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Auer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge : 12.01.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735684481-190701127
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735684481-19070112
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735684481-19070112
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Bemerkung
- Seite 9/10 vorlagebedingt in falscher Reihenfolge
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Auer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-01
- Tag 1907-01-12
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Monat
1907-01
-
Jahr
1907
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Nr. 10. Auer Tageblatt und Anzeiger für da« Erzgebirge. Sonnabend, den 12. Januar 1907. Aus dem Königreich Sachsen. Sächsische Volkswörter. Eine nicht geringe Zahl von Wörtern und Wendungen hat das Bedürfnis nach Ruhe, die Werischätzuiig des Schlafes, ge schossen. Der Nanchmutzige, das ist der Schläfrige, der vom Schlafmützigen wohl zu unterscheiden ist - in Dresden hecht allerdings rauchnintzen noch verschlafen sein entsprechend der Grund bedeutung von ronclnnntch — übernächtig duiclt leicht ein, wenn er auch nicht gerade einen Dusel bat, das, becht Schwindel, Betäubung, Rausch, weiterhin auch Glück, und es kann geraume Zeit vergehen, bis er ausgeduuscll Hal. Aus einen Zustand der wenn der Wirt aus dem A u g n st u S b e r g bei Gottleuba statt eines Mittagsschläfchen ein Slerbchen macht. Weiter Ver breitung erfreut sich das N icker ch e n oder Nickchen. Jin Erz gebirge wie im Vogtlande macht man einen N e I s e r, e N'et- scrle, natsn heistl leicht schlafen; du bist eingenalfl du bist eingenickt. Wie das bäurische uasfczcn geht dieses Wort ans mit telhochdeutsch nai/on, althochdeutsch nutirun und damit aus nip- ken sich krümmen, neigen, nicken zurück. In» Bogtlande nappl mancher beim Lesen, das heis;t er lässt den Kops unken im Halbschlaf. Ein starkes Ricken mit dem .Kopse im Schlase itberlr. man in Mitweida mit der stiedcnsars eine Lerche schiessen, die sonst nur von einem Slnrze kopfüber gebraucht wird. Gleiche llebcrtreibunn liegt vor, wenn unh sür.dausrnde Arbey und gesicherte stete Ernährung der Be- vÄjkorung zu sorgen, ist die, Förderung unserer Industrie. Da aber Oesterreich mit Rücksicht auf seine eigene Industrie nicht zugeben kann, daß das in dem nötigen Mähe geschieht, müssen wir von Oesterreich loszukommen trachten und uns vollständig selbständig machen. Erst wenn wir die reine Personalunion er reicht haben, können wir mit Sicherheit aus die nach Lage der Sache nötige Fürsorge sür unsere Industrie rechnen. Und welche Folge, glauben Sie, Herr Doktor, wird die Los sagung von Oesterreich für die Beziehungen zwischen Ungarn und Deutschland Haden? Wird Ungarn an dom Bündnisse mit Deutsch land sesthalten oder andere Bündnisse eingehen? fragte der Berichterstatter weiter. Die Sache liegt ganz einfach, versetzte Dr. Eber. Wenn wir uns von Oesterreich lossagen, so wird Oesterreich natürlich zu möglichst wirksamen Gegen Maßnahmen greisen und diese bietet ihm die kolossale Verschuldung Ungarns an Oesterreich. Der Staat, der uns in diesem Momente die Kapitalien, die wir be nötigen, zur Verfügung stellt, wird nicht nur den Prosit, den ihm die Zinsen unserer Papiere bieten, und den Unternehmer gewinn an der Beteiligung von unseren Fabriken und anderen industriellen Unternehmungen einstecken, sondern