Geologie und Poesie. 355 im Studium der Geologie neben dem praktischen Nutzen auch eine geistige und poetische Anregung zu finden? Ist nicht das Ineinandergreifen aller Vorgänge, der mögliche Rückblick in unermessliche Zeiträume an sich schon voll poetischer Wirkung? Sind da noch gewaltsame Uebertreibungen nüthig? Wenn wir erkennen, dass mächtige Felsschichten, die sich über Hunderte von Quadratmcilen ausdehnen, durch das Leben und den Tod kaum sichtbarer Thiere erzeugt wurden; wenn wir erkennen, dass ein schwacher Wasserlauf nach hundert tausendjähriger Thätigkeit ein Thal in festes Gestein eingenagt, oder ein grosses Seebecken mit Sand und Schlamm ausgefüllt hat; wenn wir aus der Vertheilung der ungleichen Ablagerungen auf einen vielfachen Wechsel von Land und Meer schliessen; wenn wir einen erratischen Felsblock Hunderte von Meilen von seinem nachweisbaren Ursprung entfernt finden ; wenn wir die höchsten Gebirge als das endliche Resultat unzähliger kleiner Hebungen erkennen; wenn wir die Fragmente eines Gesteines als vom Wasser abgerundete Geschiebe, in auf einander folgenden Ab lagerungen, weiter und weiter entfernt von ihrem Ursprung wiederfinden; wenn wir im Krystall, der tief im Innern eines festen Granitberges ruht, die Spuren eines langsamen Wechsels der Stoffe nachweisen können; wenn wir in der anorganischen, wie in der organischen Welt, einen steten Kreislauf der Stoffe durch die verschiedensten Phasen der Erscheinung erkennen können: liegt darin nicht eben so höbe Poesie als in der blossen Annahme gewaltiger Naturrevolutionen ? Und weiter! Wenn wir die unzweifelhaften Eindrücke von Regentropfen beobachten, die vor unermesslicher Zeit auf eine Sandschicht niederfielen; wenn wir den Fährtenabdrücken eines Thieres zu folgen vermögen, welches während der Triasperiode, oder in der noch viel älteren Devonzeit, am Meeresufer seine Nahrung suchte; wenn wir die Schalen bunter Meeresmuscheln wohl erhalten, aber leichenhaft verblichen, gleich den einst bunten Statuen der altgriechischen Meister, im Erdinnern vorfinden, an einer anderen Stelle dagegen aus einem fossilen Tintenfisch 23*