Volltext Seite (XML)
Donnerstag, 23. September 1S0S. ve« Id« »800 nUM »d»»M> Rr. SSI. vierter Jahrgang. Huer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. jüi di« Inserat« verantwortlich: b lvaNee AkMt». Sprechstunde der Bedaktla» mit Ausnahme der Sonntag« Nachmittage von e—L Uhr. — Lelegramm-Adreff«: Lageblatt Au». — Fernsprecher ilL in Aue >. Lrzged. Seid« in Au« i. Lrzgeb. Für unverlangt eingrsandt« Manuskripi« kann Gewähr nicht geleistet «erden. Wezugepreie: Durch unser« Boten frei in» Yao» monatlich »o pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich H0 pfg. und «Schentlich ,o pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich ».so Mk. — Durch sten Briefträger frei in» Bau, vierteljährlich ,.-2 Mk. — Linzrlne Nummer >o pfg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Aoinahm« von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätesten» Uhr vormittags. Für Aufnahme von grdsteren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur bann gebürgt werden, wenn st« am Lag« vorhrr bet uns eingehen. Jnsertionspreis: Di» fiebengespalten« «orpuszeile oder deren Raum io pfg., R«Namen 2» pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Diese Nummer umfaßt ll Seiten. Vit amilKtii Seikännmachullgell vrNuäeu sich in <ler vriiage. Das Wichtigste vom Lage. Der Kaiser ernannte den König von Sachsen zum Generalobersten unv verlieh dem Prinzen Ernst Heinrich den Schwarzen Adlerorden in Verbin dung mit dem Groß kreuz des Roten Adlerordens. * Aus Schloß Gera dors ist Prinz August vonSachsen- Koburg-Gotha, der erste Sohn des Prinzen August Leopold im 40. Lebensjahre nach zweitägiger Krankheit gestorben * Staatssekretär Dernburg tritt heute von Hamburg aus eine Studienreise in das Baumwollgebiet der Vereinigten Staaten an. (S. pol. Tgssch.) Das Luftschiff Zeppelin III ist gestern von Frankfurt a. M. wieder in Friedrichshafen eingetroffen. Der Parseval IV erlitt bei Bitterfeld einen kleinen Un fall. iS. Sport.) Gestern vormittag wurde in Pest ein Ministerrat adgehalten, in dem die Demission des ungarischen Kabinetts beschlossen wurde. (S. Tel.) IE- Mutmaßliche Witterung am 24. September: Keine Witterungsänderung. -ML Die Aufgaben -es neuen sächsischen Landtags, ii. Die Gcmeindegesetzgebung Sachsens hat ihre Aus gestaltung in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts erhalten. 1873 wuroe sie durckpesehen und umgearbeilet. Unsere ganze grobe deutsche Entwicklung liegt aber hinter jener Zeit. Das gewaltige Wachstum unserer deutschen Bevölkerung von 40 auf 64 Millionen, die Industrialisierung des Landes haben die tät lichen Grundlagen verändert, worauf unsere Gesetzgebung zu« geschnitten war. Besonders muß den Verhältnissen der großen Landgemeinden Rechnung getragen werden. Es fragt sich, ob die selbständigen Gutsbezirke in ihrer bisherigen Gestaltung beizubehalten sind oder ob man sie kvmmunalpolitisch mit den benachbarten Gemeinden vereinigen soll. Der Eingemeindungs- frageist allerorten Aufmerksamkeit zuzuwenden. Aus der Feudal zeit her sind vielfach einheitliche Wohnplätze in mehrere politische Gemeinden geteilt. Das hatte früher einen Sinn, weil die Feudalherren der Ortstcile verschieden waren. Jetzt kann durch eine rechtliche Verschmelzung nur eine Steigerung der Leistungs fähigkeit herbeigcfnhrt weiden. Auch das Verhältnis zwischen de» Großstädten und ihren Vororten läßt sich am besten durch die Einvei leidung regeln. Die Interessen dec BezirkSoerbände werden gebührend dabei zu schonen sein. Freilich ist offen zu bekennen, daß eine Verstärkung des agrarischen Einflusses in den Bezirks verbünden nicht