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2S8 Stumm« Zeug«n. Herrenhaus hinein« oder herausgelangen, vorausgesetzt, daß kein geheimer Gang vorhanden war, und diese meist nur in Räuber« und Gespenstergeschichten bestehende Möglichkeit durften wir von vornherein ausschließen. Jetzt schlug es zwei Uhr. Heiser und mißtönend bimmelte die Glocke, noch ein kurzes Nachschwingen des Schalles, dann war wieder vollkommene Stille. Plötzlich regte sich Prinz, stand auf den Läufen und huschte wie ein Schatten auf mich zu. — Da mußte irgend etwas nicht in Ordnung sein!. — Vom Garten her drang ein leises, ganz leises Ge räusch, offenbar hatte es Prinz mit seinen ungleich schärferen Sinnen schon früher als ich wahrgenommen. War es Sauer oder einer von seinen Leuten? Es klang wie ein zögernder Schritt auf feuchtem Rasen, deutlich hörte ich jetzt, wie ab und zu ein Zweig schnellte. Offenbar benutzte der einsame Fußgänger absichtlich nicht den knirschenden Kies weg. — Jetzt, ein gedämpftes, stärkeres Geräusch, offenbar ein Sprung, vielleicht über den Weg. Nun mußte, wenn meine Rechnung stimmte^ die ins Haus führende Tür der Veranda geöffnet werden. — Aber was war da? — Der schleichende, unhörbar sein sollende Schritt entfernte sich wie der, dann ein leises Klirren, ein Kratzen und Scharren an der Mauer; offenbar war der Unbekannte durch ein Fenster im Erdgeschoß, vielleicht in den Speisesaal eingestiegen. Donnerwetter, jetzt wurde es Ernst. Wenn der nächtliche Eindringling wirklich Herr von Tarnowsky war, dann mußte er mehr Mut und Verschlagenheit besitzen, als ich ihm an fänglich zugctraut hatte! — Wahrscheinlich hatte er vorher durch den von Frau Kortüm geschriebenen und von Krischan beförderten Brief genaue Verhaltungsmaßregeln erhalten, und nur Frau Kortüm konnte es gewesen sein, die das Fenster des Speisesaales absichtlich geöffnet hatte. Schnell huschte ich zur Tür, schob lautlos den vorher gut geölten Riegel zurück und drückte Millimeter für Millimeter die Tür herunter, bis sie sich geräuschlos in den Angeln drehte. Prinz stand neben mir, und ich fühlte ordentlich wie sich jede Sehne und Muskel an seinem Körper straffte. Es war ja nicht zum ersten Male, daß wir beide einen schweren Jungen aushoben. — Eine kleine Weile blieb all§s still, ich fühlte, wie es in meinen Halsschlagadern hämmerte und mir das Blut jäh zum Herzen schoß. Aber nur Ruhe, — Ruhe! Wenn ich jetzt den geringsten Fehler machte, so war ich verloreu, das stand fest. Freilich, jedermanns Sache ist es nicht, die Nerven fest im Zaum zu behalten, wenn es die Jagd auf das gefährlichste Raubtier „Mensch" gilt! Und dann hörte ich auf der Stiege scharrende, schlürfende Schritte; Schritte, die man nicht hören sollte und die doch in der Stille der Nacht deutlich vernehmbar waren. — Jetzt hatte der Mann die letzte Stiege erreicht und trat auf den Flur, dessen Holzdiele unter seinem Tritt knarrte, da sprang ich mit schußbereiter Pistole vor, ein Druck auf den Knopf der elektrischen Taschenlampe: in greller, nach der Dunkelheit der voraufgegangenen Stunden das Auge schmer zender, blendender Helle stand — Herr von Tarnowsky vor mir, völlig fassungslos und überrascht, in der schlaff herab gesunkenen Rechten einen Armeerevolver haltend! „Faß, Prinz!" Mit einem einzigen gewaltigen Satze schoß der Hund an mir vorbei, und noch ehe der Überrumpelte die Waffe heben konnte, hatte ihn Prinz in gewaltigem Anprall zu Boden gerissen. Klirrend flog der Revolver die Stufen der Treppe hinab, als ich mit voller Wucht nach der Hand des wehrlos unter dem Hunde Liegenden trat. „Wenn Sie auch nur ein Glied rühren, reißt Ihnen mein Hund die Kehle auf!" schrie ich. Da öffnete sich die Tür von Herrn Kortüms Arbeitszimmer und im Rahmen der Füllung erschien Frau Kortüm. „Päng!" — Ich fühlte einen leichten Schlag gegen meine linke Brust und einen stechenden Schmerz im Oberarm. Un- willkürlich zielte ich auf