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1870 s«m<a«ch, dm 2». Jauaar. belletristische Aeilage zum sächsischen Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. Per GemsenHäger. (Aus dem Französischen von E. Souvester.) (Fortsetzung.) 2/ ' Den andern Morgen, lange noch vor Tages anbruch, waren Ulrich und der alte Crhstallsücher auf gestanden und rüsteten sich zu ihrer Wanderung. Der Onkel Hiob bewohnte eine Hütte, die noch kleiner und ärmlicher als die der Mutter Trina war. Das Geräth beschränkte sich auf ein Bett,' einen kleinen Tisch und drei Schemmel; aber an den vier Wänden waren Sammlungen aufgehäuft, die er aus den Bergen zusammengetragen hatte. Diese glänzenden Steine, diese getrockneten Kräuter und diese Insecten mit vielfarbigen Flügeln, welche die Hütte verzierten, gaben derselben ein gewisses selt sames Ansehen, wozu der Alte selbst beitrug mit seiner altertbümlichen Kleidung, seinem grauen Barte und seinen Haaren, deren weiße Locken bis auf den Nacken herabhingen. Der Onkel Hiob warf auf diese seine Reichthümer einen letzten Blick der Liebe, während er das Knotenseil umhing, welches ihm dienen sollte, das den Abend vorher entdeckte Stein lager zu erreichen, und seinen Reisesack mit eisernen Klammern, Bolzen und der kurzen Zange belud, die bei seinem gefährlichen Unternehmen unumgänglich nothwendig waren. Jndeß hatte Ulrich sich ebenfalls mit seiner Ausrüstung beschäftigt. Er untersuchte sorgfältig sein Gewehr, eine alte Gemsenjägerflinte, deren einziger Lauf zwei auf einander gesetzte Ladungen enthielt, die man mittelst eines doppelten Schlosses nach einander abfeuerte. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß jedes Schloß mit Zündkraut versehen war, bedeckte er sie mit einem ledernen Ueberzug und folgte seinem Onkel Hiob, welcher ihn an der Thüre erwartete. Es bedurfte ganz der Liebe des jungen Mannes, und der Gewißheit, daß Mutter Trina Freneli's Hand nur demjenigen überlassen würde, der die sonderbare von ihr gestellte Bedingung erfüllen konnte, um ihn zu bestimmen, zu einer Lebensweise zurück zukehren, welche er schon nur zu wohl kannte. Keine andere ist wahrlich den Anstrengungen, den Ent behrungen und den Gefahren mehr ausgesetzt. Der Gemsenjäger geht gewöhnlich schon den Abend fort, um mit dem anbrechenden Tage auf den Höhen des GebirgS zu sein. Wenn er keine Fährten gewahrt, so steigt er höher und immer höher und hält nicht eher an, als bis er irgend eine Spur entdeckt hat, welche ihn zu seiner Beute führen kann. Dann be wegt er sich mit großer Vorsicht vorwärts, bald auf den Händen oder auf dem Bauche kriechend, bis er die Hörner der Gemsen unterscheiden kann; erst dann ist er in Schußweite. Wenn die von ihnen, welche Wache hält (denn sie haben immer eine Schildwache), den Jäger nicht gesehen hat, so sucht er einen An legepunkt für sein Gewehr und schießt, wobei er auf den Kopf oder das Herz zielt; denn wenn die Kugel anderswohin trifft, kann sie durch und durch dringen, ohne das Thier zum Falle zu bringen und es kommt dann in einer Bergschlucht um oder es dient dem Lämmergeier zum Fräße. Wenn es an der Flucht verhindert ist, so eilt der Jäger seiner Spur nach, sucht es zu erreichen und ihm die Kniekehlen zu durchschneiden. Dann muß er es auf seine Schultern laden, um es über Bergströme, Schneefelder und Abgründe hinweg nach seiner Wohnung zu tragen. Ueberfällt ihn, wie sehr oft geschieht, die Nacht auf dieser gefährlichen Reise, so sucht er eine Felsenspalte, nimmt aus seinem Sack ein Stück schwarzes Brod, so hart, daß die Zähne es nicht zu beißen vermögen, und es zwischen zwei Kieselsteinen zerrieben werden muß, trinkt dazu ein wenig geschmolzenen Schnee, legt einen Stein unter seinen Kopf und schläft ein^ den Abgrund unter seinen Füßen, die Lawinen über seinem Haupte. Der neue Morgen bringt neue An strengungen, neue Gefahren, und dieses dauert ost mehrere Tage, ohne daß er ein Dach gewahrt oder einem menschlichen Wesen begegnet. Ehemals konnte er hoffen, mit einem Crhstallsücher zusammenzutreffen, oder mit einem Jagdgenossen; aber die ersteren sind beinahe ganz verschwunden und die letzteren werden von Tag zu Tag seltener. Das, was in der Familie der Hauser sich ereignete, schien übrigens die in der ganzen Bevölkerung eingetretene Umwandlung sym bolisch darzustellen. Der alte Hiob war das Bild einer erloschenen Generation; Hans derjenigen, welche sich dem Untergange zuneigte, Ulrich der beginnenden. Jndeß hatten der Alte und sein Neffe ihren Weg angetreten. Der Himmel hatte sich noch nicht er hellt und die beeisten Gipfel schnitten sich von einem düstern Horizont ab. Die Lützschine rauschte im Grunde des Thals; ein rauher Wind durchsauste die mit Schnee beladenen Tannen und von Zeit zu Zeit ertönte der Schlag einer Holzaxt in den untern Bergflächen. Hiob wandte sich gegen seinen Gefährten. Der Morgen gefällt mir nicht sagte er mit be denklichem Tone; der Nebel setzt sich auf dem Faul-