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/tzss 84. Aomlahmd, de« LS. Anguss. 1883. Mekleinßische Aeikage zum sächsischen Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. Unter -en Sternen.*) Roman von Paul Böttcher. I. Der Schatten der Nacht, der sich auf der Erde gelagert, wurde bald verdrängt von dem Frühroth des jungen Tages. Wie eine Mutter, welche in zärtlicher Liebe behutsam die Decke ihres in der Wiege schlummerndeck^äuglings lüftet und holdselig die Lippen zum erwachenden Kusse senkt, so brachen sich die ersten Sonnenstrahlen durch den grauen Nebelschleier und küßten die Thautropfen von den l Gräsern und Blumen. ) Die holden gefiederten Sänger reckten begierig s die kleinen Hälse aus ihren Nestchen und eilfertig / machten sich sich auf, um ihre einzige Beschäftigung, da» Nahrungssuchen und Singen, wieder zu beginnen. Auch» eine liebliche Lerche erhob sich hoch in die Lüfte und -jubilirte ihr heiteres Morgenlied in den blauen Aether des jungen Tages. ES sang, es tlang So frisch und rein, ; Hoch in den Lüften, In den Triften, Das Bögelein. Bald aber flog es wieder zur Erd: nieder und umflatterte, anfang« scheu, dann aber immer kecker - werdend, den Blumenstock eines Fensteagesimses, bis i eS sich endlich ganz ailf denselben niederließ und - hier, als wäre es dazu berufen, sein heiteres Liedchen ! sorlsetzte. Ob er eS wohl ahnte, der kleine Sänger, daß t er der hinter den blauen Fenstervorhängen träumenden H Schönen mit seinem Morgengesang das Hochzeits ständchen brachte? Ob er gerade darum die - schönsten Töne seiner kleine» Brust entlockte, weil > ihm heut ein besonderer süßer Bissen, den er sich s an jedem Morgen hier zu holen pflegte, zu Theil werden sollte? l Allerdings wurde die Geduld des kleinen Schelms > auf eine harte Probe gestellt, denn sein zartes I Stimmchen vermochte nicht durch die dicht geschlossen Doppelfenster zu dringen, da mußte erst die immer höher und höher steigende Sonne ihm zu Hülfe eilen, deren Strahlen sich allmälig in einer dichten weißen Lichtwolke durch die Spalten der Jalosien brach und sich bis zu dem Lager der schönen Schläferin ergoß. Nicht» unterbrach die Stille des bräutlichen Gemachs, als das sauste Athmen der schlafenden Schönen. Lin schöner Traum schien diese zu Unberechtigter Nachdruck verboten. umfangen; die halbgeschlossenen Lippen öffneten sich leise und schienen Worte der Befriedigung auSsprechcn zu wollen, in dem holden Antlitz der lieblichen Träumerin spiegelte sich eia Meer von Freude und Glückseligkeit. Und warum sollte sie nicht auch überaus glücklich und zufrieden sein, die schöne Helena, wie man si- in ihrem ganzen HeimathSorte, einem kleinen süddeutschen Städtchen, zu nennen pflegte? War sie nicht jung, reich und schön, und hatte sie nicht in dem diesen Eigenschaften sich beizesellenven weiblichen Stolz eine Wahl getroffen und gefunden, die ihrem Herzen zur Befriedigung gereichen mußte? Ja, Helene Zellner durfte sich in Wahrheit glücklich schätzen und gerade den heutigen Tag konnte sie als den glücklichsten ihre» Leben», als ihren Ehrentag bezeichnen, an welchem sie, die vielumworbene Bürgerliche, mit einem höheren Beamten res Verwaltungsfaches, mit Hermann v. Gellern, zum Altar treten sollte. Endlich gelang es der lieben Sonne, die braunen Rehaugen unserer Helene wach zu küssen, die gleich darauf suchend in dem Gemach umherschweiften und nun alle» da» verwirklicht fanden, was eben noch ein Traum gewesen. Da lagen auf den verschiedenen Möbeln sorgfältig auSgebreilet da» kunstreich mit den schönsten Blumen durchwirkte Hochzeitskleid, der lange Brautschleier, kostbare Schmuckgegenstände und der Myrthenkranz, der sich auf dem kastanienbraunen Lockenköpfchen reizend abheben mußte. Die sorgsame Tante, welche Helene'S Erziehung von deren Kindheit an geleitet, hatte diese Sachen alle in das Schlafgemach ihrer Pflegebefohlenen gebracht, um diese damit beim Erwachen zu überraschen. And diese Ueberraschung war denn auch der guten Tante im vollsten Maße gelungen; denn wir sehen Helene bald darauf alle diese Sachen, mit denen sie sich heute schmücken sollte, von allen Seiten beliebäugeln und man las e» in Helenen's Mienen, daß sie von dem Resultat ihrer Betrachtungen befriedigt war. Welche Gedanken mochten jetzt in Helene wohnen? Dachte sie daran, wie das ganze Städtchen sie in diesem Schmuck auf dem Kirchgänge bewundern würde? Höne sie schon im Geiste das Ah uns Oh! aus der staunenden Menge? Fühlte sie schon jetzt die brennenden Blicke der neidischen Freundinnen? Gewiß! Wie hätte sonst die fast allen Wesen ihres Geschlecht» mit wenige» Ausnahmen innewohnende »Mich» Eitelkeit ia ihrem Busen Raum finden können? Dachte Helme auch an die wenig freundlichen