die sich nur undeutlich abzeichnende Figur der Angreiferin, und während mir eine zweite Kugel haarscharf nm Kopse vorbeisauste, drückte ich ab. — Hell und hart dröhnt« der Schall meines Schusses, dem ein leise.r Auf. schrei folgte, dann schlug die Tür zu und «in Schlüssel drehte sich knirschend im Schloß. — „Päng!" klang es noch einmal gedämpft aus dem Arbeitszimmer, dann blieb alles still, nur die schweren, keuchenden Atemzüge Tarnowsky» waren hörbar. — Aber schon wenige Sekunden später hörte ich das Krachen und Splittern von Holz, ein Fenster klirrte, und während sich ein dichter, roter Nebel vor meine Augen legte, alles um mich her wankte und ich vergeblich nach einem Halt suchte, polterten eilige, stampfende Schritte die Treppe empor. Als ich wieder zu mir kam, lehnte ich mit dem Oberkörper an der Mauer und Kommissar Sauer feuchtete mir die Lip pen, auf denen ich den brennenden Nachgeschmack von Brannt wein spürte. „Fühlen Sie sich besser, Gott sei Dank, daß Sie noch so davongekommen sind!" „Wenn. Sie mir, bitte, etwas helfen wollen, kann ich, glaube ich, stehen." Der Kommissar griff vorsichtig unter meine rechte Achsel höhle und dann war ich wieder hoch. Beim Scheine zweier hellstrahlender Klapplaternen sah ich, daß mein linker Arm von Blut durchnäßt war. Behutsam zog mir der Beamte Jacke und Weste aus, dann streifte ich hen Hemdärmel empor und da hatten wir die Bescherung! Mitten auf dem Ober armmuskel saß die Kugel, der Knochen mußte glatt durch schlagen sein; aber ich verbiß mir den Schmerz, und schnell genug war ein Notverband angelegt. Dann sah ich nach der linken Brustseite, dahin, wo ich den Aufschlag des Geschosses verspürt hatte, aber nichts fand sich. — Und plötzlich fiel mir meine in der inneren linken Brusttasche steckende silberne Zigarettenschachtel ein. — Richtig! Sie wies deutlich die Kugelnarbe auf. Ein Zufall hatte mich gerettet, das Ge schoß war abgeprallt und hatte nur noch so viel Kraft be sessen, mich zu „flügeln". Aus einem Handtuch fertigten wir eine Schlinge für den Arm, dann nahm ich noch einen ordentlichen Schluck aus der Flasche Sauers, und nun erst sah ich drei weitere, in Zivil gekleidete Beamte, die ziemlich ratlos neben Herrn von Tar nowsky standen, der noch immer, ebenso wie die Polizisten, von Prinz in Schach gehalten wurde. „So recht, mein Hund! — Schone! — Zurück, Prinz!" und gehorsam, wenn auch zögernd, kam der Hund zu mir zurück und legte sich neben mir nieder. Sofort versuchte sich Herr von Tarnowsky aufzurichten, aber da wurde er auch schon von sechs kräftigen Fäusten gepackt, zurückgerissen und im nächsten Augenblick hörte ich das scharfe Einschnappen der Handschellen. „Wo zum Kuckuck mag nur Frau Kortüm sein?" fragte der Kommissar. „In ihrem Zimmer, das heißt im Arbeitszimmer ihres Mannes," lautete meine Entgegnung. „Dann vorwärts, ehe sie uns durch die Lappen geht. Lind ner, Sie bleiben bei dem Verhafteten," wandte sich Sauer an einen der Beamten. Aber so viel wir auch an allen Türen rüttelten, sie waren sämtlich verschlossen; die Schlüssel steckten von innen und an ein Öffnen mittels Dietrichs war nicht zu denken. „Je, dünn Helpt dal allens nix," meinte der mir schon vom Morgen her bekannte, diesmal als Arbeiter verkleidete Landreiter, „dünn möten mir ja woll dat Vil holen." Dreimal forderte der Komissar im Namen des Gesetzes zur freiwilligen Öffnung der Tür auf, und als das nichts nützte, sauste die Axt schmetternd gegen die feste, wohl zwei bis drei Zoll starke Eichentür. Jetzt noch ein Schlag, — da brach die Fassung der Angeln. Schußbereit, mit dem Finger am Abzug der Browningpistole, stürmte ich als Erster ins Zimmer und prallte gleich darauf zurück: vor mir auf dem dichten, weichen Smyrnateppich lag — Frau Kortüm mit zer schossener Schläfe, und dort, wo der wohl faustgroße Ausschuß am Hinterkopfe war, quoll zwischen sickernden dunklen Bluts tropfen die grauweiße Eehirnmasse hervor.