zu wünschen ist. Die Regierung hatte dem vorigen Landtage einen Entwurf vorgelegt, der darauf hinauslier, die Städte unter den ennishaupimann und den AmtShauptmann unter die Rittergutsbesitzer seines Bezirks zu stellen. Dieser Entwurf wurde bisher nicht Gesetz und das ist gut. Die Selbstverwaltung würde dadurch arg verkümmert werden. Die Selbstverwaltung ist aber für jedes Staatswesen von grober Bedeutung. Das hatte der Freiherr voin Siel» wohi erkannt, als er 1806/07 die Er- muelung des zusammeiigebrochenen prcubischen Staats begann. Er wußte genau, daß nur im Wege der Selbstverwaltung die tüchtchen K'äste in eincm grohen Staate freigcmacht, enloeckt und hervoigezogen werden. Wo eine Aufgabe einen tüchtigen Mann erheischt, wird er sich zur Aufgaoe finden, wenn man dem Volke die Möglichkeit läßt, ihn zu wädlen und den Untauglichen durch einen Tauglichen zu ersitzen. Em Ministerium kann unmöglich die Fähigkeit haben, für alle Stellen im Lande den richtigen Mann zu finden. Lurch die Setbstverwaltung wird die Lust und Freude der Bevölkerung am Staate wach gehalten. Sie wirkt er-ieberisch, verlest,! polnische Bildung und stärkt bas politische Verantivorilichkeitsgefühl d.s einzelnen. Die Abgeordneten werden sich also diese kostbare Errungenichasi einer ernsten Zeit nicht nehmen lassen, sondern jedem Versuche ihrer Einschränkung mit EntschieLenhiit begegnen. Wenn trotzdem einer durchgreifenden Regelung des Ge rn e i n d e st e u e r w e s e n s das Wort zu reden ist, so bedeutet das keinen Gegensatz zu den bisherigen Ausführungen. Eine solche Regelung bedeutet keine Beeinträchtigung einer wohlver standenen Selbstverwaltung. Sie ist aber geboten. Unser deutsches Steuerwesen ist überaus entwickelt. Zuerst kommt das Reich. Nach der Reichsverfassung gilt der Grundsatz: Reichsrecht bricht Landsrecht. Wenn also das Land Einnahmequellen an sich zieht, kann cs die Bundesstaaten und die Gemeinden davon fernhalten. So hat das Reich 1906 die Erbschaftssteuer an sich gezogen. So hat es 1902 den Gemeinden die Erhebung von Verbrauchs abgaben auf gewisse Nahrungsmittel verboten,- so hat es 1909 der Gemeindebierstcuer gewisse Grenzen gezogen. Damit will sich das Reich gewisse Stcucrquetten sichern und einem lästigen Drucke seiner Abgaben Vorbeugen. Das gleiche Interesse haben die Bundesstaaten. Deshalb hat Miquel bei seiner großen Reform der preußischen Staatsfinanzen 1890—92 auch das Koinmnnal- abgabenwesen und die Polizeikosten neu geordnet. Eine Ab- grenzung der Steuerquellen ist unumgänglich nöiig, wenn Ordnung herrschen soll. Außerdem kommt noch hinzu, daß viele kleine sächsische Gemeinden ein höchst unentwickeltes Steuerwesen haben, das durch ein neues Gesetz nur vorwärts gebracht werden kann. Das Dienstrecht der Beamten ist vielfach veraltet. Das Recht der Staatsbeamten odcr wie das Gesetz sagt: Zivil- ftaatsdiener, stammt aus den 30 rr Jahren des vorigen Jahr hunderts. Daß sein Geist unzeitgemäß ist, erhellt schon daraus, daß es häufig kurzweg von Dienern spricht. Unsere Beamten sollen aber Männer sein, nicht Diener, wie die Gesetzgeber des Vormärz sagten. In das Disziplinarprozeßrecht sind zeit gemäße N uerungcn aufzunehmen wie die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten eines unschuldig Verurteilten, die Ent schädigung von unschuldig Verurteilten u. a. m. Höchst unent« wickelt ist das R.cht der Gemeindebeamten. Bei diesin fragt cs sich insbesondere, ob man nicht eine Landespensionskasse ein führen und so eine gewisse Freizügigkeit ermöglichen soll. Das Disziplinarrecht der Volksschullehrer mutet ganz alter tümlich an: es ist mit