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Die vergessene Stadt. Don Otto Flösset, Bautzen. Vergraben und vergessen ist das Städtchen, zwischen Bergen und Wäldern. Wären jüngst nicht böse Zungen ge kommen und hätten seinen Namen in alle Welt hinaus posaunt, man wüßte heute noch nicht viel darum. Den Schirgiswalhern liegt nicht viel daran, daß man viel We sens um ihr Nest macht, auch nicht, wenn dies in eitel guter Absicht geschieht. Das ist nicht ganz so uneigennützig, wie her Fremde denken mag. Die Schirgiswalder sind mit ihrem Vergessenwerden früher nämlich sehr gut gefahren. «Zweimal hat ihre Stadt die Geschichte ver gessen: Zu Wallensteins Zeiten und um Aspern herum. Damals kam die ganze Lausitz von Böhmen an Sachsen, ausgerechnet Schirgiswalde nicht. Und das andere Mal? So spielt nun die Geschichte: Weil unten in Tirol der Sand- xvirt auf Innsbruck marschierte, mußte der gute Kaiser Franz oben im böhmischen Krähwinkel Schirgiswalde dem sächsischen Lande abgeben. Aber merkwürdig, das Akten stück hierüber lag unauffindbar vergraben unter Folianten «in der königlichen Kanzlei in Dresden. Im Drange der Ge schäfte vergaß man, die Grenzsteine umzusetzen. Und also: Böhmen gehörte das Städtchen nickst mehr, Sachsen noch iricht. Die Schirgiswalder haben sich wohlweislich gehütet, sin Wien oder Dresden daran zu erinnern. Ihr Städt chen warRepublik. Was konnte es Schöneres geben! Mütterchen frohlockte, daß ihr Junge nicht mehr zum Mili tär brauchte, und Väterchen schmunzelte bei dem Gedanken, daß künftig kein Büttel mehr nack Steuern kommen würde. Wie wichtig mögen sich damals die Schirgiswalder Stadt- üäter vorgekommen sein! Ihre steifen Halskrausen standen «ihnen stolzer noch als sonst vom Leibe. Daß die freie Re publik gesuchter Unterschlupf für allerhand Leute wurde, denen anderswo im Reiche der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, war gewiß übel, zumal wenn man es so trieb wie der böhmische Wenzel mit seiner Lotte, Karasek und an dere zweifelhafte Individuen. Aber was wollte das sagen gegen die Annehmlichkeiten in solch freiem Staate, fern von Königs- und Kaiserthronen! Will man's glauben: Kaum mehr denn 100 Jahre erst ist's her, seit man die Stadt von Böhmen trennte. So ist es gekommen, daß sie bei ihrem Heiligen-Glauben blieb, ob ringsum alles auch zu Luthers Lehre sich bekannte. Eine gute Wegstunde ist es von dort ins Böhmische hinüber. Wenn alles in der Lausitz gern über die Grenze geht, die Schirgiswalder tun's mit Vor liebe. Vergessen und vergraben liegt die Stadt. Ob man von Böhmen kommt, ob aus dem Preußischen oder dem In neren des Landes, gleichgültig: Aus verschwiegenen Wald pfaden taucht man hervor, und drunten liegt die Stad!. Unter niederen Fenstern rauscht der Fluß vorbei, derselbe, der nachher des Reiches Hauptstadt grüßt. Müh len liegen daran. Rings in Lausitzer Tälern ragen Fabri ken auf, hier drang die neue Zeit noch kaum inalteMütz- len p o e s i e. An, Wehr vorüber geht morsch und müde der hölzerne Steg. Zweimal am Tage wird es lebendig im Städtchen: des Morgens und des Abends. Da tönt von nahen Dörfern her der Chor vielstimmiger Fabriksirenen herein. Dann zieht der Zug der Arbeiter durch die Straßen, Männer in groben Kitteln und Frauen in schlichtem Kopf tuch. Bald hat sich der Zug verlaufen, hierhin ins Tal, dorthin über den Berg. Und dann liegt die Stadt wieder vergessen zwischen Bergwaldfrieden. Ach — Stadt! Die Stadt liest keiner wobl ihr im Ge sicht. Erdbraun liegen die Gassen, schlendern an den kleinen Vorgärten vorüber, greifen mit schmalen Stegen über den Grälen in offene Höfe hinüber, zwängen sich schüchtern um engbrüstige Giebel, trollen sich die Berge l inan, ruhen ein. Weilchen aus tanncnbeschirmien Winkeln, besehen sich saubere Bauerngütchen und bummeln endlich in den Wald hinein. Buben in Helpant'nen klappern auf ihnen naher. Wagen mit Rindern bespannt fahren in breiten Spuren dahin. Und Heiligenbilder stehen daran; auf rohen; Stein hier das Kreuz von Golgatha mit golde nem Spruch darunter; in schlichtem Rahmen dort ein Mut- tergottesbild, an: rostigen Stab dabei das cw'ge Lämpchen rind ein dürrer K^anz, der leicht in: Winde schaukelt. Der Wanderer grüßt, wenn er voriibergebc. Der Fromme legt am heil'gen Feste duftende Grüße in den