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Losbern denn ganz verlottert? Hatten sie sich gänzlich in ihm getäuscht? Und der Mann schwur: „Wenn er kommt, werde ich ihm die Leviten lesen! Ich darf das nicht zulas- senl Und seinen Eltern werde ich schreiben!" Sie waren bereits aufgestanden, da wurde die Flurtür geöffnet, Los bern kam. Herr Schmogis trat ihm entgegen: „Nun, wir glaub ten schon. Sie fänden sich gar nicht mehr heim! Wissen Sie, Herr Losbern, das gefällt mir nun nicht! Das ist rücksichts los! Meine Frau und ich haben Ihretwegen die ganze Nacht kein Auge geschloffen " „Das ist schade! Schade! Das tut mir leid! Aber es wäre nicht nötig gewesen! Wirklich nicht, denn es war eine glückliche Nacht!" sagte Losbern lachend, indem er Hut und Rock ablegte. ' Er war betrunken. Das empörte Herrn Schmogis noch mehr. „Hören Sie?" sagte er, „wollen Sie in diesem Zu stande ins Geschäft gehen? Was soll man denn eigentlich denken von Ihnen und von mir? Der Prinzipal " Losbern lachte noch lauter und rief: „Gut! Gut! Gut! Wenn Sie wüßten, Herr Schmogis! Wenn Sie wüßten, was ich weiß! Ich sag' Ihnen " Schmogis kehrte ihm den Rücken und ging in die Küche, wo die Frau die Kinder ankleidete. Losbern folgte ihm. „Guten Morgen, Frau Schmogis!" sagte er mit der übertrie benen, lauten Freundlichkeit eines Betrunkenen. „Also Ihr Mann hört ja nicht! Und ich habe die größte Neuigke t! Ja wohl, etwas ganz Wichtiges, glauben Sie es doch nur!" Und als sie ihn alle begierig anstarrten, erzählte er: „Also mein Onkel fährt wirklich noch! Mein Onkel Ur ban. Sie kennen ihn nicht, ich habe noch nichts erzählt von ihm. Aber jetzt kann ich was erzählen! Ich muß es heute gleich meinen Eltern schreiben! Sie müssen nämlich wissen, daß Onkel Urban, der Bruder meines Vaters, sozusagen ver schollen gewesen ist bis auf den gestrigen Tag! Und jetzt ist er da, jetzt lebt er wieder, wollt' ich sagen! Denken Sie, Frau Schmogis, ich treffe Matrosen von einem Engländer, der aus Amerika Baumwolle gebracht hat. Hübsche, flotte Kerls. Ich pah auf, wohin sie gehn. Sie suchen sich eine Kneipe, das merk' ich. Am Borsetzen finden sie was. Gut, denk' ich, da drin gibt's auch noch ein Glas Bier für dich, u. gehe hinter ihnen hinein. Ich mach' mich in ihre Nähe; denn ich wollte zuhören, was sie von sich geben würden. Weil ich doch gern Englisch höre, müssen Sie wissen. Ich bemerke aber bald, daß sie auch Deutsch können. Desto besser! Ich red' sie also an, woher sie gekommen sind, mos sie geladen hatten, wann sie wieder ausfahren. Und natürlich erzähl' ich auch von den Losberns. Das interessiert sie mächtig, kön nen Sie sich wohl denken. Oder nein, können Sie nicht denken; denn Sie wissen ja nichts davon. Von meinem Urgroßvater und seinem Bruder und vom Onkel Charles, meine ich. Na, das sollen Sie noch hören. Jetzt von den beiden Matrosen. Die spitzen die Ohren, sag' ich Ihnen, wie ich erzähle von meinem Onkel Charles, eigentlich Großonkel, aber das macht nichts. Wie er die Leute von der „Queen Elisabeth" gerettet hat und all' die Geschichten! Denn natürlich hatten sie davon gehört, Onkel Charles ist berühmt gewesen! Bloß sie wollten mir nicht glauben, daß das mein richtiger Großonkel gewesen ist! Dann müßte ich doch wohl auch auf dem Wasser schwimmen und könnte keine Landratte sein! Aber da hab' ich auspacken können; denn ich weiß es aus erster Hand, was Onkel Charles alles voll bracht hat: aus seiner eigenen Handschrift nämlich! Da konnten sie nicht länger zweifeln. Und nun rück' ich raus mit meiner Frage, die ich schon an manchen Matrosen ge stellt habe: Fährt noch ein Losbern, ein Urban Losbern? Bis jetzt hat mir keiner antworten können. Unter denen aber war einer, der ganz genau wissen will, daß noch ein Losbern fährt. In englischem Dienst. Soll ein seltsamer Mensch sein, verwandt mit dem berühmten Charles, ver wegen, und, was das merkwürdigste ist: er hat ein eigenes Schiff, und das ist ein Goldschiff!" „Ein Goldschiff?" riefen alle Schmogismünder zu gleich. Peter Losbern nickt und fuchtelt mit den Händen und wiederholt