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.t ..- D«r lateinische Trost 246 anderen Waffen die Parteien aufeinander ein, freilich ohne jedes Geschrei. Nur ab und zu hörte man einen halbunterdriickten Kampfruf oder einen Schmerzens schrei. Mußte man doch Kampf wie Folgen geheim halten. — Da sah ich, wie ein kleiner, untersetzter Volks schüler aus seinen Reihen vorsprang und einen Feld stein von ansehnlicher Größe, den er mit beiden Händen faßte, in die Reihen der Feinde schleuderte. Ein lauter, durchdringender Schrei ertönte. Plötzlich war aller Kampf zu Ende. Die Volksschüler flohen wie die bösen Geister beim Nennen des heiligen Namens, und die Gymnasiasten scharten sich um die Stelle in ihren Reihen, aus der der Schrei gekommen war. — Ich hatte diese Szene nicht vereiteln können. Als man mich da hereilen sah! wollte alles entwischen. Aber mein Ruf hielt die Jungen fest. Nun sah ich das Unglück. Aus einer tiefen Kopf wunde blutend, lag ein Schüler auf dem zertretenen Rasen". Über ihm jammerte laut Ole Hansen. Er ver suchte vergeblich mit zitternden Händen das rinnende Blut aufzuhalten, das immer reichlicher aus der Wunde strömte. Der Verwundete schien das Bewußtsein ver loren zu haben. Scheu umstanden die jungen Kämpfer ihren Kameraden. Scheu und still machte man mir Platz. Ich schickte sofort ein paar der,Jungen zum Arzt mit dem Befehl, zu laufen, was die Lungen hergeben wollten. Denn dadurch könnten sie ihre Übeltat um ein weniges gutmachen. Dann schob ich Ole weg, der mich zuerst gar nicht erkannte, dann aber um so lauter jammerte und klagte. — Die Sache stand schlimm. Das konnte man auf den ersten Blick erkennen. Vergebens versuchte ich, mit meinem Taschentuch den Lauf des Blutes zu hemmen. Dabei wurde das Gesicht des kleinen Gefallenen, der noch immer keinen Laut von sich gab, bleicher und bleicher. Er war ein Süddeutscher, angesehener Leute Kind und früh verwaist. Seit zwei Jahren lebte er in unserer nordischen Stadt bei einer Tante seines Vaters, einem wunderlichen, alten Fräulein, das bisher Zeit seines Lebens allein gehaust hatte und den Jungen nun mit einer wahren Affenliebe überschüttete, übrigens ohne daß es ihm viel schadete. Fleißig, sehr begabt und eben so liebenswürdig, eroberte er sich ball» die Herzen seiner Kameraden und Lehrer, wozu nicht wenig sein liebens würdiger süddeutscher Dialekt beitrug. „Walter Fischer ist mein Freund," erzählte mir eines Tages, als er mir einen Packen Hefte in meine Woh nung brachte, mit großem Stolze Ole Hansen. In der Tat hatte sich der Fleißige mit dem Faulen zu einem mächtigen Freundschaftsbündnis zusammengetan, eine Erscheinung von eigenartig psychologischem Reiz, die man aber gar nicht so selten beobachten kann. Viel mochte auch des süddeutschen Männchens Hilfe bei allen Arbeiten dazu beigetragen haben, Ole Hansens Herz zu entflammen. Daß dies aber nicht der einzige Be weggrund der guten Freundschaft war, wie einige meiner Kollegen meinten, trat heute deutlich zutage. Inzwischen hatte ich mit Mühe und Not eine Art Verband zustande gebracht, durch den freilich, wenn auch in geringeren Mengen, das Blut noch immer durchsickerte. Vorsichtig trugen wir sodann den kleinen Kerl zum Wiesenrain. Ole Hansen durfte auf seine Bitte den Kopf seines Freundes im Schoße halten. — Plötzlich schug dieser die Augen auf und fragte mit merkwürdig Heller Stimme: „Jsch ees was Ernschtiches?" Ole erschrak, konnte aber vor Freude kein Wort Her vorbringen. Seine Kameraden, die den Verwundeten gespannt beobachtet hatten, sahen ganz vergnügt aus, daß er den Mund aufgetan hatte. Ich beruhigte ihn, und er schloß die Augen wieder. Der Arzt, der nach meiner Berechnung längst hätte eintrcffen müssen, ließ noch immer auf sich warten. Ich ging unruhig auf und ab, immer