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Mrsere Lsennat H onnlcrgs - Keitage zürn KüchstschenLrzäyver Aittelgusts Är na. Aus „Luginsland", Sammlung Oberlausitzer Dorfgeschichten, von Wilhelm v. Polen;. (Nachdruck verboten.) Der Weber Zittel wohnte in dem belebtesten Teile des Dorfes, dort, wo von altersher Kirche, Pfarrhaus und Schule standen, und wo sich neuerdings neben dem Bahnhof eine Fabrik aufgctan hat. Das kleine Häuschen, welches er bewohnte, gehörte nicht ihm; er hielt Stube und Kammer nur als Mieter inne. Viel Platz brauchte er ja auch nicht da er Witwer war und nur ein einziges Kind besaß: die zwölfjährige Anna. Ehemals war die Familie freilich stär ker gewesen. Im Laufe ein und desselben Jahres waren dem Manne die Frau und zwei blühende Kinder weggestor ben, ihn mit dem jüngstgeborenen kränklichen Mädchen allein lassend. Die Gesunden waren gegangen und die Schwächlichen zurückgeblieben. Zittelgust stammte aus einer Familie, die seit ungezähl ten Generationen sich den Lebensunterhalt durch Hand weberei verdiente. Er war ein langer, hagerer Mann mit schmaler Brust, völlig bartlos, die hohe Stirn über den tief liegenden Augen, fetzte sich in eine glänzende Platte fort. Nur im Genick hing ihm von einem Ohr zum anderen ein schmaler ausgefranster Kragen dunklen Haares als letzter Rest ehemaliger Pracht. Der Kopf glich dem eines Gelehr ten; aber es war Entbehrung, schlechte Ernährung, Stuben lust, nicht geistige Arbeit, was diesem Gesicht den Stempel der Vergeistigung aufgedrückt hatte. Man mußte den Mann gehen sehen: die Schullern zu- sammsngezogen, den Kopf geduckt, die Knie gekrümmt, und man verstand, daß er Armut, Elend und Unverstand ver gangener Geschlechter an seinem erschlafften, ausgemergel ten, knochenschwachen und bleichsüchtigen Leibe abbüßte. Zittelgust war als echter Weber abgesagter Feind der frischen Lust. Der muffige Dunstkreis der niederen Holz stube, in der vom frühen Morgen an gegessen, gekocht, ge wirkt, getrieben und gespult wurde, bedeutete ihm altge wohntes und geliebtes Lebenselement. Wie etwas Kost bares, ja Geheiligtes, wurde diese Lust gehütet; Tür und Fenster, durch die sie hätte entweichen können, blieben Som mer und Winter hindurch sorgfältig verschlossen. Man ging den ganzen Tag in Hemdsärmeln, barfuß oder in Holzpantoffeln einher. Stiefel, Rock und Kopfbe deckung wurden eigentlich nur zum Kirchgang angelegt. Selbst zum Nachbar über die Straße sprang man in dieser unvollkommenen Bekleidung, wenn nicht vorgezogen wurde, das Schiebefenster zu öffnen, das nur so groß war, den Kopf hinauszustecken, um auf diese Weise Neugier und Katsch sucht zu befriedigen und den Bedarf an wissenswerten Er eignissen und Nachrichten einzuziehen. Der Webersmann war glücklich und zufrieden bei dieser Art Leben. Den Tod seiner Frau und der beiden Kinder hatte er längst verschmerzt. Zittelgust war Philosoph. Sie hatten eben etwas zeitiger dran glauben müssen, tröstete er sich. Um die Frau grämte er sich noch am meisten; sie fehlte ihm besonders anfangs sehr empfindlich im Aruswesen Die beiden Kinder aber vermißte er kaum. Sie hatten ihm mehr Not und Sorge gemacht als Freude. Für den Armen fällt es eben schwer ins Gewicht, wieviel Menschen an sei nem Tisch niedersitzen. Jetzt, wo die Familie klein war, ließ sie sich auch billiger ernähren. Er hatte in den letzten Jah ren sogar anfangen können, von seinem Weberverbienft zu rückzulegen, woran vordem nicht zu denken gewesen. Anna, sein einziges überlebendes Kind, machte ihm we nig Not. Sie war ein kleines, blosses, schmales Ding, der Körper in der Entwicklung stark zurückgeblieben, während das Gesicht mit seinen ausgearbeiteten Zügen den Eindruck der Frühreife hervorrief. Aus großen^ verständigen Augen blickte die Zwölfjährige in die Well, maß kvftisch alle Erschei nungen, die in ihren Gesichtskreis traten, nut ihrem alb klugen Kinderurteil. Ihr schmaler Mund verzog sich leichter zu einem spöttischen Lächeln, als daß er ein fröhliches Ge lächter oder Schreien hätte hören lassen. Denn dieses junge Geschöpf, das mm die Schulbank kannte, hatte doch eia fer tiges Weltbild im Kopfe, war ein kleiner selbstbewußter, spröder, scharf beobachtender und scharf urteilender Mensch. Jung wie sie war, hatte Anna schon mancherlei durch gemacht. Sie war das Sorgenkind der Mutter gewesen, von ihr verwöhnt und verhätschell, von den älteren Ge schwistern eher scheel als freurüllich angesehen und gelegent lich geneckt und gequält. Dann mit einem Male durch tser Mutter Tod verwaist und als einziges Kind eine viel wich tigere Person als vordem. - Sehr bald wurde sich Anna ihrer besonderen Stellung bewußt. Schon im zarten Alter übersah sie ihren Bahrt. Der Witwer war ängstlich von Natur, raüos, zaghaft wch in allem, was nicht sein Gewerbe betraf, unbeholfen. Er bedurfte der AbwartuW und Fürsorge, war gewöbnt. dtzß ihm jemand das Essen zvbereite, sich um seine Kleidung kümmere, alles, was nötig, Herbetschaffe und bedenke, wäh rend er vom frühen Morgen bis in die sinkende Nchht am Webstuhl saß und wirkte. Die kleine Anna nahm nach und nach die Führung Hauswesens an sich. Große Kochkünste waren eben ntcht nötig. Frühmorgens Haferschleim, mittags Kartoffeln und r Heringstunke, im besten Falle gab es mch Speck dazu ode" s Schmalz; die übrigen Mahlzeiten wurden mit Butterschntt- i ten und Kaffee bestritten. ! Früh, ehe Anna zur Schule ging, setzte sie das Men ' an, schärfte dabei dem Vater ein, daß er gelegentllch yoch- : lege und den Topf rücke. Wenn sie wiederkom, füllte sie i dann die Speise um in die große runde Schliffs aus der j sie tagaus, tagein gemeinsam aßen. D«r trüben und Herz-