laut und aufgeregt: „Ein Goldschiff! Ja, ein richtiges Goldschiff, ein Schiff mit Goldschätzen, heißt das. Geheimnisvolle Sache. Die anderen Matrosen besannen sich, daß sie auch davon gehört hatten. Der eine aber wußte mehr. Der Losbern hat seine Leute/die den Dienst nicht wechseln. Sie bleiben bei ihm bis zu ihrer letzten Fahrt. Für den Mann, der sie dem Wasser übergaben oder in einem Hafen zurücklassen mußten, heuern sie einen neuen an, der sich verpflichtet, auch bis zu seinem Seemannsende bei Losbern zu bleiben. Und so erfährt man wenig über das seltsame Schiff. Ein Goldschisf muß es sein; denn die Leute erhalten eine Löhnung wie auf keinem an dern Schiffe, mancher Matrose hat ein «eines Vermögen hinterlassen! Der Losbern macht wohl große eigene Ge schäfte. Manche erzählen sogar, daß er Besitzungen über See habe. Man weiß aber nichts Bestimmtes. Sein Schiff wird aber immer wieder in englischen Häfen gesehen, auch den Losbern selber kann man sehen. Und der eine der Ma trosen schwört, daß er ihn gesehen hat. Er hat ihn mir be schrieben. Und es stimmt. Es stimmt! Denn der Matrose gab mir das Bild vom Onkel Charles! Da es Onkel Char les selber nicht sein kann; denn er ist tot, so kann es bloß Onkel Urban sein! — Na? Was sagen Sie nun, Herr Schmogis? Frau Schmogis?" Sie staunten nur alle und wußten nichts Rechtes zu sa gen. „Wenn das wahr ist, Herr Losbern! Ich gönnte es Ihnen von Herzen! Einen Onkel mit einem Goldschiffl" begann Frau Schmogis. Peter lachte. „Ja, den Onkel möchten Sie auch, was? Und ihr auch, was?" wandte er sich an die Kinder. „Ja, aber welches ist denn sein Heimathafen?" fragte Herr Schmogis. Peter strahlte: „Keiner weiß es!" Sie verwunderten sich, warum er darüber erfreut schien. „Ja, das sollte man in Erfahrung bringen; denn sonst ", meinte Herr Schmogis. „Es ist schön, daß man es nicht weiß! Man weiß, On kel Urban fährt. Er fährt ein Goldschiff " „Es muß doch einen Namen haben", fiel ihm der älteste Knabe ins Wort. Peter klopfte ihm auf die Schulter. „So hab' ich zu den Engländern auch gesagt. Einen Namen hat es wohl, gab der eine Auskunft, aber man weiß ihn nicht, er wechselt wahrscheinlich. Dürfte wohl auch gut sein für ein Goldschiffl" „Nun wollen Sie weitere Nachforschungen anstellen?" fragte Herr Schmogis. Peter Losbern strahlte wieder wie vorhin, und er reckte sich und wollte irgend etwas Wichtiges sagen, hielt aber an sich und meinte nur: „Allerdings, das will ich! Das muß ich! Und gründlich!" Nun aber war es Zeit, daß sie Kaffee tranken, damit sie zur rechten Zeit zum Geschäft gehen konnten. Unterwegs sollte Losbern seinem Wirte das übrige erzählen. Es war ein langer, langer, qualvoller Tag für Peter Losbern. Er mußte immer und immer wieder radieren und schaben und empfing eine noch schärfere Rüge. „Wenn es nicht besser wird mit Ihnen, dann können wir Sie nicht behalten! Schade! Bedauerlich! Hätte mir anderes ver sprochen von Ihnen!" fügte der Prokurist hinzu. Das ver mochte Peter aber weder zu kränken noch zu empören. Er erwiderte nichts, bückte sich wieder über sein Pult und rech nete und schrieb, so aut es gehen wollte. Als Herr Schmogis am Geschäftsschluß sich an ihn wandte: „Heute wollen wir lieber die Pferdebahn benutzen, es regnet ziemlich stark", da erklärte Peter: „Es tut mir leid, ich Habs die Matrosen bestellt und muß jetzt an den Hafen." Er eilte davon, ehe Herr Schmogis einen Versuch ma chen konnte, ihn zum Heimfahren zu bewegen. Peter kam diesmal vor Mitternacht zurück, saß aber dann noch lange in seiner Stube und schrieb Briefe. — Am Morgen hatte er so strahlende Augen, daß Herr Schmogis fragte: „Nun haben Sie doch wohl noch alles er fahren? Ist das Goldschiff etwa nach Hamburg unterwegs?" „Wer kann's wissen?" sagte Peter achselzuckend. „Es fährt, das ist genug! Man sagt doch: die Welt ist klein. Also muß man ihm doch einmal auf die Spur kommen! -- Ich muß am Briefkasten vorüber, Herr Schmogis." (Fortsetzung folgt.) Druck und Verlag von Friedrich May, G. m. b. H^ verantwortlich für dis Schriftleitung Max Niederer, sämtlich in Bischofswerda.