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Er nannte es Bösenig. Was die beiden Männer betraf, die sich an ihn gehängt hatten, so war der eine der Dotzinger und der andere der Hertzog. Der Ignaz Dotzinger aus Leitmeritz hatte das Feilen hauerhandwerk gelernt, dann war er mit Preßnitzer Musi kanten als Trompeter gezogen. Nachdem er auf einer Kir mes etliche Vorderzähne verloren, hatte er däs Trompe tenblasen aufgeben müssen. Nicht aber das Umherstreifen! Das zuckte ihm in den Füßen wie verschlagene Tanzmusik, bart, ein langer Grüner! besonders wenn der Schnee taute und die Birken rote Spit zen bekamen. So lief er sich die Beine kürz zwischen Böh men uick» Sachsen und half paschen, was nur zu paschen war. Als ihm bei einem Handgemenge mit Grenzern je doch eine Doppelflinte in den Händen blieb, gab er sie nicht wieder her, verschwand in Nacht und Dunkel und lebte vom Freischütz. So kam er zum Stülpner. Hertzogs Bekanntschaft hatte der so gemacht: Während jenem notgedrungenen kurfürstlichen Iagdtreiben hatte er mißlaunig in den Greifensteinen gekauert und sich das Ding von weitem besehen. Eigentlich war es mehr als ver rucht, daß ihm Bauern und Soldaten in Hellen Haufen ins Handwerk pfuschten! Wer di« braune Wolke Getier, dis da tausendläufig durch die Forste stob, würde er nie verges sen, und wenn er so alt wie ein Kuckuck werden sollte! Wie sich da die Dragoner fern auf der Fläche tummel ten, merkte er plötzlich, daß etwas Dunkles weit vor ihnen her kugelte: Kein Hirsch, kein Hund, sondern ein kleiner fetter Mann, zerfetzt, mit rudernden Armen, doch mit gutem Borsprung. Gerade auf den Wald steuerte der kleine Mann los, auf die Steine. Ein Trupp Reiter hinterdrein. Jetzt noch ein Sprung, daß der Schnappsack hüpfte: Die Dickung! Er war fürs erste gerettet. Aber sie würden das Holz durchstöbern! So sprang der Stülpner aus dem Geklüft, den Hang hinunter, dem Flüchtling entgegen. Als er ihn am Arm packte, traf den schier der Schlag. Etwas wie ein Kamm fuhr ihm aus glitschigen Haaren. Der Retter riß ihn seit wärts ins Unterholz, stieß ihn vor sich her durch die Na deln, lenkte hin von hinten nach der Höhle, zwängte ihn hinunter, kletterte nach, sah sich den mit blödem Auge Glotzenden in der Nähe an und mußte laut lachen. Was da jappend und'keuchend, am ganzen Leib schlotternd, in Flüsse von Schweiß gebadet vor ihm im Zwielicht hockte, sah aus wie ein Kobold aus einem verhexten Silberschacht. Ueber einem kurzen Wanst ein Schädel, rund wie ein Kohl kopf, an dem nasse Strähn« in Streifen klebten. Zwischen Bartstoppeln ein großes Maul, zwei listig« Nasenlöcher, ein Auge (das ander« war ausgelaufen) und jetzt ein Grinsen von Ohr zu Ohr: ,Lch will — doch gleich — 's Zipperlein — kriegen, wenn Ihr nicht — der Stülpner seid?". Das Grinsen ging in kollerndes Gröhlen über, als dieser Stülpner nickte. Das doppelte Gelächter füllte die Höhle mit Gefahr wie mit Zündstoff. So schlug der Stülp ner den andern hart auf den Mund und wies gegen dis Oeffnung, durch die ein schmaler Spalt Licht sickerte. Dec kleine Mann begriff mit neuem Entsetzen. So wurden der Hertzog u. der Stülpner Gesellen für eine lange Iägerzeit. Der Hertzog schoß links, da er rechts kein Auge hatte. Er schoß fast immer tödlich. Die langen Haare trug er mit einem Holzkamm hintergesteckt, damit sie ihn nicht am Zie len hinderten. Den Kamm hatte er nachher wiedergefun den in der Dickung, wo ihn sein Helfer angepackt hatte. Die fünf Genoffen teilten sich nun in einen umfangrei chen Iagdbetrieb. Sie begingen im ganzen mehr denn zwanzig Reviere bis zu den «ndlosen Waldungen, die tief ins Böhmische hineinwucherten. Und di« Beuten häuften sich in ihren Verstecken und Stapelplätzen: Da war das Kel lerloch über dem Waldfluß, der Räuberunterschlupf der fer nen Kindertage, da war ein Hegerhaus mitten im Tann, da war hier eine zerfallene Scheune, dort eine Kohlstatt, da waren di« beiden geräumigen Höhlen an den Greifenstei nen. Don da holten die Hehler das Wildbret heimlich fort, oder eine nächtliche Karawane buckelte es über die Grenze. * 2lk