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zeugt und mit dem starken Bewußtsein, sehr viel vom Leben erwarten zu können. Aber die Jahre zogen dahin und er füllten keinen ihrer Wünsch«. Infolge der Leidenschaftlich keit und Rücksichtslosigkeit ihres Wesens erfreute sich Meta keiner sonderlichen Beliebtheit, wenigstens bei den Müttern und den anderen heiratsfähigen jungen Damen. Ihre Er scheinung war ganz dazu angetan, den Neid zu erregen; dazu kamen ihre gänzliche Ungebundenheit and selbstbetonte Frei heit. Die Herren bewunderten sie ausnahmslos, machten ihr eine. Zeitlang stark den Hof und — verlobten sich dann ander wärts. Als ihre erste und gröhte Liebe traurig Schiffbruch gelitten hatte, trat sie in das Seminar von Fräulein Neu meister ein, zu gleicher Zeit mit der viel jüngeren Eva. Die beiden Mädchen befreundeten sich, trotz der Verschiedenheit ihrer Lebensanschauungen, beide standen der Allgemeinheit etwas fremd gegenüber, Eva infolge ihrer inneren Zurück gezogenheit, Meta in ihrer hochmütigen und spöttischen Überlegenheit. Fräulein Koch ließ sich bequem von Eva Wichmann helfen und schenkte ihr nach und nach dafür völliges Vertrauen. Instinktiv empfand sie, daß sie da etwas gesunden hatte, an dem ihre sprunghafte und nervöse Art sich mitunter halten konnte. Auch Lva gewann Interesse an dem temperamentvollen Geschöpf. Metas Eifer lieh sehr rasch nach, das Lernen öder Ge schichtszahlen und gleichgültiger Vokabeln wurde ihr bald lästtg, die scharfe Zeiteinteilung und Eedankenanspannung bedrückten sie, sie erkannte, daß sie absolut keine Veran lagung für den Beruf einer Lehrerin habe. Am Schlüsse des ersten Semesters trat sie aus, jubelnd, sich förmlich aufreckend nach der abgeworfcnen Last. Das war nichts für sie! Sie stürzte sich von neuem in Vergnügen, legte sich aufs Kokettieren, und bald entspann sich auch wieder eine Episode, die aber ebenso zerrann wie die vergangenen. Erregt, ner vös und gereizt kam Meta zu Eva. Das Mädchen empfand Mitleid, klar sah cs das einzig Richtige, und bat die Freun din flehentlich, endlich mit der erfolglosen Glücksjagd zu brechen. Allmählich lieh Meta sich überzeugen und schenkte ihren Vorschlägen Gehör. Ihr graute in der Tat vor der Stadt und den bekannten Gesichtern, in denen sie Hohn zu lesen glaubte, und eine starke Sehnsucht nach Neuem und Un bekanntem erwachte in ihr. Langsam kam auch die Hoffnung wieder — ja, sie wollte fort! Von allen Möglichkeiten, die es in dieser Beziehung gab, kam für sie nur eine in Be tracht, nämlich, in Stellung zu gehen. Es gab derartige für junge Damen aus guter Familie, wo man gegen bescheidene Leistungen unter angenehmen Bedingungen die Haustochter spielen konnte — man muhte nur geschickt wählen! Die Freundinnen sahen alle Blätter nach geeigneten Angeboten durch, und endlich bot sich etwas durchaus Passendes. Das Engagement wurde abgeschlossen, die Pflichten schienen lächerlich leicht, gegenüber dem Gebotenen, etwas Musik, Sprachkenntnis, angenehmes Wesen — dafür in eine der be rühmt schönen, lebenslustigen Städte am Rhein. Meta reiste ab. Zunächst erhielt Eva nur einige flüch tig gekritzelte Ansichtskarten, dann kam eine ganze Weile absolut keine Nachricht. Plötzlich erschienen kurz hinterein ander zwei Briefe — Alarmbriefe! Metas Träume hatten sich leider nicht erfüllt. Bald nach den Briefen kam sie selbst. In welcher Weise der rasche Abschied sich vollzogen hatte, darüber gewann Eva nie Klarheit. Meta war da, erzählte den Bekannten harm los von einer herrlichen Besuchsreise an den Rhein und freute sich ehrlich des Wiedersehens mit der grauen, östlichen Heimatstadt. „Es ist nichts mit mir los," erklärte sie Eva, „dazu passe ich nicht. Ich muh einen anderen Weg finden." Sie hatte auch wiederum einen