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L. SeldiLlt z» «»»»er 260 Der Lüchsjsch" Erzäd'or. Gonntag de» 6 Rovr«der»8S1 A«» dem Gerichtssaal * Schwurgericht Bautzen. Wegen gewerbsmäßiger Lohnabtreiberei wurde gegen den Maschinenschlosser Rob. Paul Scheibe ckbs Bautzen, ferner Hegen die Fabrikarbe»- tersehefrau Anna Marie Leinertverw. gew. Nölte geb. Rösick aus Seidau, gegen die Schmtedsehefrau Ida Martha Tßige geb. Krahl, die Drahtziehersehefrau Martha Elis«' deth Tröger geb. Lehmann aus Bautzen wegen Abtrei' bung der eigenen Leibesfrucht, gegen den Schlosser Gustav Herrn. Sieben h-a ar» den Schmied Emil Hermann Teige, den Kupferwerksarbeiter Max Georg Müller und den Drahtzieher Ernst Walter Tröger, sämtlich aus Bautzen, wegen Beihilfe bezw. Anstiftung verhandelt. Es wurden verurteilt: Scheibe zu 3 Jahren Zuchthaus, die Trö ger wegen vollendeter Abtreibung zu 6 Monaten Gefäng nis, die 'Leinert und die Teige zu je 7 Wochen wegen ver suchter Abtreibung, Tröger zu 7 Wochen Gefängnis, Sie- benhaar und Teige zu je 3 Wochen Gefängnis. Müller wurde frrigesprochen. Die Geschworenen haben für alle Verurteilten, mit Ausnahme Scheibes, ein Gnadengesuch eingereicht. » ». > -» - , d r ! , — Vor dem Ende des Berliner Kellnerstreiks. Im Reichsarbeitsministerium wurde gestern zwischen Arbeit gebern und-Arbeitnehmern des Berliner Gastwivtsgewerbes verhandelt. Es wurde vereinbart, den Streit einem Schieds gericht zu unterbreiten. Das Schiedsgericht soll beute nach, mittag in einer neuerlichen Zusammenkunft der beiden Parteien eingesetzt werden. Aus dem bisherigen Stande der Verhandlungen entnehmen die Blätter die Hoffnung, daß der seit 6 Wochen bestehende Streik in Kürze sein Ende erreichen werde. — Diebstahl einer Verlenhalskette. Aus dem Geld- schrank der Prinzessin Friedrich von Sachsen-Meiningen haben Diebe eine wertvolle Perlenhalskette der Prinzessin gestohlen, deren Wert auf über eine Million geschätzt wird. — Papiergeld von Mäuftn zerfressen. In einer Mühle bei Hirschfeld haben Mäuse für 85 000 -4t Papiergeld zer fressen, und zwar derart, daß fast sämtliche Nummern ver nichtet sind und nur sehr wenige von den Scheinen noch ein gelöst werden konnten. — Tod in den Flammen. In Bernterode bei Worbis brannte das Gehöft des Kleinbauern Ignaz Höch nieder. Das Feuer verbreitete sich so rasend schnell, daß ein sechs jähriger Knabe nicht gerettet werden konnte. * Humor und Satire. Der Alleinherrscher. Ein schwedisches Blatt erzählt fol gende Schulanekdote: In der Geschichtsstunde, die die Allein herrschaft Karls xil. behandelt, wurde ein kleines Mädchen gefragt, was man unter dem Begriff „Alleinherrschaft" ver stehe. Die Antwort des Mädchens lautete: „Einen Mann, der keine Frau hat." Sport. Am kommenden Sonntag steht die 1. Jugend de» Sportvereins Bischofswerda 08 der 1. Äugenbelf des Verein» für Bewegungsspiele Kamenz gegenüber. Die 2. Igd. wellt in Bretnig und stellt sich dort der 1. Jugendelf des Fuß- ballklubs „Sturm" entgegen. Vie Verbandsspiele der Jugend Mannschaften des S.-B. B. 08 sind beendet^ Beide Jugenden, die 1. mtt 8 Punkten, die 2. mit 5 Punnen, stehen an erster Stelle der Punkt- tabelle. Wünschen , wir der Jugendabteilung für die Zu- kunft ein reges Wthetz und Gedeihen. Sonntagsdienst ln der Aahnpraxts: Dentist Fischer, Bismarckstr. Nr. 3, II, vorm. 9—12 Uhr, Kirchliche Nachrichten. Frankenthal. 