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jMittwoch, 6. Oktober 19V». 01« wr »800 uU«t, »imitiil Rr. 232. Werter Jahrgang sluer Tageblatt und Anzeiger iür das Erzgebirge V i Verantwortlicher Redakteur; reift Xi-»»,»«. Für di« )nseratc verantwortlich: lvaltii' tsktttt». Seide in Aue i. Lrzgeb. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntag» nachmittags von »—5 Ahr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 50. Für unverlangt eingefandte Manuskript« kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag kl,er viAÄ- tl. vei-»«r m. b. h. in Aue i. Grzgeb. Bezugspreis: Durch unser« Boten frei ins Saus monatlich so psg. 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Schs.) «k Piäiiainm und Direktorium des Hansabundes haben um fassende Richtlinien für die n ä ck st e T ät i g k e i t des Bundes beschlossen. (S. Art. i. Blg.) * In Marokko drohen neue ernste Wirren auSzubrechen. Im ganzen Lande wird der heilige Krieg gegen alle Fremden und Christen gepredigt. Auch Muley Hafid scheint sich den Riffioten im Kamps gegen die Spanier an- " schließen zu wollen. (S. Tel.) ch ----- - - * Petit Parisien meldet aus Barcelona das dortige Kriegs gericht hat 1200 Prozesse durchzuführen, die man bis zum Dezember zu erledigen hofft. * Der abgesetzte Schah von Persien ist gestern in Odessa ang-kommen. Er äußerte sich Journalisten gegenüber sehr befriedigt über den glänzenden Empfang in Rußland. Zur Lmwtagswahl im 2». städtische» Wahlkreise. X Im Herbst vor zwei Jahren tobte, so kann man sagen, in den Städten unseres 20. Landtagswahlkreises der Wahlkampf um das Landtagsmandat, das durch Ablauf der 6jähr. Wahlzeit frei «geworden war. Für nicht weniger als 3 Kandidaten focht man auf bürgerlicher Seite, während die Kandidatur Jungnickel die An- Berliner Brief. (Von unserem Korrespondenten.) rNachdrult Virbolen.) (Gestörte Trlegrciphenleitungen. — Die Fnedrichstndt vhno Licht. — Die dunkle Friedrichstraße. — Die Bühnenflucht der Hedwig Mangel. — Die Hcilsarmee- — Demonstrierende Frauen.— Ein diätetisches Restaurant. — Das Hasardspiel in der Eisenbahn.) Zwci besondere Ereignisse, die aber wohl kauin über die Grenzen Berlins hinausgedrungen sein werden, trotzdem sie unser Verkrhrslcben für einige Stunden auf das empfindlichste beein flußten, sind aus der vergangenen Woche zu registrieren: die erd- magnetischen Teiegraphensiörungen und das Versagen des elektrischen Lich-.es. Sollten nachträglich ängstliche Gemüter, die von den mag nett scheu Gewittern gehört haben — die Folge waren eben die Teiegcaphenstörungen —, noch immer an einem bevorstehenden Weltuntergang glauben, so mag sie die bestimmte Versicherung beruhigen, daß Vie Nähe des Planeten Mars, deren w!r uns gegenwärtig erfreuen dürfen, an diesem Faklum unschuldig ist. Uebcrall im Reiche haben diese magnetischen Kobolde übrigens ihr Unwesen getrieben, und sogar aus der andern Hunisphüre haben sie ihre Sparen zurückgelassen. Während sie aber in einigen Orlen von Sturm und Regen begleitet waren, versteckten sie sich bei uns nur in die Erdkabel ver Telegraphenleitungen und richteten dort allerdings allerlei Unfug an. Vor allem wurde die Börse in Mitleidenschaft gezogen, und telegraphisch erteilte Ordern konnten nicht den Adressaten übermittelt werden. So kam es, daß viele Papiere ungekausl und unverkauft blieben. Den rechnungsmäßig entstandenen Schaden wird allerdings niemand ersetzen können. Hatten die Schwierigkeiten tm