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Nr. 2S. Montag» 2. Februar 1914. 9. Jahrgang. deshalb 'da- Zeugnis der Schwäche nicht versagen kön nen. Dl« Ansprüche der Elsässer wurden infolge des Systems der Manteuffelet, wie man es nannte, grö ßer, die Konflikte blieben nach wie vor bestehen und verschärften sich noch. Am 17. Juni 1885 starb Man- teuff.'l. Sein Nachfolger wurde Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der später« Reichs, kanzler. AW ReichSrat im Norddeutschen Bunde hatte er sich wegen seines Eintreten» für die Trennung von Schule und Kirche den Haß der Ultramontanen zuge- zogen und hatte so anfangs gegenüber den kirchlichen Strömungen im Elsaß einen schweren Stand. Dennoch gelang es ihm, di« BersühnungSpolittk Manteuffels mit Geschick Wetterzuführen. Wenn auch die Ergebnisse se'- ner Politik nicht gerade glänzend Waren, so hat er es doch auf dem ihm von seinem Vorgänger dorgezeichneten weg in den neun Jahren seiner Amtstätigkeit ein gut Stück Wetter gebracht. Ende Oktober 1894 wurde Fürst Chlodwig zu Hohenlohe aus den ReichSkanzlerpo- sten berufen. In ver Verwaltung der Reichslande folgte ihm Fürst Hermann zu Hohenlohe.Langen, bürg. Obwohl er von den bisherigen Statthaltern am längsten die Reichslande verwaltet hat — er beklei dete den Statthalteriposten nahezu 18 Jahre — ist von ihm nur wenig zu berichten. Di« -ahlreichenKomipromisse, die er mit den verschiedenen Richtungen in den Reichs, landen schließen mutzt«, hab«n ihm ähnlich wie Manteuf. fel nur wenig Erfolg, dem Reich« nicht viel Freud« ge bracht. Statthalter Graf Wedel, der am 7. Oktober 1907 sein Amt antvat, ist aus den zahlreichen Darleg ungen anläßlich der Regierungskrise hinlänglich be. kanni. Trotz der Mißgriffe, die auch ihm unterliefen, wird man ihm nachsagen können, daß er in durchaus ge. rechter und unvoreingenommener Weise das Ärantwor. tungsvolle Amt geführt har. * Der Reichskanzler, Herr von Bethmann Holl, weg wurde am Sonnabend abend wieder vom Kaiser zum Vortrag empfangen. Kurz vor Mitternacht Wurde durch das offiziöse Telegraphenbureau dann die fol gende Meldung verbreitet r Wie schon bekannt, hat sich der Statthalter in El- satz-Lothringen, Graf von Wedel, auf Wunsch des Kaisers bereit erklärt, noch einige Monate auf se.nem Posten zu bleiben. Dem Staatssekretär Freiherrn Zorn von Bulach ist die nachgesuchte Dienstentlassung unter Verleihung der Krone zum Roten Adlerorden erster Klasse erteilt, auch ist er vom Kaiser auf Vorschlag des Bundesrats in die erste Kammer des elsaß-lothringischen Landtag» be rufen worden. Ferner hat Seine Majestät bei Ge nehmigung ihrer Abschiedsgesuche deMUnterstaat«- sekretär Dr Petri den königlichen Kronenorden erster Klasse und dem UnterstaatSsekr«. tär Wandel den Stern zum Roten Adlerorden zweiter Kasse verliehen. Der Unterstaatssekretär Köhler wird in seinem Amte verbleiben. Zum Staatssekretär für Elsaß-Lothringen ist der Oberprüfi. dialrat Graf von Roedern in Potsdam ernannt. Er Wird auch die Leitung der Abteilung de» Innern im elsaß-lohtringischen Ministerium übernehmen. KM Letter der Abteilung für Landwirtschaft und äffenttitz« Arbeiten, die bisher vom Staatssekretär geleitet wurde, ist der zum Unterstaatssekretär ernannt« dißherige Vortragende Rat im Reichsamt d«S Innern, Geheimer Oberregierungsrat Freiherr von Stein andew sehen. Die Entscheidung Über den Nachfolger de» Un