2 4. Sonntag nach Trin. Vorm. 8 Uhr: Frühkommunion. Bonn. 9 Uhr: Predigtgottesdienst. — Donnerstag, abends I/O Uhr: Frauenverein im Erbgericht. Wilthen. Am 24. Sontztäg nach Trinitatis früh >sH8 Uhr deutsche Abendmahlsfeier, 4/„9 Uhr deutscher Gottes- dienst, r/M Uhr Kindergottesdienst. Die Arzte sagen «k. Degen die Unpäß' chk>t', die sich n ch Denuß von Obs» sau er Milch und anderen spez aminen d», see-iyrn Jah.bzil kinsieUen.hi J'eks Elch.ln aizkokoogui. 100 g 4 S5 M iv-ikauust.lle: Droge>ie.Ih». ü rtneck, Drmtz-Touiwtz u Schmölln. Kein HüjukA. Skizze von Margarete Böhme. Es geschieht selten, daß jemand einen der traurigsten Tage seines Lebens zugleich als einen seiner glücklichsten be zeichnen kann. Kätchen Lindmoos konnte es, denn an dem schweren Tag, an dem das Häuschen ihrer kürzlich verstorbe nen Eltern, in Lenen sie ihre frohe, sorgenlose Kindheit ver lebte, in fremde Häirde überging, fragte ihr geliebter Jugend freund Jens Paulsen Kätchen, ob sie seine Frau werden wollte. Wie anders sahen da plötzlich alle Dinge aus! Als ob die Sonne unversehens durch Gewitterwolken bricht, die drohenden Wolken sachte beiseite schiebt, und die lickte, blaue Himmelsseide wie eine Festfahne heraushängt. Daß fie beide über keine Reichtümer verfügten, wollte damals wenig besagen. Es war im Mai 1914. Beide waren noch jung und konnten warten, Kätchen wollte ihren guten Platz als Hausmädchen in Berlin vorläufig behalten, und Jens gedachte unterdessen in seiner Stellung bei Friedrich Voß und Söhne ein wenig weiter vorzurücken. Kätchen freute sich, daß sie den Hausrat ihrer Eltern, die gepflegten Mahagonimöbel, die guten Betten, das schöne Leinen, Mut ters Stolz, noch behalten hatte. So war die Ausstattung schon vorhanden. Der neue Hausbesitzer erlaubte, daß alles bis zum Gebrauch auf dem Boden verwahrt wurde. Kätchen diente schow-vier Jahre bei einer Herrschaft, die Len Wert des fleißigen, bescheidenen Mädchens zu schätzen wußte. Wie leicht arbeitete es sich von da an mit der Aus sicht auf die glückliche Zukunft, auf das kleine, sonnige Heim, in das Jens sie eines Tages führen würde! ... Aber dann dunkelte der schicksalsschwere Tag herauf, der Deutschlands Söhne unter die Waffen rief. Jens mußte mit den ersten hinaus, und erst nach zwei harten Jahren in russischen und westlichen Schützengräben kam er zu einem vierzehntägigen Urlaub nach Berlin. Jens starld ebenso wie Kätchen ganz allein in der Welt. Und da ffie sich nun doch für alle Zeit einander zugehörig fühlten, meinte Jens, es sei schon besser, sie ließen sich kriegstrauen. So war ihr Bündnis auch nach außen hin unlösbar veran kert. Kätchens Herrschaft richtete dem Paar das Hochzeits mahl aus. Ein paar glückliche Tage verlebten sie draußen in einem Dorfe vor den Toren Berlins, dann schlug auch schon wieder die Abschiedsstunde. Das Leben ging wieder im alten Geleise, nur daß aus Kätchen Lindmoos eine junge Frau Paulsen geworden war. Im Herbst war die Trauung gewesen, Weihnachten fuhr Kätchen in ihre Heimatstadt, um nach ihren Schätzen zu sehen und sich einige Wäschestücke zu holen. An den langen Winterabenden, wenn sie ihre Hausarbeit getan hatte, fer tigte sie in aller Heimlichkeit aus alten Bettüchern und mür be gewordenen Hemden kleine zierliche Sächelchen, denn für die hohe Rosenzeit hatte sich bei ihr der Kriegsstorch ange sagt, und im Frühjahr mußte sie daran denken, sich ein« Un terkunft zu verschaffen. Sie ging ein wenig spät auf die Wohnungssuche. Wo «sie anklopfte, um sich ein Stübchen zu