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vnd würzig-satter Wiesen, in den herben Dust brauenden Herbftnebelr oder in di« frische Kühle eine« sonnenklaren Wsntertage» - - - Die Fron der täglichen Arbeit ober hielt sie an di« dumpfe Werkstätte gebannt. Die Gewohnheit auch klammerte sich mit ihren greulichen Spinnenfingern an diese Menschen, die schweren Trittes und müden Herzens tagaus, tagein durch die nüchternen, baumlosen Straßenzüge in der Tief« -wischen den öden Mietskasernen dahintrotteten und kaum einmal auf-usehen wagten -u den kargen Zipfelchen blauen Himmels hoch droben über den steilen, eintönigen Dächern. Und doch ließ der Strom nicht nach, der sich -u jeder Stund« durch die Eingangspforten der prunkvollen Bahnhofshallen -wischen die traurigfahlen Mauern der un förmigen Steinriesen ergoß. Unersättlich erschien das Unge heuer Grostadt. Bon allen Seiten sog es Menschen, neue Opfer, neue Sklaven in sich auf. Mit Tausenden Hoffnungen, die sie im glänzenden Spie gel maßloser Eitelkeit und geschickter Heuchelei dieses moder nen Molochs in allen Wunderfarben strahlen sahen, kamen sie herbei. Zahllose Gestrandete, die die Brandung des Lebensmeeres hier auswarf; zahllose brave und tüchtige Leute aber auch, die gewissenlose Verführung oder verderb liche Verblendung auf diesen Weg der Enttäuschung und des Unglücks gewiesen haben mochten. Wie die armen bunten und lichttrunkenen Falter, wie di« schlichten grauen Motten sich zu nächtlicher Stunde in den Strahlenkreis der funkeln den Bogenlampe zu drängen pflegen, um immer wieder vergeblich zu versuchen, das Ziel ihrer Sehnsucht, das flim mernde büßende Licht zu erreichen, das da inmitten der schimmernden lockenden Gaskugel in trügerischer Schönheit und Klarheit flammt — so geht es diesen Geschöpfen. Fal ter und Motte fallen gar bald ennattet vom vergeblichen Kampf, die Flügel versengt von der Hiße der verführerischen Glasglocke, zu Boden und werden dort achtlos zertreten, zer malmt, zerquetscht. Keiner fragt nach ihnen; niemand hört ihre Klage. Das Leben braust darüber hin, und wenn die Sonne weit drüben hinter den blauen Bergen ihrer Heimat im linden Kuß erster Strahlen die leise rauschenden Wipfel -er alten trauten Bäume rötet, dann geht es an das große Sterben, «infam, unbekannt, verlassen, vergessen und ver dorben . . . Wer weiß wo . . .? Wer weiß wann . . .? Im fernen Heimatdorf blühen die Rosen und läuten die Glocken wie einst. Auf den Feldern reift die Frucht, die viel leicht die eigne Hand noch in die Scholle gesenkt haben mag. Andere Menschen essen nun sein Brot. Fremde Hausen iy den traulichen Räumen, die Vater und Mutter, Ahne und Urahn einmal eingerichtet haben, um ihren Kindern, ihren Nachkomemn einen sick>sren Herd zu bauen. Die Großstadt aber lächelt kalt und herzlos. Soll sie Mitleid haben mit diesen armen, zermürbten Äelen, mit die sen angsterfüllten, todcsmatten Herzen . . .? — Sie weist auf jene „Kinder des Glücks" hin: Schaut da, die schön« Frau im rasend vorbeisausenden Auto — sie hat ihr Glück ge macht —, vor einigen Jahren noch irgendwo die kleine Toch ter eines bescheidenen Landpächters — heute die — nun — die vielbewunderte „Freundin" eines bekannten Großban kiers. Dort, seht den vornehmen stattlichen Herrn, der im eleganten Fuhrwerk, Kutscher und Diener auf dem Bock, zum Pferderennen fährt — wie lang« ist es her, seit er einen klei nen Laden irgendwo in einem bescheidenen Landstädtchen innehatte — heute ein bekannter Warcnhausgewaltiaer ... Und hier wieder, meine Freunde, —' der Börsenkönig, der durch günstige Spekulationen reich geworden ist — der sich alles leisten kann, vor dem sich alle tief verbeugen, und dort: die oielumschwärmte, preisgekrönte Filmschönheit, deren Wiege auch einmal — sie macht kein Geheimnis daraus — irgendwo in einer armseliger Häuslerkate gestanden hat. Und weiter — hier und dort — und dort — Geld, Ansehen, Macht ... Die Großstadt gibt mit vollen Händen! — Nur Glück muh man haben! — Die andern — ja die vielen andern . . . So is: «u m dar Leben: die einen steigen— die andern sinken . . . Wer kann das ändern? Die Großstadt lächelt, und mit eben diesem strahlenden Lächeln empfängt sie im mer neue und aber neue Scharen gutgläubiger Opfer. Nur der Kenner sieht, daß ihr Lächeln eine häßliche Grimasse ist. Die Schmink- und Puderschicht auf dieser schönen Fräße ist dünn — darunter