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Aus -em Gerichtssaal. Fahrlässigkeit oder Notwehr? Das Schwurgericht Darmstadt verurteilte am 24. Januar d. I. den Angeklagten August Sittig aus Frankfurt-Sindlingen wegen fahrlässiger Tötung zu zehn Monaten Gefängnis. Der Angeklagte hatte sich am 31. Juli v. I. mit einem Jagdfreund in sein Jagdrevier im Kelster bacher Wald begeben. Als beide Freunde auf Ansitz waren, bemerkte Sittig aus einem in geringer Entfernung befind- licben Gehege verdächtige Geräusche. Kurz darauf fiel ein Schuß. Beide Freunde gingen dem Schuß nach und stell ten hier einen Mann, der hinter einem Rehbock herlief. Der Mann blieb auf Anruf nicht stehen, sondern entfernte sich mit einem inzwischen ebenfalls aufgetauchten zweiten Wil derer. Die beiden Jagdfreunde liefen nun außen am Ge hege entlang, um die beiden Männer beim Verlassen des selben zu stellen. Der erste Wilderer rief seinem Genossen zu: ,Lakob, auf ihn, auf ihn"; der Angeklagte sah nun die sen zweiten Mann in vorgebeugter Haltung stehen; er glaubte, ein Gewehr bei diesem Manne zu sehen und er riß nun seinerseits seine Büchse hoch und gab einen Schuß ab. Der Mann brach tot zusammen. Der zweite Wilderer ent fernte sich auf dem Fahrrade. Das Schwurgericht hatte die Annahme der Notwehr verneint, weil sich in der Verhand lung yerausgestellt hatte, daß der Erschossene gar kein Ge wehr bei sich geführt hatte. Das hätte der Angeklagte bei sorgfältiger Prüfung erkennen müssen. Auf die von dem Angeklagten beim Reichsgericht eingelegte Revision hat der 1. Strafsenat des Reichsgerichts das Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück verwiesen, und zwar an das Schwurgericht in Mainz. Die Feststellungen des Schwurgerichts reichten nicht aus, um den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu verurteilen. Es sei eine Erfahrungstatsache, daß es sich-bei einem Zu sammenstoß mit Wilderern um Augenblicke handele. Es komme immer darauf an, wer der schneller« Schütze sei. Wenn das Schwurgericht dem Angeklagten zugute hielt, daß er glaubte, es mit Wilderern zu tun zu haben, dann könne das Schwurgericht nicht auf der anderen Seite sagen, er hätte die Angelegenheit näher beobachten müssen. Dazu war keine Zeit, denn er mußte ja damit rechnen, daß der Wilderer schoß. Auch die vorgebeugte Haltung des Erschos senen habe den Angeklagten in dieser Meinung noch be stärkt. Es sei also kein« Fahrlässigkeit darin zu erblicken, daß der Angeklagte in diesem Glauben und aus vermeint licher Notwehr geschossen habe. Die ganze Angelegenheit müsse daher von einem anderen Schwurgericht noch einmal geprüft werden. — Unfall de« Valkanschnellzuges. Am Montag gegen 11,45 Uhr erlitt der auf der Fahrtstrecke Bodenbach—Aussig befindliche Balkanschnellzug 148 in der Nähe der Station Topkowitz einen leichten Unfall. Bon einer Felswand löste sich ein etwa einen Kubikmeter großes Felsstück ab un stürzte herab, dabei in mehrere Teile zerspringend. Ein etwa handkoffergroßes Stück fiel zwischen die Bahngleise, und die Maschine des eben heranfahrenden Balkanzuges stieß an das Felsstück. Die Lokomotive war zwar noch abgebremst worden, erlitt aber doch eine Störung und mußt« ausge wechselt werden, so daß der Zug eine einstündige Verspä tung erlitt. Größerer Materialschaden oder Verletzungen der Zugpassagiere kamen nicht vor. — Schnellzug fährt in Samelkarawane und entgleist. Der Nachtexpreß Basra—Bagdad ist nach einer Meldung aus Bagdad in eine Kamelkarawane gefahren und entgleist. Dem Lokomotivführer gelang es erst nach fast 800 Meter, den Zug zum Stehen zu bringen. Glücklicherweise