terstaatssekretär- Dr. Petri ist noch Vorbehalten. Den ausscheidenden Mitgliedern der elsatz-lohtringi« schen Regierung ist der Abschied also Mit allen Ehren bL> Willigt worden. Wie der bisherige Potsdamer Oberprä- sidialrat Graf Siegfried von Roedern über di« Dinge im Elsaß denkt, ist natürlich nicht bekannt, und Graf von Roedern hat di« Retch-larGe bisher auch amtlich noch nicht kennen gelernt. Er ist 44 Jahre alt, ein Sohn de» Grafen Ludwig von Roedern, der sich in den Handtz büchern zur Reichspartei zählt und mit einem Fräulein Has,« verheiratet war, und er hat sich selber mit einem Fräulein Bertha Hasse vermählt. Seine Karriere be gann er im Jahre 1908 al» RegterungSassessor beim Landratsamt in Freienwalde, dann kam er vorüber gehend al» Hilfsarbeiter in da» Finanzministerium, 1905 wurde er Landrat de» Kreise» Ntedevbarnim und 1911 wurde er zum Oberipräsidialrat ernannt. Der Nationalztg. zufvlg« ist Graf Wedel noch auf W seinem Posten al» Statthalter geblieben, um eventuell D al» Platzhalter für den jetzigen Reichskanzler von H Bethmann Hollweg dienen zu können. Bon ei- M nem definitiven Entschluß de» Reichskanzler», M- ftid- M nem jetzigen Amt« zu scheiden, könne nicht gesprochen H werden. Immerhin rechne Herr von Bethmann Holl- W weg mit dieser Möglichkeit, und für den Fall, daß er sei- H nen Posten niederlege, Wünsche er sich noch fernerhin zu Ä betätigen. (Selbstverständlich muh der Nationalztg. die N volle Verantwortung für die Richtigkeit dieser MeMung M Überlassen bleiben. Die Red.) Cm Gelegenheilsgesetz ß gegen äen Geburtenrückgang. (Von unserem Berliner cW Mitarbeit«), i In der 22. ReichstagskommiGon zur Beratung einig« U Abänderuitgm der Gewerbeordnung (KK 56 und V6e) hat M am Freitag eine sehr interessante Aussprache Über i sn Wunsch, de« Zentrun e stattgesunden, es möge noch in die er Session H ein Gesetzentwurf oorgelogt werben, der die ösfettt- D liche Anpreisung von Mitteln zur Ber- W Hütung der Empfängnis oder zur Beifettigung der W Schwangerschaft unter Strafe stellt und dem Bundesrat A uer ^agev Anzeiger M -as Erzgebirge mit -er wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: /wer Sonntagsblaü. EpeechftmSe üe» NeSaktiou «11 stu«ahm, »m «ermtam nachmittag» 4-s Uhr. - Lrlrgramm-st-r^st, LagrUatt ftaemzgMM. Juntzpwchw «- »p«» ZL» unverlangt »logrsaoüt» Manuskript» kann VrwShr nicht grlristrt «rr-w. Diese Nummer umfaßt 8 Setten. Das Wichtigste vom Tage. Der Kaiser hat der Zechenverwaltung Achen- bach sein Beileid auSspvechen lassen. Ebenso ha. ben die Präsidenten de» Reichstage» und de» Herrenhauses.Beileidsdcheschen gesandt. Oberst von Reuter und Leutnant von yorst- ner sind von Zabern versetzt worden, der erstere nach Frankfurt a. d. O., der letztere nach Brvmberg») * Zum Staatssekretär für Elsaß.Lothrin. gen ist der Obechrästdialrat Graf von Roe- dern ernannt worden.*) * Da» englisch« König-Paar Wird am 9. Juli dieses Jahres in den finnischen Schären zum Be- such de» Zarenpaares etntrefsen und dort drei Tage bleiben. « * Da» Kriegsgericht von Balona verurteilte den türkischen Major Bekir Aga wegen seine» be kannten Putsch versuche» zum Tode. n s:»h«r«» an anderer aiele. Die bisherigen Statthalter äer Reich ilanäe. Als die Reichslande nach dem Gesetz vrm H. Juni 1871 mit dem Deutschen Reiche vereinigt Wur >en, wurde die dem Kaiser zustehonde Staatsgewalt zunächst von einer besonderen