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I! Lsi II Streich« über das „Kissen" verabreichte, von dem Direktor Köhler, der Borgänger von Direktor Dr. Henze, behauptete, der liebe Gott habe es wachsen lassen, damit man es ge hörig ausklopfe, wenn sich darin zu viel Staub angesammett habe! Es ist mir nie wieder passiert, das Wörtchen w i r falsch zu schreiben; aber so oft ich es auch niederschreibe — die Streiche fühle ich doch immer dabei. — „Lrodatuw erat!" Herr Kneschke. ,Wenn sich auf meinem Schulgange in die sibyllinischen Ruf« der Elster und des Kuckucks di« Flöte des Pirols, dl« Triller der Singdrossel, der Kontrabaß der Krähe mischten, so hatte ich das herrlichste Morgenkonzert. Keiner der Mu sikanten vergriff sich auf seinem Instrumente; denn jeder hatte nach Shakespeares Lobpreis auf die Musik im „Kauf mann von Venedig", V. 1. „Musik in ihm selbst." Daß mir solche Morgenkonzerte schon frühzeitig die Liebe zur Musik eingeflößt hatten, konnte ich einmal als Sextaner des Bautzener Seminars während einer Ferien heimfahrt auf der mir so vertrauten Landstraße Bischofs werda-Goldbach beweisen. — Diesmal aber fand die Fahrt nicht im Möbelwagen — sondern im eleganten, offenen Landauer des Herrn Emil Großmann, Besitzers der Gold bacher Tuchfabrik, Kommerzienrates und großen Wagner verehrers, statt! — Liebe Fabrik, Wunderschloß meiner Kindheit, dicht an der Wesenitz gelegen! — Du bist schon lange von der Erde verschwunden! Das Feuer hat dich verzehrt; aber in mei nem Geiste erhebst du dich noch immer wie «in Phoenix aus seiner Asche. — Und täglich — nicht bloß nach hundert Jah ren, steigst du vor mir auf! Es war bei Engelmanns Mühle, wo mich der vornehme Landauer, der auf der Fahrt nach Goldbach begriffen war, zunächst überholte; aber dann hielt der Kutscher Hermann plötzlich an und wartete, bis ich herangekommen war, und während er mit der Peitsche salutierte, lud mich Herr Groß mann zum Mitfahren ein. — In dem Wagen saßen seine Kinder, aber ein Platz war für mich noch frei. Das war ein« angenehmere Fahrt als jene im großen Möbettransportwagen! — Was Herrn Großmann bewog, mich Bürschchen mitfahren zu lassen — mir wäre vor Schreck beinahe die grüne Schülermütze aus der Hand ge- fallen — war mir damals gänzlich unerfindlich. Daß ich später durch mein« Frau der Neffe seines Schwiegersohnes werden würde, konnte er kaum ahnen. Doch habe ich es mir nachher so erklärt, daß er in mir «inen Musikkenner ver mutete; denn auf mein« Reisetasche, worein ich di« Klavier noten zu verstauen pflegte, hatte eine meiner Schwestern in bunten Perlen eine groß«, weithin sichtbare „Lyra" ge- stickt. Es ist also immer gut, schon äußerlich kundzutun, wes Geistes Kind man ist; denn gleich und gleich gesellt sich ja gern! Bald wurde ich von meinem vornehmen Gegenüber ins Kreuzfeuer von Fragen über die Musikpflege des Bautzener Seminars genommen, und als ich ihm erklären mußte, daß wir Sextaner über die Element« noch nicht weit hinausge- kommen wären, und daß die letzten Studien auf Bach hin- ausliefen, fand er das nicht fortschrittlich genug; man müsse di« Jugend sobald als möglich mit Richard Wagners Gegen warts-Schöpfungen vertraut machen. Und ob ich schon das „Schwanenlied" aus Lohengrin kennte — ich mußte es lei der verneinen — da sang er es mir auch schon vor: „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!" Ich habe später das Lied gar oft gehört — aber mein erster Lohengrin ist -och der damalige begeisterte Wagner enthusiast im eleganten Landauer geblieben! Und uns zur Seite floß die Wesenitz mit ihrem goldgelben Rudbeckia-Ufer und rief der Kuckuck und schackerte die Elster! Als wir vor der Goldbacher Fabrik vorfuhren, war ge rade Frühstückspause. Alle nach der Straße herausgelege- Nen Saalfenster waren von Neugierigen besetzt, die den seltsamen Fahrgast aussteigen sehen wollten. So viele auf mich gerichtete Augen brachten mich in nicht geringe Der- kegenheit, und ich hätte bald vergessen, mich für die Ehr« der Mitnahme zu bedanken. Ich brachte nur wenige unver ständliche Worte hervor; aber bin heut« noch froh, daß ich es nicht, wi« ich mir unterwegs vorgenommen hatte, mir Lohengrin tat: „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!" Ich war seit dieser Auszeichnung in der Achtung der Fabrikarbeiter sehr gestiegen. Feuermann Kaspar beglück wünscht« mich nachher besonders und schob die Ehrung auf di« grüne Mütze „als Zeichen einer höheren Bildungsstufe." Aber diese „höhere Bildungsstufe" hatte schon damals große Lücken, auch bezüglich der Entstehung von Wagners Werken,, sonst hätte ich meinen begeisterten Wagnerver- ehrer im Hinblick auf die Nähe der Wesenitz daran er innert, daß sein Lieblingskomponist an ihrem Ufer im Liebethaler Grunde, in der Lochmühle, die Partien des Ldhengrin entworfen, daß diesem also unser Neber Heimat- fluß io wundervolle Melodien zugerauscht habe und für ihn so bedeutungsvoll geworden sei. In unseren Tagen haben unr es nun erlebt, daß von Professor Gubr das herrliche, erste Denkmal Richard Wag- ners in Sachsen, in Liebethal an der Lochmühl«, geschaffen worden ist. — Eine schöne, wohlverdiente Auszeichnung auch für den lieben Fluß aus unserm Kinderlande! — Aber geehrter Leser, laß dir sagen, daß das Richard Wagner-Denkmal nicht das einzig«»Ehrenmal eines großen Deutschen am Gestade der Wesemtz ist. — Ich nehme es dir nicht übel, wenn es dir noch nicht bekannt ist; denn es ist gar klein und bescheiden, ohne Aufputz und allegorisches Beiwerk. Es besteht aus einer schlichten Porzellantafel, di« außer dem Namen eines sehr berühmten Mannes nm die Grenztage seines Lebens trägt: *1. April 1815 -j- 30. Lull 1898 Weißt du nun, wein sie gewidmet ist? — Unserm Alt- reichskanzler Otto von Bismarck! — Und 35 Jahre ist es nun her, daß sie zu feinem Andenken gestiftet wurde. Aber du kennst noch nicht den Standort dieser prunk losen Gedenktafel? — Nun, sie befindet sich an der Gemar kung der beiden Gemeinden GoldbaH-Weickersdorf, unwett der beiden Wesenitzbrücken, an einem spitzwinkligen Blau fichtenhain, dessen Basis von stolzen Eichen — wie es Bis marck geziemt — gebildet wird. Dahinter lugt das freund liche Wohnhaus meiner Goldbacher Verwandten hervor, das sich mein lieber, leider nun verstorbener Bruder hier erbaut hat. Die Blaufichten stammen aus den Anlagen des Ka menzer Kunstgärtners Weiß«, der die schönsten Vertreter seiner Züchtung in den Sachsenwald nach Frledrichsruh ge sandt hat. Die Fichten des Goldbach-Weickersdorfer Ehrenhaines sind also Brüder von jenen. Mein Schwager Wilhelm Baase hat sie einst von Kamenz als junge Bäumchen zu Fuß unterm Arm hierher getragen und sich also tm besonderen um die Huldigung Bismarcks „bemüht"! Mer Plan und Ausführung der Gedenktafel gebührt dem verstorbenen Herrn Kantor Gelbke in Goldbach, dem Vater des jetzigen Herrn Kantors daselbst, und des gleichen meinem vorhin erwähnten, ebenfalls dahingeschie denen Bruder Hermann, den beiden damaligen Vorständen des Goldbach-Weickersdorfer Gesangvereins. — Wanderer, der du die beiden Wesenitzbrücken überschrit ten hast, oder von Weickersdors-Drebmtz kommst, tritt in den kleinen Fichtentempel ein und denke beim Lesen der beiden Zeitangaben daran, welchen gewaltigen Lebenslauf sie einschliehen. Andächtiger Deutscher, wenn du hier verweilst, so hul digst du auch gewiß mit herzlicher Verehrung unserm gro ßen Kanzler des Dritten Reiches, Adolf Hitler. Zu seinem gigantischen Werke gehört mit in vorderster Linie die Be kämpfung der Arbeitslosigkeit. Der erste Sturmangriff der Arbeitsschlacht ist schon gewonnen, die nächsten werden zum Siege auf der ganzen Linie führen! Auch unsere liebe Wesenitz bat sich — gar lange schon — um segensreiche Arbeitsbeschaffung hochverdient gemacht. Wieviel Mühlstein« kreisten-auf ihren Anteil seit vielen hundert Jahren und zerreiben di« Kornfrucht zu Mehl; wie viel stämmige Mühlknappen schultern den prallen Mehlsack; wieviel Kilometer Leinwand sind in den Bleichereien mit ihrem klaren Wasser gesprengt worden; wieviel Färbereien hat sie in Betrieb gesetzt; wieviel Waschfrauen haben in ihren reinen Fluten die Wäsche gespült. — Ja, lieber Heimatfluß, du versorgst auch den Tisch dei ner Pächter mit wohlschmeckenden Fischen — di« Ausbeute der jungen Schwarzarbeiter gar nicht einmal gerechnet — und zu wieviel blühenden Siedelungen haben deine frucht-