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«rdwirte.I sgabe öl ll. T«ll Verlag» Mnsoro^oinutt Kücystschen^LrzäHldr '— . - rr.r. rimnim .v-k^s:--L3 «'S S ^srs Z Freunde aus meiner Kindheit. 7 x. Die Wesenlh. Ein Lebenslauf, geschildert von Professor Paul Gottlöber (Golobach) in Stollberg im Erzgeb. Im Kinderlande — nun so fern — Weilt ich an deinen Ufern gern. Hell klingt dein rascher Wellenschlag Mir bis ms späte Älter nach! Der geneigte Leser möge mir diesmal erlauben, ihn über eine meiner Jugend freundinnen.die Wesenitz, zu unterhalten. Ich habe sie schon vor reichlich 6 Jahrzehnten kennen- und liebengelernt, eine Freundin, die den Vorzug hat, nicht zu altern, also heute noch jugendlich geblieben ist. Auch braucht sie einer Frage nach ihrem Alter nicht auszu weichen, weil sie es selber nicht kennt. Auf ihre Jugendlichkeit deutet auch die Anmut hin, die sich in zahllosen gefälligen Windungen, besonders in der mir so vertrauten Strecke von Bischofswerda über Goldbach bis zum fürstlichen Herrenhaus von Harthau so reizvoll darbietet. Und immer bewahrt sie sich dabei die so bevor zugte schlanke Linie, worin sie durch keine Geradlegung be hindert werden möge, da dies nur den Eindruck der Steif heit Hervorrufen und ihre angeborene Lieblichkeit stark be einträchtigen würde. Wir Alten sprechen so gern von unserm Kinderlande. Wieviel würde darin fehlen, wenn es nicht von einem munteren Flusse belebt gewesen wäre! Es kommt nicht darauf an, daß er groß und breit war, sondern daß man an seinen Ufern viel Liebes und Schönes erlebt hat, woran man dann bis ins Alter zehren kann. Meine Goldbacher und Bischofswerdaer Schulkamera den werden mit mir der Wesenitz dieses Lob gewiß nicht vorenthalten. Wenn das Sprichwort: „Fischefangen und Vogelstellen verdirbt manchen Junggesellen" allezeit in Er- Mung ginge, so würden vielleicht viele jetzt hochansehnliche Staatsbürger mit dem Strafgesetz in Konflikt geraten sein. Das Leben läutert glücklicherweise die mangelhaften Rechts begriffe der Jugend. Dorfjungen besonders betrachten Jagd, Fischzucht und Vogelfang als das Recht, das mit dem Menschen schon ge boren wird. — Aber solch heißes Jägerblut kühlt sich bei mangelnder oder minderwertiger Erbeutung gar bald ab. Für die drei schwindsüchtigen Weißfiscke, die Lipperts Ro bert an einem Sonntagvormittag erhascht hatte, wollte sei ne Mutter den Brattiegel nicht hergeben, und Mitschkens Johann warf einmal aus dem Wesenitzschlamm einen Aal ans Ufer, der sich nach genauer Besichtigung als handlan ger Schlammpeizger erwies; ich selbst aber wurde beim Krebsen unter einem Erlenstock von einer Wasserratte ge bissen. Zur Entschuldigung darf ich wohl anführen, daß unser Iagdgewerbe mehr Hang als Fang war, und daß der Doh- nenstieg, den einer meiner lieben Jugendfreunde in Bmier Walters Busche an der Wesenitz angelegt hatte, stets leer blieb; denn die Sprenkel „funktionierten" nicht, aber die Ebereschenbeeren waren regelmäßig abgeholt worden. — Wenn ich die Wesenitz als meine Jugendfreundin z» würdigen versuche, so hat sich mir ihr Bild auch deswegen so unvergänglich eingeprägt, weil sie sich, den Jahreszeiten entsprechend, so schön zu kleiden versteht! Sie konunt all jährlich mit vier Kleidern aus, die ihr allerliebst f^he», deren sie selbst und ihre Freunde auch niemals überdrüssig werden. Wenn im Frühling die Erlen und Weiden blühe», ziert sie sich mit Sammetquasten und goldenem Geschmeide und zieht ein blumengesticktes, grünseidenes, mit Wiesen dust besprengtes Gewand an. Im Sommer wirst sie de» gelben Mantel reifender Korn- und Weizenfelder über die Schultern, aber im Herbst legt sie ihn ab; dann hüllt sie sich , in silberne Nebelschleier, und ein Frösteln geht durch die dürren Blätter des Ufergebüschs. Der kommende Winter läßt jedoch unsere Heimatfreundin nicht ohne Schich und neue Zier. Falt möchte ich behaupten, sie trüge im Winter ihr schönstes Kleid; denn dann glänzt und funkelt es von Diamanten und Perlen, und eng und wärmen- siegt ihr ihr fußdicker Eismantel an! Wesenitz, auch noch heute wird mir warm, wenn ich an deine Winterfreuden denke! An den Schlittschuhlauf auf dei ner spiegelnden Eisfläche! Und an dich denke ich, Herzogs Theodor, der du als damaliger Student — ich habe nicht ermitteln können, was, wo, und ob mit Abschluß du studiert hast — in die verschlungenen Künste des Eislaufes mich einführtest: Bogen vorwärts und rückwärts, eine Runde, eine Acht; oder der du mit mir mit Windeseile die Strecke von unserer Fabrik bis zur Neuen Walke zurücklegtest, fo daß das Erlen- und Weidenufer an uns nur so vorüberflogl Und ich höre noch die sich senkende Scholle krachend bersten rind sehe uns den klaffenden Spalt kühn überspringen. Wie einst Goethe, der auch dem Schlittschuhlauf begei stert huldigte, seinen am Flußufer versammelten und pch um ihn bangenden Freundinnen zurief: „Still, Liebchen, mein Herz! Kracht's gleich, brichts doch nicht; brich?» gleich, bricht s nicht mit dir!" — so hätte auch mein Student seine gleichfalls um ihn besorgten Zuschauerinnen mit dem selben Trostspruch beruhigen können! Leider hat der Schlittschuh heutigentags durch den überlebensgroßen Schneeschuh stark« Konkurrenz erhalte»; aber die Anmut des Eislaufes kann er doch nicht ersetzen. — Es gibt wohl keinen Vergleich, der besser auf dar menschliche Leben anaewendet werden könnte, als der mit dem Lauf eines Flusses. — Geburt und Quelle, Selbstbah nung des Weges und Kampf ums Dasein, Mündung und Scheiden aus dieser Welt: wie stimmt das so schön übereinl Diesen Vergleich, an der Wesenitz ausgeführt, stelÜe uns einst Bürgerschuldirektor Köhler als Aufsatzthema. — Zur Lösung dieser Aufgabe unternahm ich mit meine« Oberneukircher Bruder einen Ausflug auf den Baltenberg,