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MMkStftA 88. Oktober 1S0S. vi» Iw ssvv ufinst MmAai Rr. SSL. vierter Jahrgang und Anzeiger für das Erzgebirge mit der wöchenüichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. — ——m. l>. fi. Sprichftimd« d«r Redaktion mit Aurnahin« dir Sonntag« nachmittag, von 4—, Uhr. — Teltgramm-Adreff«: Tageblatt Au«. — F«rnspr»ch«r tt. in Au« i. Erz»«». Für unverlangt «ingesandt, Manuskript« kann Gewähr nicht g«l«ist«t w«rd«n. 0»,« Noartlicher Redakteur: ftkitl MNtdelti. FSr di« Inserat« verantwortlich: WÄ1«k tzkMU. Seid« In Au« I. Erzgeb. V«zn»,pr«i». Durch unser« Boten frei in» Van, monatlich »0 pfg. Bei d«r Seschäft^ell« abgeholt monatlich ZS Pfg. und wöchrntlich ,0 pfg. — B«t d«r poft bestellt und selbst ^geholt vierteljährlich ».so Mk. — Durch »in Sri estriger frei in» Hau, oi«rt«liLhrlich l.Z2 Mk. — Einzeln« Aumm«r ro pfg. — Deutscher Postzeitung» katalog. — Erscheint tLglich in den Mittag»stund«n, mit Arunahm« von Sonn- und Feiertagen. Annahm« von Anz«ig«n bi, spLteftrn, Uhr vormittag» Für Aufnahm« von größer«« Anzeigen an bestimmt«» Stell«» kann nur dann gebürgt werd««, rv«nn st« am Lag« vorher b«s un, «tngeh««. Ins«rtion,pr«t,: Di« fiebengespalten« «orprmzttlr od«r d«r«n Raum ,0 pfg., »«klamen r« pfg, Sri größer«« Austräg«« entsprechend«» Rabatt. Diese Nummer umfaßt K Seiten. Das Wichtigste vvA Lage. Die KaisermanSver 191.0 wrcden zwischen dem 1. und 17. Armeekorps abgehalten werden; die Kaiser- parade findet am 27. August bei Danzig, statt. V Zum Nachfolger des verstorbenen Berliner Polizei« s- Präsidenten v. Stubenrauch wurde der Ober- re gt c ru ng s r at bei der Regierung ln Potsdam, v. Jago, ' ernannt. Das Befinden des italienischen Ministers-Fortis ist an - dauerd sehr ernst. Das Befinden des Herzog» von Assur soll sich gebessert haben. » In der befestigten Zone von Ztmakampo an der . Alpengrenze beiVicenca wurden gestern sechs deutsche d* Touristen verhaftet und nachVincenca ge bracht. * Gestern nachmittag um ^/,5 Uhr traf der Sonderzug des Zaren in Warschau auf dem Westbahnhofe ein. Nach kurzem Aufenthalt reiste oer Zar um 5 Uhr nach, mittags mit dem Minister de- Innern nach Li 0 a - dra weiter. Der Rücktritt Nieverdiugs rmd die Strafprozetzresorur. , T» Ein merkwürdiger Zufall — oder sollte es keiner sein? — ist es, daß in dem Moment, wo Einzelheiten aus dem Ent wurf zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch der Oeffentlich- keit mitgeteilt werden, die Kunde kommt, daß «der Staatssekretär des Reichsjustizamts Nieberding seinen Abschied genom men hat und durch den bisherigen Kammerpräsidenten Dr. e Lisco ersetzt worden ist. Diese Demission ist allem Anschein nach ziemlich plötzlich gekommen. Denn obwohl bereits in einem offiziösen Organ der Rücktritt angekiindigt wurde, hatte man H einem Berliner Blatte zufolge im Reichsjustizamte angeblich hiervon noch nichts gewußt und schon zwei Tagst darauf wird im Reich-Anzeiger die Verabschiedung des Staatssekretärs unter den üblichen Ehrungen mitgeteilt. Sollte dieser Abgang ein ganz freiwilliger sein? Man hat ja bei uns Beispiele von Exempeln, wo ... . Pariser Brief > Bon uns rem Korrespondenten. Nachdruck verboten. Wer den Franzosen in diesen Tagen, anläßlich der Verur- .teilung Ferrers, Barrikaden hat bauen und an- , stecken sehen, wer ihn beobachtet«, wie er mit vorgestreckter Wfaff« und wildem Wutgeheul auf Heer und Polizei «indrang, der muß den Eindruck gewonnen haben, daß 120 Jahre nicht genügten, um in einem Volke, das heute Jauräs und Vaillant zujubelt, den revolutionären Geist eines