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Der Flüchtling. 1V« do» virlleicht das Signal nicht verstehen, und für Nirs. Kcpsy wäre es besser, ins Haus zu gehen." „Wkmun?" fragte Vanny. „Das Haus steht so nahe an der Straße," erklärte höflich der Haushofmeister, „und hier find so viele Bäume und Sträucher .... voriges Jahr versteckten sich hier zwei, und wurden auch hier von den Aufsehern ergriffen." Fredy nahm den Arm seiner Frau. „Es ist Zeit, sich zum Diner anzukleiden, Danny," sagte er. „Und was wirst du machen?" „Ich werde hier meine Zigarre zu Ende rauchen, was nicht lange dauern wird. Geh nur, ich komme sofort auch ins Haus." Aber Nanny zögerte noch, denn jetzt ertönte wieder der schreckliche Schrei, als wolle er alles durchdringen. Vanny erbebte und hielt sich die Ohren zu. „Oh, möchten sie doch aufhören! Wenn der Verbrecher doch entkäme!" murmelte sie, und ging ins Haus. Fredy rückte den Korbsessel näher an das Gitter. Der Mond beleuchtete die Gipfel der Bäume, und alles warf eigentümliche Schatten. Fredy sah unverwandt auf den See. Hier irgendwo in der Nähe verbarg sich der Verbrecher — vielleicht ein Mörder — und das Gefängnis, das er ver lassen, verkündete mit schrecklichen Schreien ihr Recht auf ihn, auf sein Leben. Alle hörten diese Erklärung: die Far mer, die ihr Vieh auf den Weiden hatten, die Menschen, die beim Scheine verschiedenfarbiger Lämpchen im Garten des Klubs saßen, die Städter, die in ihren prachtvollen Auto mobilen auf der Straße nach Albany spazieren fuhren. Wo hin sich der Verbrecher auch wenden würde, immer würde ihn dieser Ton verfolgen, der seine Rückkehr forderte, der in jedem den Wunsch erweckte, an dieser schrecklichen Men schenjagd teilzunehmen. „Findet ihn!" schrie die Sirene, „er ist hier. Er hat sich hier verborgen. Dieser Schatten ist sein Schatten. Hört ihr nicht das Laub unter seinen Füßen rascheln? Hallet ihn! Denn er ist mein!" Aber dort, hinter den grauen Mauern, woher die Sirene tönte, verwünschten Tausende ihre Töne. Dort zitterte jeder vor Freude und drückte sich an das Eisengitter und fürchtete den wiederzusehen, der so teuer den Augenblick der Freiheit bezahlen würde, wenn man ihn festbekam. Alle Gedanken Fredy Kepsys waren bei dem Sträfling. Wenn nun dieser Mensch jetzt vor ihm erschiene, und ihn um Hilfe bitten würde, was würde er wohl tun? Aber er wußte ja ganz genau, was er machen würde, und überlegte nur, wie er ihm helfen könnte. Die ethische Seite dieser Frage berührte Fredy nicht, und an seine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber, dachte er nicht. Er erinnerte sich nur, daß man ihm gesagt hatte, es sei von sechstausend nur einem Menschen gelungen, aus Eing-Sing zu flüchten, ohne wieder ergriffen worden zu sein, und deshalb sah Fredy auf diese Flucht auch als Sports mann. Ein Mensch, der soviele Hindernisse überwand, er regte seine Bewunderung. Nachdem Fredy fest entschlossen war dem Verbrecher zu helfen, dachte er darüber nach, was er wohl an dessen Stelle machen würde. Natürlich würde er zuerst versuchen sich seiner verräterischen Kleidung zu entledigen. Aber ein Mensch ganz ohne Kleidung würde vielleicht noch mehr Miß trauen erwecken, als der grau- und rotgestreifte Sträflings anzug. Aber woher einen Anzug bekommen? Er könnte ihn von einem Vorübergehenden nehmen, wenn dieser nicht davonlies oder sich stärker als er erwies. Er konnte auch durch Drohungen von einem Farmer Kleidung erhalten . . . Aber nicht eine dieser Ideen befriedigte Fredy. Während er sich diese Frage immer wieder vorlegte, trat aus dem Ge büsch ein nackter Mensch — er war nicht vollständig nackt, da er versuchte, sich mit einem Stück Zeug zu drapieren, in dem Fredy das Segeltuchdach seines Bootes erkannte. Aber außerdem