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Zartsinn, mit dem er sie schone» wollt», so lange es ging. Leise trat sie an da» Bett ihre» Mannes und legte die Hand wie mit schützendem Druck auf seinen Kopf. Da fiel eine Träne aus ihrem Auge auf das Antlitz de» Schlafenden, und der Bauer erwachte. Beim Anblick der weinenden Frau schob er jählings im Bette hoch. »Marie — was hast du?' entpreßte es sich seiner Kehle. .Jürgen!' schrie da die Frau, ihre letzte Beherr schung verlierend, und fiel ihrem Manne auf schluchzend um den Hal». Dem Bauer gab der Anblick des gequälten Weibes, in dessen Hand er das verderbendro hende Schriftstück sofort als die Quelle ihres Schmerzes erkannte, die Fassung wieder. So gut er es konnte, suchte er die Arme zu trösten. Aber die Worte, Das neue Reichskabinett Continental Bon links stehend: Graf Kanitz (Ernährung), Brauns (Arbeit), Neuhaus (Wirtschaft), Stingl (Post), Kröhne (Verkehr), v. Schlieben (Finanzen) Sitzend: Stresemann (Aeußeres), Dr. Luther (Reichskanzler), Schiele (Inneres), Frenke» (Justiz) »Recht sol Sure Frau wird sich schon darin finden,' erwidert« der andere und verlieb den Bauernhof... Als der Bauer an seine Fran herantrat und mit zärtlichen Fingern ihr Gesicht aufhob, schreckt» er entsetzt zurück. In den verglasten Augen de» unglückseligen Weib lag etwas, das sein Herz mit Furcht erfüllt». Line kalte, unheimlich gefestigte Ruhe stand in ihren Augen. Hatte sie sein» Zusage gehört? Da schilderte er ihr di« Borteile der Erziehung des Kindes in einem so reichen Hause, und wie das alle» auch für sie beide noch gewinnbringend sein könnte. Aber alle-, was er sprach, wehte wie über einen leblosen Körper hin. Da erhob er sich und tiberlieb die Frau sich selbst. Mit wiedergefundener Lebenskraft begab er sich au seine Arbeit ... Der liberale englische Führer Asquith wurde zum Earl of Oxford ernannt Atlantic die nur eine erkünstelte Ermunterung in sich trugen, ver mochten die Frau nicht mehr aufzurichten. Kalte Hoff nungslosigkeit stand um das Paar und strich mit eisigem Hauche auch über das junge Menschenleben . . . Bleischwer stand der Mittag über dem Gehöft, drei bange Tage und unglückverhangene Nächte lösten sich ab. Da — am dritten Tage, fuhr um die Mittagsstunde ein Auto auf den Hof. Van der Holsten, der eigentliche Besitzer des Gehöfts, entstieg den, Wagen, empfangen von der angstgelähmten Bauernfrau. »Guten Tag, Frau Husgaad! Wo ist Ihr Mann?' Ein irrer Blick aus den Augen der Frau flackerte statt jeder Antwort nach der Scheune hinüber, ans der auch gerade der Bauer heraustrat. „Guten Tag, Husgaad!' Stumm, aber mit festem Blick im Auge, lüstete der Bauer die Mütze. „Na — wie steht es also? Sie wissen ja, der Tag ist heran!' Der Bauer streckte beide Arme langsam von sich und bewegte den Kopf hin und her. Das sagte dem Besitzer alles. „Ja —kam es diesem über die Lippen, „dann ist mein Besuch zu Ende.' Aber im Begriff, seinen Wagen wieder zu besteigen, fühlte er sich von zwei Frauenarmcn geschüttelt, doch verstand er kein Wort der Beschwörungen, die auf ihn eindrangen. Aber er blieb. Es schien, als suhlte der grausame Mann, der wie ein Richter über das Schicksal einer Familie soeben ein Urteil von vernichtender Härte ausgesprochen hatte, doch eine Art Rührung. „Ich hab' einen Ausweg, Husgaad!' rief er überlaut zu dem Manne herüber. „Kommt ins Haus!' Schweigend bewegte sich die Gruppe in die Bauern wohnung. „Wo steckt euer Junge, Husgaad?" Verwundert über diese Frage, aber eine noch rätsel hafte Hoffnung im Herzen, führte der Bauer de» Besucher an das Bett, in welchem sein Kind ruhte. . „Das ist ein noch viel prächtigerer Bengel, als ich ihn mir vorgestellt habe! Ja, — was ich also sagen wollte: Ihr wißt doch, ich bin kinderlos, ohne Erben. Da möchte ich euch Vorschlägen: gebt mir den Jungen an Kindes Statt, und ich erlasse euch die zweite Hälfte der Kaufsumme!' „Nein —!" kreischte da die Stimme der Frau, angst gepreßt, in die auf diese Schicksalsfrage eintretende Stille und wehrte mit ausgestreckten Armen beide Männer voneinander ab, in deren Blicken sich schon ein Einverständnis zu erhärten begann. Dann brach die gequälte Mutter über ihrem Kinde zusammen. „Gemacht — Herr van der Holsten!' sagte kalt der Bauer. Maria Mindzetti die in Deutschland gastierende Wiener Primaballerina Dr. Eduard Meyer der Berliner Historiker, wurde 70 Jahre alt Continental Als er aber nach Stunden ins Haus wieder zurück kehrte, fand er es leer. Frau und Kind suchte er vergebens. Am nächsten Morgen überbrachte man ihm die Nachricht, daß Augenzeugen aus der Ferne, ohne das Schreckliche verhindern zu können, beobachtet hätten, wie eine Frau in der Nähe der Drücke des Flusses ein Kind in die Wellen geworfen habe. Die Tat einer Wahnsinnigen! Und eben diese Frau sei die seinige, und das Kind — ihr eigenes gewesen. Die Täterin sei ergriffen und in einer Irrenanstalt untergebracht. Unter dieser Nachricht war der Bauer zusammen- gebrochen und mußte nach einein Krankenhause geschafft werden, aus dem er nach langer Zeit erst entlassen, werden konnte. Seitdem war nichts mehr von ihm zu hören. Mal» durste annehmen,daß er ausgewandert war. Die unglückliche Frau konnte nach vielen Jahren wieder ins Leben zurücktreten. Die Geineinde nahm sich ihrer an, aber für die Welt blieb sie verloren. Man läßt sie gewähren, und seitdem kann man sie Tag für Tag am Rande des Flusses sitzen sehen, an der Stelle, wo ein von der Verzweiflung in die Nacht des Wahnsinns gestoßenes Mutterherz sich gewaltsam ihres bedrohten Kindes entledigt hatte . . .' Der Leser faltete langsam das Zeitungsblatt zu sammen. Dann blickten beideFischer lange Zeit schweigend zu der alten Marie hinüber, erhoben sich wortlos und stapften die Böschung hinauf . . .