Robespierre oder Marat zu ersticken! Mitternacht . . . Der Boulevard de Cour ¬ celles, wo sich die spanische Gesandtschaft befindet, liegt in tiefster Dunkelheit da. Trambahnen können nicht mehr sah st ren, denn die Schienen sind mit umgestürzten Bäumen, Later- w n, Besen, Karren, mit allen möglichen völlig bedockt. Eeister- haft huschen flüchtige Schatten durch die Nacht hin und her . . . Da — ein schriller Schrei: Eine Barrikade! Und sofort wird das Straßenpslaster aufgertssen, Wasserrohre herbeigeschleppt, Brett.r zusammengezimmert und aufgestellt. Sie ist klein, aber es ist doch eine Barrikade, und das mit zischendem Geräusch aus einer umgeworfenen Eaolatcrne entweichende und schnell zur Flamm« emporlodernde Gas wirst seinen fahlen Schein auf schw ißtriefende, wutverzerrte, tierische Gesichter . . . Mitter nacht . . . Pferdegetrappel ... Die Garde Röpublicaine ist im Anzug!. . . . Dretmal läßt die Trompete ihre warnende Stimme, die zur Uebergabe ausfordert, erschallen, aber dreimal vergeb lich. Da ertönt des Polizeipräsidenten LSpine Befehl: Lhar- gz! Und eine Sekunlse später wälzen sich Pferde und Menschen in unentwirrbarem Knäuel auf dem Boden herum. Säbel blitzen, Reoolverkugeln zischen pfeifend durch die Lust, - und furchtbares Wehgeschrei läßt einem das Herz erzittern. Es ist vorbei. Die Barrikade ist gestürmt . . . Und die braven Herr Nieberding hat zweifellos sein« Verdienste, ins besondere gelegentlich seiner Mitarbeit an der Erhaltung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Im großen und ganzen aber hatte er im Parlament nicht allzu viel Freunde und nie mand kann behaupten, Laß er ein sehr glücklicher Debatter war. Man hat ihm viel zugesetzt und meist mit Recht. Er war kein Freund von modernen Fortschritten auf dem Gebiete der Rechts pflege und ließ sich einige kleine Reformen nur mit vieler Mühe abringen. Auch lenkte «r meist nur dann ein, wenn der Befehl hierzu von oben kam. Auch die Reform des Strafgesetz buches hat durch ihn keine besonders schnelle Förderung er fahren, Man kam aus den Enqueten und Erwägungen nicht heraus, bis endlich in den letzten Monaten ein Entwurf zu stande gekommen ist, der jetzt, wie wir gestern schon mitteilten, der öffentlichen Kritik unterbreitet wird. Wieviel an dem neuen Entwurf dem Staatssekretär zufällt, läßt sich nicht sagen., Man hat aber das Gefühl, daß Herr Nieberding nur mit Zagen daran gegangen ist und sich für das Merk nicht sonderlich erwärmen konnte. Vielleicht hat er in der Erwägung, die Vorlage im Parlament nicht mit der nötigen Energie ver treten zu können, seinen Abschied genommen. Oder dies ist ihm vielleicht auch von den leitenden Stellen oben im Hinblick hier auf nahe gelegt worden. Wie dem auch fein möge, an seine Stelle ist der bisherige Kammergerichtspräsident Lisco getreten, eine Persönlichkeit, die sich in Zurtstenkreifen eines hohen Ansehens erfreut und der neben langer Tätigkeit im preußischen Justizministerium auch jahrelang in wichtigen Stellungen der Justizpflege selbst gestanden hat. Nach außen hin ist der neue Staatssekretär wenig in Er scheinung getreten, im Parlament hat er nur in den Kommis sionen gearbeitet. Man rühmt aber seine hohe Sachkennt nis, wenngleich man in ihm keinen draufgängerischen Refor mator zu erblicken Haben dürfte. Herr Lisco ist zwar auch nicht mehr der Jüngste, er steht bereits im 60. Lebensjahr. Aber man kennt ihn als einen tatkräftigen Mann und er dürfte sicherlich einer der geeigneten sein, die großen um fangreichen Arbeiten zu leiten, die das Reichsjustizamt jetzt be schäftigen und die eine