Volltext Seite (XML)
Hände» heim. Sie brachten Glas und Kostbarkeiten mit von Böb.ncn. Die Frachten vor den Türen fuhren's dann ins Land hinein. Wohtstand kehrte ein in alle Häuser. Denn Schmuggel Hot noch immer seinen Mann ernährt. Am Schiel.eseuster vorn gab es ein „böhmisches Lotto" Don allen Dörfern und den Städten rings drängten Spieler heran, selbst bis nach Dresden, Leipzig und Berlin flatter ten die Lose. Fortwährend waren Boten auf den Land- ftraßen unterwegs, die brachten Einsätze in vollen Beuteln und kehrten — je nachdem — mit Gewinnen oder Nieten heim. Geldströme zogen aus solchen Wegen ein ins Städt chen. Fürwahr, das war das goldene Zeitalter von Schirgiswalde. Eine Brücke führt über den Fluß. Ihr ist ihr altes Kleid noch immer weit genug. Und die Laterne darauf, die steht ihr gut. Sie stand vor hundert Jahren wohl schon dort. Im Winkel drum gibts Poesie aus Urgroßvaters Zei ten. In ihrem matten Scheine stand mit Spieß und Horn der Nachtwächter. „Hört, ihr Leute, und laßt euch sagen: die Glocke, die hat zwölf geschlagen. Bewahrt das Feuer und das Licht, daß niemandem ein Leid geschichtk Lobet Gott den Herrn!" Lang rlingt es über den Markt. Dann stapft er weiter. Wie er aber um die Ecke geht, springen drei Männer unter den Lauben hervor. Werber für die österreichische Armee find es. Sie schrecken ihn nicht. Sie sind nicht seltene Gäste. Bald steckten sie sich zur Messe hinter die Stützpfeiler der Kirche und fingen die jungen Männer beim Kirchgang ab. Bald lauerten sie hinter den Bäumen des Waloes, des Sonntags, wenn die Burschen — ihr Mädel am Arm — vom Tanze kamen. Denn keiner der freien Republikaner zog ohne Rot des Kaisers Rock an. Nun mußte der Büttel zur M^ernacht die Häuser weisen, in denen militärtaugliche . lief. Die holten sie frisch aus den Betten. Re- t . ichrn hieß man es. Wie war sie doch beschaulich, die gute alte Zeit! Und immer, wenn man auf dem Markte steht, so ist», al» sollte eben fein „Tü—t, tü—t!" ertönen. Die Fenster liegen finster in den Häusern. Die biedern Bürger gingen längst zur Ruh. Der Brunnen plätschert. Ueberm Walde kommt der Mond hinter den Kälbersteinen herauf, groß und voll. Dächer und Giebel werfen scharfe Schatten in die Gas- len. Im Gotteshause oben brennt das ewige Lämpchen, sein rötlich matter Schein huscht durch das Ehorgestühl, spie- Delt sich im Gold geschnitzter Bilder und beleuchtet mystisch ernst die Heiligen am Hochaltar. Ein Lausitzer Automobil 174V. Bon vr. Seorg Pilk. Der Wunsch des Menschengeistes nach Erfindung einer UlbMnlllgen Fortbewegung ohne Zuhilfenahme von Zug tieren dürste sehr alt sein. Der ursprünglich maßgebende Grundgedanke bei den dabin gerichteten »ersuchen war, die menschliche Muskelkraft oder eine Art von starkem Uhr- iverk zum Antrieb zu benutzen. Deutschland marschierte hierin voran. Wie eine alte Chronik der Stadt Nürnberg oerichtet, baute im Jahre 1649 der dortige Bürger Han» Hautsch einen Kunstwagen, „welcher in einer Stund 2660 Schritt geht, man kan stillhal ten, wanman wil,man kan fortfahren, wan man wil.und istdoch allesvon Uhrwerck ge- macht." Einen ähnlichen selbstsakrenden vierrädrigen Wagen konstruierte kurze Zeit nachher der Nürnberger Uhrmacher Stephan Farfler. Unter denjenigen, welche sich um die Lösung des Problems bemühten, befand sich auch ein Lausitzer, der Kauf- und Handelsmann Johann Samuel Christian Gollin in Budissin. Rach langen mit zäher Ausdauer angestellten Experimen ten glaubte er, mit seiner Erfindung an die Oeffentlichkeit treten zu können. Dies geschah genau hundert Jahre nach E .stehung des ältesten Nürnberger Kraftwagens. Am S. Mai 1749 richtete Gollin von Leipzig aus an den König- Kurfürsten das Gesuch, ihn auf fünf Jahre mit dem aus- schließenden Privileg zum alleinigen Bau des von ihm er- fundenen „Fuhrwerks ohne Pf«rde"zu begnaden. Er führte dabei aus, daß er „nach vieler Untersuch- und Erfahrung in der Mechanique endlich das Glück gehabt, ein» Maschine und Wagen herzustellen, auf welchem ebensoviel« Last, als nur auf einigem Fuhrwerke zu praetendiren, ver- möge eines Triebwerks und durch