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Beklage Aum ^SsMscheu ErzLtzler". ür Frau und Seim Sonntag, den 2. (Oktober 1926 Oer Weg ins Freie. Von Sofy F a H s - Sternlose. M» scheint wahrhaftig, als sei uns die Entwicklung über den Kopf gewachsen; jedenfalls hat sie uns Frauen Ickicr überrumpelt. Welch ein Gedränge von immer neuen For derungen und Problemen, denen man gar nicht Zeit läut, sich auszureifen und harmonisch zu gestalten, denn was heute gilt, ist morgen schon unmodern — und was fürchtet wohl die Frau von heute mehr als die Gefahr, nicht Schritt zu halten mit den Tyrannen Zeit und Mode? Nun, ich will nicht etwa in die Jercmiade über die Ent artung unseres Geschlechts cinstimmen, die aus Bubikopf und kurzen Röcken einen moralischen Fall konstruiert und den Untergang der Frau prophezeit — kurzes Haar und kurzer Rock mögen praktisch und für manchen Frauentyp gewiß auch hübsch sein — der Zopf ist nun einmal wie der Schnurrbart überwunden — je nun, wozu der Lärm? Jede Zeit hat ihre Moral und ihre Sitte, und ich kann nicht finden, das; unsere Zeit gerade die schlechteste hätte, wenn auch manches faul ist stn Amazoucnstant. Aber sollte nicht gerade in der Ueberspannung der neuen Ziele der Keim zum Guten liegen? Jede Entartung ist doch schließlich nur dis Reaktion auf vorangegangcne ungerechte Unterdrückung. Schließlich ist auch die „Sitte" mehr oder minder Sache der Konvention, und sie war wohl auch in den guten alten Zei ten oft recht eigenartig. Wer weis;, wie man in etlichen Jahren schon über die unsrige urteilen wird? Also: eifern wir nicht über die Mode, und wenn auch durch die kurzen Haare der Verstand nicht länger wird, so i liegt es doch an uns, Auswüchse verständig zu vermeiden l und den Sinn der heutigen Fräucnsitte als einen Ausdruck; unserer Persönlichkeit und unserer Kultur zu erfassen. Was will die Frau von heute? Frei sein! Unabhängu vom Mann, nom Haushalt, von der Liebe! Ja, man staune auch die Liebe, bisher der einzige, große Inhalt ihres Lebens, gilt als überwunden! Wenigstens tut man so. Der holde Mädchentraum von dem Einen, Herrlichsten von allen ist aus dem Herzen gewiesen, und man darf sich diese Sehn sucht und den großen Glauben an eine lebcnfüttendc Liebe höchstens noch im stillen .Kämmerlein schamhaft cingcstehen. Warum? Je nun, weil es lächerlich wäre, als freie Freu sich einem einzigen hinzugebcn, statt das Leben ungehemmt zu genießen. Heiraten? Gewiß, aber mit der Scheidungs urkunde als ultimo rntlo in der Tasche. Wie altmodisch, auf Lebenszeit auf einen einzigen Mann sich konzentrieren — der „Weg ins Freie" muß jedenfalls offen gehalten wer den! So will es die moderne Frau. Will sie es wirklich? Das ist die Frage, die unerbittlich an ihrem Herzen rüttelt, wenn in der Hast betäubender „Be schäftigungen", denen ja die neue Frau so sehr erliegt — und sie ist so klug, auch aus dieser Niederlage einen Sieg zu machen — wenn also trat; der atemraubcnden Fülle von Pflichten und Verpflichtungen, die das mod-'rne Leben for dert, dennoch mal eine einsame Stunde unausweichlich ihr ns Auge schaut: sisuo vacsto? Wo gehst du hin? Wo liegt dein Glück, dein Recht, deine Freiheit? Die Ehe ist kein Paradies. Ganz gewiß nicht. Wer das von ihr erwartet, hat ihren Sinn nicht erfaßt und er schwert sich und dem Gefährten das Leben nur mit falschen Idealen, die wie alles Falsche in sich zusammen fallen müs sen und Bitterkeit und Enttäuschung zurücklasscn, bis