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Stimme. Die Situation fing an, ihr etwas peinlich zu werden. Diese jugendliche Tante war eine Männer feindin, das glaubte sie zu bemerken, vielleicht auch war sie wegen ihres leidenden Zustandes in schlechter Srimmung. Jedenfalls wollte sie nachsichtig sein. „Und Cupido trägt bekanntlich eine Binde," be merkte Frau Eerlach als Antwort aus die Äußerung des Mädchens. „Man ist bei Ihrem Alter und bei Ihrer Unerfahrenheit geneigt, das Leben im rosigen Lichte zu sehen, und dies Vorrecht der Jugend ist ja so schön. Die Männer — Sie kennen sie nicht — find in der Regel Egoisten." „Dann wage ich zu hoffen, daß die Regel auch ihre Ausnahmen haben wird und daß ich die Glückliche bin, der eine solche zu teil wird," suchte das junge Mädchen scherzend auszuweichen. Es entstand eine Pause, in der Frau Eerlach die Gläser füllte und das junge Mädchen zum Trinken einlud, wovon dieses nur in sehr bescheidener Weise Gebrauch machte. Auch von dem Frühstück nahm sie nur der Form wegen, der Appetit wurde durch die Unter haltung mit der Dame nicht sonderlich bei ihr geför dert. Diese sagte, nachdem sie sich ein paarmal ge räuspert, wie nach einem schweren Entschluß: „Hat Ihnen Hermann von einem früheren Verhältnis er zählt, das er mit einer Dame gehabt?" „Ja," erwiderte das junge Mädchen zögernd, „an deutungsweise, weil er zu viel Zartgefühl hatte, um näher darauf einzugehen. Genaueres aber habe ich von seines Bruders Frau erfahren, Hermann ist des halb sehr zu beklagen — er hatte sein edles Empfinden an eine Unwürdige verschwendet." „So?" sagt« die andere scharf — „wißen Sie das so genau?" „Rach der Darstellung, die ich von der Betreffen den erhielt —" sie brach verlegen ab. „Aber bitte, laßen Sie uns nicht davon sprechen." „Hermann wird allerdings die Sache in einem für ihn günstigen Lichte hingestellt haben." ,Zch sagte Ihnen schon, daß ich nicht durch Hermann genauer davon unterrichtet bin." „Hm — und doch hat er die Betreffende in ganz exaltierter Weise geliebt und die Beteuerungen, die er Ihnen macht, find nur der Abglanz jener, die er seiner früheren Braut zu Füßen legte." Das junge Mädchen machte Miene, sich von seinem Sitz zu erheben. Ihre Nasenflügel bebten wie in Zorn oder Erregung. Es war, als ob sie mit aufsteigenden Tränen kämpfte. „Es ist mir nicht möglich. Sie länger mit anzu hören," sagte sie mit zitternder Stimme. „Ich war ge kommen, weil ich von einer Verwandten meines Bräu tigams glaubte, auch eine freundliche Meinung über Liesen erwarten zu dürfen. Sie aber deuten seinen Charakter und seine Handlungen in einer Weise, die keine Sympathie für ihn verrät." „Sie würden also unter keinen Umständen von der projektierten Verbindung abstehen?" fragte die Dame. Ihre Stimme klang seltsam belegt — heiser und trocken. „Frau Eerlach!" antwortete das Mädchen empört und stand nun wirklich auf. Da legten sich unter einem leisen Auflachen die Arme der andern um den schlanken Leib der zürnenden und Labei so lieblich schönen Braut, und sie zog das Mädchen an sich und küßte es. „Närrchen," sagte sie, „was bist du für ein liebes, gutes Kind! Verzeihe die vertrauliche Anrede, mein Herz diktiert sie mir. Hast Lu es denn wirklich gar nicht gemerkt, daß ich dich nur auf eine kleine Probe stellen wollte?" Nun ließ die erst sich Sträubende sich willig in den Armen der Tante fefthalten und dann sagte sie unter Lachen und Weinen: .Mein Gott, wie dumm bin ich doch! Es konnte ja auch gar nicht anders sein." „Nein, gewiß nicht," beteuerte die andere, „nur die Besorgnis für Hermann, den