mieten, betrachtete man die gesegnete junge Frau mit mißtrauischen Augen und schlug ihr nicht selten einfach die Tür vor der Nase zu. Schweren Herzens willigte Frau Kätchen endlich in den Vorschlag ihrer Herrschaft, in einer Klinik zu entbinden und ihr Kindchen vorläufig einem Säuglingsheim zu übergeben. Die Sehnsucht nach ihrem kleinen Mädchen machte sie bei nahe krank, aber sie nahm sich gewaltsam zusammen. Un zählige Kriegerfrauen mußten sich von ihren Kindern tren- men, um dem Erwerb nochzugehen. Allerwegen verlangte die eiserne Zeit Herzblutopfer. Was Hunderttausende klag los litten, muhte auch sie ergeben tragen. Wenn nur Jens am Leben blieb! Dann winkte mit dem Frieden das Glück. Eine leichte Verwundung brachte Jens im Sommer > W18 ins Lazarett, und ehe er als geheilt entlassen wurde, ! war der Krieg zu Ende. Jens bekam bald eine kleine Kontorstellung, und wenn i das Gehalt auch nur schmal war, reichte es doch zum Unter- ! halt eines bescheidenen Pärchens. J«ns hatte keinerlei Pas- ! ffionen, und Kätchen war von Kind an atü Sparsamkeit ein- i gestellt gewesen. Nichts fehlte zu ihrem Glück als ein eige- < ncs Heim. Lange suchten sie vergebens, dann waren sie, ! müde des ewigen Treppauf, Treppab, endlich froh, in einein l möblierten Zimmer untxrkxiechen zu können. i Im Anfang nahmen sie ihre Zwangslage mit froh- < lichem Humor auf. Es war doch nur ein Provisorium. Un angenehm war nur die Unfreundlichkeit der Vermieterin, i Das klein« Kind machte ihr zu viel Unruhe. Am nächsten s Monatsersten kündigte sie. Nun ging die Wohnungssuche wieder los. überall war das Kind dos Hindernis der Auf nahme. Endlich wurden sie einer Witwe als Zwangsmieter , vöm Wohnungsamt zugewiesen. Mit saurer Miene empfangen, nahmen di« ungebete- nen Gäste von der unfreundlichen Stube Besitz. Die Ver- . Mieterin und ihr Dienstmädchen sorgten dafür, daß der Zwangseinquartierung das Leben nicht zu fröhlich einging. ' Besonders die Mitbenutzung der Küche gestattete sich für oie junge Frau zu einem wahren Martyrium. Nur Kätchens sanfte Gelassenheit, ihre in langjähriger Dienstbarkeit er- , worbene Gewöhnung, sich widerspruchslos zu fügen und un- > terzuordnen, verhinderte den Ausbruch offener Feindselig- j keiten. Aber ihre frohe Laune erstarrte allmählich, die tag lichen Widerwärtigkeiten begannen auch sie nach und''nach , zu verstimmen und zu verbittern. i Auch Jens wurde nachgerade verbissen und mürrisch, i Die Bazillen der Zeit, Unzufriedenheit und Gehässigkeit, , brannten ihm im Blut. Wofür schindet man sich eigentlich i ab? Lohnte es sich der Mühe, von früh bis spät zu arbei- i tcn, für ein kärgliches Essen, ein Kampieren zwischen srem- i der Leute Möbel? Widerwillig geduldet, bei einer Miete, . die den Etat für eine eigene Wohnung schon überschritt, , während tausend«' Kriegsgewinnler Wohnungen von zehn, ; zwanzig und mehr Zimmern allein bewohnten? Jens war immer ein guter Patriot gewesen, aber jetzt liebäugelte er - mit den Spartakisten. Die Leute hätten recht: eine Regie- , rung, die einem Familienvater, der vier Jahre im Schützen- - graben seinen Mann gestanden hatte, nicht einmal eine , eigene kleine Wohnung verschaffen konnte, sei untauglich und müßte gestürzt werden. Kätchen wurde es angst und bange, wenn sie Jens, der die Rettung an falscher Stells suchte, reden hörte. Einmal blitzte ein Hoffnungsstrahl auf. Eine klein« Kellerwohnung wurde frei. Zwar schauderte Kätchen, als sic den dumpfen, düsteren