Liebe schließlich sich in Haß verwandelt. In den heiligsten Gefüh len gekränkt und sich verraten wähnend, schreit man dann nach „freier Liebe", nach einer „Ehe auf Zeit", auf Probe sozusagen, nach ... ja wonach? Nach den. Weg ins Freie jedenfalls! Zugegeben: es gibt jammervolle Ehen. Ehen, die ein fach unsittlich sind; die allen Schein des Glücks besitzen und 'n Wirklichkeit zwei arme Teufel in der selbstgeschaffenen Hölle gefangenhaltcn. Ehen, in denen es zwar keine Kata- Gcmeinschaft sind. Ehen, in denen es zwar keine Kata strophen, ja kann; Konflikte gibt, deren Zärtlichkeiten aber schal schmecken wie abgestandenes Zuckcrwasser und die in ihrer trostlosen Oede und Langeweile fast noch schlimmer sind wie die reibungsvollstcn Kampfgenosscnschaften. Ist da die Scheidung nicht Erlösung? Der „Weg ins Freie" nicht die einzige Losung? Und doch scheuen die meisten Frauen diesen Weg — warum? Warum klammern sie sich mit so zäher Verbissen heit an ihren Trauschein? Wie erklärt sich dieser Wider spruch? Ist es wirklich nur Feigheit, die Angst um die Dürftigkeit und Ungewißheit eines getrennten Lebens? Zum größten Teil gewiß. Aber schaut in die Gesichter der „geschiedenen" Frauen, die die Konsequenzen einer Schei dung auf sich nahmen — sind sie glücklich in der wiedergc- wonnenen Freiheit? Viele werden es vielleicht bejahen, denn das Leid ist schamhaft und verbirgt sich vor den Augen der Welt — aber wir lesen die Wahrheit dennoch in jedem Zug des Gesichts. So soll man also die Sklavenkettcn der Gewohnheit wei- terschleppcn, langsam dabei „eingehen" wie eine Zimmer pflanze aus Mangel an Licht und Luft? Oder sich zynisch .mit den Tatsachen obfinden" und sich in außereheliche Zer streuungen oder, je nach Temperament, in Beruf und Arbeit stürzen? Ist das der Sinn der El;e, daß man gleichgültig aneinander vorbeigeht — eine mirtschaftliclze Interessenge meinschaft also ohne Liebe, ohne Glück — und möglichst ohne Kinder! Denn Kinder sind „Hemmungen" irr Lebensgenuß — und darum unmodern. Der „Schrei nach dem Kinde" ist längst abgclöst von der „Angst vor dem Kinde". Und doch, ich will es Euch verraten, schreit auch in der modernsten Frau, ob sie cs wahr haben will oder nicht, die verborgene, unausrottbare, nur aus ihrem Bewußtsein ver triebene Sehnsucht nach Mutterschaft — und sie wird nicht eher wieder wahrhaft frei atmen und glücklich sein, bis sie mit Stolz und Wonne wieder zum Mutterglück als seligste Erfüllung ihres Frauendaseins sich bekennen kann — bis sie wieder glauben, besinnungslos glauben darf an das all mächtige Gefühl, diesen schöpferischen Strom der Kraft, der stärker ist als alle raffinierte Lebens„tcchnik", mit der sich das Leben wohl meistern, aber nimmermehr glücklich gestal ten läßt. Ich weiß, auch das „Glück" wird als altmodisches Requisit verworfen — Mode, Jazzband, Scheckbuch sind herrliche Dinge, die ein leeres Herz schon ausfüllen können — aber schließlich fällt doch einmal Vie Maske, und hinter dem lockeren Spiel ihrer Capricen enthüllt sich in einem ent scheidenden Moment, in einer Wallung, einem Wort die Wahrheit, die sie als ihr Geheimnis schamhaft hinter prah lerischen Lügen verbarg. Und sie fühlt und weiß plötzlich, daß die Liebe — daß der Mann — daß Kinde'' — geträum tes Glück ... ach, daß der Weg ins Freie in diesem Hafen mündet! Das; seclenhasc-müttcrliche Kultur die einzige, na türliche Machtbasis ihres Frauentums ist, die sie jetzt mit verschärfter