kräftige Persönlichkeit erfwoern. Bei der kommenden Strafprozeßreform wird der neue Staatssekretär seine Feuerprobe zu bestehen haben. Der Entwurf berücksich tigt die Anregungen der Staatsrechtswisssnschaft und die Er rungenschaften der neueren ausländischen Strafgesetzgebung, stellt jedoch aus den deutsch n Verhältnissen heraus die Bedürfnisse der Strafrechtspflege mit in erste Linie. Der Entwurf verpflich tet sich nicht auf eine bestimmte Strafrechtstheoris Er ver tieft den Unterschied zwischen Zuchthaus- und Gefängnisstrafe durch die Aufnahme von Bestimmungen über den Vollzug dieser Freiheitsstrafen, reformiert die Geldstrafe, insbe- Sergeants de ville wischen sich schweigend ihre blutbefleckten Hände und Gesichter. Das ist der Franzose aus dem Volk! Manchmal stim men seine revolutionären Ideen ja auch heiter, wie bei der Flugwoche in Juvisy.die augenblicklich abgshalten wird. Juvisy ist ungefähr eine knappe Stunde Eisenbahnfahrt von Paris entfernt, da aber alle öffentlichen Institutionen in Frank reich unerhört schlecht sind, so war auch die Eisenbahnverwal tung dem Menschenansturm nicht gewachsen, der BlSriot, Latham oder Paulhan in der Lust sehen wollte. Die Lokomotive brauchte gute vier Stunden, um die dreißig Kilometer zurückzulegen, und das ging dem Pariser denn doch über den Spaß. Wenn wir glücklich in Juvisy angelangt sind, geht der Wind entweder mit 20 Meilen in der Sekunde, und an «in Fliegen ist nicht zu denken, oder Blöriot macht eine Runde in einer Minute, Lat ham eine halbe in einer halben und Paulhan kann sich nicht vom Boden erhüben, meinte er. Da amüsieren wir uns lieber hier! Das Amüsant bestand darin, den Zug zum Stehen zu brin gen, sämtliche auszutretbcnde Kissen und Polster auf die Schie nen zu werfen und sich selbst daraufzulegen, so Katz jeder wei tere Fernverkehr eingestellt werden mußte. Erst mit vie ler Mühe gelang es, die tobende, brüllende Meng« in die fran zösische Hauptstadt zurückzubefördern, wo sie von den bestürzten Billettfräuleins an den Schaltern Herausgabe des für die Fahrt erlegten Geldes und außerdem noch «in Diner verlangten. Ob sie das bekommen haben, weiß ich nicht, nur ein» weiß ich, daß es denen, die mit Ach und Krach Juvisy erreicht hatten, auch nicht bester ergangen war. In den Restaurant» gasb qs kein Brot mehr, und die Bäcker schloffen schleunigst ihr« Läden, um «in Demolieren durch die unzufriedenen Pariser zu txrhindern. Für «in Pfund Brot wurden allgemein zwei Franken erlegt. Von 12 Uhr mittag» ab konnten di« Wirte ihren Gästen weder Fleisch noch Gemüse anbitten. Da» Frühstsickmenu de» «rsten Restaurants in Juvisy lautete folgendermaßen: sondere durch Zulassung von Zahlungsfristen, Ratenzahlungen und des Abvcrdienens durch freie Arbeit, und es dehnt den Verweis auf Erwachsene aus. Er schlägt weiter die Ein führung der richterlichen bedingten Strafaussetzung (bedingte Verurteilung) und der richterlichen Rehabilitation in der dop pelten Form der Wiedereinsetzung in die bürgerlichen Ehren rechte und der Löschung von Vorstrafen im Strafregi ster vor. Er schreibt ferner die besondere strafrechtliche Behand lung der vermindert Zurechnungsfähigen vor und ändert grund sätzlich das Jugend st rafrecht im besonderen durch Hinauf- rllckung der Strafmündigkeit auf das vollendete 14. Lebensjahr und durch die Aufgabe des vielangefochtenen Einsichtsersorder- nisses. Das Institut der Polizeiaufsicht wird auf gehoben. Unter bestimmten, engbegrenzten Voraussetzungen soll das Gericht auf Aufenthaltsbeschränkung erkennen dürfen. Alles in allem hat man, wie wir gestern schon sagten, es mit wesentlichenVerbesserungenzu tun, die seift Jahren gefordert wefisen und einer modernen Strafrechtspflege ent sprechen. Wie werden die Stichwahlen ausfallend Diese allgemein interessierende und viel erörterte Frage wird von der Neuen Dogtländischen Zeitung wie folgt beantwortet: Zu einem eigentlichen Wahlkampf wird es in der großen Mehrzahl der Kreise, in denen Stichwahlen vorzunehmen sind, nicht mehr kommen. In Dresden 1.