Depcschenvcrkehr immerhin einen ernsteren Hintergrund, so brachte das Versagen des elek trische l Lichtes manch tragikomische Szene. Glücklicherweise blieb bas tiefe Dunkel, das plötzlich in der siebenten Abendstunde hereinbrach, nur auf einen Teil der Friedrichstadt beschränkt, aber r« war gerade der sonst belebteste Teil zwischen Schützcnstraße und Larven, die ganze Friedrichstraße entlang. Das durch diese Lt iie durchschnittene Karree war plötzlich in tiefe Finsternis gehüllt. Lehnlich wie im Dornröschenmärchen standen auf einmal alle Näder still, denn man sah nicht, wohin man greifen sollte. Das Per sonal in den Banken, das wegen des VierteljahrSabschlnsses länger arbeiten mußte, das Heer der Angestellten m den Konfektions hänger der Sozialdemokratie um sich sammelte und zur Wahlurne beliess. Ob des Streites der ersten drei freute sich der vierte und er glaubte wohl seinerzeit sogar, trotz dem Dreiklassenwahlrechte, angesichts dieser Uneinigkeit auf bürgerlicher Seite Chancen zu haben. Zum ersten Male wollte der Libe ralismus Heerschau halten und seine Anhänger zählen. Das tat er, indem er neben Sen aufgestellten konservativen Kandida ten eine eigene Kandidatur in der Person des Herrn Stadtrats A. Bauer errichtste. Der Kamps entbrannte. Er tobte, wie wir oben schon sag te», und es ist n cht ratsam — es wäre auch nicht erquicklich — uuf Kie Einzelheiten des Kampfes einzugvhen. Aber er brachte den vorauszusehenden Sieg des nationalliberalen Kandidaten, des Herrn Stadtrats Bauer. Kurz nach der Wahl schon trat der Landtag zusammen und es begannen die unendlich langen Bera- ruv.gen, die noch in unserer aller Gedächtnis sind. Der Landtag verabschiedete mehrere Gesetze und vor allem brachte er das nicht nur lang ersehnte, sondern auch von der ganzen Bevölke rung energisch geforderte und selbst von der Regierung und den Ständen für notwendig erachtete neue Wahlgesetz. Unzählig viele Opfer an Zeit un!d Mühe muß ten für die Beratungen dieser wichtigsten Gesetzesvorlage auf gebracht werden, eine Menge mehr oder weniger guter Vor schläge für die Reform wurden eingebracht und erregte Szenen spielten sich sowohl in der Deputation als auch im Plenum der Kammer ab. Schließlich wurde Las Kind unter Schmerzen von allen politischen Fraktionen geboren, das heute gültige Wahl gesetz beschlossen. Es knüpfen sich an dieses die besten Hoffnungen Aber was aus ihm werden wird, wer kann es wissen? Der 2l .Oktober wird es uns sagen, ob das Kind lebens fähig ist oder nicht. Soviel läßt sich aber schon heute behaupten, daß es gegenüber dem früheren Wahlrecht von 1896 beträcht lich freier ist und es ist sicher, daß mit dem Wahlrecht jede politische Partei unseres Landes auf ihre Rechnung kommt. Frag lich bleibt nur, welche den größten Vorteil haben wird. Dieses Wahlrecht, von dessen Erfolgen man ja noch nicht sprechen kann, das aber den unteren Wählerschichten gegenüber entschieden gerechter wirkt als das frühere, verdankt seinen libe ralen Zug den von Erfolg begleiteten Einflüssen der natio nalliberalen Partei, der auch der Vertreter unseres Wahkreises angehörte. Es ist in parlamentarischen Kreisen be kannt, wie auch er, obwohl nicht zur Deputation gehörig, seine ganze Kraft einsetzte, um an dem schwierigen Werke «der Wahl reform mit zu helfen. Im Wahlkreise ist es durch die Presse offenkundig geworden unv durch die in allen Städten gegebenen Referate über die LandtagstätWeit wurde es bewiesen, wie in tensiv