uns auch derart verpflichten, daß wir mit ihm uns auch politisch verbinden. Will Deutschland diese Rolle übernehmen, so wird niemand in Ungarn etwas einzuwenden haben, finden wir diese finanzielle Unter stützung, der wir bedürfen, aber bei einer anderen Macht, so wird diese neben den finanziellen Vorteilen auch die politischen ge nießen. Es wird also ganz aus Deutschland selbst an kommen, ob es sich von einem anderen Staate den Vorrang ab laufen läßt oder nicht. * Immer teurer wird das Fleisch — den Agrariern Lob und Preiß! Die im Dezember erfolgte Oessnung der Grenze für die Einsuhr dänischen Schweinefleisches hat nach Mel dungen aus Schleswig-Holstein zu keinem Herabgehen der Fleisch preise geführt, cs wird sogar ein Anziehender Schweine- preise festgcstellt. Dänemark hat nur wenig geschlachtete Schweine nach Deutschland eingcsührt, da cs in England ein sicheres Absatzgebiet hat. Zur Braunschweigischen Thronsolgesrage. Der braun schweigische Landtag ist zum 17. d. M. wieder einbcrusen wor den. Gestern ist ein Antrag beim Bundesräte vom braunschweigischen Regentschastsrate eingebracht worden wegen Regelung der braunschweigischen Rcgicrungsverhältnisse. Ein Buch Dernburgs Uber die Kolonien. Wie die L. N. N. hören, wird der Kolonialdircktor Dcrnburg demnächst ein Buch erscheinen lassen unter dem Titel: Die Zielpunkte des deutschen Kolonialwesens. — Die am gestrigen Freitag gehaltene Rede ssiehe zweite Beilage) wird das erste Kapitel des Buches bilden >v. Wahlkampf und militärische Einberufungen. Die Ber liner Korrespondenz meldet: Um der in verschiedenen Tages zeitungen immer wieder enthaltenen Behauptung, den Angehöri gen des Veurlaubtcnstandes werde die Ausübung des Reichs tagswahlrechts durch ihre Einziehung zu Hebungen in erheb lichem Umfange unmöglich gemacht werden, ein sür allemal ent gegenzutreten, wird hierdurch daraus hingewiesen, daß sür den Bereich der preußischen Militärverwaltung bereits vor einiger Zeit allgemein angeordnet worden ist, die Hebungen des Beurlaubtenstandes so zu regeln, daß die Uebungspslichten tigen sich an den Neichstagswahlen und an den Stichwahlen be teiligen können. r>. Der Papst an die französischen Bischöfe. Der Osservatore Romano veröffentlicht in einer Sonderausgabe ein Schreiben des Papstes an die Bischöfe Frankreichs. Das Schreiben besteht aus drei Teilen. In dem ersten tröstet Pius X. die sranzö- sischen Bischöfe in ihrem gegenwärtigen Unglück, in dem zweiten erklärt er wegen der Beschuldigung, er hätte z u g e l a s s e n, daß die Kirchengüter konfisziert würden, da diese Güter die ihnen von den Kulten und Wohltätigkeitsanstaltcn zugewiescne Bestim mung nicht mehr erfüllen konnten. So war es unnütz, an die Erhaltung der Güter zu denken, und cs war daher bester, die ganze Verantwortlichkeit den Urhebern der Konfiskation zu über lasten. In dem dritten Teile beschäftigt sich der Papst mit dem letzten Gesetze des Kultusministers Briand, das er als ein Gesetz der Beraubung und Verfolgung bezeichnet, und erklärt, es wäre daher noch weniger annehmbar als das Trennungsgesctz. Betäubung bbz'uht sich eigentlich mich das Leipziger Galmen, das nach Köhler einen mehr ermattenden älS stärkenden Schlum mer besonders von Krasiken bezeichne): ciuch Albrecht weist es fieberkranken zu; es können aber auch Blumen galmen, wenn sie im Keller überwinternd ins Kraut schießen. Das Wort hat nichts mit französischem culmer, englischem calm tun, sondern geht wie Qualm (in