Geisteskraft behaupten muß, um aus den tief sten Gründen des Lebens heraus mit ganzer Liebe und mit ganzem Wissen Herrscherin zu sein, die der armseligen Pose der Vermännlichung nicht mehr bedarf. Und aus diesem Glauben heraus liebe ich die moderne Frau, weil ich gerade als Frau den Sinn ihres trotzigen Kampfes ahne — sie so gut verstehe in ihren Freuden und Leiden und Widersprüchen. Und ich meine, man kann ihr getrost vertrauen, daß sic den rechten Weg ins Freie finden wird durch all das sonderbare und irreführende Gestrüpp hindurch, das sie selbst davor anfrichtet. Freude. Dies kann kein rechtes Leben sein, Das sich in Trauer nur versenkt Uud nie nach Hellem Sonnenschein Die leichtbeschwingten Schritte lenk!. Und ist dein Herz nickst gan; dabei, Wenn schön und froh die Freude schul!!. Dann sind die Sorgen mancherlei In deinem Innern nicht verhallt. Drum horche in die Welt hinein, Und wo cs rauscht und kling! und singt, — Dort laß' auch dich zu Gaste sein, Wo Lebenslust dich ganz durchdringt. Franz Lingia. Der Tmisman. Skizze von Charlotte Dahms. Claus Gert stand vor seinem Laden und leitete die De koration des Schaufensters. Die kleine Elfenbeinstatuetle noch ein wenig mehr in den Vordergrund so — nun bekam sie in der Sonne eins weiche goldtonige Patina; die Halbedelsteine in der Monstranz daneben wurden fast durch sichtig im Licht, mit schwimmenden milchigen Reflexen. Das violette Meßgewand als Hintergrund für den Br'cughcl — ja, dieser Jan Breughel — der war fein ganzer Stolz — eine Kreuzigung von düsterer Stimmungsgcwalt, riesenhaft das Marterholz gegen den verfinsterten Himmel, in fahlem Licht verdämmernd das Jordantal. Kritisch überflog er noch einmal die Auslagen — nick:e zufrieden. Er hatte schon das richtige Fingerspitzengefühl gehabt, als er sich mit dem reichen Material, das er von jahrelangen Reisen mitgcbracht hatte, hier in seiner Vater stadt niederstes;. Der stilreine alte Dom mit den berühmten Schnitzaltären zog viele Fremde an, und wenn sie ans dem Scitcnportal traten, standen sic gerade vor seinem Laden und fanden hier manche stimmungsverwandte Seltenheit. Konkurrenz brauchte er nicht zu fürchten, denn der kleine Laden mit Chino.waren, dessen bunte fremde Welt ihn früher so magisch ungezogen hatte, tat ihm keinen Abbruch Der alte Wunderlich — er sah ihn noch vor sich in dem großblumigen Schlafrock, mit der horngefaßten Lupe über mikroskopisch feine Elfenbeinschnitzereien, gebeugt. Es war sogar die Sage von ihm gegangen, er könnte die kraulen chinesischen Schriftzeichen entziffern der mar nun lange tot, und seine Tochter führte das Geschäft weiter. Lia Wunderlich — wie eine kleine Fledermaus war sie ihm immer vorgekommcn, wenn sic in ihrem weitärmeligcn Kimono lautlos durch den Laden huschte. Er hatte eigent lich nie recht gewußt, was er mit ihr anfangcn sollte — ihre Anwesenheit manchmal ein wenig störend empfunden, wenn ihm der Alte ein besonders seltenes Stück eingehend erklärte. Doch nun mußte er sich wohl um sie kümmern. Uebcrrascht stand er eines Nachmittags vor dem wohl bekannten Schaufenster — oh, die verstand was — wie die wenigen Auslagen zur Geltung gebracht, die Farben abgc- stimmt waren — spielerischer Zufall oder höchstes Raffine ment — es ließ sich schwer sagen, lind da war ja auch das uralte Porzellantempclchen — der berühmte Talisman dcs Alten, den er stets wie seinen Augapfel gehütet hatte, als so eins Art Glück von Edenhall, kostbar und