sie wieder einmal dabei waren, ein starkes Stück Ein anderes, ähnliches Abenteuer befestigte Stülpners Volkstümlichkeit noch mehr, zumal ein wegen seiner Groß schnäuzigkeit berüchtigter Preuße, der in kursächsischen Dien sten stand, die Zeche bezahlen mußte. Das trug sich so zu: „Hollah!" Unversehens springt ein Jäger aus dem Busch, daß ihm der Bart fliegt. „Guten Abend!" Die Hunde wüten. „Kuscht euch! Guten Abend, Herr Oberförster!" sagt der Stülpner, der eben einen Hirsch zerwirkt, und bleibt sitzen. „Wenn Sie den Feisten da meinen, kommen Sie zu spät. Soll ich Ihnen unten am Waller einen Stand wei sen?" Der Oberförster läuft giftgrün an. Seine Augen blitzen. Du Tölpel, denkt er, und langt nach Stülpners Büchse, die an der Tanne lehnt. „Und wenn ich mir nun die Büchse da ausbäte!" Er wächst wie ein Baum, zufrieden mit sich selber und seinem Jagdglück. „Ja," sagt der Stülpner gefällig, „die Büchse können Sie kriegen; es sind noch zwei andre da, sehen Sie?" Der Oberförster blickt sich um: Teufel! Da blitzen zwei Läufe aus dem Busch, da liegen zwei Kerle im Anschlag. Der Mann muß arg husten, beinahe hätte er sich ver- schluckf. Er lehnt die fremde Flinte fein sachte wieder an , den Tannonbaum — und will sich beiseite drücken: „Gute Wild, das sie zerwirkt und in Säcke gestopft hatten, in Si- Nachts" (Fortsetzung folgt.) dritte, eine fahlgefleckte Bracke, schielte aus Triefaugen, cherheit zu bringen, fuhr der Dotzinger, der mit seinem Wie der Stülpner zu dem Tier gekommen war, konnte et Packen vorangiNg, jäh einen Schritt zurück, drehte sich und selber nicht recht sagen. Eines Tages war es dagewesen. dämmte di« Stimme: „Sieben Jäger! Sie kommen gerade " die Lichtung Herl Schmeißt alles weg!" „Nur gemütlich!" sagte der Stülpner und schüttete Pul ver auf. Sie taten das gleiche, wobei der Hertzog seine leere Augenhöhle zusammenkniff, was er immer machte, wenn er guter Laune war. Als die sieben, die Wildbret für den kurfürstlichen Hof zu liefern hatten, herankamen, standen drei Kerle im Weg, die Büchsen quer, ein kleiner Dicker, ein struppiger Schnauz- „Donnerwetterl Der Stülpner! Das ist ein Fang! Der Oberförster wird's lohnen!" Der Stülpner aber sprang vor, den Stutz an der Wange, und fragte mit unheimlicher Ruhe, was sie wollten. Da fuhr ihnen seine körperliche Nähe so in die Ge därme, daß der eine verlegen brockte: „Wir dachten, es wären Holzdiebe hier", während ein andrer, ein alter, wack liger Revierbursch, stotternd verbesserte: „Nee, Pascher!" Der Stülpner ging sofort auf ihren Ton ein: „So? Pascher? Wenn ihr Tabaksbüttel seid, so geht euch einen Dreck an, was wir in den Säcken haben. Ich will's euch aber sagen: 's ist Wildbret drin. Legt eure Büchsen hier ab!" Sie taten es mit runden Augen und eingezogenen Köp fen, ruckweise. „Packt hier die Säcke an, du und du und du! Ihr vier Alten geht nebenher! Nachher wird gewechselt!" Die drei beluden sich, die Zähne zusammengebissen, während sich die andern paarweise zu sanftem Trott an schickten. Was blieb ihnn anderes übrig? „Der Dotzinger behält die hier im Auge, du Hertzog, die, und ich geh ganz zuletzt! Vorwärts marsch!" Der Hertzog stand noch immer in Hockstellung mit auf geblasenen Backen und schluckte an diesem Hauptspaß. Erst ein Stoß von Dotzingers Faust in seine Magengegend brachte ihn in Bewegung. Nun lenkte der Stülpner den Troß durch Zurufe freundlich über die Mothhäuser Heide, wachte darüber, daß die älteren Iagdburschen nicht zu lange zu tragen brauch ten, und entließ die sieben nach Stunden endlich mit höf lichem Dank, als sie schon ein ganzes Stück im Böhmischen waren. Er bot ihnen sogar einen Trunk aus seiner Flasche an, was sie aber verschmähten. Die Kunde von dieser unglaublichen Begebenheit lief alsbald mit Wieselschritten durch das ganze Land; sie wur de überall aufgefaht als die bündigste Rachetat eines armen erbitterten Volks an Forstleuten, die sich mehr als verhaßt gemacht hatten. Es war auch wohl noch nicht dagewesen, daß Jäger den Raubschützen, die sie hätten verfolgen sollen, die Beute an Ort und Stelle getragen hatten!