Licbcrtwolkivitz sagt man auch qualmen ---- schlafen) aus das mittelhochdeutsche t^valm — Ohnmachl, betäubender Dunst und lvvälen, althochdeutsch tualün, zögern, weilen zurück: noch der Schlesier Günther klagt: Mein Schlaf ist nur ein Qualm — Einen leichte» und leicht störbaren Schlummer bezeichnet auch lanchen: der Kranke hat etwas getaucht «Meerane). Die Ab leitung dieses Wortes bleibt freilich dunkel. Erklärlicher ist eS, Die serbische Königsfamilie. Die Gerüchte von einem m Serbien geplanten Staatsstreich wollen nicht verstummen. König Peter hat es nicht verstanden, seinem Volke der König zu werden, den es sich erträumt hat und dem es nach dem blutigen Ende der Dynastie Obrenowitsch am 2. Juni 1903 znjnbclte. Lein Sohn, der Kronprinz Georg, hat außerdem durch sein exzentrisches Wesen die Dynastie Kara George- witsch inn den leisten Rest der Sympathien gebraäst. Unser Bild stellt die ganze Familie des Königlichen Hauses dar. König Peter selbst ist 62 Jahre alt, seine neben ihm sitzende Tochter die Prinzessin H e l e n c nnd künftige Braut des Herzogs der Abruzzen, zählt 26 Jahre. Die Mittler, eine montenegrinische Prinzessin, ist im Alter von sechsnndzwanzig Jahren bereits gestorben. Kron prinz Georg hat ebensallS wir sein Bruder Alexander — seine Erziehung im kaiserlichen PagenkorpS in Petersburg erhalten. Prinz Alexander hat eben den 16. Geburtstag begangen. Der kleine sich an den Schoost der Prinzessin Helene anschmiegende Prinz ist der >893 geborene Sohn desPrinzen Arsen, des Bruder S König Peters, der mit der Fürstin di San Donato vermählt ivar, aber geschieden ist. (Liehe auch Karikaiur vom Tage in der ersten Beilage.) man von einem Schlafenden behauptet, er schnarche als würden hundert Rtxter Barchen) gerissen; schon Wörter mir. sägen, ratzen und rasseln auchrtaünze >t ( Ev - gbirge) Ina lest dsoch das Geräusch des Schnarchens kräftig genug, so daß schnieb«, >(zii schnauben), 'owie käsen ganz gelinde Grade bedeuten. Dagegen würde pomm-rn, einen Pommer machen wieder einen kräftigen Schall bezeichnen, falls man den Pommer auf esn früheres duinps- tönendcS Saiten- oder Blasinstrument zu beziehen hat, ja, .die ältere Form Bum bart bezeichnet sogar ein Geschütz (lateinisch bombaeclss. Nicht nur auf einen geräuschvollen, sondern. auch aus einen festen und tiefen Schlaf gehen Vergleiche wie schlafen wie ein Ratz, wie ein Bär: schläft man wie ein Sack, so ist jeder Schall ausgeschlossen. * Die Bewegung der Privatangestellten Deutschland» zu Gunsten einer staatlichen Penfionsvrrficherung ist, wie der Vor sitzende des Sächsischen Landesverbandes schreibt, durch die plötz liche Reichstagsauslösung zu einem längeren Stillstand verur teilt. Wie stellen sich, so heißt cs in dieser Zuschrift weiter, die zwei Millionen P r i v a t a n g e st e l l t e n zu der Reichs tagswahl? Vor allem werden sie die Reichstagskandidaten über die Stellung zu ihrer Sache befragen und nur solchen die Stimme geben, die auch etwas sür ihre berechtigte« Wünsche übrig haben und gewillt sind, endlich die Regierung zunächst mal auf schleunige Vorlage der Denkschrift zu drängen. Die Haupt sache bleibt, daß die Reichstagskaudidaten die bündige Erklärung abgeben, f ii r ein Pensionsgesetz einzutreten. Nur solchen Volks vertretern können und werden die Privatbeamten ihre Stimme geben. Zur Sicherheit der Reisenden aus der Eisenbahn. Da im Bereiche anderer Eisenbahnverwaltungen neuerdings mehrfach aus Reisende in fahrenden Zügen Raubanfälle