zerbrechlich wie dieses der kleine Pavillon aus grünem und weißem Porzellan, mit den sich nach oben verjüngenden Geschossen, den geschweiften Dächern, den zierlichen Glöckchen an jedem Vorsprung, dem Bilde der Kuanyin in der offenen Ein gangshalle. Aber was war mit der kleinen Göttin dcs Er barmens geschehen? Sie saß zwar noch immer auf ihrer Lotosblume aus spiegelndem Perlmutter — mondscheinzart und zerbrechlich, aus lichtgrüner Jade geschnitten, batte den winzigen Zeigefinger der Rechten bedeutsam erhoben -- aber das eirunde grüne Gesichtchen war eigentümlich le> und ausdruckslos geworden. Lia hatte die Hände in den Acrmeln ihres Kimonos vergraben und starrte durch den leise vibrierenden Perlen vorhang. Es hatte sie vorhin jäh durchzuckt, als sie ihn auf ihr Haus zukommen sah — Schreck oder Freude, sie hätte es nicht sagen können. Nun stand er schon lange wie ange wurzelt vor dem Porzellantempelchen; ihre Mundwinkel zogen sich wehmütig herab. Würde es nun wieder so wer den wie früher, wo er stundenlang übcr alten Bronzen, Vasen, Lackkästchen sitzen, andächtig auf die Geschichte jedes Dinges lauschen konnte, ohne im geringsten auf die kleine Lia zu achten, die sich im Laden zu schaffen machte, ihm zier lich die Teeschale kredenzte, die er ihr zerstreut, ohne sie an zusehen, aus der Hand Nahm — höchstens, daß er einmal agte: „Du hast es gut, daß Du unter so schönen seltenen Dingen aufwachsen kannstl" — Ein paar Tränen wollten aufsteigen, aber sie biß die Zähne zusammen. Nachdenklich drückte Claus Gert die Klink« nieder. Es war noch dasselbe silbrige Aneinandcrklinaen der farbigen Glasplättchen im Luftzug der sich schließenden Tür, derselbe süßliche eingesperrtc Dust, der an Vanille erinnerte, aber es mar nicht mehr dieselbe L:a, die ihm die kühlen Fingerspitzen zum Gruß reichte. Das Gesicht hatte etwas an Weichheit verloren, die dunklen Augen waren nicht mehr so kindlich irrlichternd wie früher — ruhig, prüfend, begegnete sie sei nem Blick. Wie rassig und selbstsicher sie sich entwickelt hat, wun derte er sich. Er findet mich gealtert, dachte sic schmerzlich und wurde noch kühler. Dann saßen sic beieinander hinter dem seidenen Wand- chirm, über dessen Flüche noch immer die silbernen Reiher durch lichtblaue Luft flogen — und er erzählte von seinen Reisen, seinen Sammlungen, lind sie hörte mit stillen Augen zu. „Darf ich Dick — darf ich Sie bitten Lia?" „Wir sind ja nun erwachsene Menschen und können uns ruhig Sie nennen," nickte sie kühl-freundlich — „um was wollten Sie mich also bitten?" „Oh — cs mar nur so eine Idee," seine Hände spielten nervös mit einem Papierfächer. „Ich — ich hätte so gern wieder eine Tasse Tee bei Ihnen getrunken, Lia, so wie früher — wenn er- nicht unbescheiden ist ?" Sic stellte schweigend zwei durchsichtig feine Schalen auf den Tisch — und während das Tecmasscr leise zu summen begann, erzählte sic ihm von den schweren Jahren, die hin ter ihr lagen. „Es ist mir oft blutsauer geworden, das Ge schäft übcr Wasser zu halten. Die besten Stücke mußte ich in der Inflationszeit opfern. Das alte Glück ist fort, Claus Gert." „Und der Talisman?" fragte er leise. Sie holte das Tempelchen, ließ das Licht unter dem bunten Seidenschirm aufflammcn: „Man hatte mir eine schwindelnd hohe Summe dafür geboten, ich lehnte ab, dachte an den Vater, der immer gesagt hatte: „Verkaufe es nie, Du giltst sonst das Glück am- dem Hause!" Es stand aber da mals sehr schlimm, da verpackte