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Dienstag, IS. Oktober 1SVA. v,lt «ir »»00 »ilntr U«°-itnl Sir. S37. vierter Jahrgang. sluer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge verantwortlicher Redakteur: nit, »ntdoia. Mr di« Inserat« verantwortlich: Äilttr ftrivr. Seide in Aue i. Erzgeb. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Lonntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntag» nachmittag» von «—s Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Au«. — Fernsprecher ki. Für unverlangt eingesandt« Manuskript« kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag ««er »«>»-». v«tl»»»ae»«ilr»»d. m. b. ks. in Aue i. Lrzgeb. Nezugrprei,: Durch unser« Boten frei in» Haus monatlich so pfg. 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Das bulgarische Kriegs Ministerium beschloß, den ehemaligen Generalinspekteur der Genie truppen Wasow wegen unlauteren Geldge- bahrens vor ein Kriegsgericht zu stellen. O Wie aus Madrid telegraphiert wird findet am 16. Oktober unter Vorsitz des Königs der entscheidendeMtnister- rat statt, der über den Fortgang der spanischen Operationen in Marokko und die innere Poli - t i k beschließen soll. D-r serbische Minister des Aeutzeren Milanowitsch tritt morgen eine Auslandsreise an, auf der er Wien, Berlin, Paris und eventuell auch Rom besuchen wird. Die italienischen Blätter drücken ihr Bedauern über die bis zum Frühjahr verschobene Kanzlerretse aus. Revolver und Feder. d Der Erpresserprozeß, der in der letzten Woche vor der Berliner Strafkammer verhandelt worden ist, hat ein starkes und allgemeines Interesse hervorgerufen. Nicht eigent lich wegen der beiden Angeklagten. Das waren im Grunde un interessante Leute: «beide. Auch Herr Dahsel, der niemals — selbst in seinen besten Jahren nicht — Äer angesehene und ernst hafte Journalist gewesen ist, für den ihn ein offenbar etwas ahnungsloser Schwurzeugv ausgab. Ein Deklassierter, innerlich längst Morscher, den das Leben mehr und mehr zerreibt und der, um die Not von seiner vielköpfigen Familie zu scheuchen, zu immer verzweifelteren Mitteln greift — ein Typ, der leider nicht selten ist auf dieser unvollkommenen Welt und einem in allen freien Berufen begegnet. In der Presse — das sei, um unzulässigen Verallgemeinerungen die Spitze abzubrechen, doch betont — noch verhältnismäßig spärlicher als anderswo. Was den Prozeß, durch den auch sonst mancherlei Brüchige, An gefressene als gerichtlichen Alltäglichkeiten hinaushob, das war das Milieu, auf dem er sich ausibaute. Und so saß letzten Endes jene Sonderart Presse auf der Anklagebank, die Exi stenzen wie Dahsel und die Rechercheurin Schuwardt überhaupt erst ermöglicht. Die ist in den letzten Jahren aus dem in solchen Stücken ungemein empfänglichen Boden der Millionenstadt üppig ins Kraut geschossen. Der eine verheißt allwöchentlich um 10 Pfg. und die Wahrheit zu künden, der andere ist von vornherein eindeutiger und erklärt mit schlichtem Freimut lediglich die großeElocke sein zu wollen, die alles ins Land läute. E e - meinsam aber ist allen diesen Unterncchmungen die Sensa tionslust und die Skrupellosigkeit, mit der, um ihr zu sröhnen, die intimsten Vorgänge aus dem Familienleben und der Privatsphäre des Einzelnen an die Öffentlichkeit gezerrt Werden. Darüber war