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2. VettlrttRm««er Der Sächsische Erzähler Frettag, de« 7. «»ril 12SS di» «H Fritz Rptter. Alfred Rotter. Die Rätters in Liechtenstein überfallen. Da» Kurhaa» Taflet oberhalb von Vaduz, in deflen Räh« der Ueberfall auf die Brüder und ihre Begleiler- innen erfolgt«. Neues ans aller Wett. — Die verkannte Handgranate. Die „Rumb. Ztg." be richtet: Ein in Schönlinde wohnhafter Herr, seines Zeichens Privatbeamter, hat täglich einen schönen Spaziergang nach Unterkhaa zu seiner Arbeitsstätte vor sich. Vor einigen Ta gen gewahrte er im Schimmer der Hellen Frühlingssonne im Mühlgraben beim sogenannten „Schutze" ein eigenartiges Ding, das seine Aufmerksamkeit erregte. Er sah näher hin, betrachtete das Ding zwei- und dreimal und kam zu der Er kenntnis, daß es eine Handgranate sein müsse, die dort auf dem Grunde des Mühlgrabens ruhte. Der Herr alarmierte die Nachbarschaft und in der Tat fanden alle jene, die sich vorsichtig dem Wasser näherten, die Angaben bestätigt. Man setzte sich telephonisch mit der Schönlinoer Gendarmerie in Verbindung, die sich für dieses Gebiet als nicht zuständig er klärte. So wurde denn die Daubitzer Gendarmerie herbeige holt, die auch bald drei Mann hoch mit aufgepflanzten Bajo netten anrückte. Unter Beachtung der höchsten Vorsichts maßregeln wurde die Handgranate geborgen. Sie erwies Jenseits der Grenzen De. Bell und die Rotters, Die Erschießung de« Journalisten Lr. Bell und der Ver such der Entführung der Brüder Stotter, der mit dem Tode Alfred Rotter» und seiner Frau sowie mit Verletzungen Fritz Rotters und eine» Fräulein Wolf geendet hat, rufen allge meines Aufsehen hervor. In beiden Fällen ist die Tat außer halb der deutschen Landesarenze erfolgt. Während die Brüder Rotter durch ihre Theatergeschäfte hinlänglich „bekannt" sind, schwebt um die Person des Dr. Bell ein geheimnisvolles Dunkel. Dunkel und romanhaft ist das Schicksal dieses Mannes, und da» meist« dürfte unge klärt bleiben. Nur soviel scheint kestzustehen, daß Dr. Bell Beziehungen zu Leterding unterhielt. Er war überall da zu finden, wo Deterdings Hand, der einen erbitterten Kampf gegen Rußland führte, zu spüren war. In Deutschland wur- de Dr. Bell anläßlich des Lscherwonzen-Prozeffes bekannt. Es handelte sich um die Massenherstellung falscher russischer Noten, bei denen es um Beträge von vielen Hunderten von Millionen Mark ging. Die Angeklagten im Tscherwon zen »Prozeß behaupteten, die Geldscheine seien gedruckt worden, um die rMischen Finanzen in Unordnung zu brin gen und auf diese Weise dm entscheidenden Schlag gegen die Sowjetregierung zu führen. Unter den Angeklagten befand sich auch Dr. Bell. Er wurde jedoch freigesprochen und konnte nachweisen, daß er von der Herstellung des falschen russischen Geldes in Deutschland keine Ahnung gehabt hatte. Das zweite Mal wurde der Name Bell in Verbindung mit angeblichen Fememordabsichten gegen Haupt mann Röhm genannt. Damals entwickelte sich ein großer Skandal. Bell verließ fluchtartig Deutschland, und seitdem wurde «S um den Abenteurer still. Als die Brüder R o t t e r ihren letzten Berliner Theater erfolg „Ball im Savoy" festlich begingen, ahnten sie ihr schreckliches Ende wohl kaum voraus. Ihre Gäste, die glaubten, di« Rotter» befänden sich jetzt auf dem Höhepunkt ihrer Macht, waren aenau so ahnungslos, wenn auch in an derer Beziehung. Sie wußten nicht, daß das Geschirr, von dem sie aßen, die Einrichtung der Räumlichkeiten schon längst fändet waren. Der Erfolg de» „Ball im Saooq" konnte rrüder Rotter auch nicht mehr retten. Sie waren an r eigenen System zu Grunde gegangen und vermochten , , mr durch Geschäfte dunkelster Art zu halten. In raffi nierter Weise verstanden sie es, andere Personen vorzuschie ben, so daß die Gläubiger nicht zu ihrem Geld kommen konnten. Unverständlich blieb nur, daß alle Beteiligten zum Fall Rotter so lange geschwiegen haben. Die eigentliche große Zeit der Rotters begann erst nach der Inflation. Bereits al» Studenten hatten sie mit den Konzern, den sie g«zwungenermaßm aufrichtm mußten, wuchs ihnen über den Kopf. Jauner mehr Pleiten stellten sich ein, die versteckt werden mußten, bis dann der Zusam menbruch nicht mehr aufgehalt«, werden konnte. Das Kapitel Rotter ist nunmehr endgültig beendet. Die Verhaftungen wegen des Ueber- falleS ans die Bruder Rotter. oub Vien. 8. April. (E. M.) Das Wiener Mittags blatt meldet Mn ueberfall auf di« Brüder Rotter, bis jetzt seien fünf reichsdeutsche und vier Liechtensteinische Staatsan- gehörige festgenommen worden. Die im Vaduzer Gefängnis in Haft befindlichen Täter seien der 25 Jahre alte Chauffeur Frommelt und der Sohn des Hotelbesitzers SchMer, beide Liechtensteinischer Staatsangehörigkeit. In Feldkirch be fänden sich in Haft Peter Reinberger, ein Liechtensteiner, der in einer Lehranstalt in Konstanz studiert, ferner der Reichs deutsche Pretz aus Gernsbuch in Baden, der Hilfsarbeiter Wieser, badischer Staatsangehöriger, der Chauffeur Max Witt, der das Auto der Täter lerckte und bayerischer Staats- angehöttaer sein soll, der Tischler Lehmat aus Baden und der arbeitslose Hilfsarbeiter Frometer, ein Württemberger. Angeblich soll sich unter den reichsdeutschen Tätern auch ein deutscher Schauspieler befinden. ersten Theateraufführungen begonnen, und sie gingen zu Otto Brahm, der die von ihnen gegründete Akademische Bühne ihnen zur Verfügung stellte und da, Lessing-Theater unterstützte. Die Rotters begannen gleich ganz groß, enga gierten erste schauspielerische Kräfte, u. a. Friedrich Kayßler, Helene Fehdmer, Irene Triesch, mit denen zusammen sie einen Strindberg-Zyklu» herausbrachten. Mit späteren Theaterunternehmungen hatten sie weniger Glück und ge rieten zweimal in Konkurs. Die Laufbahn der Rotters bestand dann in einem stän digen Auf und Ab. Sie spielten selbständig Theater, führten Gastspiel-Tourneen im Reich durch, verdienten an Auffüh rungen, verloren an Aufführungen, und kurz nachdem sie ganz fertig waren, zu Beginn der Inflationszeit, kamen sie plötzlich ganz großxwieder. Sie verpachteten ihre sämtlichen Theater und führt«?-nur das Meiropoltheater weiter. Hier fiel ihnen ein Wefterfolg in den Schoß, die Leharsche Ope rette „Friederike" mit Küche Dorsch und Richard Tauber. Sie erzielten Rekordkassen und hatten gewaltige Einnahmen. Um den Erfolg bis aufs letzte auszuschlachten, fingen sie dann mit dem Bon-System an. Ueberall bekam man Ein- .trittskarten zu ermäßigten Preisen. Später wurde die Or ganisation der Ru^funkhörer gegründet, die alles zu halbem Kaffenpreis bekamen. , Allmählich mizhte» Lie.Röiters.immer mehr Theater, die sie verpachtet Hattens »n eigend Regie übernehmen. Sie ver suchten sie mit dem ^tarftzstem weiterzuführen. Aberder Aus dem Gertchtstool. Herr Dau» blickt in die Augen — Kurpfuscher an der Arbeit. Ferdinand Daus war früher einmal Musiker. Als er damit nicht auf einen grünen Zweig kommen konnte, versuchte er sich seither als Provisionsvertreter und vertrieb für eine Wiesbadener Firma verschiedene Blut- und Nervennährmittel. Seine Absatzmethoden waren freilich manchmal etwas eigenartiger Natur. In Söbrigen, einem Dorf nahe bei Dresden, suchte er z. B. einen dort im Ruhe stand lebenden Kapitän auf und suchte ihm seine Mittel aufzu schwatzen. Dabei blickte