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Donnerstag, 28. Februar 1SV7. 2ÜÜÜ Rr. äS. Zweiter Jahrgang. 5luer tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge 0era,UworUicher Redakteur Fritz Arnhold. Für die Inserate verantwortlich A r t tz u r Raffer beide in Aue mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme -er Sonntaae nachmittags von 4—s Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 202. Für unverlangt ringesandte Manuskript» kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck Verlag Gebrüder Beotheer ()nh.: Paul Benthner) in Aue. Bezugspreis: Durch unser« Boten frei ins Haus monatlich so pfg. Bei der Geschäftsüelle abgeholt monatlich M psg. und w ächentlich ,0 pfg — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich 1.50 Mk. — Durch en Briefträger frei in; Hau» vierteljährlich >.gr Mk. - Einzeln« Nummer ,0 pfg — Dentjcher postzeiiunas- katalog — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn, und Feiertagen. 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Die preußische Regierung fährt fort, die obstinaten Polen zu Massregeln. Es ist schon mitgcteilt worden, datz pol nische Schüler, deren Eltern mit in den Schulstreik verwickelt waren, von höheren Lehranstalten verwiesen würben, und dieses Rezept soll jetzt weiter verfolgt werden. Don Ostern ab werden keine polnischen Schüler mehr in höhere Lehr anstalten ausgenommen, deren Geschwister am Schulstrcik aktiv teilgenommen haben. Natürlich erst recht keine Schüler, die in der Volksschule selber wacker gestreikt haben. Diese letztere Mas,nähme ist begreiflich und durchaus gerecht fertigt, denn cs geht nicht an, das, die störrischen Kinder sich den verhängten Schulstrafcn dadurch entziehen, das, sie an höheren Schulen, an Realinstitute oder Gymnasien abgehen. Wer an der Volksschule von der deutschen Kultur nicht profitieren wollte, dem braucht man auch sür die höhere Schule die Wege nicht zu ebnen. Anders aber steht es um die Frage, ob die Atas,regel gegen die Kinder solcher Eltern erstreckt werden soll, die die jüngeren oder älteren Geschwister zur Teilnahme am Schulstreik veranlassten. Die Kinder können doch nicht dafür verantwort lich gemacht werden, was ihre Eltern gegen die deutsche Kul tnr gesündigt haben und vielleicht noch sündigen. Einen Ein stutz auf die Haltung ihrer Eltern könne» die Kinder doch nicht ausüben, und darum darf man die Kinder auch nicht sür die Gesinnung der Eltern damit bestrafen, das, man ihnen die Wege zur höheren Bildung systematisch verschliesst. Will man denn aus den Polen Staatsbürger zweiter Klasse machen? Durch die «»gekündigte Matznahme geschieht das in der Tat. Es haben bekanntlich so ziemlich alle polnischen Kinder aus das Geheitz ihrer Eltern am Schulstreik teil genommen. Ganze Striche deutschen Landes würden also de gradiert, die Bewohner zum Ausschlntz von einer entsprechenden Bildung und vom Anrecht auf eine höhere Lebensstellung ver urteilt. Das kann doch nicht befürwortet werden! Uns dünkt, das, gerade der ungebildetere Teil der pol nischen Volkes am allermeisten vom Deutschenhass beseelt ist. Die gebildeten polnischen Kreise lieben zwar das Deutschtum auch nicht besonders, aber sic hüten sich aus Vcrnunftgründen vor fanatischen Anfeindungen, und sie wissen auch die Vorteile des Deutschtums entsprechend sür sich auszunütze». Viele von ihnen sind milderer Anschauung geworden, fangen an, zu be greifen, dah der Deutsche vom Polen nichts weiter will, als das; er sich im deutschen Reich dem deutschen Recht entsprechend be nimmt. Sie sangen an, einzusehen, daß man den Polen keines wegs ihr Volkstum und ihre Sprache nehmen, sondern sie nur veranlassen will, auch das deutsche Volkstum zu