Volltext Seite (XML)
treffen. Er legte einen Bolzen auf eine alte Armbrust, drückte ab und fehlte. Der Bolzen schlug tölpelhaft an die leeren Säcke, die hinten aufgehängt waren. Er schoß noch einmal und noch einmal und traf auch schließlich die Mitte. Wie er aber begann, die Armbrust an der linken Wange, miteiner Hand und gar gebückt zwischen den Beinen durch zu richten, trat sein ausgemachter Unstern zutage. Und ;e aufgeregter er ward und je hilfloser seine geröteten Augen stammelten, desto mehr johlte und schimpfte das Volk durch einander, bis am Ende ein paar Betrunkene Miene mach ten- sich an ihm zu vergreifen. Der Stülpner hatte erst eine Weile erbost abseits ge standen. Wie er aber die Not des unglücklichen Schützen sah, trat er dazwischen, riß in einem Hochgefühl, das ihn füllt«, die Armbrust an sich, lud, zielte und tat alle Schüße, die der Alte beabsichtigt hatte, ohne einen zu fehlen. Di« Leute klatschten, brüllten, schlugen sich auf die Schenkel; er aber nahm die Mütze und ging von Mann zu Mann sammeln, und als die Erstaunten reichlich geblecht hatten, schüttete er das Geld dem Alten in den Bolzensack. „Stülpner, Stülpner!" schrie der ganze Platz. Er achtet« es nicht. Das Hochgefühl wurde zu unsäglicher Spannung. Da stand wie aus der Erde gewachsen die Schwarz äugige vor ihm, flammte ihn an und flüsterte: „Klopf am Wagen — dreimal — um Mitternacht!" Nun erst löste sich in ihm etwas zu Radschlagen, Tau meln, Kreisen. Er strahlte und schlug eine Lache auf wie ein Junge, dem ein Schelmenstück über alle Hoffnung geglückt ist. - * Den ganzen Sommer zog er mit den Gauklern. Die Schöne Marie schenkte ihm, wes sie zu schenken hatte. Er schritt mit sehr großen Schritten in dieser Zeit. Er grüßte bald hier eine zerdrückte Stelle im Gras, bald dort im Korn eine Mulde mit flackernden Augen, und in seiner Unterlippe brannte die Spur von zwei tief eingegrabenen Zähnen. Fol ter und Brunst fiel über seinen Schlaf, dunkel wie schwarze Fransen über eine Weiberstirn. Er schlürfte lechzend und brannte ungelöscht. Er trank und trank und konnte seinen Durst nicht beschwichtigen. Er wurde getrunken und geschlürft und fühlte sich verdoppelt in diesen Gelagen der Sommer nächte. Er hatte den weiten Becher gefunden für seinen zu lange gefesselten Uebersluß. Den kleinen silbernen Ring, den er wieder im Futter seines Wamses trug, schenkte er aber nicht hin, so gut auch hier die alt« Inschrift gepaßt hätte. Die tolleLiebschaft bezechte sichan sich selber,bis endlich der Starke Mann, dessen Braut die Schöne Marie eigentlich war, das Spiel nicht mehr ertragen konnte und den Stülp ner nach einem Wortwechsel wiehernd ansprang. Sie keuch ten und rangen lange miteinander, und wenn die Muskel kraft des einen wie eiserne Klammern schnürte, drosselte die Länge des andern und seine zäheste Geschmeidigkeit. Schließ lich schmetterte der Jäger seinem Gegner einen furchtbaren Fausttchlag von unten gegen das Kinn. Der stürzte. Wie er sich aber bewältigt sah, brach der Athlet in Gewinsel aus. Er flennte wie ein Kind und wütete gegen sich selbst. Da erschrak der Stülpner vor der lächerlichen Wucht die'er Herzensnot, dachte an seine verratene Liebe und verschwand noch an demselben Abend aus der Radspur des grünen Wagens, ohne seins zweite Marie noch einmal ge sehen zu haben. Büchse und Puloerhorn sielen ihm wieder ein und seine Mutter und die Menschenrechte und daß nun die Brunstzeit des Hochwilds begann Hirsche und Bauern. Septembernacht lag kühl über den Wäldern. Der Mond, zuweilen von Gewölk verfinstert, stand im letzten Viertel. O—a! schrie es kurz und dumpf aus dem Bachgrund. O—a! schrie es höher und langgezogen von der Leite. Der Platzhirsch unten, der eben ein Tier schnaubend um das Rudel getrieben hatte, hob den zottigen Kopf, stieß Dampf aus den Nüstern und schrie herausfordernd. Der andre antwortete näher. Als er verhoffend auf die Blöße trat, stellte sich ihm der alte Hirsch. Sie senkten die Geweihe und hieben, rissen, stächen, während