ich liebe wie meinen Sohn, oder wie einen Bruder, wenn das natürlicher klingt, ließ mich dies Examen anstellen. Du hast es vortrefflich bestanden." Noch ein Weilchen plauderten sie so und Lydia war entzückt von der Liebenswürdig keit der Dame, die sie eben noch so verkannt und nahm ihr das feste Versprechen ab, daß sie bei ihrer Hoch zeitsfeier nicht fehlen dürfe. Da sah Frau Eerlach plötzlich nach der Uhr und sagte erschreckt: „Mein Gott, wie die Zeit über unserm Gespräch verflossen ist! Ich muß mich ja rüsten, in einer halben Stunde geht der Zug ab." Lydia erhob sich schnell und sagte tausend Entschul digungen, daß sie so lange sich aufgehalten, die von der andern in liebenswürdigster Weise abgewohrt wurden. Mit einem seltsam starren Blick folgte sie den Be wegungen des jungen Mädchens, ein unheimlich düsterer Glanz strahlte aus den dunklen Augen und das Gesicht hatte einen medusenhaft versteinerten Ausdruck angenommen. Indem Lydia vor einen kleinen Toilettenspiegel trat, beschäftigte sich die Tante mit den Gläsern. Dann, als das Mädchen sich umwandte und nun zum Gehen bereit, Abschied nehmend vor die Dame trat, sagte diese: „Sie haben fast gar nichts von dem Wein getrunken, sehr erklärlich, Sie armes Kind, ich habe Sie so gequält. Aber nun müßen Sie mir noch einmal gehörig Bescheid tun; bis auf die Nagelprobe müßen Sie das Glas leeren, denn wir wollen es trinken auf eine glückliche Zukunft an der Seite Ihres Her mann." Die Gläser klangen zusammen — Lydia zeigte sich tapfer, sie tat ihr Möglichstes. Nur einen ganz geringen Rest ließ sie übrig. Dann verabschiedeten sich die beiden Damen sehr herzlich von einander und das junge Mädchen verließ das Hotel. VI. Als Lydia zur Tür des Hauses hinaustreten wollte, erfaßte sie plötzlich ein Schwindel und sie griff, sich stützend, nach dem Türpfosten. Dabei spürte sie ein eigentümliches Brennen im Magen. Es mußte eine Folge des zu dieser Zeit ungewohnten Weingenußes sein, den sie doch nicht hatte abschlagen können. Sie schalt sich selbst über diese Schwächeanwandlung, die so gar nicht eines deutschen Weibes würdig war, und wollte sich recht stark machen. Es war ja auch gewiß nur der erste Augenblick, als sie an die Lust kam, der sie übernahm. So schritt sie denn tapfer hinaus auf die Straße. Aber da — sie war nicht weit gekommen — erfaßte sie der Schwindel abermals und das Brennen im Magen steigerte sich immer mehr. Wie seltsam war doch das! Sie hatte ja Loch immerhin nur wenig ge trunken, jedenfalls nicht genug, um diese Wirkung zu motivieren. Auch im Kopf war ihr so verworren, ihre Gedanken tanzten durcheinander wie in tollen Träu men und vor den Augen lag es ihr wie ein Schleier. Aber sie ging immer weiter — wenn sie nur bis nach Hause käme, um sich hinlegen zu können, dachte sie, dann würde es sich ja wohl bald geben. Ihr Gang war unsicher und schwankend, einige Male blieb sie stehen, um Luft zu schöpfen, und sie hatte noch so viel Bewußt sein, um zu bemerken, daß mehrere Leute stillstanden und ihr nachblickten. Aber sie ließ sich nicht dadurch be irren — nur fort, fort nach Hause — das war ihr Streben, ihr einziger Wunsch und der Gedanke, den sie klar vor ihrem Bewußtsein hielt. Aber der Schmerz im Magen wurde immer heftiger und schien sich immer weiter zu freßen — ein krampfhaftes Zucken schien ihr die Eingeweide zerreißen zu wollen, sie hätte sich niederwerfen mögen an die Erde und sich in ihren Schmerzen winden. Eine heiße Verzweiflung überkam sic. Hier so zusammenbrechen auf der Straße vor der neugierigen Menge — das war entsetzlich — und doch,