begreifen und die deutsche Sprache zu lernen, zu ihrem eigenen Besten. Unsere Beamtenkrcise verdanken den Polen einen grotzen Zugang von sehr brauchbaren und tüchtigen Leuten, die sich allerdings völlig germanisiert haben, und das Ski und Sky reicht hinaus bis in die höchsten Regierungskreise. Fanatisches Polentum gibt es zumeist nur mehr unter den unteren Stämmen bei den Polen ohne Bildung, die im Deutschen den Usurpator, den Tyrannen sehen, der ihnen die Sprache, das Volkstum und die Religion rauben möchte. Hat da die preutzische Regierung nicht gerade ein besonveres In teresse daran, das; polnischen Kreisen die Segnungen der höheren Bildung nicht vorenthalten bleiben. Es ist doch ein sehr ein leuchtendes Excmpcl: die ungebildeten Polen sind fanatische Deutschenhasser: also mutz man dafür sorgen, datz die Leute mit dem Gewinn an Bildung ihren Deutschenhaß verlieren. Es wäre durchaus verkehrt, wollte die preutzische Unterrichtsbe hörde in der angckündigten Weise Vorgehen: damit erreicht sie weiter gar nicht, als datz der Hatz der Polen noch immer mehr auslodcrt, immer noch intensiver wird. Es war durchaus verfehlt, polnische Gymnasiasten von den Schulen zu verweisen, weil ihre Geschwister beim Schulstreik mittateu. Als man de» Sohn des Berliner Zehngebote-Hoss- mann von der Realschule verwies, weil ihn sein Barer gezwun gen hatte, von einer Kaiserseier fern zu bleibe», da hat sich mit Recht die gesamte anständige bürgerliche Presse hierüber aujgebalten. Was aber die preussische Unterrichtsverwaltung angeblich vorhat, das ist noch viel schlimmer. Sie raubt einem ganzen Volksstamm aus politischen Gründen eines der heilig sten Menschenrechte, das Recht aus Bildung. Da h.iven die Polen dann allerdings recht, wenn sie klagen, sie werden von den Deutschen behandelt, wie einst die Heloten von ihren Ueberwindern. Man verdammt doch ein Volk nicht zur U 11 wisseuhcit aus politischen Gründen! Wir erwarten, datz die preussische llnterrichtsbchörd' sny die Angelegenheit doch noch recht reiflich überlegt. Die seine'- zeitige Mastenprügelei in Wieschen hat wahrhaftig k.-'nem an ständigen Menschen gefallen, aber die Maßnahme, die hier an gedroht ist, erscheint uns noch viel unmoralischer, als die Massen prügelei, denn sie verdammt zur Unwissenheit und das ist die härteste Strafe, die einen Menschen treffen kayn. Politische Tagesschau. Aue. 2«. Februar 1907 Fürst Bülow ist in seiner Reichstagsrede über die Rolle, die der Flottcnverein in der Wahlkampagne gespielt hat, mit der Eleganz des gewandten Redners hinweggegangen, welcher der Erörterung von Angelegenheiten, die ihm unangenehm sind, geschickt ausdcm Wege zu gehen weitz. Wohl ver teidigte er den General Keim, an dessen Ehrenhaftigkeit als Mensch und Offizier übrigens niemand gezweifelt hatte, aber auf das Meritum der Sache ging er wohlweislich nicht ein. Die Vorwürfe, die das Zentrum gegen den Flottenverein richtet, beschuldigen diesen lediglich der Tatsache, datz er als n i ch t po l i t i sch e Körperschaft sich am Wahlkamps beteiligt hat und dabei sowohl die ideelle wie die finanzielle Unter stützung der Reichsregierung genoß. Gegen diese Anklagen konnte» sich denn auch weder der Reichskanzler noch der Flotten verein verteidigen, denn die vom Bayerischen Kurier veröffent lichten Briefe lasten sich einsach nicht widerlegen. Nun gedentt auch die Sozialdemokratie, dem Zentrum helfend beizu springen und eine Interpellation an den Reichskanzler über die Wahlbeeinslussung der Regierung durch den Flottcnverein zu richte». Gewiß war die Reichsregierung voll und ganz in ihrem Rechte, als sie in de» Wahlkamps aktiv eingrisf: sie konnte dies ebenso gut wie jede politische Partei tun, aber sie durfte sich