hatte der Mensch nichts an. Er schien ungefähr in gleichem Alter mit Fredy zu sein, sein Haar war kurz ge schnitten, sein Gesicht glatt rasiert. Das Wasser tropfte von ihm und er zitterte vor Kälte und vor Angst. Fredy war erstaunt, daß er sich über das Kommen dieses Menschen gar nicht verwunderte, ihm schien es, als hätte er die ganze Zeit aus ihn gewartet. Er fürchtete nur zweierlei: daß seine Frau kommen könnte oder, daß dieser Mensch, der doch nichts von seinen freundlichen Absichten wußte, ihn er morden würde. Aber der Mensch rührte sich nicht von der Stelle und sie sahen sich schweigend an. Endlich, sich be mühend seine Stimme fester klingen zu machen, sagte der Fremde, dessen Zähne aufeinanderschlugen: „Ich badete in Ihrem See und sie — sie stahlen, mir meine Kleider. Daher erscheine ich so." Fredy ärgerte sich. Wie einfach und prosaisch erschienen ihm alle seine Ideen sich der Kleidung zu entledigen. Aber wenn er innerlich ihm Beifall zollte, äußerlich mußte er zeigen, daß er nicht so leicht zu täuschen war. „Der Abend ist eigentlich etwas kühl, um zu baden," sagte er. Ein Anfall von Schüttelfrost zeigte deutlicher als Worte, daß der Ver brecher über diesen Punkt mit ihm einer Meinung war. „Es galt eine Wette." „Wie!" sagte Fredy, immer entzückter von der Phantasie des Flüchtlings. „Also find Sie nicht allein?" »Jetzt bin ich allein — der Teufel hole die anderen," sagte der Mann im Segeltuch. „Wir sahen von der Straße, wie Sie hier mit einer Dame saßen, das Licht aus den Fenstern fiel auf Sie, und da wetteten sie, daß ich nicht wagen würde, in Ihrer Gegenwart über den See zu schwim men. Aber alles war von ihnen vorher verabredet, denn vom Wasser aus sah ich, wie sie meine Kleider ergriffen, und als ich das Ufer erreichte, waren sie mit dem Automobil verschwunden." Fredy lächelte ausmunternd. „Also Sie fuhren bei Mond schein spazieren?" Der Fremde nickte bestätigend. Er wollte etwas sagen, da ertönte aber wieder das furchtbare Geheul der Sirene. Der Flüchtling stieß einen Fluch aus und versuchte sich fester in das Segeltuch zu hüllen, seine unruhigen, flehenden Augen sahen auf Fredy. „Könnten Sie mir keine Kleidung geben?" fragte er. „Nur für heute — dann sende ich sie Ihnen zurück. Ich wohne hier in der Nähe." Fredy erbebte und sah ihn durchdringend an. Unter diesem Blick wurde der junge Mann befangen und fuhr schon weniger sicher fort: „Ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie mir nicht glauben, aber ich wohne wirklich nicht weit von hier und mich kennen hier alle; vielleicht haben Sie in den Zeitungen von mir gelesen . . . Mein Name ist Vanworden ... Sie haben wohl von mir gehört . . . Harry Vanworden." Aus dem Gesicht Fredys erschien ein gütiges Lächeln voll Mitgefühl, und er fühlte, daß er nicht imstande war, weitere Erfindungen seines Gastes zu erzwingen. „Mein Lieber — Sie sind mehr als Vanworden — Sie sind ein Genie." Er erhob sich mit einer einladenden Be wegung ihm zu folgen. „Hier zu bleiben, ist nicht ganz un gefährlich für uns beide," sagte er, „kommen Sie mit mir, ich werde Ihnen Kleidung geben und werde Sie dorthin schicken, wohin Sie zu fahren wünschen." Er wandte sich um und fügte leise hinzu: „Lassen Sie aber einmal von sich hören ... ein Mensch mit Ihren Nerven interessiert mich." Die Tür aus der Bibliothek führte in ein kleines Zim- der, in dem sich Mäntel, Jacken und alles befand, was man für Krocket, Golf, Automobilfahrten und Segelsport ge brauchte. Nachdem er sich überall vorsichtig umgesehen hatte, ob nicht Dienerschaft in der Nähe sei, trat Fredy auf den Fußspitzen in das Zimiüer und zündete das elektrische Licht an. Ihm folgte der Mann im Segeltuch, hinter sich einen langen nassen Streifen lassend. Fredy zeigte auf die Kleider.