und erfolgreich unser Vertreter in die Beratungen im Plenum uiis in den Deputationen eingegriffen hat, wie er sich besonders bemühte, in den Fragen seine Meinung energisch zu vertreten, die die vielen Wünsche aus feinom Wahlkreise betra fen. Menn auch diese Wünsche teilweise noch nicht zur Er füllung gebracht werden konnten, so ist es dem Einflüsse des Herrn Abgeordneten Bauer zu danken, daß das besondere Augen merk der Regierung auf die verschiedenen Bedürfnisse des Wahl kreises gerichtet wurde, die in den nächsten Jähren sicher noch bei weiterer nachdrücklicher Vertretung durch einen bürger lichen Kandidaten Berücksichtigung finden werden. Durch das neu geschaffene Wahlgesetz wurde die Auflösung der zweiten Kammer notwendig und es stehen in wenig mehr als zwei Wochen die Neuwahlen zur zweiten Kam mer bevor. Das ganze Land rüstet sich, die Kandidaten sind auf gestellt. Genau wie vor zwei Jahren in unserem Kreise will man jetzt im ganzen Lande Heerschau halten über die Anhänger der politischen Parteien. So finden wir in den meisten Wahlkrei sen wohl alle Parteirichtungen, die konservative, wie die natio nalliberale, die freisinnige wie die sozialdemokratische und auch die Mittelstandsvereinigung, die im konservativen Fahrwasser schwimmt, vertreten. Der beste Beweis aber dafür, daß man in allen Reihen der Wählerschaft unseres Kreises eingesehen hat, daß die vor zwei Jahren getroffene Wahl in jöSer Beziehung glücklich war, daß sie alle gegenteiligen Vorurteile vorteilhaft widerlegte, ist der, daß man für die Wahl in unserem Kreise auf bürgerlicher Seite als einzigen Kandidaten den bisherigen be währten Abgeordneten Herrn Stadtrat und Fabrikbesitzer A- Bauer mit allseitigem Einverständnis aufgestellt hat. Es ver zichteten sowohl Konservative wie auch Freisinnige auf -eigene Kandidaturen. Und wir sind überzeugt, daß die Wähler ihrer Pflicht gegenüber dem Vaterlande eingedenk und des Wertes der Person des Abgeordneten sich bewußt sein werden, daß sie alle samt für ihn eintreten. Es ist die denkbar ungünstigste Zeit, in die die Erneuerung der zweiten sächsischen Kammer fällt. Noch zu sehr leiben die Er- aeschäften, Vie Verkäuferinnen IN den Dklailgeschästen — alle wurden mitten in dec Arbeit von der Finsternis überrascht. In einigen Lokalen konnten die Gäste nicht weiter essen, weil sie nicht sahen, wus sic auf dem Teller hatten, und die Autos mußten langsam fahren, weil sie sonst das größte Unheil hätten anrichien können. Den seltsamsten Eindruck aber machte die Friedrichstraße, und die nie fehlenden Missetäter nutzten die eigenartige Situation zu allerhand Allotria aus. Fast fünf Stunden dauerte die ägyptische Finsternis, die so recht vor Augen führte, wie entsetzlich e; wäre, wenn wir keine sonst so ausgezeichnet funktionierende Beleuchtung hätten. Eni drittes Ereignis, das der Draht aber gcwiß in alle Welt getragen Haven dürfte, ist die Bühncnfluchl einer unserer ersten Künstlerinnen. Hedwig Mangel hat dem Theater Valet ge sagt, um sich fürderhin einem rein religiösen L-ben widmen zu können, nachdem sie bei einer Bußversammlung der Heilsckrmcse zrr E.kcnntnis ihres bisherigen Jrrlebens gekommen sein will. Man kann über die Aeußerlichkeiten der Heilsarmee denken, wie man will, das eine darf man dieser Organisation nicht absprcchen, daß sie in hohem Maße wohltuend soziale Arbeit geleistet hat. Frau Mangel hat ihr Heim verlassen, hat allen Bühnen ruhm, der ihr in so reichem Maße zuteil