dabei nicht eines unpolitischen Vereins be dienen. Was würde Fürst Bülow wohl dazu gesagt haben, wenn eine der ihm nicht zu Gesicht stehenden Fraktionen das selbe wie die Regierung getan hätte? Er würde sicher den betreffenden unpolitischen Verein erbarmungslos aus gelöst haben. Aber der Flottcnverein, besten Verdienste um die Verbreitung des Verständnisses sür die Kriegsmarine wir nicht im mindesten verkümmern wollen, scheint sich einer beson deren Gunst von oben zu erfreuen und deshalb wird ihm er laubt, was anderen nichtpolitischen Körperschaften streng ver boten ist. Der Kamps beginnt. Es unterliegt keinem Zweifel mehr, das Zentrum Hai da:- Tiscknuch stvischeu mb und dem Kanzler entzwei geschnit ten und drängt mit der Rücksichtslosigkeit seines Machlbewnsstscins ans einen Sturz d . s F n r st e n B n l 0 n> und seines Ge- tr.nen Sanck,.' Pausa, der Koivnialerellciiz D e r n b u r g hin. Das Zentrum hat dabei als Bundesgenossen natürlich n u r die S 0 zialde m 0 krati e. Dabei ist eigentlich die Ursache der Zenirnmsseindschast gegen, den Kanzler höchst kleinlich, genau so klein wie der Beirag, nm deiientivillen es das Zentrum zur Zm Paradiese. Novelle aus dem Süden. Von Emmy Teoschau. (Nachdruck verboten.) DerWinter war in diesem Fahre lang und strenge. Ueber- all lag noch hoher Schnee und eisiger Wind wehte jeden Tag. Zn dem großen Familicnzimmcr von Hellselds brannte di« Hängelampe, im Ofen knisterte leise das Feuer und der Teekessel aus der Maschine sang. Fm Zimmer herrschte Ruhe, die Kinder tobten aus der Diele, die Mama wirtschaftete wohl irgendwo umher und nur Lotte, die kranke Aeltcstc saß in der Sosaccke und Marga, die Zweite, am Tische und stopfte Strümpsc. Lotte Ising ihren Gedanken nach. „Wie der Wind im Schornstein heult," seufzte sie jetzt. „Ach Marga, ob cs wohl jc wicdcr Frühling wird?" „Frühling wird? — aber gewiß doch, in acht bis neun Wochen haben wir Mai." „Ach, ich glaube, das erlebe ich gar nicht mehr." Marga warf der Schwester einen be sorgten Blick zu. „Erlebst du nicht mehr," sagte sie dabei aber scheinbar ärgerlich, „was du nur sür Unsinn redest." Lotte seufzte wieder. „Wenn doch ein Wunder geschähe, wenn ich fliegen könnte» weit, weit fort von hier, aus dieser Kälte, dieser trostlosen Winterzeit, weit fort, wo Blumen blühen, laue Winde wehen, wo die Sonne scheint und Wärme herrscht. Margas Ge sicht hatte sich mit einer leichten Röte bedeckt. „Nun, vielleicht geschieht ein solches Wunder", meinte sie. „Im Traume ja, aber nicht in Wirklichkeit." Lotte lehnte sich zurück und schloß die Augen, wie um diesem beglückten Traume nachzuhängcn, und wieder herrschte tiefe Stille im Zimmer. Da hörte man drautzcn der Mutter laute Helle Stimme in Zwiesprache mit einer an deren. Die Tür wurde ausgeristen und sic trat ein, neben sich eine kleine, wunderlich vermummte Dame. Lotte sah erstaunt aus und Marga erschrocken, Tante Sabine, sagten sie beide, wie aus einem Munde. Die alte Dame stellte sich vor Lotte hin. „Du bist also krank? Nun, siehst auch aus, wie ein Häuschen Schwachheit. Welch eine Last, sich in deinen Jahren schon hia- zusehen und zu kränkeln." Marga stieb einen Rus der Empö rung aus und in Lottes Augen stiegen Tränen auf. Mit be bender Stimme antwortete sie: „Ja. da hast du Recht, Tante, ich bin mir auch selber eine Last und daher hossc ich, datz die Welt recht bald von mir befreit sein wird." „Nun, nun. von dir nicht, aber von deiner Krankheit," meinte die alte Dame ruhig und nahm aus ihrem uralten verschlissenen Pompadur einige Papiere. „Ich habe mit Eurem Hausärzte gesprochen, er meint, hier würde zwar nicht viel nach dir kommen, aber jetzt sofort ein Aufenthalt im Süden, müßte dich ganz wieder