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Dienstag, 5. Aebrnar 1907. Ar Zweiter Jahrgang. ^luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge Verantwortlicher Redakteur: Fritz Arn hold. Fü, die Inserate verantwortlich: Arthur Rupfer beide iu Aue. mit der wöchentlich eil Unterhaltungsbeilage: Illustriertes ^onntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Airrnahmc der Sonntage nachmittags von —5 Uhr. — Telegramm-Adresf«: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 202. Für unverlangt eingesandtc Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag Gebrüder Beuthner (Inh.: Paul Beuthner) in Aue. Bezugspreis: Durch unsere Loten frei ins lsaus monatlich 50 pftz. Bei der Geschäftsstelle abacholt monatlich «a pfg. und wdchcntlich ,0 pfa — Lei der Post bestell« und selbst abgeholt vierteljährlich «.50 Mk. — Durch »en Briesträger frei ins Haus vierteljährlich ,.,2 Mk. — Einzelne Nummer «0 pfg. — Deutscher postzeitungs- katalog — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Der VcrlagSbuchhändlcr Friedrich Westerinann ist vergangene Nacht in Braunschweig gestorben. -) Näheres siche unten. Bom Friedenswerk. Zn der Jndspcndance belge bespricht RolanddeMarös die Anfichten der nach st en Friedenskonferenz. Nach feiner Ansicht sind die Aussichten günstiger als je. Seit die Konferenz von Algeciras die dunklen Wolken zerstreute, die über Europa lagerten, hat sich der politische Horizont aufgeklärt, und die Regierungen wetteifern in Versicherungen der Versöhn lichkeit und der Annäherung; man könnte sich keine günstigere Atmosphäre für die internationale Besprechung von Problemen wünschen, die die höchsten Interessen der Völker berühren. Die zweite Friedenskonferenz, sagt de Mards, präsentiert sich also vorzüglich, wie sich im übrigen auch ihr Programm gestalten mag, und wenn eins merkwürdig scheint, so ist es die Tatsache, daß man sich in gewissen Kreisen so lebhaft mit der Frage beschäftigt, w i e sich im Haag die Mächte gruppieren werden. Einige Blät ter erörtern ernsthaft, ob I t a l i e n sich an die Seite Deutsch lands stellen, oder ob es England unterstützen werde, ob Rutz land sich mit Frankreich Uber eine Formel für die Abrüstung verständigt, und ob die Vereinigten Staaten von Nordamerka England, als dem Verbündeten Japans, Sukkurs leisten werden. Verfolgt man diese Erörterungen ins Leere, so könnte man meinen, cs handle sich darum, auf der zweiten Friedenskonferenz den ganzen scharfen Streit der Ein- slüsse sich wiederholen zu lassen, der sich in Algeciras abspielte! eine solche Entstellung der wahren Aufgabe der Friedenskon ferenz ist bedauerlich. Im Haag ist kein Konflikt beizulegen, man hat sich nicht für diese oder jene Politik auszusprechen und die Gruppierungen der Mächte werden keine Rolle spielen, da es sich ja nicht um die Anerkennung oder Bekämpfung von Son- deransprüchen oder um die Sicherung einer Vorherrschaft in dem oder jenem Gebiet handelt. Die im Haag zu fassenden Beschlüsse haben nur dann Wert, wenn sie einmütig gefaßt sind. Die kleinste Macht kann einen Beschluß verhindern, selbst wenn er von allen Mächten gewünscht wird. Unter diesen Umständen hat die Eruppen-Politik da nichts zu tun. Um was handelt cs sich denn? Darum, die Risiken des Krieges möglichst zu vermindern und, da der Krieg selber in absehbarer Zeit noch nicht unterdrückt werden kann, seine Folgen zu mildern. Gibt es heute noch eine Re gierung, die der Welt ins Gesicht zu erklären wagte, daß die Re glementierung des Krieges sie in ihrer Politik geniere, und daß man dem Stärkeren alle Freiheit