—J.Leipzig 1., 2., 5. und 6., sowie im 2. städtischen Wahlkreise (Bautzen - Kamenz), tm S. städtischen (Freilberg-Tharandt), im 10 städtischen (Franken- berg-Hainichen), im 11. städtischen (Coksitz-Geringswalde), im 12. städtischen (Borna-Brandes), im 22. städtischen (Elsterberg- Lengenfeld und im 23. städtischen (Adorf-Auerbach-Falkcnstein) ist schon jetzt der Sieg den Nationalliberalen sicher, und ebenso liegt die Sache im ländlichen (Dippoldiswalde), wo die Sozialdemokraten gegen den Agrarier Andrä stimmen wer den, sowie im 24. und 32. ländl. Wahlkreise (DreSden-Neustadt- Land und Flöha). Mit konservativer Hilfe wird den National liberalen der Sieg zufallen in Leipzig III, Oschatz-Riesa( 8. städt.), Döbeln-Leisnig (9. städt.), Hohenstein-Ernstthal (14. städt), Callnberg-Glauchau (15. städt.), Ehrenfriedersdorf- Elterlein (17. städt), Augustusburg-Marienberg (18. städt.), Vautz-n-Kamenz (6. ländl.), Zwickau-Plauen (41. ländl.), und Auerbach i. V.-Plauen (48. ländl.). Den Konservativen sind sicher die Kreise Bischofs werda-Großenhain, Königstein-Pirna und Altenberg-Dippoldis walde (3—5. stiDt. Kreis), sowie von ländlichen Kreisen Löbau- Zittau (3), Löbau (4.), beide Bautzen-Kamenz (7. und 8.), Hors d'oeuorS: Schweizerkäss und Mostrich. Entröes: Birnen und Aepfel. RStis: Schokolade und Biskuits. Dessert: Kognakkirfchenr Trotz des leeren Magens jubelten die Franzosen Herr» Briand zu, und als dieser abends in Begleitung des Land wirtschaftsministers Ruau durch die Straßen ging, und Ruau sich zu seinem Chef wendend sagte: Bald sind sie reif, um einem Kaiser zuzujubeln, Erwiderte unser Ministerpräsident Mit leisem, aber sehr glücklichem Lächeln: Schmeichler! —Dabet sind wir in diesen Tagen «inen großen der Apachen, dir ja stets Lei allen aufrührerischen Bewegungen da» Hauptkonttn» gent bilden, losgeworden. 763 Joyeux wurden nach Afrika befördert. Mit Joyeux bezeichnet man jung« Kerl«, die ««sicht lich schon verschiedentlich bestraft worden find und aus diesem Grunde in afrikanische Bataillone «ingereiht werden. Das Bild, das sich vor den Augen des Zuschauers auf dem Bahnhof, von dem die Joyeux ihre weite Reise um 9 Uhr morgen» antreten, entrollt, ist wirklich interessant und malerisch. Die schlimmste Hefe des Pariser Volke», Weilber mit stechen Blicken und rohe Kerle mit blutunterlaufenen Augen und -erschundenen Gestch. tern warten hier auf ihre Freund«, die die Polizisten au» den verschiedenen Gefängnissen, in denen sie ihr« Strafe absitzen^ abholen. Verliebt neigen sich die kahlgeschorenen Köpfe der Ab reisenden zu den gefärbten Haarchignon» der Campagne herab, die ihrerseits mit kreischender Stimme den Refrain «ine» un anständigen Gassenhauer» anstimmt. Da rollt der Zug heran, der die Joyeux in di« Ferne bringen soll. Gruppenweise, zu je fünf, werden sie in die Waggon» gesteckt, während man ihnen Decken und einen Franken fünfzig al» Wegzehrung verabreicht. In dem Augenblick, wo sich die Lokomotive mit schrillem Pfiff in Bewegung seht, ergießt sich «intz wahr« Flut der gemein« sten Schimpfworts über die auf dem Perron in Rih und Glied aufgestellten Soldaten und Schutzleute, und dop Ge.