wurde von den Fahrgästen niemand verletzt. Von den Kamelen wurden siebzehn getötet. — Frecher Juwelenraub in belebter Straße. Nach Art amerikanischer Gangster verübten am Dienstagabend gegen 9 Uhr drei Banditen in einer belebten Pariser Straße einen verwegenen Raubüberfall auf einen Juwelenladen, wobei sie Schmuckstücke im Werte von 200 000 Franken erbeuteten. Die Räuber fuhren im Kraftwagen vor, banden die Klinke der Geschäftstür fest, schlugen mit einem Hammer die unteraebrqcht. Die beiden Eheleute wurden zwecks Entlau sung dem Krankenhause zugeführt. Dimbach, 30. Nov. Gefängnis für einen Aahrraddieb. Das hiesige Amtsgericht verurteilte den 24 Jahre alten Jo hannes Georg Freitag aus Hohenstein-Ernstthal wegen Rückfalldiebstahls in 9 Fällen zu 9 Monaten Gefängnis. Freitag hatte seit Jahresfrist in Limbach und Umgebung Fahrräder gestohlen, die er weiterverkaufte. Auch andere Diebstähle kommen auf sein Konto. Der Staatsanwalt hatte Zuchthaus beantragt. Schaufensterscheiben ein, rafften di« teu«rst«n Schmuckstücke, Uhren, Brillantringe und -armbänder, zusammen und fuh ren eiligst wieder davon. Dies alles spielte sich in wenigen Augenblicken ab. Zahlreiche Fußgänger und «in Pariser Verkehrsautobu» versuchten das davonrasende Auto zu ver- folgen, wurden dabei aber von den Gangstern mit einer Salve von Revolverschüssen überschüttet. Glücklicherweise ist niemand verletzt worden. Al» die Polizei erschien, waren die Räuber bereits spurlos verschwunden. — Um 20 Menschen zu retten, ln den Tod gegangen. In den Ostkarpathen kam ein Autobus der Linie Kolomea— Kossow auf der verschneiten Bergstraße in» Rutschen und drohte rückwärts «men Abhang hinunterzustürzen. Der Schaffner sprang ab und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Wagen. Er wich auch nicht vom Platz, als er erkannte, daß er dem Druck nicht gewachsen war, und wurde von dem Autobus überfahren. Sein Körper hielt aber die gefährliche Rückwärtsbewegung des Wagens auf, und so hat der pflicht, getreue Mann — Flisiuk hieß er — unter Aufopferung sei. nes Lebens über 20 Personen, die abspringen konnten, von dem sicheren Tod errettet. — vierfacher Raubmörder verhaftet. In Lille wurde ein vierfacher Raubmörder verhaftet, der am 23. Septem- der zwei alte Frauen und am 27. Oktober ein betagtes Ehe paar in ihren Wohnungen überfallen, beraubt und mit einem Stock erschlagen hatte. Die polizeilichen Nachforschun gen blieben zunächst ohne Ergebnis, zumal der Täter na mens Casimir Dankerque, der ein Sohn achtbarer Eltern ist, keineswegs verdächtig erschien. Die Polizei kam dadurch aus di« Spur des 32jährigen Mörder», weil er sich durch außer ordentliche Geldausgaben und durch Verpfändung von Schmucksachen, die einwandfrei au» dem Besitz der Ermor deten stammten, selbst verriet. — Lautsprecher »läutet" zum Gottesdienst. In der Nähe der englischen Stadt Bradford gibt es eine kleine Kirche, deren Glocke so schwach ist, daß sie nicht allzu viel Gläubige zur Andacht herbeizurufen vermag. Nun schafft« man zwar keine neue, größere Glocke an, sondern behalf sich mit den modernen technischen Errungenschaften. In dem Glockenturm wurde ein Laütsprecher angebracht, der von Schallplatten die Glockenspiele der berühmtesten eng lischen Kirchen, wie der Westminster-Abtei, der St.