in den letzten Jahren geradezu ein Ge fühl der Unsicherheit aufgekommen. Wer irgendwie in der Öffentlichkeit stand, fühlte sich durch die Existenz derartiger Organe im Grunde fortwährend bedroht und mancher, der früher und nachdrücklicher gesprochen und nach Schutz und Abwehr ge rufen hätte, unterließ es, weil er den Zorn der kraftvollen Männer fürchtete, die die Schleusenvorrichtung dieser Kanäle der öffentlichen Meinung in der HaNld hielten. Auch wer für seine Person gewiß nichts zu fürchten hatte. Aber man setzt sich — die starknervigen Vollnaturen sind in unserem Säkulum selten geworden — nicht ohne Not Anwürfen aus. Und man geizt nicht eben danach, seinen Namen durch die Goffe geschleift zu sahen. Es ist da wie bei den Beleidigungsprozeffen, bei denen auch immer der Brutalere in der Vorhand ist: semper niiguick Iniom-t. Auf diesen beiden an sich ganz richtigen massen psychologischen Erkenntnissen — auf der Sensationslüsternheit unseres Geschlechts und der schier krankhaften Scheu, d<m Kampf mit dem feigen Verläumder zu wagen — basieren alle diese Preßgfchäfte in des Wortes mehrfacher Bedeutung. Das waren die großen Aktiva, die bei jeder Gründung von vornherein ins Haben gebucht werden konnten. Wir alle sind da nicht ohne Schuld, und deshalb wird auch die Heilung, die ach, wie dring liche, nicht ohne unsere Mitwirkung zu ermöglichen sein Zu vörderst solltjen wir dieser Gattung von Publikationsorganen grundsätzlich unser Ohr verschließen. Was nicht einmal so schwer sein könnte. Damit wäre das Uebel an der Wurzel gefaßt. Denn Skandalös«, von denen keiner erfährt, verpuffen ohne Wirkung. Und ein Blatt mag noch so schlecht sein: wenn es nie mand liest, hört es auf Macht zu sein. Ob noch aus ande rem Woge gegen diese Presse eingeschritten werden könnte, die nachweislich in soundsoviel Fällen schweres Ungemach Liber ganze Familien gebracht und mehr als einen in wilde Verzweiflung hineingesetzt hat, erscheint uns fürs Erste noch zweifelhaft. Es ist da mancherlei in aller Ruhe zu bedenken. Wie wir denn über haupt keine Freunde der überhasteten modernen Eelegenheits- Metzgebung sind. Aber aus dvm Auge sind diese Dinge jeden falls nicht mehr zu verlieren und deshalb ibegrüßen wir es, daß der Gerichtshof sich nicht von dem eifervollen Staatsanwalt ins Boxhorn jagen ließ und wenigstens für eine beschränkte Oeffent- lichkeit sorgte. Mir wollen doch auch nicht zu prüde werden. Mehr Schmutz als dieser Tage bei der Ermordung der in das unglückseligen Sacher-Masoch Spuren wandelnden Berliner Lie beshändlerin aufgewühlt wurde, ist im Prozeß gegen Dahsel sicher auch nicht aussgefahren wordem Und es galt doch einen Korruptionsherd aufzudecken, einen Ueberblick über Praktiken zu gewinnen, die je länger je mehr zu einer Gefahr für unser öffentliches Leben wurden. Im übrigen sind diese Dinge ja nun nicht zum letzten Male verhandelt worden. Herr Reichstagsabg-ordneter Bruhn, der Herausgeber und Verleger der Wahrheit, hat, wie er durch seinen Anwalt mitteilen läßt, gegen die Verteidiger Dahsel? Strafantrag gestellt, weil er vor Gericht den Beweis zu erbringen wünscht, daß die Vorwürfe, die gegen ihn bei dieser Ged iegenheit laut wurden, unberechtigt seien. Staatsanwalt und Strafkammer waren freilich der Ansicht, daß dieser Beweis be reits in durchaus