Verehrer. Herr Stesfani war Oberlehrer an der. städtischen Realschule, ein älterer Junggeselle, aber durchaus kein Weiberfeind. Er besah eine noch immer recht imponierende schlanke, ge schmeidige Erscheinung, einen schmalen, dunklen Kopf mit modern zugespitztem Vollbart, klein wenig Glatze und eigen- tümlich lodernde schwarze Augen unter schweren Lidern. Bei den Damen war er sehr gern gesehen, bis jetzt hatte er sich noch nirgends ernstlich fesseln lassen. Man wußte, er wählte noch. — ' Schon vor Metas Abreise hatte er ihr ein gewisses Interesse gezeigt, und der Gedanke hatte wie ein Stern in düsterer Nacht über Metas Enttäuschungen gestanden und sie vor allem der Heimat wieder zugeleitet. Bald war der Flirt in vollem Gange. Meta war inzwischen klüger geworden und setzte jetzt ein förmliches Studium daran, den von sich setvst stark überzeugten, vorsichtigen, mit allen Hunden ge hetzten alten Junggesellen zu fangen. Nur war Steffani schon seit einem Jahre ihr erklärter Verehrer, ohne aber dah ein befriedigender Schluß in naher Aussicht stand. Mitunter packte Meta mit kaltem Schauer die Furcht, dah diese Sache so enden könnte, wie alle früheren. „Nun, was wolltest du beichten?" fragte Eva mit leichter Ironie. Meta zuckte die Achseln. „Ach, nichts Neues. Nichts der Rede wert. — Eben wie du sagst" — ihre Lippen verzogen sich — „weiht du, bald graut mir vor der ganzen Sache! Ich habe es satt — satt" — Sie sprang auf und trat an das Fenster. Ganz dicht preßte sie die Stirn an die Scheiben. Die blonden Brauen zusammengezogen, sah sie unruhig über die Wälle. „Dort hinaus — in dieser Richtung liegt wohl Wald hausen?" fragte sie plötzlich in gänzlich verändertem Tone. „Dort liegt wohl auch die chemische Fabrik von Duchowski L Späth — ach, die Sache ist lächerlich!" Sie ging zu ihrem Platz zurück. „Es ist eigentlich merkwürdig, daß ich dir alle Torheiten immer gewissenhaft beichten muß — also höre: ich bin in diesen Doktor Späth verschossen." „Kennst du ihn denn?" fragte Eva überrascht. „Eigentlich kaum," sagte Meta, „ich habe ihn nur hin und wieder in Gesellschaft getroffen. Er verkehrt wenig in der Stadt. Er wohnt draußen in Waldhausen. Eine hübsche Villa. Er soll reich sein!" Eva schüttelte den Kopf. „Aber ich begreife nicht" — „Wir sind uns öfters beim Radeln begegnet," sprach Meta, „sei nur nicht so schwerfällig, er radelt viel, übrigens ist er ein äußerst interessanter Mensch." „Woher weißt du denn dies alles?" „Ich habe mich natürlich erkundigt. Wenn man sich für jemand interessiert! — übrigens hat er mir einmal unter wegs geholfen, als mein Rad beschädigt war." „Ach so" — sagte Eva. Meta richtete sich Nervös auf. „Die ganze Sache ist natürlich Unsinn — wie gesagt — ich mache mir keine Illusionen. Das hab' ich längst verlernt. Er wird genau so sein, wie die anderen. Natürlich bewundert er mich, wenn ich mich nicht sehr irre — ein ästhetischer Ge nuß. Aber im übrigen" — Sie stand brüsk auf. „Ich will nicht länger stören — deine Tante wird längst ungeduldig sei». Wann sehen wir uns wieder? Spazieren könnten wir doch einmal wieder miteinander gehen, nicht? Hast du übermorgen Zeit? — Gut, also abgemacht. Pünkt lich bist du ja. Auf Wiedersehen!" Fräulein Koch ging, nachdem sie ihren Anzug vor dem Spiegel noch sehr aufmerksam geordnet hatte. H. Frau Wichmann stand auf dem glasüberdeckten Bahnsteig des Hauptbckhnhofes. Die Bahnuhr zeigte acht Minuten vor zehn, es wär beinahe Abfahrtszeit. Bodo war bereits ein gestiegen und Iprach von der offenen Tür des Abteils dritter Klaffe aus sehr angelegentlich mit der Mutter. Die letzten Reisenden kamen angestürmt — überall entwickelten sich Ab- schiedsszenrn. Im Hintergründe klappten schon die Türen. Bodo bog sich noch einmal weit vor. lFortsetzun, s-»lgt.)