Schrein, Primeln und Aurikeln, Himmelsschlüssel und Vergißmeinnicht. Und liebreich lächelt die holdselige Jungfrau ihm zu . . . Kehren die Tage der Wallfahrt ins Land — drunten im Wendischen und drüben in Böhmen — dann ziehen feier liche Prozessionen durch die Stadt, voran geweihte Fahnen, der ernste Sang der Beter hinterdrein. Von hohem Platz schaut würdig das Gotteshaus hernieder. Die breite Treppe steigt über ungezählte Stufen zur offenen Kirchentür an, daraus der Orgel fromme Chöre tönen. Von Türmen kün det Glockenklang die Feierstunde. Der Priester kniet in pur purnem Gewand am Hochaltar, und Ministranten schwin gen Weihrauchkessel. Am Allerseelen geht ein frommes Wunder durch den Gottesgarten, da blühen viel hundert abendliche Lichter auf. Da geht ein Leuchten auch dort um die Bischofsgräber, in deren Stein Mitra und Hirtenstab gehauen sind. Schief hängt der Markt im Städtchen, erdig, oe- huckelt und gebuckelt. Das Wasser geht in eigenwilligen Rillen seinen Weg. Dock vor dem Schmerzensmann auf hohem Postament inmitten weichts ehrsüchtig zur Seite. Gar lange ist es noch nicht her, da war er Tummelplatz der Säuen von dem Niederhof. Da zogen schnatternde Gänse reihen drüberher zum Teich, der um die Ecke vor des Amt manns Hause lag. Vom Niederhof blieb nichts mehr. Da hat der Oberhof ein längeres Leben! Er hat sich seiner steinernen Haut seit Tage aber auch gewehrt. Wie er still friedlich ob der Kirche liegt, will man es nimmer glauben, daß ereinsttrutzigeBurgmitWall und Gra ben war. Böhmische Edle saßen darauf, streitbare Recken mit Hurter Faust und unbeugsamem Nacken. Da waren die L den, die kampflustigen Herren von Hohenstein und Sckluckenau, die si ) ihr Leblang schlugen, bald mit den Bischöfen von Meißen, mit Sachsens Herzögen und mit dem österreichischen Adel. Den Pfasten war die Kriegslust der Ritter ein Dorn im Auge. Darum wußte ihrer einer des Burgherrn Feinde zu bewegen, daß sie sein Schloß in Trüm mer brächen, derweil er selbst im Kampfe weilte. Doch hat's das Pfäfflein bitter büßen müssen. Jetzt freilich sind die Fehden ausgestritten, und aus dem recken Ritterhofe ward ein stiller Bischofssitz. Der Brunnen plaudert ab und zu wohl noch aus kriegeri schen Zeiten, doch durch die Kronen mächt'ger Bäume im alten Park geht frommes, ernstes Raunen. Ilm pflanzten Meißens Bischöfe. Von Bautzens Domstift St. Peter kamen sie. Mancher beschloß hier seine Tage. In den schlichten Sälen drin spricht hier ein Bild und dort ein Kreuz noch in Erinnerung von ihnen. Noch immer aber kommt zur Som merszeit der Bischof her aus seiner Residenz in luftige Landeinsamkeit. Biedere Häuser umstehen den Mark», Häuser von länd licher Gestalt. Weit reicht das l ohe Dach herab, und lustig rinnt die Regentraufe in die Tonne. Lauben lausen an den Häusern hin. Aus ihrem Dunkel blinzeln Fenstervugcn. Mädchen gehen des Sonntags in bunten Kleidern daher. Burschen stehen dabei und schauen aus nach ihrem Grclck)en. Des Markttags halten Handelsweiber dran und haben Grünwarcn auf Tischen feil. Die Läden machen biedere Gesichter. Wo wär' in sol chem Städtchen Raun: für großstädtische Handelshäuser! Da ist die Steinbank vor der Tür — so zwischen kleinen Gärtchen. Der Krämer sitzt darauf, hemdärmelig und be haglich. Jahrhunderte sind drin im Hause eingenickt. Der Flur voll ^chummrigkeit in wuchtigen Gewölben, darin der Kramladen schlicht seine Waren breitet. Steinsließcn neistn durch die Tür zum Hof, die Schirgiswalder H a n - del s Höfe. Heut' wuchert Waldrebe in Winkeln üe Dachrinne von Holz, beschlagen mit Moos, und auf den Oberböden spannt Spinngewebe fick um morsche L Dm. Damals jedoch, als das Städtchen sein eigenes Ländchen war, da bogen sich die Dielen unter der Last der Speicher. Da hielten vielspännige Planenwogen vor den Türen. Sic brachten HDlesches Solz, Maid aus Thüringen, Dcrnfteul von der Ostsecküste. Schmugglergut nach Böh men hinüber! Es lag hier sicher. Leun weder Sach sens, noch Oesterreichs Zollwäcktcr wag!, n die Hoheitsrechte dieses Staates zu verletzen. Was hätte es sonst auch ge geben! Am Ende eine:: Feldzug Schirgiswalde gegen Oesterreich! Ergötzlich wäre cs gewesen, wie seinerzeit er götzlich olles wor. Damals war jeder Zehnte wohl in Schir giswalde Pascher von Beruf, lind keiner kam mit leeren