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Walli und ihre Lieb«. ri4 verbringst — hier im Hinterhaus — und im Geschäft. Wo du doch als Frau Eolmer gewiß ein anderes Leben hättest. Walli stand still und nachdenklich. Sie hatte ja im Geschäft gut und gründlich das Rechnen gelernt. Und st« war gar nicht darauf aus, romantisch ihr Leben und ihre besten Jahr« zu verschwenden. Wenn auch die Be kanntschaft mit dem Sekretär di« eigentliche Romantik ihres Lebens bedeutete, und ihr so viel Schwärmerei entlockt hatte, wie nur eben möglich war. Ja, sie hatte sich weit mehr gehoben gefühlt, weit über di« anderen all«. Aber sie hatte doch auch ganz gut Rechnen gelernt. Und — mehrere Jahre ihres Lebens, ihrer Jugend galten ihr schon was. „Gr läßt mich ja nicht so leicht! Er hängt ja viel zu sehr an mir!" Mit diesen Worten wollte sie ihre Zweifel und ihren Hang zum kühlen überlegen be täuben. Und das gelang ihr auch beinahe. Doch ein Rest von Gefühl blieb, den sie nicht abschütteln konnte. — Wie hätte st« dem Sekretär wohl den Laufpaß geben sollen? Schreiben konnte ste sowa» nicht. Und ihm ins Gesicht sagen, er soll« ste nicht mehr abholen und es sei aus — da» schien ihr nicht möglich. Eie wußte nicht, was ste tun sollt«. Da sagte die Mutter: ,versuch'» doch einmal. Sag' ihm doch mal, daß ein anderer um dich angehalten hab« —" Walli schüttelt« die Hand der Mutter von sich ab: „Ach laß mich, ich muß jetzt ins Geschäft!" Sie ging hinaus. Nicht mit so heiterm Gesicht wie sonst. Weich und nachdenklich blickten ihr« großen grauen Augen. Es ging doch über ihr« Kraft, sich so rasch t» eine ganz andere Empfindung hinein zu kben, sich so rasch in eine andere Zukunft hinein zu denken. Es fehlte Nicht viel, so kamen ihr Tränen in die ÄUgeN. Eie bemitleidet« sich fast, daß st« Not sülch eine schwere Aufgabe gestellt Nmid«, Zugleich aber kant ein leichter Zorn in ihr hoch. War es nicht wirtlich ein Ver brechen, daß «i ste so Herumziehen wollte? . . Sie freute stch gat Nicht auf die halbe Stunde, die ste nun Mit ihm beisammen sein sollte, wie immer mittags. Er erwartete ste vol der Haustür, lustig und fröhlich wie sonst. Und Mit dankbaren Blicken begrüßte er st«. Heute wat « ihr zum ersten Male peinlich, daß die Bäckersfrau und die Milchhändlerin sahen, wie ste ab geholt wurde. Eie legte auch nicht ihren Arm in den seinen. „Es ist zu heiß heute!" meinte st«. Bis zur Ecke schwieg er, verblüfft über ihr« Zurück haltung und über ihre Kält«, di« er sonst nicht an ihr gewöhnt war. Dann fragte er: „Run sage mal, Walli, was hast du?" Eie antwortet« nicht. Seine Worte und deren Klang waren ihr so sonderbar erschienen, hatten ste bis ins Innerste bewegt. Sie wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Doch war der Trotz, den di« Worte ihrer Mutter in ihr geweckt hatten, nicht minder stark als die Luft, ihm was Liebes zu tun. Ob ste es wirklich versuchen sollt«? Ihre Augen sahen starr vor sich hin. Wie die Menschen alle eilig dahinliefen — trotz der großen Hitze. Wie ste all« hier auf der Schattenseite gingen, bedacht, nur nicht von der Sonne getroffen zu werden . . . Alle drängten ste stch in den schmalen Schattenstreifen. Sie mußte dicht neben ihm gehen, um auch ein wenig von dem Schatten zu haben. Sie mußte ihre Schulter gegen seinen Arm lehnen, um nicht in der Sonn« gehen zu brauchen. Und sie tat es gern. Es war, als könne sie mit dieser unab sichtlichen Berührung, mit