lassen müsse, den Schwachen zu vernichten ? Das war zu einer Zeit noch möglich, wo der Krieg als das gewöhnliche Mittel zur Entwicklung der Staaten be trachtet wurde, wo der Angriff eines Volkes aus ein anderes mit dem ausgesprochenen Zweck der B e r a u b u n g als die normale Betätigung der Macht galt. Eine solche Ausfassung steht heute im absoluten Widerspruch mit den Anschauungen der modernen Nationen, für die der Krieg nur das äußerste Mittel zur Verteidigung ihrer Unabhängigkeit ist oder we nigstens zur Wahrung ihrer höchsten nationalen Interessen. Die ganze heutige Politik muß also auf die Versöhnung der Interessen der Völker hinzielen, und der Krieg ist nur zulässig, wenn diese Versöhnung völlig ausgeschlossen ist. Wollte eine Nation, und wär's die stärkste, systematisch diese Tendenz durchkreuzen, so würde sie alle Nationen bedrohen und damit deren Vereinigung gegen sich herausbeschwüren. Das Problein besteht also darin, mit allen Mitteln die Ver söhnung der Interessen zu fördern und nichts zu vernachlässigen, was einen Zusammenstoß verhindern kann. Die völlige Un terdrückung der Kriege bleibt ja das Ziel, aber zu erreichen ist es erst, wenn die Gemcinschast der Interessen die Nationen ge einigt und über den Rassenhaß und die durch die Jahrhunderte in den Massen aufgchäusten Rachcgessihle obgestegt haben wird. Die großen Armeen sind ein notwendiges Uebel, ihren offensiven Charakter zu mildern, ihren Zweck allmählich aus schließlich aus die Vertcidgung zu beschränken, da s ist das Werk, das sofort zu vollbringen ist, und deshalb ist der englische Vor schlag so beachtenswert. Wohl hat er noch nicht alle wünschens werten Aussichten, zugclassen zu werden, aber er stellt die Frage klar und bestimmt und bereitet den Boden für eine aufrich tig friedliche Entwickelung vor. Es gab eine Zeit, wo man gegen die Schiedsgerichte dieselben Gründe geltend machte, wie jetzt gegen die Abrüstung! das hat die Regierungen nicht ver hindert, das schiedsgerichtliche Prinzip in ihre Verträge auszu nehmen. Auch der Abrllstungsgedanke wird seinen Weg machen, und wenn die zweite Haager Konferenz ihn auch noch zurückstellt, so wird er aus der nächsten Konferenz wieder erscheinen, von manchen Vorurteilen befreit. De Marös stellt überhaupt neben die Abrüstung als eben bürtige Mittel die Risiken des Krieges zu mildern, neue Vorschriften des Kriegsrechtes, so die Verpflichtung, den Krieg ausdrücklich zu erklären und zwischen der Kriegserklärung und dem Ausbruch der Feindseligkeiten eine gewisse Zeit ver streichen zu lassen, damit die andern Mächte ihre Vermitt lung anbieten können! daraus legt er großes Gewicht und meint, es würde keine Macht wagen, den Krieg zu beginnen, wenn noch eine Vermittlung möglich ist, denn diese Nation würde die Sympathien aller andern einbiißen. Zum Schluß wendet sich de Mards gegen die Meinung, das geringe Ergebnis der ersten Konferenz beweise etwas gegen den Grundgedanke»! gewiß habe die Konferenz den Weltfrieden nicht etablieren können, und so bald wird er auch nicht kommen, aber sie gab doch den Ver tretern der Mächte Gelegenheit, in versöhnlichem Gei st e diese Fragen von allgemeinem Interesse zu besprechen,- sie kräf tigte das Band zwischen den zivilisierten Nationen und orien tierte über das Maß von gutem Willen, das bei den verschiede nen Mächten vorhanden ist. Solche Konferenzen schaffen eine Atmosphäre von internationalem Vertrauen, die notwendig ist, damit die Völker an die großen Probleme her antreten können, von deren Lösung ihre politische Existenz und ihre Wohlfahrt abhängt. Dr. Bödiker