den denkbar geringsten Rcchtsgaranlien zu gunsten des Angeklagten ausgestattct und kann so, wie es ist, keinesfalls bleiben. Die V o l k s s ch u l r c f o r m ist vielleicht die schwierigste Aufgabe, vor der der neue Landtag steht. Hier gilt es zunächst alle die pädagogischen Erfahrungen zu verarbeiten, die in den letzten Jahrzehnten gesammelt wurden. Auch unser Volksschulgcsetz stammt aus dem Jahre 1873, ist also über ein Menschenalter alt. In diesen 36 Jahren hat die Wissenschaft rastlos geschafft. Be sonders die sogen. K i n d e r fo r s ch u n g, die ihre Urheimat in England hat, weiß reiche Ergebnisse aufzuweisen, die wir uns bei der Gesetzgebung nutzbar machen müssen. Wir können ferner auf dem Gebiete des Schulwesens die jetzt gänzlich fehlende Selbst verwaltung einführen. Schwierig ist die vielumstrittene Frage des Religionsunterrichtes. Run: der Staat allein kann Kirchen gesetze ändern. Der Staat hat die Macht, die geistliche Aufsicht über den Religionsunterricht und die sittlich-religiöse Erziehung der Kinder, die er oer Kirche gewährte, ihr wieder zu nehmen. Hier über darf kein Zweifel herrschen. Papst Bonifaz VIII kündete in seiner Bulle Unuin smrcium die Lehre von der Ueberlegenheit des geistlichen über das weltliche Schwert. Diese Lehre duldet der moderne Staat nicht. Gleichwohl fragt es sich, ob der Staat aus Nützlichk-itsgründen von seiner Befugnis Gebrauch machen soll. Das wird einer eingehenden Prüfung bedürfen. Daß das Gedächtnis unserer Kinder von einem großen Teil des Memorier stoffes entlastet werden muß, ist zweifellos. Diese übermäßige Auswendiglernerei fuhrt zu nichts Ersprießlichem. Die persönliche Tüchtigkeit wird durch die vielfach gedankenlose Einprägung un verstandener in einer altertümlichen Sprache abgefaßter KatechismuS- stücke und biblischer Geschichten nicht gefördert. Das Ziel der Schule ist, daß der einzelne mit vielen nützlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgerüstet wird, die ihn wertvoll machen für die menschliche Gesellschaft und ihn den Kampf umS Dasein erleichtern. Auf welchem Wege dieses Ziel zu erreichen ist, läßt sich nicht zu allen Zeiten auf gleiche Art beantworten. Seit Luther den Kate- chismusunterricht einführte, seil den Zeiten der Kirchenvisitationen der Reformation haben sich unsere wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse wesentlich verändert. Auch in der Struktur der Ge sellschaft sind Verschiebungen eiugetrctcn. Wenn also das Ein prägen eines umfangreichen religiösen McmorierstoffeS vor 300 Jahren heilsam und nützlich für die Schuljugend war, so ist da mit nicht gesagt, daß es ihr heute noch fromme. Die Ansprüche, die das Leben an den einzelnen stellt, sind in den letzten 300 Jahren gewaltig gewachsen. Gewachsen ist auch die Kenntnis von der menschlichen Seele und ihrer Entwicklung. ES gilt nun, die psychologischen Erfahrungen zum Besten unseres Nachwuchses in einem modernen Vvlksschulgcsctze nutzbar zu machen. Die Abge ordneten der nationalliberalen Partei werden sich dabei über die Vorzüge der Arbeitsschule vor der bloßen Lernschule eingehend unterrichten. Sie werden Sorge tragen, daß nach Möglichkeit die Minderwertigen und schwer Erziehbaren von den gut Veranlagten getrennt werden, damit die einen die Entwickelung der anderen nicht hemmen. Sie werden das Mannheimer System daraufhin prüfen, wie es sich zur Anwendung in Sachsen eignet. (Schluß folgt.) Politische Tagesschau. A«e, 23. September. * Reichskanzler von Bcthmann-Hollweg ist Mittwoch vor mittag von Wien nach München abgereist. Auf besonderen Wunsch des Reichskanzlers unterblieb jeder