Raum betrat. Wie ein Grab schien ihr die tiefe, kalte Stube, die nur durch ein niedriges Fenster etwas Licht erhielt. Immerhin, man bekam eine eigene Wohnung und mußte sich mit den Mängeln abfin den. Doch schon am nächsten Tage hieß es, daß der In haber, der dort ein Grünkramlager unterhielt und die Ab sicht gehabt hatte, cs aufzugeben, die Räume behalten wollte. Fast atmete Kätchen auf. In der Wohnung hätte ihr kleines, zartes Mädchen niemals die ersehnten roten Bäckchen bekommen. Jens fluchte und schimpfte. Er ging jetzt ost abends in kommunistische Versammlungen, flüchtete aus der unge mütlichen Stube und vor dem Anblick des blassen, kleinen Kindes und der müden, versorgten Frau. Im Herbst er wartete Kätchen ihr zweites Kindchen. Die Witwe zeterte täglich, daß zwei kleine Kinder ihre Nervenkraft überstiegen und daß sie auf ein ärztliches Attest hin berechtigt sei, ihren Mietern zu kündigen. Kätchen verzweifelte beinahe. All mählich hatte sie ihre Ersparnisse mit in der Wirtschaft ver braucht. Bei der steigenden Teuerung reichte Jens' Ver dienst kaum noch zum Leben. Für besondere Anschaffungen war nichts übrig. Unter den Beamten des Wohnungsamtes, das Kätchen wieder und wieder aufsuchte, war ein besonders freundlicher Herr, den die junge, unermüdliche und sichtlich leidende Frau dauerte. Mit Rücksicht auf ihren Zustand befürwor tete er die Dringlichkeit ihres Wohnungsgesuches. Bald danach erhielt sie Nachricht, daß in einem Gartenhaus«, drei Treppen, eine Zweizimmerwohnung frei wurde. Diesmal ein hübsches, Helles, sonniges Heim, wie lick Matchen es wünschte. Vor Glück ging sie wie auf Sprungfedern. W>e hell war die Welt mit einemmal wieder! Jetzt war ihr auch um Jens nicht bange. Sic wollte ihm sein Heim so behag lich macl)«n, daß er fortan nicht mehr der Rattenfängerflöle fanatischer Straßenpolitiker folgte. Eines Sonntags, kurz vor dem Umzug, fuhren sie in ihre gemeinsame Vaterstadt und verpackten ihre Sachen. Vieles konnte verkauft werden, zum Ausfüllen der kleinen Wohnung blieb noch übergenug übrig. Wer vctfüqte in dieser Zeit über solche Reichtümer! Neu aufgefülll mit Sonne und neuer Lebensfreude kehrten st« in ihre öde Mietsstube zurück. Jetzt, wo das Glück der eigenen Häus lichkeit ihnen winkte, schien ihnen das kahle Zimmer gar nicht mehr so traurig. Da» Glück in ihnen vertzoldW» die ärmseligen Möbel. Kätchen schlief tn dieser Zett nicht aut. Nachts sprangen ihre Gedanken vom Hundertsten zum Tausendsten. Einmal fiel ihr ein, daß ihre Vorhänge zu den Fenstern der neuen Wohnung nicht passen möchten, und am anderen Morgen nahm sie ihr Töchterchen an die Hand und ging hin, um die Maße zu nehmen- Das TreppensteiMn strengte sie an. Sie mußte oben erst ein Weilchen rasten, ehe sie die Hand nach dem Klingel knopf ausstreckte. Verwirrt starrte sie das Schildchen an der Tür an. War sie verkehrt gegangen? Stand sie erst in dem zweiten Stock? Der bisherige Wohnungsinhaber hatte den gut deutschen Namen Koch geführt, nun prangte an derselben Stelle breitspurig ein fremder Name: Nathamel Abrahamwicz . . Von einer dunklen Ahnung bedrängt, drückte sie aufMe Klingel. Ein schwarzhaariger Männerkopf schob sich durch den Spalt der balbgeöffneten Tür. Diese Wohnung war nicht zu besichtigen, gehörte ihm, Nathaniel Abrahamwicz .... Jawohl, war ihm, als „Auslanddeutschen" vor acht Tagen vom Wohnungsamt zugcwiesen ... Die Dame möchte sich erkundigen . . . Schwapp, flog die Tür ins Schloß. Kätchen zitterten die Knie so heftig, daß sie ihre Not hatte, die Treppe herunterzukommen. Was war das?! Das konnte doch unmöglich stimmen!