gegenteiligem Sinn geführt sei. LMlsguvMt von Mn AM <M ri. Wolm nui- ZiMtA Sauer Ilms Leben. Eino russische Iagdcriniierung vvu Fritz Hein; v. i>. Emscher. (Nachdruck verboten.) In rasendem Tempo sauste die Troika, in der ich mit mei-em Freunde, dem russischen Baron F., saß, über die weiße, glitzernde Fläche dahin. Die kleinen, unansehnlichen Gäule waren wirklich b-mnmdernswert. lieber vier Stunden saßen wir nun in dem Gesähr., und noch merkte man den Tieren nicht die geringste Er- nnnuug an. Ans dem russisch-japanischen Kriegsschauplatz, auf dem :<h als Vertreter eines großen amerikanischen Blattes tätig war, '.olie ich die Bekanntschaft meines Begleiters gemacht, der dawal liissnch'r Offizier Ivar, und als wir schieden, waren wir Fr,ar: i i n'. Nach dem Kriege hatte er seinen Abschied venowm u, üi» "ne Güter zu verwalten. Abgesondert von der W lt, acht Sumo Wagcnfahrt von der nächsten Bahnlinie ent fernt, mochte . dal Sebnsucht nach Abwechslung haben, und un erwartet traf in , eiius Tages seine Aufforderung, ihn zu besuchen und mit ihm das ekle Waidwerk zu pflegen. Als leidenschaftlicher Jäger ließ ich mir das nicht zweimal sagen, um so mehr als ich nichts zu oeriünmen Halle, und es mir ganz rcchl war, etwas aus- zuspcmnen. lind so besorgte ich mir einen Paß, brachte meine Jagog wehre mit Hilfe zahlreicher rollender Rubel glücklich über die Grenze und kam nach einer schier endlosen Fahrt auf der Bahnstation an, non der mein Freund, glücklich, wieder einmal einen zivilisierten Manschen um sich zu haben, mich abholte. Nach dem er mich in den Schlitten so verpackt hatte, daß kaum mehr eine Nasenspitze aus dem Berg von Fellen und Decken heraus- lugte, begann die achtstündige Fahrt, die einfach wunderbar war, aber doch ein angenehmeres Gedenken bei mir zurückgelassen hätte, wenn der eisige Noidost ein wenig zurückhaltender gewesen wäre. Vnrzchn Tage hatte ich bei meinem Freunde geweilt, hatte in der köstlichen Einsamkeit unvergeßliche Tage verlebt, war vom Jagdglück sehr begünstigt worden und saß nun wieder im Schlitten, um die Rückkehr unzuirelen. Wir hatten am vorhergehenden Abend einen mannhaften Abschicdstrunk genommen, hatten uns am nächsten Morgen tief, tief in den Schlitten verpackt und waren in trüb- ieligcr Stimmung loseefahren. Am vorhergehenden Tage waren auf dem Wrge, den w.r passieren mußten, mehrere große Nudel Wölfe gesehen worden, die mit großer Zähigkeit einen Schlitten verfolgt hatten. Ich muß gestehen, daß ich innerlich meinem Freunde ein wenig gram war, weil er um jeden Preis einer Begegnung mit den Wolfen aus dem Wege gehen wollte, während ich mir vm füllte, daß es gar zu hübsch sein müsse, vom Schlitten aus zum Absä'icd noch einigen dieser -viderwärtigeu Kreaturen das Lebenslicht ausblaseu zu können. Natürlich hatte sich auch mein Freund bewaffnet, und ich führte meine sämtlichen Jagd- gcwehrc mit, wegen deren Zahl ich ost genug von Jägern verlacht worden bin, die sich in ihrer Viels, iiigkeit aber immer wieder sehr bewährt haben: eine Sieben-Millimeter-Repelierbüchse, eine Fern rohrbüchse. eine Doppelschroislintc und eine Winchesterbüchse, die bei einmaligem Laden fünfzehn Schuß gestattet. Mein Freund hatte seinen gewohnten Drilling zu sich genommen. Fast halte ich mich mit dem Gedanken abgcfunden, Rußland