er ihm dann auf einmal forschend in die Augen, „so wie das die Irissorscher tun", wie er dazu erklärte, und stellte dann seine „Diagnose". Da diese auffällig stimmte, ver traute der alte Herr schließlich auch der Zu icherung des Daus, daß seine Mittel gerade für das vorliegende Leiden von bc sonderer Heilkraft seien und bestellte unter Leistung einer grüße ren Anzahlung davon für 24 RM., später gereute es Daus, daß er dem Kapitän nicht noch ein größeres Quantum aufgeredet hatte, und suchte ihn deshalb noch einmal auf, fand aber diesmal keine Gegenliebe für seine Absichten. Als nun eine doch über einen höheren Betrag lautende Nachnahmesendung eintras, wurde deren Annahme verweigert, und bei den nun angestellten Nachforschun gen stellte sich heraus, daß Daus den Bestellschein aus eigene Faust auf einen höheren Bettag umgefälscht hatte. Weiter er- fuhr man aber auch, daß der famose Heilkundige sich die Dorkennt- nisse für seine wunderbaren Diagnosen zu verschaffen pflegte, indem er, wenn er ein neues Feld für seine Tätigkeit aufsuchte, erst einmal im Gasthofe einkehrte und dort beim Glase Bier die Wirtsleute oder andere Gäste vorsichtig über die Dorfleute und ihre Leiden und Gebrechen ausholte! Daus, der zur Zeit noch eine andere Strafe verbüßt, und gegen den außerdem noch bei anderen Gerichten Strafverfahren anhängig sind, hatte sich nun mehr vor dem Dresdner Schöffengericht wegen Betrug« iM Rück falle, wegen Urkundenfälschung und wegen Ausübung der Heil kunde im Umherziehen zu verantworten. Unter Berücksichtigung seiner Notlage wurde er zu vier Monaten einer Woche Gefängnis verurteilt. Der Pestpfarrer. Preisgekrönte Skizze von Josef Martin Bauer. (Nachdruck verboten.) „ dem Andreas Lärnpecher zu bestätigen, daß seyn Hau» und Hof und alles, was der nebstgenannte aus dem Wald gerodet, freyzugeben sey von Zehentlast für ihn und seine Kindskinder — Christian warf die lockeren Fetzen, die nach Mer, Ar- beitshMden und nach Moder rochen, zuhinderst in den Kasten zum allen Gerumpel. Der Wind ging draußen in einem trägen Zug immer gleich, immer westwärts. Als der Bauer über den Hofraum ging und zornig das Wuchergras an den Rändern niedertrat, stöhnte ihm der Wind seine große Not in die Ohren. Bor dreißig Sichren waren die ersten da drüben ausge wandert. Eine neue Wett hatte offene Türen für die ab gerackerten Bauernsöhne, denen ihre Heimat das Brot ver- weigerte. Höfe wurden herrenlos, und große Ackerflächen blieben brach. Der Auswanderer wurden mehr in den Jah ren nach dem Krieg» und die brachen Aecker rückten näher an den Hof des Christian Lärnpecher heran. Der warme, laue Wind von untercher ging manchen Tag de» Jahres über» Land, und der Wind trua den Wald in die Aecker, herrenlose Mächen schien eine Dickung an von Flugföhren. Wenn so im späten Sommer die Fluasamen sich knisternd au» den Föhrenzcwfen lösten, dann hatte der Wind ein leichtes Tun, den Wald ins Land zu tragen. Dor der Not der Zett wichen die Aecker zurück, und auf dem Boden der Not wuchs der Wald, den die Väter vor Jahrtausenden zu- riickgedrängt hatten. Christian horchte nach dem Summen in der Lust, und sein Tun wurde ganz Nein, weil er Angst bekam vor den kommenden Dingen. Die Sonne machte ein staubige» Licht in der Boden kammer. Das eckige Bündel Licht ging dem Mann nach, der dort etwas suchte, an einem Sparren tastend, einen schweren Haken prüfend. Es war so leicht, man ging so selbstver ständlich aus dieser Not weg. Nur im Sterben nicht das Gesicht der Windseite zudrehen müssen, aus der das Ab sterben kam. Er suchte. Irgend etwas. Wußte selber nicht, was. Vielleicht war es auf dem Balken da, oder im