Der erste Präsident des N e i ch S v c r >' i chc rung s a »1 t c s Tonio Bödiker ist Montag früh im Alter von 64 Jahren an Herzschwäche gcst 0 rben. Sein Name ist eng verknüpft mit der Arbcitcrvcrsichc- ru n g s ge s c tz g cb u n g in Deutschland, und als Organisator und erster Leiter des seil mehr als zwei Jahrzehnten segens reich wirkenden Reichsver- sicherungSamtcs hat er sich ein bleibendes ehrenvolles Andenken gesichert. Tonio Bödiker ist am 5. Juni 1843 in Hasclün, einem kleinen Oertchcn Hanno vers geboren, und trat nach Beendigung seiner Studien in Heidelberg, Berlin und Göttingen zu nächst in den Justizdicnst seines HeimatSlandcS ein. 1869 trat er in dcnVcr- Der Kampf gegen den Selbstmord. Es hat eine Zeit unter dem römischen Kaiserreiche gegeben, da der Selbstmord als eine Heldentat angesehen wurde. Die christliche Lehre hat ihn alsSUnde erklärt, von der Anschauung ausgehend, daß es dem Menschen nicht erlaubt ist, der Fügung Gottes vorzugreisen und ein Leben zu vernichten, dessen Urheber man nicht ist. Die Menschen haben an das Mysterium des Le bens und des Todes zu allen Zeiten moralische Gradmesser an gelegt, da es ihnen leichter wurde, sich in der Welt zu orientieren, wenn sie deren Erscheinungen tn selbstgcschassenc Gesetze zwäng ten und sich danach ihr Leben clnrichteten. Die nächste Methode, um eine Stellung zum Selbstmord zu gewinnen, ist: sich über feine Ursachen klar zu werden. So gleich wird man Fühlung mit dem Leid des einzelnen bekommen, und das Mitleid wird dann unsere Handlungsweise gegen die Unglücklichen, die die Lebensführung verloren haben, bestimmen. Der Entschluß, seinem Leben ein Ende zu machen, wächst aus leid- und schmerzgetränktem Boden. Diesem neue und gute Nahrung zuzuführen, damit er lebenskräftige Wesen erstehen lasse, heißt menschlich an das Leben herantretcn. Die Heils- armeein England hat es versucht, das Problem zum Heile der Verzweifeltest aus diese Weise zu lösen, und in London ein Bureau errichtet, dessen Beamten die Pflicht obliegt, Selbstmord kandidaten aus den Weg des Lebens zu jühren. Es ist sozusagen eine organisierte Trostspendung. Das Bureau arbeitet seit dem 1. Januar d. I. unter dem Vorstand des Colonel Unsworth. Es beschäftigt männlich« Beamte für Männer und weibliche sür Frauen, Leute, die über große Lebenserfahrungen verfügen und ihre ganze Persönlichkeit in den Dienst der leidenden Menschheit gestellt haben. Herr Malagodi, der Korrespondent der römischen Trtbuna, hatte eine Unterredung mit Colonel Unsworth, der dem Inter view,« die Tätigkeit des Bureaus auselnandersetzte und ihm viele tu'-ressante Beobachtungen über Selbstmordkandidaten und di« Ursachen des Selbstmordes mitteilte. Wir arbeiten seit einem halben Monat, sagte Colonel Unsworth, und wir hatten bereits 350 Klienten. Der Zuspruch der Trostbedürftigen ist über alle Erwartungen groß. Täglich laufen überdies Hunderte von Zuschriften ein, und der Umsang unserer Tätigkeit gibt uns die Ueberzeugung, daß wir einem dringenden sozialen Bedürfnis dienen. Unsere Absicht ist zunächst, dem Sclbstmordkandidaten die sogenannte Krisis in der Psychologie des Selbstmordes über winden zu Helsen. Es ist erstaunlich, welch geringfügige, ost lächerliche Ursachen einen Menschen tn den Tod treiben können. Der Selbstmordtrieb ist eine Krankh eit, die den Behafteten unfähig macht, seine Lage richtig zu beurteilen. Ein Augenblick der Ratlosigkeit verursacht eine tiefo, langandauernde Verzweiflung, die den Unglücklichen völlig hilf- und hoffnungs los macht. Indiesem Moment ist cs Zett, ihm beizuspringen. Ost genügt ein