Herstellen. Na, wohin möchtest du, nach San Remo, nach Nizza oder Sicilicn? Ich wcrd's bezahlen und hier, damit du nicht aus trübe Gedanken kommst und jemand sür dich sorgt — ich glaube sie kanns — dieses kecke Plappermaul darfst du mit nehmen. Sic wandte sich plötzlich an Marga, die bisher etwas verlegen, aber mit glückstrahlender Miene dagcstanden hatte, nun aber nicht wußte, was sic sagen sollte, „0, Tante, ich auch," stammelte sie ganz überwältigt, „nein, nein, das wird doch ge wiß zu viel!" „Ach was. nun zier dich nur nicht, ein zweites Mal wird dir sowas wohl im Leben nicht geboten werden, also geh mit, wenn ich was tu', tu ich es auch ordentlich! — Daß du mir aber gesund wieder kommst." — Sie hob drohend ihren Finger gegen Lotte und stampfte auf ihren großen Gummischuhen so unerwar tet eilig zum Zimmer hinaus, wie sie hcreingekommcn war. Es war in einem der reizenden kleinen Badeorte in der Nähe von Cannes lieber der leuchtenden blauen Flut des mittelländischen Meeres lag schimmernder Sonnenschein. Unter einem duftenden Blütcnbaume, in einem vor jedem Windhauch geschützten Eckchen, lehnte ein junges Mädchen in einem bequemen Stuhl. Wie trunken blickt» sie ln all die Pracht umher und das Sonnenlicht umhüllte sie wie ein leuch tender Mantel. Nun störten Schritte sie aus ihrer Ruhe aus, sie wandte den Kops und errötete. Am Eingänge zu ihrer duf tenden Einsamkeit stand ein schlanker, elegant gekleideter Mann. Er horchte einen Augenblick nach der Promenade hin, von wo leise Musikklänge herübertönten und ließ sich dann der jun gen Dame gegenüber aus einer Eartenbank nieder. „Also noch immer im Paradiese, noch immer des Paradieses nicht müde?" Lotte Hellseld, sie war cs, lächelte träumerisch. „Das fragen Sie mich in der Pension auch täglich, wenn Sie aus die Prome nade, ins Kasino oder sonst zu Scherz und Spiel gehen, ohne das alles die Menschen hier nicht leben können, wies scheint. Nein, ich bin des Paradieses noch nicht müde. Vielleicht," — sie lächelte schelmisch, „weil ich weiß, um mit Ihnen zu reden, datz ich bald daraus vertrieben werde." Herr von Loya, der stolze, vornehme Gast des hübschen klei nen Badeortes, lächelte höflich. „Zn der Tat, man wird, früher oder später, aus jedem Paradiese vertrieben, ich kenne mich da rin aus, aber was dieses anbetrisft, so können Sie ja jederzeit dahin zurückkehrcn." Lotte schüttelte leidenschaftlich den Kopf. „Nein, nie, das gibt cs nicht! Einmal erlebt man ein Märchen, einmal wirft einem eine gütige Fee einen Schatz in den Schatz, ein zweites Mal nicht! Oh, datz die Tage doch doppelt so lang wären, datz man noch mal so viel Freude und Wonne in sich auf nehmen könnte, damit es vorhält, langc vorhält sür die kom mcnden, alltäglichenZeiten." Er betrachtet sie bewundernd. Wie jung sie noch war, wie genußsroh, wie gläubig! Sie wollte nicht wieder hierher kommen, sagte sic. — O, sic würde schon, wen man einmal hierher ge schickt hatte, der mutzte wieder kommen, immer wteoer. Für eine Weile hielt das Erstarken, das man hier mit Sonnenwärme und Bllltcndust einatmetc, vor, für lange nicht. Zu wohl hatte er das erfahren. Lotte betrachtete ihn teilnahmsvoll. Dieser ernste, vornehme fremde Mann ineressicrtc sie wie bisher noch kein anderer Mann. Trotz Reichtums und Vornehmheit schien er einsam und nicht glücklich. Nun hörte man laute Stimmen. Marga in Begleitung einer ganzen Gesellschast, kam den Weg zwischen den Felsen daher. Doch rücksichtsvoll wie immer, ver abschiedete er sich von den übrigen und betrat Lottes Blüten winkel allein. „Ach wie nett! Herr von Loya leistet dir Gesell schaft, da hast du mich nicht vermißt. Wir haben eine wunder volle Bootsahrt nach der Muschelgrotte gemacht", sprudelte sie