verübt worden sind, so hat auch die sächsische Staatsbahnverwaltung ihrem Personale eine Reihe bereits bestehender Vorschriften eingeschärft, die geeignet sind, zur persönlichen Sicherheit der Eisenbahnrei senden in der gedachten Richtung beizutragcn. Johanngeorgenstadt, ll. Januar. Reger Bahnver- k c h r. Der Personenverkehr auf dem hiesigen Bahnhose hat sich im vergangenen Jahre sehr erfreulich gehoben. Es wurden ver ausgabt: Fahrkarten nach sächsischen Stationen 33 391 Stück und dafür vereinnahmt 1l830 Mark, in der Richtung nach Böhmen 26 595 Stück mit einem Erlöse von 21019 Kronen. Gegen das Vorjahr sind dies mehr 965l Fahrkarten und 10 255 Mark Ein nahmen bezw. 5222 Fahrkarten und 3551 Kronen. Oelsnih i. V., 11. Januar. Einer empörenden Handlungsweise machte sich der hiesigen Zeitung zufolge am Donnerstag vormittag ein am Heppeplatze wohnhafter Mann schuldig. Dem im Jahre 1907 zu versteuernden Hunde fest stellenden Schuhmanne gegenüber leugnete der Mann den Besitz eines Hundes ab, und als der Schutzmann erwiderte, er habe doch eben einen Hund im Hause bemerkt, ging der Hundebesitzcr ins Haus, packte das muntere, treue Tier und warf es in die Düngergrube, wo der Hund elendiglich erstickte. Gegen den rabiaten Menschen ist Anzeige erstattet. Zwickau, 11. Januar. Zur Lage des Kohle nge- schästs in den unserer Börse nahestehenden Revieren hat sich unverändert gUnstig erhalten. Die gegen Mitte Dezember ein getretene Kälte war nur von kurzem Bestand und beeinflußte den Abzug nur wenige Tage vorteilhaft. Der Dezember ergab in seiner Gesamtheit ein Manko gegen den gleichen Monat des Vor jahres für das Zwickauer Revier von rund 17 500 To., sür das Lugau-Oelsnitzer von 5500 To., und das Meuselwitzer von 13 500 To. Die Einfuhr schlesischer Steinkohlen stellte sich um 2000 To. höher, während die aus Rheinland-Westfalen um rund 6100 To. zurückging. Letzteres war auch bei der Einsuhr von Braunkohlen und deren Briketts aus der preußischen Nieder lausitz und dem Anhaltischen der Fall. Lagerbestände haben sich bei der unverändert regen Nachfrage bei den Werken erstgenann ter drei Reviere in keinerlei Sorten bilden können; die täglichen Förderungen finden schlanken Absatz. Das erste Drittel des Januar meist hinsichtlich des Versandts umfangreichere Ztssern als im Vorjahre auf. Schönfeld (Zschopautal), ll. Januar. Eisenbahn-Be triebsstörung. Gestern vormittag gegen >/^>12 Uhr ist kurz nach derAbsahrt des Schönseld-Thumer Güterzuges ein beladener Rollbock mit einer Achse entgle ist ist. Nach der Entgleisung, die gegen >/,1 Uhr beendet war, fuhr der Zug langsam nach dem Bahuhose zurück, wobei derselbe Rollbock bei Weiche 21 mit zwei Achsen entgleistc und dadurch die Einfahrt sperrte. Der Per sonenverkehr konnte durch ttmsteigen an der Unsallstelle ausrecht erhalten werden. Gegen > -2 Uhr nachmittags war die Betriebs störung beseitigt. Leipzig, ll. Januar. Elektrische Sraßenpost. Da ein vor einiger Zeit probeweise in Leipzig eingesührter Post- Automobilwagen seiner vielen kostspieligen Reparaturen wegen sich nicht bewährt hat, will die dortige Oberpostdirektion aus den S t r a ß e n b a h n g l e i se n elektrische Postwagen verkehren lassen, wie sie bereits in Köln und Frankfurt a. M. eingesührt sind. Die neue Einrichtung soll hauptsächlich dem Bries- und wagte er nicht, besonders da Anna wohl stets sreundlich gegen ihn war, ihn aber niemals ermutigte. Indessen bemächtigten sich die Kollegen der Sache, die ihnen