Beihülfe eines einzigen Mannes mit leichter Mühe ohne einiges Pferd oder andere Jncommodität auf allerlei Straßen, sowohl bei Übeln als gutem Wetter, ingleichen bergauf und bergab mit gleich gutem suoeos fortgebracht werden kan." Seine Erfindung wäre von ihm bereits hinlänglich erprobt und auch von an deren in der Mechanik Erfahrenen untersucht worden. Die selbe sei von Interesse für den Landesherrn wegen der be quemen Anfuhr aller Materialien insonderheit bei den kur fürstlichen Bergwerken, aber auch für Gewerbtreibende und Landwirte zufolge Ersparung von Pferden höchst nützlich. Seine Bitte um Erteilung des alleinigen Privilegs für Sachsen und dessen inkorporierte Lande entspränge dem billigen Verlangen nach „einiger Vergeltung seiner seither angewendeten Mühe und Unkosten". Zum Schutz seiner Rechte erschiene es auch erwünscht, daß Nachahmungen mit namhafter Strafe (50 Talern) und Konfiskation geahndet würden. Nur durch ein derartiges Privileg würde es ihm ermöglicht werden, Kontrakte zur Lieferung solcher Fuhr werke „mit einigen sich gefundenen Liebhabern" abzuschlis- ßen, denn die Maschine könne, nachdem sie von jemand genau betrachtet worden, „leicht nachgemacht werden". Gleichzeitig bat Gollin um eine Abminderung des Zolles und der Akzise bei Heranschaffuna der Baumaterialien zur Errichtung seiner geplanten Werkstätten in Bautzen. „Vor diese hohe Königliche Gnade werde sofort ein Gestelle mit einer Caroffe nach dieser Invention mit allem nötigen Triebwerke in Euer Königlichen Majestät Stall zu liefern" bemüht sein . Der König-Kurfürst Friedrich August ll. zeigte für die Erfindung sichtliches Interesse. Schon Mitte Mat 1749 fand v.dem Dresdner Marstall eine anscheinend sehr gut aus gefallene Probe des Gollinschen Wagens statt. Dieselbe ergab, „daß sothanes Jnventum nicht nur practicable, mit hin dem Publico nutz- und brauchbar" sei. Deshalb ver fügte der Kurfürst am 16. Mai 1749 an seine geheimen Räte, er sei, um den Fortgang solchen gemeinnützigen Werks desto mehr zu befördern und dem Erfinder die wohl verdiente Vergeltung sicherzustellen, geneigt, demselben das priviiexium oum jure prokidomU auf fünf Jahre zu ertei len. Es solle sich letzteres jedoch nicht erstrecken auf andere, mit Gollins System keine Verwandtschaft habenden neuen Erfindungen von Wagen und Fuhrwerk. (Im ganzen deckte sich also jenes Privileg so ziemlich mit einem neuzeit lichen Patent.) Gollin solle eine Carosse mit allem erfordere lichen Triebwerk in den sächsischen Hofstall einliefern und zu deren Gebrauch die nötige „Eröffnung von seiner Wis senschaft" geben. Demgemäß möchten die Geheimräte das Privileg ausfertigen lassen und zu eigenhändiger Vollzieh ung ihm, dem Kurfürsten, einreichen. Am 7. Juli meldeten die Beauftragten die Fertigstellung der Privilegsurkunde, deren Vorlegung indessen erst am 23. Juli und der endgül tige Vollzug sogar erst am 6. August 1749 erfolgte, worauf der Kurfürst die Aushändigung des vorher noch durch An hängung des großen landesherrlichen Siegels zu bekräfti genden Pergaments an den Gesuchsteller verfügte und den selben während der bewilligten fünf Jahre zu schützen befahl. Es ist bedauerlich, daß das uns vorliegende Aktenstück nicht das Mindeste über die Antriebsart des Gollinschen Kunstwagens enthält. Man bleibt deshalb im Dunklen, ob das Gefährt ähnlich dem obenerwähnten Nürnberger Wagen mittels Gewichts- oder Federuhrwert oder durch ein Tret- beziehentlich Handhebelwerk fortbewegt wurde. Mag auch Gollins Konstruktion nicht die auf sie gesetzten Hoffnungen erfüllt haben und deshalb bald wieder der Vergessenheit an heimgefallen sein, so wird doch in der Geschichte der deut schen Technik die Erfindung jenes Bautzners als Vorläufer des modernen Kraftwagens immer genannt werden müssen. (Quelle: Hauptstaatsarchiv l_oc. 5622 „Das Johann Samuel Christian Gollin, Handelsmanne zu Budißin, auf sünff Iah, verliehene Privilegium Wer sein neu erfundene« Fnhrwerck ohne Pferde betr." 174S). Druck und Verlag oon Friedrich May G. m. b. H., verantwortlich für die Schriftleitung Me-x Fiedrrer, sämtlich in Bischofswerda.