-Pauls- Kathedrale usw. überträgt. Auf diese Weise hören auch vier Kilometer entfernt wohnende Gemeindeglieder das Glocken läuten. Fenstern fiel mattes, buntes Licht — sanftes, schwaches. Kirchenlicht — auf die Treppe. Na ja, poetisch, stilvoll un ruhig war es hier, da hatte Jo doch recht. Die obere Etage war ganz vermietet. Mehrere Räume hatte ein Kunsthisto riker inne, dem es die reine Barockform des Hauses ebenso angetan hatte wie Jo, links wohnt« eine junge Lehrerin, hier — hier mußte Jo's Zimmer sein. Richtig, da war ja auch ihre Karte angeheftet. Tina klopfte ein paarmal an die große, braune Tür, besah sich neugierig das in verschlungener Verzierung dar auf mehrfach wiederkehrende Wappen. Einen Augenblick blieb es still. Dann kamen ein paar leichte Schritte zur Tür. „Tina!" Jo Kersting zog die Freundin mit beiden Hän den freudig ins Zimmer. „Wie nett, daß du dich auch mal in mein Tusculum verirrst!" „Na, aber selbstverständlich! Ich muß dir doch gratu lieren." Sie ließ sich in einem der kleinen, Hellen Sessel nieder. „Nett hast du's hier. Kleine." Sie sah sich um. Das sehr hohe, große Zimmer war mit alten Möbeln aus Jo's Elternhaus behaglich eingerichtet; ein alter Mahagoni bücherschrank, ein gleichartiger Schreibtisch, ein Sofa, zwei Sesselchen, ein runder Tisch mit blühenden Kirschzweigen in Hellem Glas. Hinter einem Vorhang befanden sich Schrank und Bett, eine Ecke, des riesigen Raumes war als Bao ab gekleidet worden. Drei hohe Fenster zeigten auf einen alten, parkähnlichen Garten hinaus, ein großer Kirschbaum steckte vorwitzig seine üppig blühenden Zweige ins Zimmer hin ein. Dr. Jo Kersting sah an sich herab. „Muß ich deinen Besuch durch ein feierliches Gewand ehren, Tina?" „Aber nein, Jokind. Bleibe doch so. Siehst ja fabel- -haft aus!" Sie betrachtete mit fast mütterlichem Lächeln die schlanke Gestalt der jungen Philologin, den einfachen grün seidenen Hausanzug. Blaß war die Kleine — na, kein Wunder nach der Arbeit! Aber hübsch wie immer! Das volle, dunkelblonde Haar weich aus der schöngezeichneten Stirn gestrichen, hinten zu reizvollen dicken Locken geord net. Wie doch die großen, etwas schräggestellten dunklen Augen dem länglichen Gesicht einen südlich reizvollen, pi kanten Ausdruck gaben! . .. Tina nahm den großen, weißen Hut ab und lehnte sich behaglich zurück. „Also, nun erzähle mal. Hat alles ge klappt .. . war's schwer?" Jo Kersting stellte ein paar Aepfel und etwas beschei denes Gebäck auf den Tisch und reichte der Freundin die Schale herüber. Ihr "schönes, reingezeichnetes Gesicht war durchsichtig blaß geworden, ein bitterer Zug lag um den ausdrucksvollen Mund. „Schwer war's nicht", sagte sie matt. „Es hat alles ganz gut geklappt, die Arbeit war ganz interessant; interes siert es dich?" Sie reichte ihr ein schmales, kartoniertes Heftchen herüber. Es war die Doktorarbeit der jungen Philologin. Ton und Gebärde waren so müde und gleich gültig, daß Tina die Freundin überrascht ansah. „Na. da freu dich doch, Mädel", sagte sie stark. „Hast jetzt alles hinter dir: Staatsexamen, dein pädagogisches Probejahr, jetzt noch die Doktorarbeit! Mein Cott! Was .habe ich mich damals gefreut, als ich zum erstenmal den Dr. med. vor meinen Namen setzen konnte und meine Arbeit aufnahm!" Jo Kersting steckte die Hände in die schmalen Taschen des Hausanzuges und stand auf. Mit großen, langsamen Schritten ging sie durchs Zimmer. Dann hob sie den Kopf. „Ja, bei dir, Tina ... das ist auch ganz etwas anderes! Du bist wohlbestallte Assistenzärztin an der Universitäts klinik, hast einen Posten, hast eine Existenz und deine Selb ständigkeit! Und es ist alles geordnet, geregelt, vorgezeich net in deinem Leben! Beneidenswert! Wenn es dir an der Klinik einmal nicht mehr paßt, packst du ganz einfach deinen Kram, ziehst zu deinem alten Herrn nach Weimar, ihr beide übt dann gemeinsam die Praxis aus. Und wer weiß? Eines Tages kommt dann ein sehr sympathischer 1 ?nd doch, Advent, du