geworden ist, beiseite geworfen und sich in »laubigem, demutsvollcn Ringen einem as ketischen Dasein zugewandt. Wer will aber mit ihr rechten? Nur betrübend ist es für uns, die wir immer noch an Schillers Wort von der moralischen Schaubühne glauben, daß die Künstlerin das Theater mit so schnöden Worten abtnt. Millionen von Menschen crbauen sich am Faust noch immer, die ganze Fülle menschlicher Elkeniitinsmöglichkeiten hat der Olympier in Faust's und Mephistos Reden gelegt, und für Hedwig Mangel ist'S nur ein schändliches Gewerbe gewesen, diese Wahrheiten und Zweifel zu verkünden. Das isl's vielleicht, was man Hedwig Wrnget zum Vorwurf macht, nicht etwa die Tatsache, daß sie fortan nur Werke der barmherzigen Liebe auf Grund eines tief religiösen Lebens vollbringen will. Was würde sie wohl gar zu deni Tun der Frauenrechtlerinnen sage», die eben beschlossen haben, den Dcmonstralionszug für das Frauen- stimmrechi nun wirklich in Szene zu setzen I Bisher glaubte man allgeme'ii, cs wäre nur ein Schreckschuß,- jetzt aber wirds Ernst, und die modernen Amazonen wollen nichts ge ringeres, als zur Eröffnung des Reichstages stumm grollend durch die Straßen zu ziehen. Ob das die löbliche Polizei erlauben wird ? Wenn sie klug ist, wird sie kein Veto eiulegen, nur darauf achten, daß keinc Ausschreitungen Vorkommen. Läßt man sie ruhig demonstrieren, so werden nur die Amateurphotographen Arbeit haben, sonst würde man vielcicht erst Exzesse herbeiführen. Man lasse die Phantasilcen also ruhig gewähren, am Ende überlegen sie cs sich doch und verzichten freiwillig auf das politische Stimmrecht. Das andere haben sie ja sowieso schon; denn es ist eine alte Wahr heit, daß der Mann nicht absolut der Stärkere ist. Uebcrall herrscht die Frau, und ihrem Kultus beugt sich seit Anbeginn der Welt der Mann. Und heute mehr denn je steht die Frau im Mittelpunkt des Lebens; das sieht man ja auch daran, das überall das Bestreben herrscht, die Möglichkeiten für die Heranbildung der Mädchen zu vermehren und zu vertiefen. Uebrigens hat die Berliner Frauenwelt sich ein besonderes Verdienst erworben; nicht zum wenigsten ist einigen Führerinnen die jetzt erfolgte Begründung einer diätetischen Pension zu danken, die einem wirklichen Bedürfnis abhelfen soll. In dieser Pension soll jedem individuellen Geschmack Rechnung getragen werden. Zucker- und Nierenkranke sollen ihr be sonderes Essen erhalten, Erholungsbedürftige die Speisen nach ärztlicher Vorschrift, Mastkuren sollen ebenso gemacht werden können wie Entfettungskuren. Ob die Leitung dieser diätetischen Pension auf ihre Rechnung kommen wird, zumal die Speisenden nicht auch dort wohnen, muß freilich abgewartet werden. Vielleicht wird es ebenso sein wie mit dem Stimmrecht. Haben sie es erst, werden sie froh sein, es wieder los werden zu können. Man soll also, wie gesagt, die verehrten Damen ruhig gewähren lassen. Wenn sie sich bei dem Spielen mit dem Feuer die zaiten Händchen etwas verbrannt haben werden, dürften sie vorsichtiger sein. Auch manche Herren der Schöpfung werden dies tun, namentlich die, die jüngst bei einem kleinen Hasardspiel in der Bahn von Straußberg nach Berlin ertappt wurden. Lustige Sieben und Mauscheln sind be kanntlich verboten, aber das genierte einige Rennbahnschieber nicht, während der Fahrt ein Bänkchen aufzulegen. Die Be teiligung war sogar sehr groß, aber die Polizei erhielt Kennt nis davon und machte der Sache ein Ende. A. Silvius. ...^ -.. ————