-.Diese Wohnung war ihr versprochen. Einen schriftlichen Bescheid hatte sie zwar noch nicht erhalten, aber was eine amtliche Stelle münd lich versicherte, konnte doch nicht widerrufen werden. Der freundliche Beamte war an diesem Morgen aus dem Wohnungsantt nicht anwesend. Sein Stellvertreter zeichnete sich nicht durch Liebenswürdigkeit aus. Kurz und barsch wies er Kätchens Beschwerde ab. Freilich stimmte es. Die betreffende Wohnung war mit Einnsilttgung des Mietsamtes Herrn Abrahamwicz überwiesen. Auslands- deutsche mit Familie wurden immer zuerst berücksichtigt. Kätchen schrie auf. Es war mit ihrer Selbstbeherrschung zu Ende. »Gin angeblicher Auslandsdeutscher? Und mein Mann, der vier Jahre im Schützengraben lag ... ? Sind wir Hunde, daß man uns auf der Straße kampieren läßt?!" Der Beamte zuckte die Achseln. Wo die Familie Paul sen bis jetzt gewohnt habe? Möbliert? Nun, da sei man ja vor der Hand gut aufgehoben. Vor Paulsen standen acht tausend dringliche Gesuche auf der Liste. Es sei ein Versehen und durchaus unzulässig, Herrn Paulsen durch Überweisung einer Wohnung zu bevorzugen . . . ." Wie sie hinaus auf die Straße gekommen war, wußte Kätchen selber nicht. Das mittägliche Brausen der Straße nahm sie auf, riß sie mit sich. Sie achtete nicht auf die Rich tung, in der sie ging: ihr Gehirn war wie ein Bienenstock voller ein- und ausschwirrender Immen. Zwischen dem Summen und Klingen fiel immer wieder wie ein dröhender Glockenschlag die Zahl: Achttausend . . , achttausend dring liche Gesuche, aber die der Ausländer sind immer noch dringlicher. Achttausend! Das ist Hoffnungslosigkeit .... Kein Hüsung. . . noch in vielen Jahren, vielleicht niemals eine eigene Häuslichkeit. . . Kein Hüsung ... „Müde, Mutti," sagte das Kind, das bis dahin gedul dig neben ihr hergetrippelt war. Sie nahm die Kleine auf den Arm, aber das Kind wurde ihr bald zu schwer. Tiefatmend lehnte sie sich an das eiserne Gitter einer Brücks. Zu ihren Füßen kochten weißschäu mend die Wasser der Schleuse. Wie ein lockendes Lied stieg das Brausen des Wassers zu ihr hierauf und vereinte sich mit dem Jmmengesumme ihrer Gedanken. „Achttausend" dröhnte die Glocke. Kein Hüsung, immer andern zur Last, sich selber zur Unfreude . . . Lastende Hoffnungslosigkeit senkte sich prie eine Bleilast auf ihr erregt hämmerndes Herz. Wie durch einen dünnen Schleier sah sie traurige Zukunfts bilder an sich oorüberziehen, sah sie. wie Jens sich von ihr entfernte, weiter und weiter . . . Achttausend . . . Sie schloß die Augen und hatte plötzlich das Gefühl, al» ob das Kind fick von ihrem Ann losgerissen habe und vorn überstürzte. Mit einem Entsetzensschrei löste sie sich vom Gitter, hatte plötzlich die Hände leer und schwang sich mit einem Satz über die niedrigen Eisenstäbe hinein in das brau sende, gurgelnde Wasser. Am Abend brachten die Zeitungen eine kurze Notiz über die Tragödie. .... Vermutlich in einem Anfall momentaner Gei stesstörung warf die junge Frau des Buchhalters I. P. au» der Dortmunder Straße ihr 2^.fiihriges Töchterchen von der Schleusenbrücke im Tiergarten in das Wasser und sprang dann selber nach. Beide tonnten nur als Lz cken geborgen werden. Als dem Mann die Nachricht überbracht wurde, schoß er sich, ehe num es bindern tonnte, eine Kugel durch den Kopf und war schort tot.