Abteilung de» Reichskanzler mrteS aus geübt. Der Oberiprästdent der Reichslande hatte zwar einige ministerielle Befugnisse, doch befand sich der Sitz der eigentlichen Regierung in Berlin. Durch das Gesetz vom 4. Juli 1879 Wurde dann der Sitz der re chsländi. schen Regierung nach Straßburg verlegt, Vertreter der Staatsgewalt wurde der vom Kaiser ernannte Statthal ter. Als solcher trat hier zunächst Graf Edwin von Manteuffel auf den Plan, der alls Kommandeur des ersten Armeekorps und später al» Oberbefehlshaber der ersten Armee im deutsch-französischen Kriege bekannte General, der Sieger von Amiens und Unterwerfer Bour bakis. Seine Politik als Statthalter — er hat diesen Posten am 1. Oktober 1879 angetreten — ging dahin, die einander Widerstrebenden Elemente des französi schen und des deutschen Nationalbewußtseins mit ein- ander zu versöhnen. ES gelang ihm auch, sich eine große Popularität in den Reichs landen zu erwerben. Nie Zugeständnisse jedoch, die er an den Kleru» und an die Stände machen mutzte, um fÄne Politik durchzuführen, hatten nicht den gewünschten Erfolg. Man hat ihm sehen, desto schwankender und widerspruchsvoller werden 'M die Zeugen in ihren Aussagen. In einem Falle «ar di« H Aussage einer Frau bei der Rekognqkierung von höchster Wichtigkeit Sie erklärte sich bereit, mit tausend Given zu M beschwören, daß der Mann, der ihr vorgeführt «wurde, der M Täter sei. Und doch irrte sie sich, und al» man der Sache N auf den Grund ging, kam es heraus, daß sie den Täte» M daran zu erkennen glaubte, daß er schwarz und weiß karierte Ä Hosen tru^. Der Verbrecher hatte in der Tat solche an-, M gehabt; aber die im höchsten Grade unziwerlW;e Zeugin W bezeichnete den ersten Mann, der ihr al« verdächtig vor. W geführt wurde, und der dem Täter gar nicht glich, doch al» D Täter, weil der Verdächtigte unglücklicherweise dieselben W Hosen trug. Dios« schwarz und «weiß karierten i-qson waren W der Zeugin ausgefallen, und diese» «in« ausfallend« W Moment genügte ihr dann, um Mit aller Entschied tMheil Md W Sicherheit eine Rekognoszierung vorzunehmen. So viel sicht fest: di« Mitarbeit de» Publikum» bet W der Aufdeckung von Kapitalverbrechen ist viel größer und M erfolgreicher auf dem flachen Land« und In kleinen Orten, W as, in der Großstadt. Diese Erscheinung läßt sich leicht D erklären. In einem kleinen Ort« oder auf dem flachen W Lande Ml jeder Fremde sofort auf; hier kennt jeder den M andern, und wenn ein Einheimischer der Täter war, «ich M es ihm unmöglich sein, mit den Au»r«d«n durchzukommen, M die der großstädtische Verbrecher mit Erfolg anwendet. In W einer großen Stadt behauptet der ergriffene Täter, « sei M ganz unschuldig; «r sei zu der betreffenden Stunde, «L- M da» Verbrechen geschah, im Theater, im Zirkus, in einer M VMsoerfammlung, bet einer Zusammenkunft der Heilch W armee gerochen. Wie will man dem Manne Nachweisen, M daß er nicht in «iner Versammlung von Tausenden von 1 Menschen war, von denen ihn nicht 4in einziger kanntv? M Wenn der Täter allein wohnt, keine Angehörigen hat, mitzM den Rachbarn Nicht näher bekannt ist, und er behauptet, MD Nehmen wir an, es hat jemand den Verbrecher un mittelbar vor oder nach der Tat gesehen, so daß mast an nehmen muß, die beobachtete Persönlichkeit! ist der Täter gemein. Dann kommt natürlich alle» darauf an, welche Beobachtungs'ähigkeit der betreffende Zeuge oder ,dia Zeugin