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„Liebe Tante," versetzte Frau Bormann von oben herab, „wir sind nicht anders gekleidet als gewöhnlich." Die beiden Brüder waren über diese Äußerung ganz ver dutzt. Ihre Blicke sagten einander, daß es dann leicht zu ver stehen sei, wenn man in Verlegenheit kommt. Tante Antonie hatte noch einen anderen Grund, im ge heimen ganz außer sich zu sein. Ihre Nichte, die noch nicht einmal ein Jahr Witwe war, trug schon Seide, das bedeutete in Ai., wo die Witwen mindestens zwei Jahre ihre wollene Trauerkleidung trugen, geradezu einen Skandal. Der ein fachen alten Dame erschienen die beiden Berlinerinnen in wenig günstigem Lichte, sie hielt sie für leichtsinnige, ja ge fährliche Geschöpfe, und der erste Eindruck war für Tante Antonie stets ausschlaggebend. Man setzte sich zu Tische. Das Abendessen war den Neu angekommenen zu Ehren etwas splendider hergerichtet als ge wöhnlich. Die frische Butter in der bemalten Porzellandose, die mit Champignons garnierte Kalbskeule, eigenhändig ein gemachte Kompotts, die alles bedeutete für die Gebrüder Brieger den Gipfel gastronomischer Genüsse, während Frau Bormann und ihre Tochter dies Menu ohne jede Anerken nung offenbar als etwas Selbstverständliches aufnahmen. Während man beim Dessert war, welches aus Gebäck und Backobst bestand, ertönte die Hausglocke und Katharine meldete Herrn Bernhardt Schmitz, den Freund Franz Briegers. „Ah, ich sehe, ihr habt Besuch?" rief der Ankömmling, ehe er noch die Schwelle des Speisezimmers überschritten hatte. „Dann möchte ich nicht stören und gehe wieder." „Nein, nein, tritt nur näher," sagte Franz, „du störst uns nicht. Die Damen sind unsere Verwandten aus Berlin." Bernhard Schmitz wußte das, trotz seiner überraschten Miene sehr genau, denn es war lediglich die Neugierde ge wesen, die ihn heute abend hierher getrieben hatte. Er trat grüßend und Entschuldigungen murmelnd näher, ließ sich den Damen vorstellen und nahm ihnen gegenüber am Tische Platz. Der neue East stand mit Franz Brieger ungefähr in glei chem Alter, er mochte auch einige Jahre mehr zählen. Er war Eerichtsbeamter und ebenfalls Junggeselle. Sein Äußeres konnte man nicht besonders ansprechend finden. Das glatte, feiste Gesicht war bartlos und ohne Augenbrauen, auf dem Kopfe trug er eine braune Perücke, unter welcher die kleinen listigen Augen begehrlich funkelten. Er galt denn auch in M. für einen sogenannten lustigen Bruder, der mit seiner schlechten Zunge allerlei Skandalgeschichten ver breitete. Sein Urteil lautete zumeist absprechend und seine Scherze waren boshaft. Es ließ sich schwer verstehen, wie der harmlose Franz zu diesem Freunde kam. Als Herr Schmitz vor seinem Glase Glühwein Platz ge nommen hatte, begann er seine Rednergabe zu entfalten, wo bei et sich saft ausschließlich an Frau Bormann wandte. Das Gespräch bewegte sich hauptsächlich um tzie Annehmlichkeiten und Sehenswürdigkeiten Berlins. Das war für die zungen fertige Dame das geeignetste Thema und sie ließ es an Be redsamkeit nicht fehlen. Augenscheinlich bereitete es ihr eine gewisse Genugtuung, vor ihrer Tante und den Vettern mit der Beschreibung der vielen Vergnügungen, die sie in der großen Stadt genossen, und den vornehmen Verbindungen, die sie dort hatte, zu prahlen. Sie sprach mit Herrn Schmitz über moderne französische Schauspiele, die renommiertesten Theaterhelden und -Heldinnen, und brachte dann die Unter haltung auf einige Berliner Skandalprozesse der neuesten Zeit. Diese Gesprächsstoffe hatten für Tante Antonie ge- radezu etwas Abstoßendes und die alte Dame schüttelte schließlich ärgerlich den Kopf dazu, während der harmlose Franz mehr als einmal im Laufe des. Gesprächs errötete. Trotz der eifrigen Unterhaltung mit der Mutter ließ Bern hard Schmitz Fräulein