabt hatten. „Nur Ruhe jetzt!" gÄot Robert. Wenn sie nur nicht abkamen, da brauchte die Gefahr nicht mehr groß zu sein. Im schlimmsten Falle konnte man abspringen und die paar Meter schwimmen. Jetzt waren Robert Eisschollen willkom men, die sich näherten. Nur die verschwollenen Augen! Er konnte zu schlecht beobachten. Aber er sah doch schon die nächste, und die trudelte recht gemütlich dahin. Robert schlug mit dem Holze auf sie ein und stemmte sich ab, daß der Kahn wenigstens noch ein Stückchen dem Ufer zufuhr. Nun half nichts anderes mehr, als hinausspringen. „Herr Doktor, blei ben Sie sitzen!" sagte er. Das Wasser spritzte auf. Einxn Augenblick war Robert verschwunden, dann hatte er sich auf gerichtet. Bis zur Brust stand er in der braunen Flut. Er griff nach der Spitze des Kahnes und zog ihn weiter, bis der Arzt ans Land springen konnte. Sie zerrten das Fahrzeug ein Stück heraus. Dann traten sie sich die Beine locker und reckten sich. „Nun, es ist vorbei und gut!" sagte der Arzt aufatmend. „Sie haben was geleistet, Herr Friederich! Donnerwetter! Aber jetzt kommandier' ich Sie heim! Verstanden? Sofort ins Bett! Am besten ein Bad! Sie sind erledigt für heute! Vielleicht für ein paar Tage! Ich werde Ihr Wegbleiben bet Ihrem Chef entschuldigen. Geh'n wir!" Robert Friederich schwankte wie ein Betrunkener, wie sie nun nach dem richtigen Woge gingen. Der Arzt wollte ihn heimführen. Aber Robert wehrte ab: „Zu Scharfs, Herr Doktor! Zum kleinen Lenchen hab' ich Sie geholt! Eilen Sie und helfen Sie, Herr Doktor!" Robert hoffte, daß er im Hause zuerst Hedwig sehen wür de und sich den Eltern nicht im jetzigen Zustande zu zeigen brauchte. Aber sie war in den Ort gegangen. Uebrigens hatte die Mutter ihn durchs Fenster schon zufällig bemerkt. Sie kam ihm entgegengestürzt: „Um Himmels willen, Robert, wie siehst du ans! Was ist dir gcschehn?" Es triefte von seinen Kleidern. Er zitterte am ganzen Körper. Sein Gesicht war blaurot und verschwollen. Mit einer müden Geste bedeutete er der Mutter, doch nicht erst den Vater aufmerksam zu machen. Aber der hatte schon verdächtige Worte gehört und kam aus der Stube. „'s ist gut, Vater! Keine Sorge! 's ist weiter nichts!" sagte Robert' und bemühte sich zu lachen, als er des Vaters entsetzte Miene sah. »Ja, bist du denn in die Elbe —?" „Aber, Mutter!" schnitt ihr Robert das Wort ab. „Frei lich bin ich in die Elbe gefallen. Ist uns das nicht schon manchmal passiert?" „Im Winter! Und bei dem Wasser! — Aber jetzt rein in die warme Stube!" Sie schob ihn hinein. Mochte auch eine Pfütze über Dielen und Läufer kommen. Dann war sie schon die Treppe hinauf, um Wäsche und Kleider zu bringen. Der alte Friederich betrachtete den Sohn mißtrauisch und schüttelte den Kopf. Was hatte Robert an der Elbe zu tun gehabt? Kein Floß, kein Holzkahn war da. Und wenn es schon irgendeine Arbeit am Wasser gab, was ging die den Buchhalter an? Nein, nein, da stimmte etwas nicht. Und vom harmlosen Jns-Wasser-Fallen wird einer so arg mitge nommen? Nun, jetzt mochte er sich nur umziehen und aus wärmen, und dann würde er schon etwas verlauten lassen. Aber da beobachtete er, wie Robert von einem Frost geschüt telt wurde. „Mutter, koch nur auch gleich Tee!" sagte er und ging selber und holte Betten herunter für den Sohn, der doch etwas Schweres durchgemacht haben mußte! Da wurde die Tür aufgerissen. Hedwig war's. Atemlos und aufgeregt stieß sie nur die Worte hervor: „Mein Gott, Robert, bist du da?" Er hatte Geistesgegenwart genug, um sie zum Schweigen zu zwingen: „Ich bin da. Wer tu mir den Gefallen und rede nicht! 's ist allein meine Sache!" Denn er ahnte, daß sie unterwegs etwas erfahren haben mochte. * Herr Scharf irrte um diese Stunde in der Gegend um her. Gustav durfte die Pferde nicht schonen. Es ging bergauf und bergab. In den Dörfern wurden die Leute, die bei dem regnerischen Wetter doch auf der Straße zu sehen waren, ausgefragt, ob sie den Arzt in einem Hause wüßten oder sagen könnten, wer den Besuch des Arztes erwartete. Aber es hatte den Anschein, als gäbe es gar keine Kranke mehr. Niemand konnte Auskunft geben. Da entschloß sich Herr Scharf, bis in die Stadt zu fahren. Das war zwar ein weiter, aber sicher kein vergeblicher Weg. Bon einer Ebenheit ging's wieder hinab ins Tal. Da hatten sie das Mißgeschick, daß das Handpferd auf dem Eis ausrutschte und stürzte. Es kam von selbst wieder auf die Beine, aber er lahmte. Am Knie ivar eine kleine Wunde fest» zustelleu. Diese äußerliche Verletzung war nicht schlimm, ihretwegen hätte man die Fahrt fortsetzen können. Aber es mochte eine Sehnenzerrung eingetreten sein, und bald würde sich die Anschwellung zeigen. Das Tier trat ganz behutsam auf, und seine Gebärden verrieten, daß es Schmerzen litt. „Auch das noch! Verdammte Geschichte!" knurrte Herr Scharf. Dem Pferde durften keine Anstrengungen mehr zuge mutet werden. Man mußte schon froh sein, wenn es noch bis heim laufen konnte. (Fortsetzung folgt.;