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S»K«SF Ich lag am nächsten Sonntag nachmittag im Schotter eines Birnbaums in der einen Ecke des Gartens. Am Bach spielten die Kinder. Der schöne Sommerfrieden war zurück gekehrt. Wiederum wurde er unterbrochen. Vier schwarzgeklei dete Frauen erschienen am Zaune. Als ich nach ihnen hin sah, entschuldigten sie sich, daß sie meine Ruhe störten, sie möchten mich um eine Auskunft bitten. Ob ich ihnen den Weg zu der Stelle des Eisenbahnunglücks beschreiben könnte. Da riet ich aus ihren Trauerkleidern und ihren geröteten Augen, daß sie die Angehörigen der Opfer waren. Ich ver suchte, ihnen genau anzugeben, wie sie zu gehen hatten. Sie würden sich aber trotzdem nicht zurechtfinden, sagte ich mir, und so erklärte ich mich bereit, sie zu begleiten. Das nahmen sie dankbar an, und sie stellten sich vor als die Witwe des Lo komotivführers, die Witwe und die zwei Töchter des Heizers. Ich verabschiedete mich von meiner Familie und ging mit den Frauen das Dorf hinauf. Ein schwerer Weg, den ich sie führen mußte! Und säst bereute ich, daß ich mich dazu erboten hatte. Die Klagen der Unglücklichen schnitten mir ins Herz. Die Erzählung, wie der schwerverletzte Heizer die letzten Stunden unsäglicher Qual erduldet und den erlösenden Tod herbeigewünscht hatte, schrieb sich so tief in meine Seeele, daß ich, sie jahrelang be hielt. Aber die Frauen zerbrachen nicht unrer ihrem Schmerz. Was der Mensch zu ertragen fähig ist! ging cs mir durch den Sinn. Nicht nur über den Tod der beiden Männer, auch über, die ersten Ergebnisse der Untersuchung der Ursachen des Un glücks und über voreilige, falsche Mitteilungen der Zeitungen sprachen die Witwen; denn sie waren überzeugt und die Un tersuchung hatte es auch bestätigt, daß die Männer bis zum letzten Augenblick ihre Pflicht getan hatten, und sie wollten verhüten, daß etwa ein Makel auf dem Andenken der Toten haftete. „Nein, wer das gedacht hätte! Geht früh von uns wie immer und ist zur Stunde, da er wieder bei uns sein soll, hier draußen eine Leiche!" Kopfschüttelnd klagte cs die eine Witwe. Da begann die jüngere Tochter der Heizcrswitwe zu reden. Am Morgen des Unglückstages, als sie die Wäscl^ auf die Bleiche legte, beobachtete sic einen ziemlich großer» schwarzbraunen Schmetterling, einen Trauermantel. De» umstatterte sie, flog fort und kam wieder. Sie sah ih" lange zu. „Merkwürdig! An demselben Morgen?" rief die Fü rerswitwe. „Davon hast du uns doch noch gar nichts gesagt!" spra-1 die Mutter. Nein, es war dem Mädchen eben erst wieder eingefallen Und um uns von der Wahrheit zu überzeugen, erzählte fr alles noch einmal mit allen näheren Umständen, beschnei auch genau den Schmetterling, dessen Aussehen und Name» sie von der Schule her kannte, den sie aber sonst kaum einma beobachtet hatte. Nur an diesem Morgen, und da hatte e, sie richtig umflattert. Darüber war bei den anderen dreien banges Erstaunen „Das ist doch gerade " „Ein Vorzeichen ist's gewesen! Ihr Leute, da hab ihr's! Man glaubt cs oft nicht, wenn man dergleichen hört Aber hier, wer da noch zweifeln wollte!" „Mein Gott! Am Morgen war's schon beschlossen, daß es so kommen sollte! Der Schmetterling kam cs uns sagen Ach, wenn du ein Wort davon gesprochen hättest!" „Es fiel mir auf, ja. Aber ich habe deswegen an nicht» Schlimmes gedacht Mutter. Jetzt sehe ich, was cs bcdeu, tct hat." Wir hatten das Dorf hinter uns. Nun gingen wir noH ein Stück die schattenlose Straße nach dem „Friedersdorset Busche" zu, dann einen Feldweg ab nach der Bahnstrecke. Das Gespräch drehte sich jetzt nur um die seltsamen Er sci)einungen, die man Anzeichen nennt: Totenwurm, Klopsen Türenaufklinkcn, Hundejauern, Träume. Jede der Frauc» wußte von solchen Vorfällen. Auch ich kannte eine ganK Reihe, doch gab ich davon nichts zum besten, weil ich nur dit Tatsachen, nicht aber die ihnen unterlegte Bedeutun» glaubte. Und auch in dem harmlosen Falter, der das Mädl chcn umflattert hatte, vermochte ich nicht den Vorboten einer Unglücks zu sehen. Zufall, weiter nichts! Wievielen hat siä schon ein Trauerialter aenäkert — und nichts gefchah. Do Gartens. Zwei hohe Marunkenbäume, deren große, runde Früchte sich ^u röten begannen, bildeten einen Schirin, so blendete das weihe Papier wenigstens