ihre Läufe den Boden zerstampften. Das Zusammenprasseln der Stangen gellte durch die Nacht wie Klappern mit gespaltenen Hölzern. Einmal riß der Alte den andern ein Stück mit hoch, so fest hing der an seinen Zinken. Die Tiere ästen, als ginge sie das nicht an. Nur - dann und wann äugte eins gelassen. Das Schnaufen, Stampfen, Klappern, Knirschen ging gegen eine Stunde, nur mit kurzen Pausen. Immer faserte eine Wolke Dampf in der Höhe der Nüstern und um keu chende Flanken. Bis der Nebenbuhler einen Schritt in mooriges Moos tat und einbrach. Da stieß ihm der Alte die Augensprossen in die Weiche. Der Geschlagene brüllte, sprang quer, fuchtelte noch ein mal in die Luft und wandte sich Zischend fuhren die Zweige über ihm zusammen. Der Platzhirsch schrie ihm höhnisch nach mit rollenden Sehern. Dann erschöpfte er in unersättlicher Gier die Liebe der Tiere, die ihm lüstern gefügig waren. So stand der Wald in Brunft, Nacht für Nacht, vier Wochen lang. Kahlgetreten, nackt wie Tennen lagen dann die Plätze, auf denen die Hirsche die Schmaltiere im Kreise gejagt hatten. Vier Wochen lang, indes der Mond voll und schmächtig ward und sich abermals füllte, stob der Liebes taumel der Kreatur durch kühle Nächte mit Schreien und Trensen. Und wenn Schüsse wie Peitschenschläge gellten, trafen sie die Kreatur in ihvr heißesten Stunde. Als die Tiere tragend gingen, begannen Stülpners große Abenteuer. * Wieder einmal waren die Bauern wütend über die Un zahl des Wildzeugs, das ihnen, trotz der Umzäunungen, die Felder zerstörte. Schon seit dem Winter kochte die Wut. Eine Zänkerei mit Forstleuten wurde die Ursache, daß sie überkochte. Vierzehn Ortschaften taten sich zusammen, nachdem alle untertänigste Bittstellerei zum soundsovielten Male fruchtlos - geblieben war, und halfen sich kurzerhand selber. Sie ord neten eine Treibjagd an, zu der jedes Haus einen Mann zu stellen hatte. Die Aemter suchten zu beschwichtigen und kamen mit allerlei späten Versprechungen gehinkt. Die auf geregten Bauern drohten mit Knütteln und Dreschflegeln und begannen ihr Werk: „Schlah't zu! Schlah't derb zu!" Sie scheuchten ein furchtbares Gewimmel von Hirschen, Rehen, Hasen, S uen und anderem Wildbret auf. Und wollten die übrigen Dörfer die Wolke nicht in ihren Wäldern haben, mußten sie sich wohl oder übel der Treibjagd an schließen. So ging die tausendbeinige Hetze mit Kesselpauken durch das ganze Gebirge. Zahllose Stücke fielen dabei in die Kochtöpfe der Armen. Hunderte von Bauern wurden dabei zu Raubschützen. Eine gurgelnde Stimme des Hasses lief durch das Waldland: „Austilgen, ausrotten bis auf die letzte Klaue! Mögen die Großen künftig Wanzen jagen!" Manchen braven Jäger, der für die Rechte seines Herrn oder des Staates einzutreten wagte, knüttelten die Rachsüchtigen nieder. Erst als der Kurfürst überall bekanntgeben ließ, daß er den Bauern Gerechtigkeit widerfahren und das Wild ohne Unterschied niederschießen lassen wollte, beruhigte sich das Getümmel ein wenig. Als dann endlich die Grünröcke ausrückten, den Befehl widerwillig durchzuführen, flackerte der einmal entfachte Haß noch immer hier und da. Mißliebige Förster oder Weidgehilfen wurden heimlich aufs Korn genommen, mit Schroten angefallen und beiseite geräumt. Bis Dragoner zu Hilfe kamen. Als die Forstleute später ihre Berichte abgaben, stand darin: Man hätte von einer Ueberzahl an Wild nicht über mäßig viel verspürt und dürften die Klagen über Wild schaden von rebellischen Bauern in die Welt gesetzt worden sein. Die Bauern hingegen behaupteten, die Grünröcke hätten mit geschlossenen Äugen geschossen. Auch ließen die Forstleute allem übriggebliebenen Wildbret nun so viel Hegung und Schonung angedeihen, daß es nicht zu ver wundern wäre, wenn die Wälder bald wieder wimmeln würden. So glommen viel böse Funken unter der Asche weiter. Als nun der Stülpner mit den allgemeinen Menschenrechten und der fressenden Büchse kam, schien er mehr denn einem ein Helfer und Heiland. «Fortsetzung folgt.)