einen riesigen Spaß in Aussicht stellte. Sie stellten Jeremias vor, daß sich ihm jetzt Gelegenheit böte, eine tüchtige, hübsche Frau zu bekommen. „Wirklich, Breit haupt," so wurde ihm versichert, „versuche» Sie Ihr Heil, die Krause nimmt Sie bestimmt, und Sie sind jetzt schön im Zuge: lasten Sie diese Gelegenheit vorüber gehen, kriegen Sic nie eine Frau, Sie sind viel zu schüchtern." So wurde ihm täglich zuge redet. Wenn er offen gegen sich sein wollte, mußte er sich zuge- stchen, daß er schon derartige vermeßene Gedanken selbst ge hegt; schließlich waren sie garnicht einmal so vermeßen. Er war ein solider, junger Mann und hatte Ersparinste gemacht, die ihm erlaubten, ein kleines Geschäft zu gründen, mit dem er sehr wohl eine Frau ernähren könnte, wenn ihre weiche Hand, ihm, dem Stiefkind des Glücks, sanft über die Stirn streichen, ihr holder Mund ihn „lieber Jeremias, liebstes Männchen", titulieren würde. Ihm wurde plötzlich heiß und kalt. „Ich will!" rief er plötzlich mit ungewöhnlicher Energie und schlug mit der Faust aus das kleine Stehpult der Theke, wodurch sich das tückische Tin tenfaß veranlaßt fühlte, einen Salto mortale zu machen und seinen schwarzen Inhalt über das ausgeschlagene Hauptbuch der Firma F. C. Niedcrmaier zu ergießen. In blassem Schreck stand der Heiratskandidat da. Doch der Schaden war nicht mehr gut zu machen und gleich daraus entlud sich eine donnernde Stras- redc aus dem Munde des zornrotcn Chefs Uber das schuldige Haupt Jeremias. Dies Tintenunglück mit anschließendem Don nerwetter bestärkte indes unseren Helden in seinen Heirats plänen. Nach Ladenschluß wanderte er zu einem bekannten Kleiderkllnstler und ließ sich Maß nehmen zu einem Gehrockanzug, der nach den Versicherungen des Meisters ein Prachtstück moder ner Bekleidungsindustrie werden sollte. Eines schönes Sonnabends wurde der Anzug abgeliesert und in der Freude seines Herzens überreichte der gute Jeremias dem erstaunt aufblickenden Schneiderjungen ein blankes Markstück als Trinkgeld. Ob der Besitz des feudalen Feierkleides unfern Jeremias heldenkühn machte, oder ob andere unerklärliche psycho logische Vorgänge die Ursache waren, genug, als Anna am Abend dieses denkwürdigen Tages bei F. C. Niedcrmaier ihre kleinen Einkäufe machte, griss der tollkühne Jüngling plötzlich nach der Hand des Mädchens und drückte einen feurigen Kuß daraus, der unverkennbare Spuren von ungarischer Bartwichse zurückließ, mit der unser Held die 7'<> Haare seines Schnurrbärtchens ansehn licher zu machen suchte. Erschrocken zog Anna ihre Hand zurück und ein befremdeter Blick, wenn auch kein unfreundlicher, traf unfern Helden. Der aber war derart im Licbesrausch, daß ihn der seltsame Blick seiner still Geliebten nicht im mindesten irri tierte und als sie den Laden verließ, machte er den unerhörten Versuch, mit zitternder Stimme die schöne alte Melodie „Wir winden dir den Jungfernkranz" zu trillern und führte Ist. :ler dem Ladentisch eine Art Jndianertanz aus, der aber ein jähes Ende sand, als der Tänzer mit dem linken Bein in einem Kübel Margarine landete. Hierdurch wurde er zwar etwas ernüchtert, aber die selige Stimmung hielt doch an. Verächtlich sah er auf das, durch den Ersatz sür feinste Mciercibutter dienstuntauglich gewordene Hosenbein herab und als er in später Abendstunde sein bescheidenes Lager im Dachkämmcrchen der Firma F. C. Nie dcrmaier ausgesucht hatte, umgaukelten ihn bald rosige Träume. Hand in Hand mit Anna Krause wandelte