den Weg zur Stadt im Auge behaltend. Dabei entging mir nicht, daß mein Patient inzwischen unruhig geworden war und allerlei vor sich hinmurmelte. Es war eilig und leise Gespro chenes, der Ausdruck eines Fiebers, das ausbrach, und kaum zu verstehen. Ich unterschied, als ich mich über den armen Phantasten beugte, aber doch einiges, offen bar Lateinisches in zusammenhanglosen Sätzen und Wörtern. — Hin und wieder schlug der Fiebernde die Augen auf, ohne jemand zu erkennen. Das ging so eine ganze Weile. Dann kam es wieder mit dieser Hellen Stimme von vorhin und ganz schnell hinterein ander: „ckulee et ckeoorum «st, pro... pro..." Der Fiebernde stockte, stotterte etwas und schwieg einen Augenblick. Offenbar suchte er nach dem Ende dieses tapferen Satzes, den er erst kürzlich bei mir ge lernt hatte. Da flüsterte Ole Hansen zu meinem Er staunen plötzlich die Übersetzung: „süß und ehrenvoll ist es..." — Aber er kam nicht weiter. Sein Freund mußte ihn verstanden haben. Er begann wieder: „cknleo ot ckeeornw ost, pro... pro:.." „rrwieis raori, für seine Freunde zu sterben, kleiner Walter," ergänzte ich das alte Wort auf meine und die einzig hier passende Weise, während mir die Tränen in die Augen stiegen. Er hatte mich verstanden. Sein Blick wurde Heller, und etwas wie ein kleiner Stolz zeigte sich in seinen Zügen. Er wollte auch etwas erwidern, verfiel aber gleich wieder in Bewußtlosigkeit. Da kam endlich der Arzt. Er hatte vernünftiger weise einen Wagen mitgebracht und nahm sich des Jungen mit großer Liebe an. An seinem Achselzucken beim Verbinden der Wunde sah ich allerdings, daß die , Sache, wie ich gleich vermutet hatte, schlecht stand. Er schimpfte auch auf den Übermut der Bengels, setzte aber gleich hinzu, daß auch er als Junge an den Schüler schlachten teilgenommen habe, und fuhr dann mit seinem Schützling ab. — Ich hatte seine Einladung, mit einzu steigen, abgelehnt, auch Ole Hansen nicht erlaubt, sich zu dem Kranken zu setzen, sondern ein paar größere Kame raden Walters damit beauftragt, und ging nun, einen traurigen Blick auf das Schlachtfeld werfend, meines Weges. — Ole Hansen lief neben mir her. Er hatte mich darum gebeten, da er mir etwas mitzuteilen habe. Er sprach aber zuerst nicht, vielleicht, weil er auf meine Aufforderung dazu wartete. Als ich ihn aber nicht ermunterte, erzählte er mir, von vielem Schluchze» unterbrochen, dessen er vergebens Herr zu werden ver suchte, warum er mir seine Mitteilung erst so spät hatte zugehen lassen. — Es war, wie ich gedacht. Er kam sich als Verräter an seiner Klasse vor, hatte lange hin und her geschwankt und schließlich seinen Freund, den Hel den des traurigen Nachmittags, ins Vertrauen gezogen. Der hatte gemeint: „Du bist e Kalb. Sein Wort muß man hatte." Nun bereute er natürlich, sagte er zum Schluß — und sein Schluchzen artete beinahe in regel rechtes Weinen aus —, nicht rechtzeitiger geschrieben zu haben, da dem Walter dann das Unglück nicht geschehen wäre. Und ob Walter nun sterben müsse, ich solle es ihm doch ja sagen. Ich tröstete ihn und ging seltsam bewegt meinem Hause zu. War es nicht trotz aller Traurigkeit eine schönere Welt, in die ich einen Blick getan hatte, eine Welt, in der noch Freundestreue, viel Liebe und Mut und Aufopferung bestanden? Die wahre Welt der Ideale, die neben der anderen, böseren leibhaftig da ist? Einst gehörten wir ihr alle an, aber dann kam die Zeit, da sie sich uns verschloß. Wir waren erwachsen, wir lebten in der wirklichen Welt. Aber was ist wirklich? — — — — — — — — — — — Einige Tage später begruben wir Ole Hansens Freund. Er war nicht wie-er zum Bewußtsein erwacht. An seinem Grabe durfte ich ihm ein Lebewohl nach rufen. Es handelte von dem Wort, an dem er sich zuletzt erfreute: llnlce et llooornm ost, pro amieis mori.