Bodenwirkungen. 401 Vergeblich sucht man nach umgrenzenden Gebirgen oder Meeren; uns fehlen Pyrenäen, ein Ural oder ein Kaukasus; nicht einmal die Alpen schliessen uns ab, und wo sie es könnten, da ist es uns diesseits zu eng; wir sehnen uns min destens nach einem adriatischen Hafen. Vergeblich sucht man nach einem grossen centralisirenden Becken oder nach einem ganz und durchaus deutschen Hauptfluss. Uns fehlt das weite Seine-Becken oder das der Themse; unsere grossen Flüsse entspringen kaum auf eigenem Gebiet, noch weniger münden sie auf demselben; da ist nirgends ein natürlicher Central punkt geboten, kein deutsches London oder Paris, höchstens ein Wien, Berlin oder Frankfurt — Mainz. Ist das nun ein Segen oder ein Unsegen? Beides, wenn ich nicht irre. Die ungemeine Mannigfaltigkeit der deutschen Boden gestaltung und des inneren Baues derselben hat eine ähnliche Mannigfaltigkeit der Bevölkerung, ihrer Sitten, Gewohnheiten und Industriezweige, eine vielfältige geistige Durchbildung, und in Folge davon eine ähnliche der Staaten und staatlichen Ein richtungen hervorgerufen. Statt eines grossen, haben sich eine Menge kleiner Centralpunkte verschiedenen Ranges gebildet, und jeder hat, wie eine kleine Sonne, seine befruchtenden Strahlen um sich her gesendet. Statt einer homogenen Nation haben sich eine Anzahl gesonderter Volksstämme entwickelt, die allerdings ihr Gemeinsames haben, und deren nationale Verbindung durch den steigenden Verkehr immer inniger wird. Derselbe Verkehr verbindet aber mehr und mehr auch ganz ungleiche Nationen. Wenn ich behaupte, dass die socialen und politischen Zu stände unseres Vaterlandes einigermaassen auch von seinem inneren Bau abhängig sind, so muss ich das näher zu be gründen versuchen. Der Einfluss der Bodengestaltung auf die Bevölkerung ist ein sehr vielartiger, schwer in alle seine Einzelheiten zu ver folgender, noch schwerer voraus zu bestimmender. Denken wir uns gleichartige Bevölkerungselemente gleich artig über ein geognostiseh sehr mannigfaltiges Land ausge- Cotta, Geologie der Gegenwart. 5. Aull. 20