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In dem eingeschüchterten Bauern, der die einst so be rühmte Künstlerin seit Monaten in seiner elenden Hütte be herbergt und mit ihr die wenigen Dettelbissen getreulich teilt, regt sich Widerspruch und leise Erbitterung, „Die Bibel kommt nicht aus ihrer Hand, Herr-Pfarr', und mir, der nimmer das Lesen und Schreiben gelernt hat sie das Got teswort oorgelesen und gedeutet — E. ist keine Fröm mere —" „Halt er sein Maul, und widersprech er nicht einem Diener am Wort!"' donnert ihn jetzt der Geistliche an. „so ihr Blinden nicht merket, daß der Herr Unheil über Unheil ins Land schicket, weil das Unkraut hochgewachsen ist und Hosfahrt und Sünde herrschen, — wird euch nicht geholfen werden! Geh er doch zu den Fürsten und Großen der Erde, Möhle. Die haben das Komödiantenvolk groggezüch tet und Sünd und Schänd zu einem erlaubten Spiel ge macht. Mögen diese jetzo helfen, da das verrottet Weib am Boden lieget! — Uns aber, die wir mit der Versuchung Eatanas' wacker kämpfen, uns laß er aus! Ich versage kei nem Verbrecher die letzte Oelung: aber für eine geschminkte Komödiantin, eine gefährliche Sittenverderberin, entweih ich das heilige Sakrament nicht! Ich laß mich nicht vom Teufel versuchen!" In aufwallender Entrüstung schleudert er diese Worte dem Bäuerlein entgegen, wendet sich und schreitet stolz in seine warme Studierstube. — Schon will Möhle bescheiden die Pforte ins SLioß drücken, da öffnet sich vorsichtig die Küchentür zur Linken. Die gutmütige Pfarrersgattin schleicht auf Zehenspitzen her bei und reicht ihm ein Körbchen. „Hier, Mann, nehm' er dies und bring er's der Madame Neuberin. Auch der sün digen Kreatur beißt der Hunger im Magen. Sag er dem kranken Frauenzimmer, daß ich fleißig für sein Seelenheil zu unferm Herrn Jesu beten will. Er soll ihr den Eintritt ms ewige Leben gesegnen wie uns allen, die wir Sünder im schwachen Fleische sind." Hastig winkt sie ihm zu und schließt den Zugängen ihrem Hause. Möhles zitternde Hand packt die Gabe. Ihm selbst wühlt der Hunger in den Eingeweidsn, und plötzliche Eier schüt telt ihn. Jedoch mit einer Kopsbewegung wehrt er der Ver suchung. — Erst das Weibsbild, das so arg leidet und einst so groß' Glanz und Glück gekannt! Er ist ja schon an das Elend gewöhnt in all den Leidensjahren. Er hält's schon noch aus. — Langsam wendet er sich. Horcht. Eine lang gezogene Salve dröhnt vergrollend in der Ferne, während ein wahrer Wirbelsturm tobt. — Menschen und Himmel gleichzeitig! — Noch harrt er an der Mauer, da tritt plötz lich Stille ein. Am Nachthimmel rasen die Wolken. Ballen sich. Ziehen fluchtartig weiter. Sterne schimmern zwischen schwarzgrauen Fetzen. Und während er im Kampfe da oben feiner Hütte zutrabt, zerreißen die Schleier immer mehr, in vollem Glanze tritt der Mond hervor und erhellt die ganze Gegend. — Der Zugang in den einzigen Raum des verfal lenen winzigen Bauwerks ist unverschlossen. Bei ihm gibt es nichts mehr zu stehlen! Sein blinder alter Hund blnstt einige Male freudig auf. Die beiden Katzen schnurren. Ihre grünen Augen funkeln in dem Dä.nmerdunkel, aber alle drei verlassen ihre Stätten nicht. Bor dem kleinen Fenster steht das wacklige Bett. Auf dem Strohschütt dort ruht die Kranke in ein paar Decken gehüllt. An ihren im Fieber bald glühenden, bald im Frost klap pernden Leib schmiegen sich die drei treuen Tiere. Der Atem geht rasselnd. Die Luft fehlt der Armen häufig, und die niedrige Decke vermehrt ihre Beklemmungen, ihre Angst. Drum hat er sie mit Mühe an den besten Platz geschoben und tritt jetzt zu ihr. Voll beleuchtet vom Mondlicht liegt sie da und starrt unverwandt in den silbrigen Glanz. Er lüf tet den Korbdeckel und nimmt erfreut ein Gefäß mit Suppe und ein Stück schwarzes Drot heraus. Sorglich führt er den Topf an ihre Lippen: „Trink sie, Frau. Trink sie. Das schickt ihr die Pfarr'sche. Es tut gut!" Als er ihren Bl'ck auffängt, fügt er hinzu: „Ich bin's, der — Georg Möhle!" Ihre abgezehrte Hand zuckt auf der Decke: „Gut, daß bu kommst, Johann. Der Heydrich hat's nicht glauben wol len, daß wir rechtmäßig im Dom zu Braunschweig sind »usammengegeben worden. Er wiegelt die Truppe auf nut feiner bösen Nachred gegen dich und mich! — Wir — wir haben doch jetzt das Privileg: ja, königlich großbritannische und kurfürstliche Hoskoniödianten sind wir! — Frag er doch di» Loren» und die Gründlers und . . ia . . den Denner. — Nein, die Frauenzimmer dürfen keine Liebschaften haltens Ich jag sie fort, ich. . .die Direktorin! Sie sollen ihre Rok len lernen und ihre Kostüme nähen und den Mannsleuten die Strümpfe stopfen und kochen . . und die kleinen . . Kinderlein . . . Nein, Neuber, nein, unsere Truppe . . , kein Freudenhaus! — Zucht mußt du halten, Zucht!" „Trink sie, Madame Neuberin, trink sie, die Suppe ist gut, wenn sie auch kalt ist," ermuntert er und flößt ihr ein paar Schluck ein, die sie willenlos nimmt. — „Ach, welch güldener Pokal, mein Kato! . . . Nicht Professor, nein, nein Nie mehr Hanswurst, wie roh! Wir brauchen Sitte, An stand ! Brauchen regelmäßige Dramen! . . . Ihr Wunsch, Euer Gräfliche Erlaucht. . . Brühl. . . submissest zu Huber tusburg im Schlosse . . zu Diensten ... Oh gnadenvolle Majestät, mein Herr und König Friedrich August, . . . der große Reifrock... der große doch, Neuber! ... Ich bin eine Königin . . . vernimm, mein edel Volk, mein tapfer großes Heer. . . ich . . . deine Königin . . ." Der schnarrende tote Ton der Stimme, die Unterbre chungen, wenn die pfeifende Lunge versagt, daß elende La ger stehen in scharfem Gegensätze ,ru den Deklamationen aus den Dramen, in denen sie ei: n -brr Triumphe gefeiert. Bald bestürmt sie den Grafen Essex in wilder Erregung, bald, was noch riet schauerlicher, rezitiert sie schelmisch, kosend Teile rus Gei-.ens „Betschwestern" oder Sätze aus dem von ihr selbst verfaßten Lersiuslspiel: „Das Schäferfest od.r die Hcrbstfreude". — Und in dem hageren, verfallenen Ant litz leuchten die Augen, glühen die Wangen, und die edlen Züge verraten, vom silbernen Schein überflutet, die einstige Schönheit so übermächtig, daß der alte Bauer zurückfchreckt: „Teufclssvuk," murmelt er, legt einen kalten nassen Lappen aus die heiße Stirn und ruft heftig: „Denk sie an Gott, Frau, an ihr Seelenheil! Ihre letzte Stunde ist vielleicht nahe. Bete sie lieber, und vergeß sie das Sündenwerk!" Die Sterbende richtet sich jäh empor, stiert ihn über rascht an und sagt endlich hohl: „Gott ist in der Kunst, Neu ber! ... Ich hab's immer vermeinet —" Sie hebt die Anne zum Mond jenseits der Bäume und spricht langsam mit sicht licher Erregung: „Wenn dieser Geist gestärkt, dereinst dein Licht verträgt, und sich des Schicksals Buch vor Augen legt. Wenn du der Taten Grund uns würdigest zu lehren, dann werden alle dich, oh Vater, reckst verehren . . .Die Zeiten sind schlechte! . . . Keine Kasse . . . der Krieg . . . Ich will Lessing am Sonntag spielen lassen! Geb er uns gnädigst die Feiertage und die Sonntage frei, Herr Gras, dann ist . . . meine . . .Komödie geret. . . tet . . . Dank, Euer . . . Erlau . . ." Weiter kommt die größte Schauspielerin ihrer Zeit nicht. Ein ächzendes Gurgeln ... sie sinkt zurück und hat ausgelitten. — Der alte Bauer hat kopfschüttelnd gelauscht. Zum ersten Male, seit er die Neuberin bei sich hat, verspürt er ein Grauen vor ihr. Zum ersten Male in ihrem Fieber wahn hat sie ihm offenbart, daß sie doch noch an andere Dinge dachte als an die Bibel und ihr gegenwärtiges Leid. — Er grübelte über des Pfarrers Worte, als er ihr die Augen zudrückt. Ob er nicht doch vielleicht recht hat, der studierte Herr? Aber . . . das tote Weibsbild war doch eins lebendige Menschenkreatur gewesen wie er!? Und sein treuer Hund und die Katzen wollen nicht fort von dem er kaltenden Körper. Die Tiere sind doch klug und fühlen, daß die Neuberin . . . vielleicht doch ein gut christlich Frauen zimmer war, obgleich sie eine Komödiantin!? Am Morgen geht Möhle wieder zum Pfarrer. Jedoch der geistliche Herr bleibt unerbittlich. Er verweigert „der ortsfremden Leiche der Schauspielerin" das christliche Be gräbnis, den Totengräber und das kirchliche Grobgeläut! -- So holt der Alte vom andern Ende von Laubegast den Sohn, die Schwiegertochter nnd andere Verwandte herbei. Gemeinsam betten sie die Tote in den ungehobelten Bret tersarg und karren ihn zum Goitesackr-N' Und da sie den großen Eingang nicht benutzen dürfen, heben sie den klap pernden Sarg über die Hintere Kirchhossmauer und scharren ihn mühselig in die halbgefrorene Erde ein. — Dann schlei chen sie hungrig und fröstelnd heimwärts. Wieder tost der Herbststurm, und über den niedrigen Hügel einer der größten und berühmtesten Frauen ihrer Zeit trägt der naßkalte Novemberwind den dumpfen Schall preußischer und österreichischer Geschütze.