nicht. Ich schrieb das sechste Kapitel der „Seligen Ma^d". Kein Wunder, daß es an einem heißen Sommernachmiltage spielt: „Der Schein lag wie Glas über der Erde, alles flimmerte. Die Vögel schlie fen und der Wind." Denn so war es auch, als ich das Kapi tel begann. Ehe ich mich an den Tisch setzte, begoß ich jedes- mol,Sträucher und Boden ringsum mit ein paar Kannen Wasser, neben mir zog ja der Mühlgraben heimlich glucksend vorbei. Glückliches Schaffen in der Stille des Gartens, der seit einem halben Jahre mein Land war! Doch das wurde jäh unterbrochen. Als ich an meinem verschwiegenen grünen Platze schrieb, — eben hatte ich Annel und Heinrich» die beiden jungen Helden des Romans, zum Finsterstem hinaufgeführt —, hörte ich mich rufen. Mein Later war's. Ob ich den Eins-Zug bemerkt hätte? Ich konnte mich nicht entsinnen. „Das nur kein Unglück passiert ist!" Damit entfernte er sich. Nach einer kleinen Weile aber flogen aufgeregte Worte von Haus zu Haus, ich horchte auf, unterschied auch die Stimmen meines Bakers und Bruders. „An Aberschbächer Busche. — Glei Hintern irschten Bahn- warterhäusl. — Mein Gutt, und glei tut? — An Aeberdurfe Han sie's ja urndlich krachen gehurt! Wie a kurzer Schlag!" Mit meiner Arbeit war's vorbei. Ich räumte mein Manus kript aus und ging hinüber in den Hof meines Bruders, wo einige Nachbarn zusammenstanden. Eben lief einer heran, der kam vom Bahnhof und brachte die bestimmte Kunde, der Reoifionszug, der von Löbau gekommen war, sei in die Leer lokomotive des Mittagszuges gefahren, der Führer sei getötet worden. Obgleich der Bahndamm nur etwa ISO Schritte von meinem Garten entfernt vorüberführt, hatte ich von dem Revisionszuge nichts wahrgenommen. Doch andere hatten ihn gesehen, so durfte ich die Wahrheit der Nachricht nicht be zweifeln. Ich eilte ins Oberdorf. Biele andere liefen vor aus und folgten. An einer Kurve der Strecke, ein kurzes Stück im Walde, war es geschehen. Hammerschläge erschallten, Winden starrten, Schaufeln knirschten. Wie Stimmen friedlichen Fleißes klangen dem Herankommenden die Geräusche. Aus dem Gebüsch tretend, sah man zunächst die zu beiden Seiten der Strecke und auf einer nahen Brücke stehenden Zuschauer, die eine seltsame äußere Ruhe wahrten, nur leise, mehr durch Gebärden als durch Worte, zueinander sprachen. In Frauengesichtern stand blasses Grauen. Männer und Kna ben verfolgten gerade mit sachlichem Interesse die Tätigkeit der nut dem Hilfszuge eingetroffenen Mannschaften. Da, «ls ich mir eben dachte, daß die Sache wohl harmloser sei, als die erregte Phantasie es sich ausgemalt hatte, sah ich. die Lo komotiven, die zwei ineinander verbissenen Raubtieren glichen, vor mir, und ich erlebte, was sich vor einer reichlichen Stunde hier abgespielt, erschauernd nach. Ich sah die tender lose Maschine rückwärts heranfahren, den kurzen Revisions zug um die Kurve sausen, hörte gellende Pfiffe, Zischen Schreien und danach ein ohrenbetäubendes, im Walde wi derhallendes Krachen; wie eine mordwütigc Bestie, die durch keine Menschenkraft zurückgehalten werden konnte, stürzt sich fauchend die eine Lokomotive auf die andere, den Führer stand zertrümmernd, die Männer darauf zermalmend, die Räder in den Sand grabend, wie das kämpfende Tier sich mit den Füßen in die Erde krallt und stemmr, um noch den Rumpf der Tenderlosen zu vernichten Von den Leuten er fuhr ich, daß der Führer tot, der Heizer aber noch lebend, -wischen die eisernen schwarzen Ungeheuer geklemmt, die Hand an der Kurbel, an Beinen und Leib zerquetscht und verbrannt, ohnmächtig vor Schmerz, vorgcsunden worden war. Die Hilfsmannschafl hatte unter großen Schwierig keiten sofort die Befreiung des Unglücklichen aus seiner furchtbaren Lage durchgeführi. Dann war er nach dein nahen Ebersbach in ein Sanatorium gebracht worden. Der Tote lag noch von einer Zeltplane bedeckt, neben der Strecke. Mit ernsten Gesichtern und fast wortlos arbeiteten die Mannschaften, Beamten, Polizei und Arzt. Es gelang, die Lokomotiven voneinander zu lösen. Danach begannen die Leute sich zu entfernen, Vermutungen über die Ursachen des Zusammenstoßes anstellend und die Opfer beklagend. Hin ter uns erschallten Hammerfchläge, schnarrten Winden, knirschten Schaufeln ... Am nächsten Tage verkehrten die Füge wieder äusser Strecke.