Elisabeth kaum aus den Augen und betrachtete das junge Mädchen, welches aufgestanden war und in anmutiger Haltung am Büfett lehnte, aufmerksam durch die Gläser seines Kneifers. Die kleinen lüsternen, durchdringenden Augen des Beam ten schienen ein besonderes Vergnügen daran zu finden, sich auf diese hübsche kleine Person zu richten» deren zarter Teint und reines Profil von dem gedämpften Lampenlicht ange nehm bestrahlt wurden. Die Beharrlichkeit, mit welcher Herr Schmitz zu ihr hinübersah, schien auf Rudolf ansteckend zn wirken, denn auch er betrachtete aus seinem dunklen Win kel heraus seine schone Cousine mit einem Gemisch von Miß trauen und Bewunderung. Der wilde Jäger war offenbar ganz bezaubert von der ausgesuchten Eleganz dieser kleinen Verwandten. Seine neugierigen Augen studierten alle Ein zelheiten der Toilette des jungen Mädchens: Die zierlichen Schuhe, die vollendet sitzende Taille, an deren Gürtel ein Veilchenstrauß steckte, den Elisabeth sich noch auf dem Bahn hofe in Berlin gekauft hatte, den schön geformten Hals, der sich mit natürlicher Grazie in der Umrahmung echter Spitzen bewegte, und die dunklen, kunstvoll geordneten Haare. Von dieser Erscheinung strömte ein eigenartiges Parfüm aus, der Duft von Luxus und Wohlleben, etwas für Rudolf Frem des, das ihn berauschte und beunruhigte. Der schleppende, tiefe Schlag der alten Standuhr im Speisezimmer, welche zehn Uhr schlug, machten diesen gefähr lichen Betrachtungen und dem Geschwätz Frau Bormanns ein Ende. Die Gewohnheiten des Hauses waren heilig und durch nichts zu erschüttern, man stand zu einer bestimmten Zeit auf und ging mit dem Elockenschlage zu Bett. Herr Schmitz, der mit den Sitten der Familie genau ver traut war, erhob sich und nahm Abschied. Die beiden Brüder machten noch einmal die Runde in den Magazinen. Fräu lein Antonie geleitete ihre Verwandten bis in ihr Zimmer, zündete ihnen die Kerzen an, umarmte sie feierlich und wünschte ihnen eine gute Nacht. (Fortsetzung folgt.) - - - Der Tausendmarkschein. Humoreske von Kurt von Walfeld. er Kunstmaler Emil Werner hatte die Malerakademie besucht; er hatte von Ruhm und Gold geträumt, um schließlich im Alter von — dreißig Jahren damit zufrieden zu sein, daß er an einem Gymnasium Zeichenlehrer wurde und eine junge, hübsche Dame, die sein Künstlerauge entzückt hatte, heiraten , konnte. Seine Frau war nicht reich, aber sie besaß einen Schatz in ihrer unversiegbare!. Lustigkeit.. Sie verstand es mit dem nicht großen Gehalt ihres Mannes das gemeinsame Heim freundlich zu gestalten und eine gute Küche zu führen. Trotz dem war Linil Werner bald nicht mehr zufrieden, selbst nicht mit der Kochkunst seiner hübschen Frau, weil er in anderen, vornehmen Häusern sehr verwöhnt wurde. Er gab nämlich Privatstunden, aber in nur anerkannt vornehmen und reichen Häusern. Da erhielt der interessant, beinahe genial aussehende Künstler gute Leckerbissen, feine Weine und ^vorzügliche Zigarren. Kam Emil Werner nun aus den reichen Häusern nach seinem Heim, so fand er dieses beinahe ärmlich, und seine Laune war dann nicht immer die ange nehmste. Seine hübsche, kluge Frau behandelte ihn klug und sehr nachsichtig. Sie verdoppelte ihre Freundlichkeit und ihre Fertigkeit im Kochen. So vergingen drei Jahre, ohne daß das richtige Eheglück wieder kommen wollte. Nun standen die Ferien vor der Türe, wo die Einnahmen des Lehrers kleiner und seine An fälle von böser Laune größer wurden. In der Abenddäm merstunde des ersten Ferientages saßen die jungen Eheleute in der freundlichen Wohnstube lange stillschweigend beisam men. SchttMiH brummte Werner mißmutig: „Was soll ich mit der sreien'Zcit anfangen? Alle meine Privatschüler verreisen mit ihren Eltern." Freundlich war die Entgeg nung: „Mache doch auch eine Reise und zerstreue dich."