besessen ha'. Die Erfahrungen, welche die Krimi- nalpolizei in dieser Beziehung gemacht hat, .sind in manchem Falle geradezu niederschmetternde gewesen. Entweder wußte die beobachtende Person gar keine Merkmale des Beobachtenden anzugeben, oder sie machte AruHayen, die mit der Wirklichkeit in grellstem Widerspruch standen. Sie schilderte den Mann;, den sie gesehen hatte, als sehr klein, wäh"end er groß mar; sie schilderte ihn a^s sehr Mage,, während er sehr dick war; kurz, sii hatte do» Gegenteil von dem zu schen geglaubt, was wirklich vorhanden war. Noch viel Wimmer wich e», wenn diesen Beobachtern ver- dächtige vorgeführt werden, die st« rekoynofzieren sollen. — Ja, da» ist d«r Mann gewesen I sagen der Zeuge oder die Zeugin mit aller Sicherheit! und leiten di« Polizei dadurch auf eine falsche Spur. Zum mindesten geht viel kostbare ,Aeit verloren, weil man dies« falsche Spur per- s^gt, di« man wieder auf den toten Punkt gelangt, respek tive Li» der v'chächttzg« einer klaren Alibibowei» erbringen kann, Man hat allo noch gar keinen Bffmeis flür die Richtigkeit der Beobachtung, wenn auch mit voller Be stimmtheit behauptet wich: Ja. di« vorgeführte Person ist die beobachtetes Sind die Zeugen tm Wtchererkennen unsicher, dann ist dl« Sache natürlich auch schlimm, und eine merkwürdige psychologische Beobachtung hat man im Laufe der Jahre gemacht: je mehr Persönlichkeiten zur RÄognckkiermrg den Zeugen vorgestellt werden, desto unsicherer werden die letzteren. Bei dem «rsten «verdächtigen, den man ihnen vorMhrt, haben sie ungefähr noch so «ine Ahnung, wie der Täter arugesehen haben kann; aber j« mähr Menschen sie Das Publikum bei Aapitalverbrechen. Plauderei von A. Oskar Klaußmann Rlachdr <f v ^Während man in früheren Zeiten >bei der nter uchung von Kapitalverbrechen durch di« Po'izei des strewst Geheimnis wahrte und dem Publikum jegliche Nachricht vorenthielt, ist man heute zu der gegenteiligen Ansicht bei den Behörden gelangt: man sucht das Publtku n möglichst für den Fall zu interessieren, um sich die Mitarbeit de«, selben bei der Aufdeckung de» Kapitalverbrechen« zu sichern. Allerdings ist diese Mitarbeit «in gefährliche» Ding. So wertvoll die Teilnahme de» Publikum» bei der Aufspürung des Verbrechens sstn kann, so viel« Hindernisi« kann fiik anderersett» und im ungünstigen Falle der Untersuchung bereiten. G» handelt sich «hon immer bet KriminaMllen um glückliche Zufälle, und solche treten ein, wenn da» Pubfi- kum in erfolgreicher Weis« tätig ist. E» ist ein charakte- ristisch«, Zeichen der schweren verbrechen, die in d-n letzten Jahren begangen wordcn sind, daß die Täter Leute waren, di« bisher noch nie mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt ge rieten, und daß die verbrechen fast immer ohne bestimmten, wohlüberlegten Plan Legangen wurden. In solchem Falle ist es außerordentlich schwer, ein« Spur aufzufinden. Man fragt sich, wenn man an ein verbrechen herankommt, un- willkürlich: au- welchen Motiven ist es begangen worden? Haben Roche, verschmähte Liebe, Haß, Habgier den Täter geleitet? «ei einem solchen GelegenheitmerLvechen fallen alle dies« Dstniv« fori; die Untersuchung kappt inr »lnkestr und kommt s br leicht auf einen toten Punkt. D» hoffen da alle Kunststücke de- gewiegten Kriminalisten nicht«; der glückliche Zufall tritt nur ein, wenn jemand au- dem Publi- kum etwa« über da» Verbrechen Mitteilen bann.