bist die Zelt der Wunder! ^4- Durch deiner Morgendämmrung schwere Ruh' glünzl frühe schon, von der Erwartung munter, DeS Kindes Äug' dec Hellgen Weihnacht zu. WWiWWWWWiiiiiiiWiiiiiiWWWWiiWiiiMiiiiiW^ l/sc öieer Aeüe KOMKN VON MKKIK 0v?KI-lN copvrizkt dv ?romeIkeu»-V«rlag vr. Ulckmker, 0rSbenreII bei Kiünäien (Nachdruck verboten.) Dr. Tina Oldenloh stand auf der breiten Steintreppe und sah mit leisem Kopfschütteln zu dem großen grauen Ge bäude auf. Es war doch eine verrückte Idee von Jo ge wesen, sich hier einzumieten. Der große, alte Adelshof lag mitten im Herzen der Universitätsstadt. Eine riesige Mauer — die reinste mittel alterliche Kriegsbefestigung umschloß ihn, ein breiter, run der, mit holprigen Kopfsteinen gepflasterter Hof schuf den nötigen Abstand zwischen dem alten Stadtpalast und der- Welt da draußen. Nur wenige Meter von der Mauer ent fernt rasselte die Straßenbahn, schräg gegenüber lag sogar ein furchtbar prosaisches und modernes Eisenwarengeschäft Mit großstädtisch schreiender Schaufensterreklame. Immerhin: schloß man das morsche schmiedeeiserne Tor, das, brüchig und rostig, beleidigt knirschte, auf, war man auf einmal vom Zauber vergangener Jahrhunderte umsponnen. Auch Tina besah sich sehr interessiert die große Eingangstür, sie war reich geschnitzt und verziert, alters bestaubt, riesig hoch und breit wie ein Kirchenportal. Alles ganz gut und schön . . . aber wo klingelte man denn in die sem verwunschenen Schloß? Ach richtig, hier! Ein kostbar verzierter Messingknopf ragte aus der Wand, lächelnd zog Tina daran, ein heiseres, bellendes Scheppern klang durch das große Haus. Nach einer Weile öffnete sich die Tür, eine alte, kleine Frau blinzelte aus trüben, roten Augen mißtrauisch die Fremde an. Von den wachsamen Blicken der alten Dienerin begleitet, ging Tina Oldenloh schnell durch einen weitge dehnten Flur, große, graue Steinplatten bildeten den Bo den, alte, geschwärzte Ahnenbilder hingen an den Wänden, eisenbeschlagene, große Truhen säumten den Weg, dazwi- chen — taflächlich, nein, das war doch toll! — drei, vier, uns Ritterrüstungen und dazu diese Atmosphäre aus Mo- >er, Kalk, Staub und Verlassenheit Das reinste Mu- eum", murmelte Tina und schüttelte wieder den Kopf. Dann erschrak sie heftig. Gespenstisch leise hatte sich am Ende des Flurs eine der hohen Türen geöffnet, die den Eingang zu mehreren großen Räumen bildeten. Ein spit zes, kalkweißes Altfrauengesicht schaute neugierig heraus; Tina sah flüchtig ein Gewirr ganz vernachlässigter, aber echter Spitzen an einem mageren Hals, sah etwas unbe stimmt Schattenhaftes, ein Paar müde, hochmütige Augen, dann zog sich die Tür leise und geheimnisvoll wieder zu. Tina mußte wieder lachen. Tatsächlich . . . wie in einem verwunschenen Schloß! Die alte ' Gespensterdmne war sicher die Gräfin Weilersheim, die Besitzerin des Hau ses, eine uralte Aristokratin, die trotz ihrer Armut den alten Sitz zu erhalten suchte. Jo hatte davon erzählt. Sie lebte mit ihrer ebenso alten Dienerin zusammen in zwei Räu men der unteren Wohnung, alle anderen Säle und Zimmer des Erdgeschosses waren leer und verlassen, die kostbaren Möbel daraus verkauft. Die alte Frau aber führte ein kar ges Leben, ging kaum hinaus, beschäftigte sich meistens da- mit, in alten Büchern zu lesen; in Hohen Stapeln lagen die arüngebundenen Bände von „lieber Land und Meer" aus den achtziger Jahren in einer Ecke ... altes Leben im Schatten einer versunkenen Zeit.. . Tina stieg jetzt schnell die ausgetretenen, sehr breiten, braunen Stltten der Holztreppe nach oben empor, bewun dert» da» schone, reichverzierte Geländer. Aus