verlassen zu müssen, ohne auch nur einen Wolf zu Gesichte be kommen zu haben, als plötzlich die Pferde unruhig wurden. Mei» Fwund horchte aus. Wir durchsuhren eben ei» verschneites Ge. Hölz, dessen Ende schon in sehen war, und dann mußten wir wieder m ine werte Even ya.aus. Horch, rief mir mein Freund zu und legte die Hand an da« Ohr, um besser zu hören. Richtig, das war ein vielstimmiges, heiseres Geheul, das mit jeder Sekunde vernehmlicher wurde. Jetzt mar die Walbkante erreicht, und ich muß offen gestehen, daß ich voller Erwartung einen Augenblick das Almen vergaß. Dort, weit entfernt, inmitten der unendlichen weißen Ebene, bewegten sich kleine Punkte, die sich in der Färbung r icht allzu sehr von dem. Schnee abhoben, von rechts her iu rasendem Tempo auf uns zu. Während mein Freund mit bitter ernstem Gesicht seinen Drilling hervorholte, bemerkte ich, allmählich doch etwas besorgt werdend, wie die Pferde immer unruhiger wurden und unser sonst so wackerer Kutscher, ein nicht untntelli- gentcr Kleinrusse, sie kaum im Zaum halten konnte. Dabei trieb er sie immer mehr an, so daß uns bei der rasenden Fahrt ein scharfer Luftzug ins Gesicht wchtej Inzwischen waren die Punkte immer größer, immer zahl reicher geworden. Mein Begleiter wurde sehr ernst. Iwan Iwanowitsch, fahre zu, so sehr du kannst. Ueber dreißig Wölfe, das ist das stärkste Rudel, das mir je begegnet ist, und die Bestien scheinen nett ausgehungert zu sein. — Nun mache Gebrauch von deinen vielen Gewehren; ich werde dir laden helfen. Die letzten Worte galten mir. Immer noch hielt ich die Worte meines Begleiters für Uebertreibung und lächelte leicht. Da aber kam ich nett an, noch niemals hatte ich meinen Freund so bitterernst gesehen. Ich sah, wie er sich Zwang antat, und doch klang es recht hart: Du lächelst? Ja, mau kann auch, den Tod im Angesicht, noch lächeln, wenn es ein anständiger Tod ist; aber sich von diesen Bestien da ins Jenseits b.fördern lassen, ist doch gerade kein Ge danke, der lächeln machen kann. Wenn es den Tieren da gelingt, an die Pferde heranalkommen, dann gn ide uns Gott. Die nächste menschliche Ansiedlung ist vier Zlur.den entfernt, und daß wir uns zu Fuß die Bestien vom Leibe halten können, glaube ich nicht. Gleichzeitig hatte er mit fieberhafter Eile zu laden be gonnen. Jetzt waren die Tiere auf eine Entfernung heran, die ich auf 200 Meter schätzte. Erst waren sie im rechten Winkel auf uns lvsgestürmt, hatten weiterhin dann die Richtung nach unserem in rasendem Tempo dahinsausenden Gefährt genommen, so daß sie sich in einem ständig spitzer werdenden Winkel auf uns zu bewegten. Das war fatal, denn sie boten auf diese Weise eigentlich nur Gelegenheit zum spitzen Schüsse, der natürlich, da sowohl wir wie die Ziele in Bewegung waren, nur leichte Chancen bot. Dennoch gab es keine andere Möglichkeit, denn in einem so spitzen Winkel auf das Blatt zu schieße», wäre erst recht Thorheit gewesen. Ich nahm vorerst einmal meine treue Repetierbüchse zur Hand, stellte das Visier auf 200 Meter ein und schoß — vorbei, obwohl ich gut abgekommen war. Mein Freund lächelte. — Wie weit? — Zweihundert. — Sagen wir vierhundert. — Ich sah ihn ungläubig an. — Die alte Geschichte. Wer nicht gewohnt ist, auf diesen weiten weißen Flüchen abzuschätzen, haut stets vorbei. Schluß soll.)