er über lachende, blü hende Wiesen dahin, lieblich sangen die Vöglein und Heller, war mer Sonnenschein lag über der Landschaft, durch die er mit dem Weib seines Herzens dem Glück entgcgenzog. Träume nur, armer Jeremias! Nur im Traume lächelt dir das Glück, nicht in der rauhen Wirklichkeit, denn du gehörst zu den Enterbten des Schick sals. du bist ein Gezeichneter, ein Pechvogel! Fröhlich erwachte Jeremias und begann sorgsam Toilette zu machen, denn heute sollte die Entscheidung fallen, heute wollte er um Annas Hand ««halten. Doch schon beim Ankleiden setzte sein altes Pech ein. Der sorgsam gesteifte Hemdkragen verwei gerte hartnäckig den Dienst, er wollte sich nicht schließen lasten und als Jeremias den eleganten Knops heftig Nachdrücken wollte, sprang dieser tückisch davon. Eine aufregende Suche entspann sich, da unser Freier nur diesen einen Knops sein eigen nannte. Endlich fand er den Ausreißer. Als der Kragen befestigt war, wies er an beiden Seiten deutliche Spuren feuchter Daumen aus, was Jeremias aber nicht bemerkte, sehr deutlich dagegen merkte er, daß bei einer heftigen Bewegung die Hosenträger platzten, welcher Umstand ihn zwang, die sofortige Reparatur eigenhändig vorzunehmen. Nach allerlei kleineren Unfällen hatte er endlich seine Toilette beendigt und mit übervollem Herzen betrat er die Straße. In einer Vlumcnhandlung erstand er einen prachtvollen Rosenstrauß und steuerte nun geradeswegs auf die Krausesche Wohnung los. Wenn man im Himmel ist, achtet man nur wenig aus irdische Dinge und so geschah cs, daß Jeremias ein kleines Mädchen überrannte, das einen Tops mit Pflaumenmus trug. Auch er kam zu Fall und seine mit nagelneuen weißen Glacee bekleidete Rechte tauchte tief in die schwarze, süße Maste. Sein Taschentuch, mit dem er den Handschuh reinigte, gewann durch > diesen Akt nicht an Weiße. Atemlos langte er schließlich bei Krause an. Der Schweiß der Aufregung perlte ihm von der Stirn. Ohne an das Pslaunenmusabenteuer zu denken, zog er sein Taschentuch und fuhr damit übers Gesicht. Er klingelte. Anna selbst össncte ihm und mit einer freundlichen Verbeugung über reichte er das Bouquet. Doch kaum hatte die Holde ihm ins Gesicht geblickt, als sie aus einen Stuhl niedersank, beide Hände vors Gesicht schlug und bitterlich zu schluchzen schien. „Sie ist ganz hin," dachte Jeremias. Die Kühnheit kehrte ihm zurück. Er kniete bei ihr nieder. „Teures Mädchen, weinen Sie nicht, ich bin bet Ihnen, ich liebe Sie mehr als mein Leben!" Da konnte sie es nicht mehr aushalten, ein schallendes Gelächter brach sich Bahn. „Nein, wie komisch," sprudelte sie hervor und Vater Krause, der eben eingetreten war, siel mit dröhnendem Lachen ein. Entsetzt sprang Jeremias aus. Da siel sein Blick aus einen gegenllberhängenden Spiegel und er sah sein edles Angesicht, das mit Pflaumenmus bemalt war, wie das eines wilden Indianers mit Kricgssarben. Wie von Furien gepeitscht, stürzte er aus dem Hause rannte über die Straße, wo ihm neckische Straßen jungen allerlei liebensswürdiges nachrtefen. Er verbarg sich in seinem Kämmerlein und weinte. Noch am selben Abend ver ließ er die Stadt, er ließ sogar sein Monatsgehalt im Stich und bald gehörte er nur noch der Sage an. Er soll Kulturträger ge worden sein und mit großem Erfolg unter den Fidschi-Insula nern, die bekanntlich nichts auf Aeußerlichkeiten geben, gewirkt haben. Anna Krause hat später einen Schuhmann geheiratet.
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