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Reudaut Wühmaim. tt2 dem lebhafteren Verkehr, der stch poischrn ihnen entwtckelt hatte, war«» natürlich, daß der Doktor auch mit der Werner- scheu Familie bekannt gewordrn war, und selbstverständlich hatte di« Frau Direktor den jungen Mann mtt der denkbar grüßten Liebenswürdigkeit empfangen. Ah,en Bemühungen allein war auch di» Teilnahme des Doktor» an diesem kleiner Ausfluge zu verdanken. Doktor Späth stand der Familie Werner zunächst noch etwa» beobachtend gegenüber, ohne sich allerdings völlig der Wirkung entziehen zu können, die ein taufrisches, liebliches Kind wie Els« auf »inen Mann auszuüben vermag. Immerhin bemerkt« er in dem Wohl wollen der Frau Direktor ein ihm in seinen Erundzügen recht gut bekannte» mütterliche» Interesse, da, ihn zu leiser Vorsicht mahnt«. Er war es gewöhnt, «ine gewiss« Roll« zu spielen und wußte, daß er dies seinem Auftreten, seiner schlanken Rassegestalt und auch seiner angenehmen Stellung al, vermögender Fabrikbesitzer zu danken hatte. Ihm war in seinem Leben schon viel geboten worden, und er hatte ge nommen und genossen, wie di« meisten. Im Grunde war er aber kein leichtsinniger, sondern ein ernster, etwa» schwer blütiger Mensch, dessen Hauptzug eine gewisse, besonnen« Solidität war. Er war sehr intelligent, scharf beobachtend, wußte, was er galt und wußte auch die anderen im allge meinen abzuschätzen. Er durchschaute auch Meta Koch in ihrer unruhigen Koketterie, fühlte genau, welchem Ziele sie zu strebt«, und war durchaus nicht gesonnen, ihr irgendwie Hoffnungen zu machen. Sie war nicht seine Art, viel zu laut, zu verhetzt, schon viel zu viel geprägt. Heute kam sie ihm übrigens in keiner Weise entgegen. Anfangs war wohl etwas Eroberungslust in ihrem Verhalten gewesen, dann aber flaute sie mehr und mehr ab und überließ ihn völlig Else Werner. Die war völlig in ihrem Element, spielte keine Rolle, quält« stch nicht ab, sondern gab ganz stch selbst mit allen instinktiven Anziehungskräften, die die Natur in sie gelegt hatte. Wenn Späth stch im allgemeinen einiger ironischer Beobachtungen auch nicht entschlagen konnte, so überließ er stch allmählich doch gern dem Reiz des schönen, Hellen Tages und der hübschen Mädchenaugen. Die Zeit verstrich schnell. Frau Werner war die erste, die daran erinnerte, daß man noch den Weg nach dem Roda- see vorhabe und es infolgedessen die höchste Zeit zum Auf bruch sei. Nach einigem hin und her entschloß man sich dazu, verließ die gastliche Försterei und wanderte weiter in den Wald hinaus. Doktor Späth schritt neben den jungen Damen, es war selbstverständlich, daß Else ihn völlig in Beschlag nahm. Meta ging schlaff nebenher. Mit der ihr eigenen Sprung haftigkeit und Intensität ihrer Gefühle, überließ sie sich mehr und mehr ihren düsteren Gedanken. Späth, an dessen Per sönlichkeit sie vor einigen Monaten die kühnsten Illusionen geknüpft hatte, und der ihr auf einmal ganz unerwartet nahe gerückt war, verblich in diesem Augenblick zu einem wirkungslosen Schatten. Alle anderen Pläne versanken. Vor ihr stand in aller Schärfe, mit altem Reiz die Gestalt des Einziggeliebten. Sie konnte sich nicht beherrschen, alles lebte wieder auf, tausenderlei Einzelheiten erinnerten sie an die Vergangenheit. Genau so, wie er nun neben Mimi ging, war er einmal neben ihr gegangen, vielleicht kannte Mimi die Blicke gar nicht, die er ihr einst geschenkt hatte! Auf der Eisbahn hatten sie stch vor sieben Jahren kennen gelernt. Keine andere Eroberung hatte ihr solches Glück bereitet, als die des schlanken, schneidigen Assessors, wirk liches, echtes, reines, starkes Glück. Ein Winter und ein Sommer vergingen, dann nahm seine Liebe ein Ende, das alte, klägliche Ende. Der Reiz ließ nach. Sie hatte ihn müde gemacht, stch auch viel zu leicht erobern lasten. Ihre Kühnheit und starke Leidenschaft lichkeit paßten nicht recht zu einer Frau Amtsrichter, zu dieser Würde dachte er sich ein anderes Wesen, feiner, kühler, schwerer erreichbar. Die alte Tragödie spielte sich ab. Sie mußte einsehen, daß sie ihn nicht mehr halten konnte, ihre Qual