Volltext Seite (XML)
Vetl'elrikische Aeilage zum flchMen Erzähler. Zur gemeinnützigen Uttterhaltung für alle Stände. Freund und Feind. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Fühlte der Sterbende die Unmittelbare Nähe Heines Gegners oder erwachten im Moment des Todes noch einmal seine Lebensgeister? Kaum stand Per Graf vor ihm, da richtete Lubowsky mit einer gewaltigen Anstrengung in die Höhe und auf die nasche Frage des Lieutenants: „Wer?" zuckte ein Pämonisches Lächeln über sein von 'Schmerz und Haß verzerrtes Antlitz; er richtete deck Finger auf Den Grafen : „Dort, Gyula!" fiel er mit dem Kopfe Wrück und mit diesen Worten auf den Lippen hatte <r seine Seele ausgeathmet. / „Herr Gras, Sie sind mein Gefangener", wandte sich der Lieutenant zu Gyula und gab seinen Leuten, Pie mit größter Aufmerksamkeit der Scene beigewohnt, «inen verständnißvollen Wink. Jetzt erst schien Gyula seine völlige Besinnung Mieder zu erhalten. Er trat einen Schritt zurück mnd rief entrüstet: „Mein Herr, was fällt Ihnen ein?" rief er in sichtlicher Empörung. „Sie können Mir nicht diese Schmach anthun. Ich bin jederzeit Bereit über meine Handlungen Rechenschaft zu geben." „Nach dem Bekenntniß des Todten hoffe ich, Paß Sie keinKt Widerstand leisten werden." „Er war mein erbittertster Feind und hat noch im Tode mich mit seinem heimtückischen Haß ver nichten wollen." ' Der Lieutenant-zuckte die Achseln. „Das ist Sache des Gerichts. Ich habe nur die Aufgabe Sie gefangen zu nehmen und ich hoffe —" „Nein, ich kann Ihnen nicht folgen", brauste 'Gyula aus. „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich mich morgen freiwillig dem Gericht stellen werde, nur jetzt lassen Sie mich fort, damit ich meine Ge mahlin aussuchen kann. Da der Führer der Patrouille hierauf nicht ein gehen konnte, sondern seinen Leuten ein Zeichen gab, so gerieth der Graf in eine förmliche Raserei, als die Soldaten aus ihn eindrangen, er schrie immer wieder, daß ihm so viel Zeit gewähren möge, um Heine Gattin aufzusuchen und die Soldaten vermochten nur nach einer tüchtigen Gegenwehr ihn zu fesseln. Als er endlich sah, daß all' sein Widerstand gegen die rohe Gewalt doch vergeblich sei, ergab er sich wit finsterm Ingrimm in sein Schicksal. Auf die Frage des Lieutenants, ob der aufgefundene Dolch ihm gehöre, nickte er nur mit dem Kopfe, er sprach kein Wort weiter und ließ alles mit sich geschehen. — Eine halbe Stunde später saß er im Gefängniß. Im Fanbeurg St. Germain herrschte am andern Morgen noch eine tiefe Stille. Dies vornehme Viertel der französischen Hauptstadt zeichnet sich zwar stets durch seine aristokratische Ruhe aus, in die sich seine alten Paläste und Häuser geflissentlich begraben, um gegen den Lärm und das wüste Treiben der übrigen Stadt Vortheilhaft abzustechen; aber heut, nach dem Ball der großen Oper öffneten sich die Jalousien und Läden noch später wie gewöhnlich und jedes Haus streckte sich schlaftrunkener wie sonst hinter seinen hohen Gittern. Endlich schlug hie und und da ein altfränkischer im Roccocostil erbauter Palast die Augen auf, und es wurde auch hier etwas lebendig. ' Zu den Häusern, in denen es sich am ehesten zu regen begann^ gehörte ein stattliches, ziemlich modernes Palais am Boulevard. Freilich schlug von dem alten, ganz nahe gelegenen Notre-Dame schon die zwölfte Stunde, als sich an dem Balkonfenster ein> Mädchenkopf zeigte und neugierig über den Platz blickte. „Glaubst Du schon, daß Lubowsky so früh kommen wird? ließ sich eine neckende Stimme im Zimmer vernehmen und das junge Mädchen trat erröthend vom Fenster zurück. „Wie kannst Du nur glauben, daß ich mich nach ihm umgesehen?" „Wäre es denn ein Verbrechen, liebe Olga?" entgegnete die Andere lachend: „Ich weiß ja längst, daß Du für den Baron ganz Feuer und Flamme bist." „Alexandra, Du verleumdest mich", sagte die kleine Blondine mit niedergeschlagenen Augen und vermochte kaum ihre Verlegenheit zu verbergen: „Großpapa meint, ich wäre ja noch ein Kind." „Das aber schon recht hübsch zu schwärmen vermag." „Spotte nicht, Alexandra, Du hast ja selbst für Lubowsky Dich lebhaft interessirt, entgegnete Olga und kauerte sich mit jugendlicher Harmlosigkeit vor ihrer Schwester, die in einem großen Lehnstuhl Platz genommen und einen scharfen Gegensatz zu der Kleinen bildete. Während Olga mit ihrer blassen Gesichtsfarbe, ihren blauen Augen und zierlichen schlanken Gestalt an eine Deutsche erinnerte, schien Alexandra eine Töchter-Spaniens zu sein. Sie war hoch gewachsen, ihre vollen üppigen Formen traten jetzt im leichten Morgengewande noch deutlicher her vor und das dunkle Antlitz mit den feurig blitzenden Augen bekundete ein leidenschaftliches und heftiges