diesem Nahebeieinandersein so vieles gut machen. Ihr Herz schlug so heftig, daß es sie schmerzte. Er mußte das ja fühlen. Er mußte doch merken, daß ihr Gefühl ganz bei iHm war, daß es ihm gehörte. Aber ihr Mund sprach anders, als ihr Herz suhlte: „Nun sage mir mal ehrlich, warum willst du erst so lange warten, ehe du mich heiraten willst?" „Aber, Walli — habe ich dir das nicht schon hun dertmal gesagt? . . . Wozu müssen wir denn immer wieder davon sprechen, wozu?" Er beugte sich vor und sah ihr ins Gesicht. Sie fühlte seinen warmen, liebevollen Blick, konnte aber nicht hineinsehen in seine Augen. Sie hielt ihre Blicke geradeaus gerichtet. „Ich will's aber noch 'mal hören!" meinte sie hart näckig. „Denn das kann doch nicht stimmen, daß du warten willst, bis du Rat geworden bist." „Doch, das ist so!" antwortet« er, immer noch liebe voll und zart. „Na, das verstehe ich nicht!" sagte sie. „Da soll man nun warten und warten —" Er unterbrach sie: „Weil ich glaube, es ist besser, wir warten, als daß wir uns so elend und jämmerlich durchschlagen. Ich will nicht, daß du «in Küchenputtel und eine Scheuerfrau wirst. Das steht dir nicht. Wenn wir beide mal zusammen leben, dann sollst du auch wirklich eine Frau werden, hübsch und fein . . ." „Aber wann?" fragt« ste mit heiserer Stimme. Er begriff ihren Zorn nicht. Und um sie zu be ruhigen, um ihr seine Liebe zu zeigen, schob er zärtlich seinen Arm in den ihren. Sie wehrte stch ein wenig dagegen, ließ es aber geschehen, als er mit festem Druck widerstand. Sie tat, als bemerke sie seinen Arm gar nicht. Nach einer Weile — sie standen an einer Straßenkreuzung und mußten der vielen Wagen wegen warten — sagte sie «in wenig spöttisch: „Habe ich dir das schon gesagt — Herr Golmer, der Prokurist aus unserem Geschäft, war am Sonntag bet meiner Mutter und hat um mich angehalten ... Ich weiß gar nicht, wie er dazu kommt. Er hat mich doch oft genug schon mit dir gesehen ... Zu meiner Mutter hat er gesagt, er meine es ehrlich — Und ste solle mir doch zu- redeN ..." — Sie tonnten jetzt hinüber. Er antwortete Nicht. Sie lächelte immer noch, halb spöttisch, halb verlegen. Das Lächeln erstarrte in ihrem Gesicht. Ihre Lippen waren ganz verzogen. Mit einem gewissen ÜderMUt ging sie vorwärts, lascher als vorher. Fast tänzelte ste — Und ste zog ihn mit. Aus seinem Gesicht sprachen Schmerz und Mitleid. Wollte sie nicht ihre Beschämung gewaltsam ver decken und bemänteln mit dieser Lustigkeit? . . . Ach, die war ja nur Spiel und Maske . . . „Ja, wenn dir deine Mutter zuredet . . ." sagte er langsam. Sie lachte: „Ja — das hat ste getan —" „Und wenn du glaubst, daß du mit ihm glücklich wirst . . ." „Warum nicht?" lachte ste. „Und wenn er dich gleich heiratet?" meinte er. „Selbstverständlich — Oktober soll die Hochzeit sein!" „Ja — dann — dann wünsch' ich dir viel Glück!" sagte er, blieb stehen, zog seinen Arm aus dem ihren und lüftete seinen Hut. „Danke!" meinte sie vergnügt, und reichte ihm die Hand: „Lassen Sie es stch recht gut gehen!" Hastig wendete ste stch ab. In der nächsten Straße trat sie in ein Haus und wischte sich die Tränen aus dem blaßgewordenen Ge sicht. Eine oder zwei waren ihr doch in die Augen ge kommen. Auch mußte sie mit aller Kraft das Schluch zen unterdrücken, das aus ihrer Brust aufsteigen wollte. Dann aber ging sie heiter und leicht wie sonst ihren Weg — und brachte abends Herrn Eolmer mit zu ihrer Mutter.