war grenzen los. Dann kam das Unfaßbarste: er verlobte sich mit Mimi Werner, dem puppenhaften, unbedeutenden Mädchen, auf da» sie immer herodgesehtn hatte. Sie erhielt die Aiiz»ig«. gratuliert« den« Brautpaar, und infolge der engen Verbin dung der beiden Familie» sahen sie sich öfter». Meta stand vor einem peinigenden Rätsel, an dem sie sich fast den Kopf «iurannte. Aber fle konnte den Mann nicht verachten, noch vergessen, alle» in ihr stand noch leidenschaftlich und bedin gungslos zu ihm. Au» einem instinktiven Suchen nach Ruhe und Rettung trat sie in da» Seminar ein. An seinem Hoch zeitstage — die Einladung hatte sie brüsk abgelehnt — schrieb sie einen Aufsatz über ein klassische» Thema, dann warf sie sich auf da» Sofa und schrie ihre Qual in die Polster. Da» junge Paar reist« nach seinem neuen Wohnsitz ab und verschwand au» ihrem Gesichtskreise. Meta hatte gelernt und gelernt, und dann alle» unbefriedigt hingeworfen. Ver geblich hatte st« während dieser fünf Jahr« nach einem anderen Glück gegriffen — alle» war zerronnen. Nun sahen sie stch wieder, er voll befriedigt, sicher im Geleise, mtt keinem Gedanken zurückdenkend, st« haltlos, enttäuscht, sich verzehrend in verschollenen Erinnerungen. Mit schweren Füßen, den Blick gesenkt, ging sie achtlos durch den Wald. Schlank und gerade reckten stch di« rötlichen Stämme der Kiefern au» dem Unterholz, wenn der Wind kani, eryob stch da» eigentümlich tiefe Rauschen des Nadel waldes und zog langsam immer weiter durch die Wipfel. Es ging etwas bergan, der Weg entwickelte stch mehr und mehr zu einem regelrechten, holperigen Waldwege. Doktor Späth war Else ritterlich zur Seite, und al» sie sich einmal schüch tern und errötend auf ihn stützte, und dabei die langen Wim pern scheu aufschlug, ging «in merkwürdiger Strom durch ihn. Lr half ihr auch Farren und Zweige sammeln, und der große Strauß stand ihr reizend. Der Rat blieb allmählich keuchend zurück, auch Frau Werner seufzte und sehnte das Ende de» beschwerlichen Unter nehmens herbei. Eva war wohl die einzige, der der Ausflug unbefangenen Genuß gewährte. Sie verhielt sich in ihrer Art still unter den anderen. Die Hitze störte sie wenig, und sie kämpfte auch nicht so aufgeregt mit den Mücken, wie die Rätin. Der Marsch trieb ihr Blut frischer und schneller durch die Adern, sie vergaß fast die Menschen und umfaßte mit intensivem Blick die kräftige Frühjahrsschönheit des Waldes. Nach einer letzten Steigung blitzte endlich durch die Stämme seitlich in der Tiefe der graue Spiegel des Rodasees auf. Die Wasserfläche war nicht ausgedehnt, aber fast kreis rund, ringsum stand der Nadelwald in dichten Masten. Es war ein melancholisches Bild; das dunkle, leise wellende Wüster inmitten der Stille. Nur der Kuckuck rief eintönig fern aus der Waldtiefe heraus. Eva stand etwas abseits und betrachtete versonnen die Landschaft. Die übrige Gesellschaft war weiter unten stehen geblieben, sprach, lachte, kämpfte mit den Mücken. Die Rätin packte mitgenommene Eßvorräte aus, der Stadtrat freute stch intensiv auf einen kühlen Trunk. Else ordnete verstohlen an ihrer Frisur, die sich durch Hitze und Wind gelockert hatte. Eva machte unwillkürlich eine Wendung und gewahrte zu ihrer Überraschung Doktor Späth unweit von sich stehen. Er mußte schon eine Weile dagewesen sein. Nun wendete er sich zu ihr und sagte: „Ein sehr interessanter Punkt." „Jedenfalls sehr charakteristisch," gab sie unbefangen zurück, „ich könnte mir diese Landschaft nirgends anders den ken, als hier bei uns im Osten." „Das ist richtig," bemerkte er. „Die Eigenart dieses Landstriches hat viel Anziehendes, nur darf man natürlich keine Vergleiche ziehen." „Vergleichen könnte ich ohnehin nicht," gab sie ruhig zurück, „denn ich habe noch nichts andere« gesehen." Er blickte sie schärfer an. „Sie sind hier zu Hause — ach so — daher passen Sie auch so gut in die Landschaft, mein Fräulein — gerade in diese dunkle, herbe, melancholische Frühltngslandschaft" — „Prägt sich das immer so aus?" fragte sie lächelnd. „Ich glaube, das ist wohl mehr Sache der Stimmung, ich finde, man kommt hier in Stimmung" —