zwei bunten Kollege, und dann praktizierst du mit deinem Mann! Aber ich — ack, du lieber Gott..." Der bittere Zug um den schöngezeichneten Mund ver tiefte sich noch mchr. „Na ja, ich gebe ja zu, es wird schwer für dich sein, im akademischen Lehramt unterzukommen, man hört ja immer, daß alles überfüllt und gesperrt ist. Aber du hast doch alle Voraussetzungen, gute Empfehlungen, glänzende Zeugnisse! Dir wird es doch gelingen! Und wenn du wirk lich etwas warten mußt, ist denn das so schlimm? Du bist sowieso überarbeitet. Du gehst ganz einfach ein paar Wo chen nach Haus und ruhst dich aus! Dann sieht alles ganz anders aus!" Jo Kersting lachte scharf auf. „Nach Hause? Meine liebe Tina, das hat aufgehört! Mein Vater hat mich nicht einmal eingeladen, nach dem Examen zu ihm zu kom men ..." Sie zerrte einen großen Brief aus der Lade des Schreibtisches. „Hier, lies mal!" Tina nahm den Brief. Der Amtsgerichtsrat schrieb an seine Tochter, daß er sich in den nächsten Tagen wieder zu verheiraten gedächte. Seine Braut sei seine Hausdame, Frau v. Gerlingen, für die Jo unbegreiflicherweise niemals die geringste Sympathie aufgebracht habe, eine Einladung zur Hochzeit erübrige sich deshalb wohl. Wie Jo wüßte, habe er ihr bei Beginn des Studiums ihr mütterliches Erb teil ausgezahlt, er hoffe, sie besäße von der kleinen Summe noch etwas, um davon zu leben, bis sie einen Posten haben würde. Er selbst könne ihr nicht die geringste Unterstützung gewähren, sein Gehalt sei nicht mehr so hoch wie früher, dazu der Hausstand . . ." Tina ließ das Blatt sinken. Cs war eine Weile still im Zimmer. Jo nahm den Brief wieder an sich. „Kennst du die Frau?" fragte Tina nach kurzer, lasten der Pause. „Die Gerlingen? Natürlich! Sie ist seit Jahren Hausdame bei Papa! Lang, mager, geizig, Offizierstochter übrigens. Tüchtig und energisch dazu! Seit Jahren geht sie auf das Ziel los, das sie jetzt erreicht hat, du siehst, Hart näckigkeit führt zum Erfolg!" Tina stand auf und zog die Freundin zu sich nieder. „Komm, setz dich doch!" Und dann, sehr zart: „Kleines, fällt's dir sehr schwer?" Jo Kersting lächelte ein wenig. „Ach nein, Tina, da täuschst du dich! Bartling ist ja nicht mein rechter Vater, nur der Stiefvater, ich stamme aus der ersten Ehe. Wir sind uns fast fremd. Nur weißt du, das schöne, große Haus — es hat meinen Verwandten mütter licherseits seit Jahrhunderte^ gehört, ist aber durch Testa ment an meinen Stiefvater übergegangen — also daß ich das nun endgültig verloren habe, das Ist mir schwer gefal len . . ." „Ihr habt immer darüber gelacht, daß ich in dieses alte Haus gezogen bin. Du hättest Hellmut hören sollen! Hun dertmal hab ich's hören müssen, daß es im Grunde verrückt und unhygienisch sei, in diesem alten Kasten zu mieten. Aber weißt du, Ti, ich brauchte so etwas Heimatgefühl. . diese alte Frau da unten, die so zäh und ein bißchen wun derlich scheint, ist mir mütterlich zugetan, hier hab ich wirk lich so etwas wie ein Zubause gefunden ..." Sie lächelte jetzt. „Aber unken will ich jetzt weiter nicht, Tina, man muß eben sehen..." „Bist du jetzt ganz ohne Mittel, Jo?" „Beinahe. Im Augenblick habe ich noch ein paar hun dert Mark, eine kleine, mir jetzt noch zugegangene Auswer tungssumme, sie muß eben reichen, bis . . ." Sie atmete auf. „Ja bis wann?" „Bielen gehts schlechter", sagte Tina Oldenloh jetzt ernst. „Die, die jetzt studieren, wissen noch nicht, wie sie fertig werden sollen. Du hast wenigsten» dein Studium beendet, du hast alle» hinter dir. Denk daran!" Sie gmg auf Jo zu. „Und wenn ich dir helfen kann, Jo, du weißt immer, wo du mich findest!" (Fortsetzung - >