offizielle Abschied. Auf dem Bahnhof hatten sich der deutsche Botschafter mit den Herren der Botschaft zum Abschied eingefunden. Der Reichskanzler trifft am heutigen Donnerstag auf Schloß Linderhof in Oberbayern ein. Der Regent hat dem Reichskanzler sein sonst von ihm selbst be wohntes Jagdhaus beim königlichen Schloß zur Verfügung gestellt. Herr v. Bcthmann Hollweg wird wahrscheinlich einige Tage dort bleiben. * Eine Amerikafahrt Dernburgs. Die Nordd. Allgenz Ztg. schreibt: Der Staatssekretär -«» Reichskolonialamts Dernburg hat sich in Begleitung des Referenten für Landwirtschaft im Kolonialamt, Regierungsrat Dr. Busse, nach Hamburg be- goben, um mit dem am Donnerstag nach Neuyork abgehenden Dampfer Cleveland eine Dienstreise in das Baumwolge- biet der Vereinigten Staaten anzutreten. Die Reife hängt mit der Absicht des Staatssekretärs zusammen, dem Anbau von Baumwolle in den deutschen Schutzgebieten größeren Umfang zu geben und die dahin zielenden Bestrebungen der kaiserlichen Gouverneurs und kolonialwirtschaflichen Komitee» zu fördern und zu stützen. Auf der Rückreise wird Staatssekre tär Dernburg Einladungen der African Society in London und Liverpool Chamber of Commerce zu je einem Bankett folgen. Die Rückkehr des Staatssekretärs erfolgt ungefähr am 15. No vember. ' , * Internationale SccrcchtSkonferenz. Die neunte Konferenz für internationales Scerecht, auf der 16 Nationen vertreten sind, wurde gestern vormittag in Bremen mit einer Begrüßungsan sprache des Bürgermeisters Dr. Pauli eröffnet. Zum Vorsitzenden wurde Oberlandesgerichtspräsident Dr. Sieveking-Hamburg gewählt. * Vom Kriegsschauplatz in Marokko. Nach der amtlichen Verlustliste ist in Melilla Dienstag mittag eine Ambulanz mit 106 Verwundeten eingetroffen. Darunter befinden sich der Kommandeur der Tarifajäger, Oberstleutnant Moreira, der im Sterben liegt, Major Monje vom Generalstab, Hauptmann Kovar, der Sohn des Divisionskommandeurs, ferner drei Haupt- Tute und sieben Leutnants. * Kämpfe in Indochina. Aus Paris meldet ein Telegramm: Die neuest« aus Jndochina eingetroffene Post meldet, daß neue ernste Kämpfe zwischen den Eingodorenen-Bandenchef Tham und französischen Truppen stattfanden. Eine Abteilung irregulärer französischer Truppen ging mit Gepäck und Waffen zu Tham über. Bei Len Kämpfen wurden auf französischer Seite fünf Mann getötet und zwölf verwundet, darunter zwei Offiziere. Aus -em Königreich Sachsen. Präsident MehurrtS Rücktritt. Wie wir in unserer gestrigen Nummer meldeten, hat Dr. Mehnert, der bisherige Präsident der zweiten Ständekammer, die Wiederannahme eines Landtagsmandats aus Gesundheitsrücksichten abgelehnt. Dr. Karl Paul Mehnert wurde am 7. Mai 1852 auf Rittergut Klüfte klein geboren und ist heute Ehren bürger der Stadt Aue. Er besuchte zunächst die Volksschule, dann Privatunterricht und später das Vitzthumsche Gymnasium zu Dres den. Nach dort bestandener Reifeprüfung studierte er die Rechte in Leipzig und Bonn. Seiner Militärpflicht genügte er als Ein jährig-Freiwilliger im 1. sächsischen Reiterregiment Kronprinz, jetzt 1. Husarenregiment Nr. 18 in Großenhain, dem er später auch als Reserveoffizier angchörte. Den juristischen Vorbereitungsdienst absolvierte er bei den Amtsgerichten Dresden und Schandau, sowie bei Rechtsanwälten, und übte nach abgelegtem Assefforexamen die Praxis als Rechtsanwalt in Dresden aus. 1885 wurde er Vor sitzender Direktor des Landwirtschaftlichen Kredit vereins in Sachsen (eine Stellring, die vorher sein Vater be kleidet hatte) und im gleichen Jahre wurde er in die Zweite Kammer des Landtags gewählt. 1890—1893 war er auch Mit-