Ge rümpelkasten. Da lagen die gelblichen Fetzen, die von ganz früh erzählten. Zehentsfreiheit hatte man den Vätern zu gestanden I — Das waren alte Fetzen. Ein verstaubtes Matrikelbuch lag dazwischen. „Das hab' ich nicht gesucht", sagte Christian. Aber er nahm es heraus und wischte den Staub vom Deckel. »g. „Jetzt stehen Traid, da» sie Mhm! So waren sie gestorben, geboren. Alle aus der Pfarrei. Christian tat nichts mit Willen und Denken, aber die Seiten legten sich herum. Er hatte etwas suchen wollen, einen Haken vielleicht, und saß jetzt träge vor dem Buch. Warum standen hier denn lauter so lange Totenlisten? Immer der gleiche Vermerk am Rand: „Pestilentia nigra". Gar nicht mehr ausgeschrieben, nur noch Strichlein darunter. In einer plumpen Handschrift schrieb der Mesner weiter. Die Reihen wurden nicht anders, aber der erste in der Reihe des Mesners war der Pfarren Neue Namen, Greise, Kinder. Eine andere Hand schrieb weiter. „Balthasar Maechler, 37 Jahre alt. Er ist ein braver Bursch gewesen, ich hab' dar in der Grabrede gesagt. Nur etliche alte Weiber sind dabei gewesen." Von jedem stand eine nähere Bemerkung zu lesen. „Gregor Weishiiupl, Schuster am Holz, 54 Jahre alt. Ich hab' ihn allein begraben, weil keiner mehr mitgehen mag. Einnageln, wegfahren, begraben und beten für die Toten, alles bleibt mir allein. Die Leute nennen mich den Pestpfarrer. Der churfürstliche Befehl verlangt, daß einer in der Gemeinde d e Toten wegbringt und eingräbt. Da hat jetzt mich getroffen." So erzählt der Pestpfarrer von jedem Fall, den er n das Matrikelbuch eintrug. „Jetzt stehen bald alle Höfe leer, die Menschen leben vom Traid, da, sie nicht mehr mahlen können. Und die Scheunen stehen voll, aber niemand gibt einen Heller dafür." Immer weiter. Tote, ganze Reihen. Der Mann, der das geschrieben, trotzte dem schwarzen Tod lange. Christian wurde zitterig dabei, wie er den Namen des Pestpfarrers las: „Sebastian Lärnpecher am Paurenhof." Und die letzte Seite des Buches sagte das Letzte von dem Urahn des jungen Lärnpecher, der in fiebernden Händen die alte Schwarte hielt. „In fünf Häusern lebt noch wer. Bei uns sind es noch zwei Leut', ich und die Dirn. Wenn es mit uns aus ist, kommt der Wald wieder, und kein Traid wachst mehr um das Dorf herum." — Weiter unten: „Die Dirn werkt im Hof herum, als wenn es keine Pest geben töt. Sie ist ein gutes Leut. Die einzige, die sich nicht graust an mir, weil ich die Toten eingraben muß." „Gestern hab ich sie gekragt, ob sie mir ein Kind bringen mag. Irgendwer muß doch überleben, mein' ich. Die Vatern haben den Hof gericht, nachher darf er nicht aussterben, sonst wird alle» wieder Wildnis. „Sie tut's schon", hat sie gesagt. Es geschehe alle» in der Form, wie sie von Gott und der Kirche vorgeschrieben ist. Deshalb hab ich hier nieder geschrieben, was andernorts stehen müßt. So hab' ich die Dirn dreimal gefragt, ob sie mein eheliche» Weib werden will, und hab' selbst«» den Segen gegeben über diese Kopu lation. Im Namen Gotte» mag es werden, daß ein Kind mit dem ehrlichen Namen Lärnpecher überbleibe und den Hof behalte auch in der Not. . . Ich kann es nicht mehr erleben. Margret sagt, es ist schon so. — Der Schwindel fangt an. Bon mir weg soll der Taschner Pestvfarrer werden, wie ich es gewesen bin — es ist bald ganz schwarz den Buben soll sie Christian taufen " Der Bauer ließ das Buch niederfallen auf den Boden. Der Wind stand auf draußen und jammerte laut über da« alte Land hin, während Christian den Haken au, dem Spar- ren wog. Den setzte er am gleichen Tag noch al» neuen Zahn in die stumpf gewordene Egge, daß sie tiefer in die Erde greifen konnte.