ich eines Tages das Tempel chen u d sagte dem Käufer, ich hätte mich anders besonnen. Aber a!s wir cs aus Holzwolle und Seidenpapier schälten und aufstelstcn. konnte die kleine Kuanyin den dünnen Hals nicht mehr bewegen und die Augen nicht öffnen — alles Schütteln nutzte nichts. Da verzichtete der Käufer." Kosend ging seine Hand übcr die spiegelnde Glasur: „Wollen Sie sie mir einmal anvertrnuen?" eindringlich ba ten seine Augen. Sie wich ihnen zögernd aus. Behutsam nahm er die kleine Göttin des Erbarmens von ihrer Lotosblume herunter. Wie diese Hände lieben können, unendlich zart und andächtig, dachte sie. Leise trat sic hinter seinen Stuhl und sah ihm zu wie er mit den haar feinen Instrumenten hantierte. Lautlose Minuten verstri chen. Nur die gläsernen Plättchen an bunten Seidenschnü- rcn klangen ganz dünn iw leisen Luftzug aneinander, und Lia fühlte ihr Herz so ungestüm klopfen, daß es fast schmerzte. Mit kundigen spitzen Fingern setzte Claus Gert die kleine Kuanyin wieder auf ihr Perlmutterthrönchen zurück. Lia beugte sich weit vor, wagte kaum zu atmen: Und dis Göttin des Erbarmens erwachte — nickte — nickte still und feierlich — und sah sic aus ihren schwarzen schrägen Perl augen liebreich lächelnd an. „Claus !" sie suchte seine Hand. „Nun kommt das Glück wieder — nicht wahr, Lia?" „Ich — ich wage noch nicht daran ,-,u glauben . . ." Da zog er sie sanft zu sich auf die Knie. Aus den Teeschalen kräuselte der Dampf wie feiner Opferrauch zu der kleinen Gästin des Erbarmens empor, die saß versonnen aus ihrer Lotosblume, hatte den winzigen Zeigefinger bedeutsam erhoben, nickte mit dem eirunden grünen Köpfchen und lächelte geheimnisvoll vor sich hin. — „Meinst Du nicht auch, Lia," fragte Claus und schau kelte sie sacht wie ein müdes Kind, „meinst Du nicht auch, daß schon der große Li-Tw-Po unser Tempelchen kannte, als er sang: Mitten iii den: kleinen Teiche steht ein Pavillon aus grünem und aus weißem Porzellan. Wie der Rücken eines Tigers wölbt die Brücke sich aus Jade zu dem Pavillon hinüber. — der große Li-Tai-Po, der schon vor tausend Jahren den Wein, die Liebe und die schönen Frauen pries?" ^cdl.lchlfnis mw Begabung, st i n wichtiges Kapitel zur Frage der Erziehung. Von Lisa honroth Loewc. (Nachdruck verboten.) Spricht man mit Müttern über ihre Kinder von vier bis sechs Jahren, so hört man neben anderen lobenden Ur teilen gewöhnlich: „Mein Kind ist so ungewöhnlich begabt, denken sic nur, es kann seine sämtlichen Bilderbücher aus wendig." Stimmt man dann nicht begeistert zu und er kennt man diese Leistung nicht als Zeichen einer besonderen geistigen Begabung an, so erregt man gewöhnlich den Un willen der non ihren Kindern entzückten Mütter. . Das wäre ja nun nicht weiter so schlimm, hätte diese Frage nicht einen ernsten Untergrund. Die Gleichstellung von Gedächtnis und Begabung ist für Eltern wie Kinder glcichgcfährlich. Sic ist nämlich im Grunde falsch und ver- leitet zu falschen Schlußfolgerungen. Die Fähigkeit, aus wendig zu lernen, Gehörtes gut zu behalten, ist eine typische Eigenschaft des normalen Kindes. Das Kind von vier bis sechs Jahren nimmt in dieser Zeit hauptsächlich durch das Ohr in. sich auf, seine Fähigkeit, Laute zu behalten, ist außerordentlich groß. Es ist bekannt, daß Kinder in die sem Alter, sowie sie in ein fremdes Land kommen, die schwerste Sprache spielend lernen, viel, viel leichter als spä ter. Aber sie nehmen wirklich nur gehorsmäßig auf, der