grinst bleich und hohl — ein Todenschädel. Die immer dichter sich bevölkernden Friedhöfe draußen wissen davon zu erzählen, wenn um Mitternacht die Frei- ftunde der ruhelosen Geister schlägt. Da hebt sich manche Faust drohend hervor, da krallt sich manche Hand in ohn mächtigem Weh -ufamnren, mancher Fluch dringt au» der Tiefe empor. Verdorben und gestorben . . . Die Großstadt aber liegt gleisnerisch schimmernd drüben und wiegt sich lüstern im Scheine ihrer tausend Lampen. Selbst bis hierher dringt noch das dumpfe Dröhnen und Brausen ihres ewig hastenden, buhlerischen Lebens. Niemand aber hört die Weheschreie ihrer Opfer. Leben..! Leben..! Leben..! gellt es rings im Thore« Laßt doch die Toten . . . Musik klingt auf — Tanz flirrt durch die Säle —, roll« Becher werden hochgeschwungen —, K. -'h> ' rn —, Karlen stiegen. Leben — leben — leben. . . .! Reisekosten vor hundert Jahren und heute. Willst du er glauben, lieber Leser, daß du im Sommer 1822, also heute vor einhundert Jahren, sofern du damals '' schon gelebt hättest, billiger in und durch Deutschland reisen konntest, als heute? Trotzdem wir noch keine Eisenbahn hat ten, und trotzdem damals manch« Reise soviel Tage dauerte, wie heute Stunden? Kannst du das für möglich halten? Laß es dir an einigen Zahlenzusammenstellungen beweisen. Vor mir liegt im Original von anno dazumal, so schreibt ein Leser dem „Tag", ein „Verzeichnis der Postcourse", wie solche im Jahre 1822 vorhanden sind. In diesem Verzeich nis findet man nur die bedeutendsten Kurse der fahrenden und reitenden Posten enthalten, da eine vollständig» Angabe aller fahrenden, reitenden Kariol- und Boten-Posten einen starken Band gefüllt hätten, dessen Herstellung zu kostspie lig und daher für di« damals höchst sparsam wirtschaftende Postoerwo'-tung nicht lohnend genug war. Wie stellten sich nun damals die Fahrpreise in der gemütiichen, vom blasen den Schwager Postillon geführten Postkutsche im Vergleich zu unfern heutigen Eisenbahnfahrpreisen? Nur an weni gen Beispielen von besonders lebhaft befahrenen Poststrecken sei das nachgewiesen. Eine Postfahrt von Berlin nach Dres- den, die jeden Dienstag und Sonnabend von hier um 11 Nhr begann und am darauffolgendem Montag be,zw. Donners tag vorm. oder nachm. am Bestimmungsort endete, sge- nme Stundenanqaben der Ankunft kannte man nicht in den damaligen amtlichen Postkursen) kostete 5 Rthlr. IG, Gr., ' oder nach heutigem Geld« 16.65 M. Der beutige Eisendahn sahrpreis nach Dresden beträgt in der 4. Klasse 56 Mk, also das 3'4fache, in der 3. Maste 81 M., das ist fast das fünf fache und in der 2. Mast« 135 M., das ist achtmal so teuer, als der Posttarif vor hundert Jahren. Aist der Strecke von Berlin nach Breslau kostete die mit der Post zurückgel-gte Reise von 44A Meilen 11 Rthlr. 4ss> Gr. oder 33,45 M. Heutiger Eisenbahnfahrpreis dagegen: 4. Kl. 102 M„ fast das dreifache, 3. Kl. 149 M„ das 4i: sacke und 2. Klasse 247 Mark, also mehr als das siebenfache. Und endlich: Berlin- Hamburg. Im Jahre 1822 konnte man täglich außer Frei tags vorm. um 9 Uhr hier abfabren und langte fürst Tage später wolstbehalten am Elbstrand an, nackdem man in ge mächlicher Ruhe 39 Mellen zurückgelcgt hatte. Für dieses idyllische Vergnüaen bezahlte man 9 Rthlr. 16 Gr., oder in Marklvährung 28 60. .Heute zahlt man für eine Bahnfahrt Berlin-Hamburg in der 4. Klasse 88 .il. das ist das Dreifache, in der 3. Klasse'132 also mehr als das 4' Hache, und in der 2. Klasse 217 M., das bedeutet genau 7h.. mol soviel, wie vor hundert Jahren noch dem Posttorif. Aber auch lvenn di« Eisenbahnbchürde dem reisenden Publikum eine beion- der« Freud« bereiten will, bleibt sie doch weit von den glück lichen Zcitoerbältnissen um 1822 zurück. Hierfür noch ein Beispiel. Eine Fahrt nach Königsberg in Preußen kostete in diesem Jahre im Sonderzug hin und zurück 412 M. Di« Fahrt mit der Post, wobei etwas über 92 Meilen zurück«» legt wurden, mußte von Berlin bis Königsberg mit 32 Rthlr. 1^ Er., d. h. 69.15 M. für die einfache Reise, hin und zurück also mit 138,30 M., also mit dem dreifachen Preise bezahlt werden. Wer hätte das bei der Einführung der Eisenbahn gedacht, wer hätte es für möglich gehalten, daß wir in Rei^- angelerenheiten noch einmal um hundert Jahr« zurückgeh« würden Da möchte man fast dem Dichter Christian Fried rich Scher» uderg, der 1881 hochbetagt in Zehlendorf sttnb.