kleiner praktischer Rat, ost ein gütiger Zuspruch, um das Schreckgespenst des Selbstmordes zu bannen. Ein Mensch, der an den Rand seines Lebens geraten ist, bedarf, um sich wieder zurückzusindcn, einer anderen menschlichen Hand. Aber er wird sich schwer oder gar nicht entschließen, zu Menschen zu gehen, und wird so unaufhaltsam in den Abgrund stürzen. Wenn ihm nun die Möglichkeit geboten ist, Menschen zu finden, deren Berus es ist, gegen die Verzweiflung der Mitmenschen zu kämpfen, dann wird es ihm leicht fallen, noch diesen letzten Versuch mit dem Le ben zu wagen. Hat er ihn einmal gewagt, dann ist er auch ge wöhnlich schon gerettet. Die Art, den Unglücklichen zu helfen, besteht darin, daß man sic die ungebrochene Energie des Lebens fühlen läßt. Sentimentales Geschwätz würde die beabsichtigte Wirkung verfehlen. Der Selbstmordtrleb ist eine Krankheit, die durch die Berührung der Gesundheit geheilt wird. Die Ursachen des Selbstmordes sind nicht minder mannig faltig als das Leben. Der Selbstmord kommt am häufigsten in der bürgerlichen Mittelklasse vor. Weder der große Reichtum noch die große Armut stellt eine bemerkenswerte Zahl von Selbstmördern. Die Reichen finden stets einen Ausweg, den Leiden des Lebens zu entgehen, die Armen wieder die Kraft, sie zu ertragen. Unter Arbeitern ist der Selbstmord I fast unbekannt. Er ist in jener Menschenklasse zu Hause, deren Lebensbedingungen am häufigsten Veränderungen unter worfen sind. Zuerst gehören hierher Leute, die ihr Vermögen oder ihre bürgerliche Stellung eingebüßt haben. Je plötzlicher das Unglück hereinbricht, desto verzweifelter sind die Betroffenen. Unversehens stürzen sie aus Behaglichkeit und Wohlleben in Ar mut und Entbehrung, ohne Mittel und ohne Freunde stehen sie da und greifen zur Waffe. Dann kommen die L a st e r h a f t e n, die Alkoholiker, Morphinomanen, die Ausschweifenden. Diese stehen vor dem Bankerott ihres Körpers, voll Ekel und Selbst verachtung. Hier ist der Lebensüberdruß am stärksten, und diese Menschen sind am s ch w e r st e n zu retten. Eine besondere Klasse von Selbstmördern find die vereinsamten Menschen. Die großen Städte bergen eine Legion von Leuten, die inmitten der Menge wie trostlose Einsiedler leben. Sie haben keine Familie, keine Tierwandten, keine Freunde. Schließlich erdrückt die Ein samkeit allen Lebensmut, und sie gehen aus dem Leben. Für diese gibt es nur ein Mittel,- man muß sie unter Menschen brin gen. Wir haben die Absicht, demnächst für diese Verlassenen einen Klub der Einsamen zu gründen, in dem sie zunächst unter einander Anschluß finden und sich langsam wieder an das Leben gewöhnen sollen. Frauen nehmen uns unverhältnismäßig weniger in An spruch als Männer. Im ganzen hatten wir es bisher mit einem Dutzend Frauen zu tun gegenüber von viertehalb Hunderten von Männern. Ein starkes Kontingent von Selbstmördern stellen die beschäftigungslosen Bürger, kleine Beamte, Schreiber, die tn vorgerücktem Alter ihr Brot verlieren und nun keine Arbeit mehr finden können, da die Arbeitgeber junge Kräfte vorziehen. Ferner zählen hierher Leute, die sich Fehltritte tn der Ge barung mit fremdem Eelde zuschulden kommen lassen und aus Furcht vor Strafe und Schande ihrem Leben ein Ende machen. Hier hilft man am besten, wenn man diese Leute ver anlaßt, ihren Fehltritt dem Geschädigten freimütig «tnzugestehen. Die Redlichkeit des Geständnisses wird fast ausnahmslos zur Milde und Verzeihung stimmen und den Schuldigen vor der Verzweiflung rett«n. Schließlich gibt es noch eine kleine Gruppe von Selbstmördern, die sich durch UnglücktnderFamtlt«,