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S' W - ": l 5^ 7 -T'/ «/,.7-,.'- -^. ', ^7^ " '' / > > ' ' V ' ' '-' ' .7 ' - ' Sonnabend, de« 4 October. I87S. »elletristische ZZeil'age zum sächstscheil Erzähler. gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. Deutsche Herzen. Novelle aus jüngster Zeit von Rheinau. Capitel 1. Wer hat nicht gehört von dem Straßburger Münster, dieser Perke der Baukunst? Welcher Deutsche hat nicht das herrliche Bauwerk von Jugend' auf als ein Monument seines eignen Vaterlandes betrachtet? Ja selbst Denen, welche niemals dort waren, ist die groß artige Kunstschöpfung Erwin von Steinbachs durch die lebendige Schilderung des Altmeisters Göthe in „Wahrheit und Dichtung" gleichsam zum geistigen Eigenthum geworden. Es ist aber schwer, sich der Wehmuth zu erwehren, wenn man sich in den Ge danken vertieft, daß diese alte Reichsstadt, gelegen so recht in der Mitte des allemannischen Rheinthals -- verloren wurde — dieses Straßburg, welches Kaiser Maximilian wegen seiner altdeutschen Stand haftigkeit, Redlichkeit und Tapferkeit rühmte und welches er die starke Vormauer des Reiches nannte ! Freilich that auch ein anderer Kaiser den bemerkens- werthen Ausspruch: wenn der Türke vor Wien und der Franzose vor Straßburg liege, so werde er Wien fahren lassen und Straßburg retten! Aber sie konnten eS nicht retten, die Habsburger Kaiser, weil das Reich unter ihnen und ihren Lothringer Nachfolgern selbst zu Grunde ging. Verrathen wurde die starke Vormauer mitten im Frieden in jenen traurigen Septembertagen des Jahres 1681 hauptsächlich durch den schändlichen Trug des Bischofs Egon von Fürstenberg, dem es ein Kleines dünkte, sein Vaterland zu erniedrigen, wenn er nur der Habgier fröhnen und das Münster Erwins dem katholischen Cültus wiedergeben konnte! Das letztere war der heilige Preis des Verraths. So knüpft sich eine der schmachvollsten Erinner ungen unserer Geschichte an das herrliche deutsche Gotteshaus; diese Erinnerung wird um so bitterer, wenn man sich den schamlosen Priester vorstelll, wie er bald nach dem schändlichen Raube den wälschen Despoten, den ländergierigen Ludwig den Vierzehnten, mordbrennerischen Andenkens, in vollem Ornate so recht wie ein kriechender Sclave am Eingänge des Münsters mit schmeichelnder Rede als den Gesalbten des Herrn begrüßte. Aber der Blick von dem hohen Altane auf den reichen Garten des Elsaß, auf das blühende badische Rheinthal ist schön geblieben, wie vor jener traurigen Zeit. Unverrückt stehen noch fest- die alten Land marken, im Westen die lange zackige Kette der Vogesen oder „Massigen", die sich nach Norden und Süden im Dufte der Sommerlandschaft dem Auge verlieren — im Osten jenseits des nahen sich silbern durch die Ebene schlängelnden Rheins der gewaltige Gebirgs rücken des Schwarzwaldes, fast gleichlaufend mit den Vogesen. Wahrlich man könnte denken, daß diese beiden langgestreckten Gebirge das zwischen ihnen liegende allemannische Rheinthal nicht nur wie einen Garten vor den Stürmen der Natur zu beschützen bestimmt seien, sondern daß sie auch wie gewaltige Mauern das ganze schöne Land auf beiden Ufern gegen die kriegerischen Stürme von Westen her schirmen und beim Vaterland erhalten können! Es war in den allerersten Tagen des Juli im Jahre 1870. Die Sonne schwebte noch über den Kuppen der Vogesen, doch neigte sie sich dem Unter gänge zu. Wunderbar schön lag die Landschaft aus gebreitet vor den Aikgen zweier junger Männer, welche auf dem Altan des Münsters standen und ihre Blicke nach Westen richteten. Hier und da blitzten einzelne Punkte aus der Landschaft auf, um gleich wieder zu verschwinden; das rührte von den zahlreichen Bächen her, welche vom Gebirge nach dem Rheinthal hinabfließen. Trotz des niemals auf hörenden eigenthümlichen Geräusches der ansehnlichen Stadt, die unmittelbar tief unter den beiden genannten Beschauern sich ausbreitete, hörten sie doch bisweilen von der Ebene her den Schall der Abendglocken. Diese Ebene, wie sie sanft anstieg gegen die Vogesen, mit ihren lieblichen, duftigen Farbentönen war an dem schönen Sommerabend so recht ein Bild des Friedens, wie es anmuthiger nur wenige Aussichts punkte dem Beschauer darbieten. Ja wir haben es verloren, dieses herrliche deutsche Land — für immer verloren; das wissen wir und doch hängep wir noch daran und die alte Wunde will noch immer nicht vernarben; — so sprach der ältere der beiden erwähnten jungen Männer. Der Leser soll hier gleich mit unserem — und hoffentlich bald auch seinem Freunde bekannt gemacht werden. Der Sprecher ist Alfred Hohenburg, Advokat in einer größeren Stadt am Niederrhein. An dieser Stelle möge denn auch Einiges über seine äußere Erscheinung bemerkt werden. Alfred Hohenburg ist von kräftigem gedrungenen Körperbau, nicht viel über mittelgroß. Sein männliches, von einem vollen dunkelbraunen Bart eingerahmtes Gesicht ist vielleicht nicht regelmäßig schön zu nennen, zeigt aber unter einer gewölbten Stirn ein leuchtendes Paar blauer Augen, denen man ansieht, daß sie mit scharfem Blick in der Welt um sich zu schauen vermögen, wenn sie auch in diesem Augenblicke sich etwas träumerisch in die Ferne zu verlieren schienen — aber welcher