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Montag, 7- Jannav 1907.^ skr 3ÜÜÜ »bmmkil Nr. '». Zweiter Jahrgang, Ku er Tageblatt und Anzeiger Mr das Erzgebirge veiaiNworllichck Nc-akicm: Fritz Ariibc-I-. Fi-i -ic Inserate l-cr-niIl'.-eiNich: Arthur U n p j c r. beide in Aue. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Lonntagsblatt. Sprechsnm-e der Nc-.ikno« mit Ausnahme -er Renntage nachmittags non 4-z Uhr. — TeIegramm>A-reffe: Tageblatt Ane. Für mwerlangl eingesan-te Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Fernsprecher 202. Druck und Verlag Gebrüder Lenthner <Jnh.: Paul Beuthner) in Ane. B ej 11 gs p 1 eis: Durch Misere Voten fici ins liaus monatlich sopfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 40 rig- "»d wöchentlich 10 pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich 4.so Mk — Durch -en Briefträger srei ins Üau; vierteljährlich >.gr Mk. — Einzelne Nummer >o psg — Deutscher postzcitungs- katalog — Erscheint täglich in den Mittaarstnndcn, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Diese N»»tt»«rev «»nsnszt <» Seiten Tas Wichtiftste vom Tage. Die ehemalige Königin von Hannover hat sich einer Operation unterziehen müssen. * Amtlich wird bestätigt, dass die Festung Raisulis zcrstört morden und Raisuli selbst ins Gebirgegeslohen ist- - Kultusminister Dr. von Studt wird am Dienstag der Feier des Bischofsjubnläums des Kardinals Kopp in Breslau beiwohnen. Die freisinnige Bolkspartei wird einen Antrag aus Wahlrcchtsänderung sür den preußischen Land- t a g einbringen. " *) Näheres siche unten. Die Wahlparole der Reaiernttfl. Src Der lauteste Schwarm der Bülowkommentatoren hat sich bereits wieder verlausen, und nun kann die K r i t i k des Schrei bens, die ruhige und ernsthastc Erwägung aller der Punkte, die der Kanzler für den liberalen Rcgicrungsblock ausgesiihrt hat, beginnen. Es hat aber wenig Zweck, das ausführliche Schreiben an den Vorsitzenden des Reichsverbandcs zur Be kämpfung der Sozialdemokratie noch ausführlicher zu be sprechen. das wir schon in unserer letzten Nummer getan haben. Es will als ganzes genommen sein, als ein Ausruf zum Zu sammenschluss der nationalen Parteien wider die Sozialdemo kratie, das Zentrum, die Polen und die Welfen, die nach der Ansicht des Kanzlers anti national sind. Nu» ist natürlich das merkwürdigste an dem ganzen etwas sonderbaren Schriftstück die Abrechnung des Kanzlers mit dem Zentru m , und d i e ist das schwächste Stück des Schreibens. Wir begreifen es, wenn die Germania über den Erguss des Kanzlers nur lacht, denn dem Zentrum geschieht wahrhaftig durch die Logik des Kanzlers kein Abbruch. Fürst Bülow argumentiert also: Die Negierung hat sich mit dem Zentrum g u t gestellt, solange das Zentrum eben die M i t- t e l bewilligte, die von ihm verlangt wurden. Aber das Zen trum wollte immer mehr Einfluss auf die Reichsregierung üben, und als cs schliesslich in der bekannten südafrikanischen Frage eine direkt anti nationale und anti patriotische Haltung einnahm, oa liess die Reichsregierung es zum Bruch kommen. Diese Schluss abrechnung des Bündnisses zwischen Regierung und Zentrum ist clwas unvollständig. Der Kanzler hätte noch mehr sagen können, aber der Diplomat in ihm gebot ihm wohl Schweigen U n s geht es wenig an, wenn der Kanzler nicht mehr sagen will, aber wenn er dem Zentrum daraus einen Vorwurs machen will, daß es Einfluss aus die Regierung in politischen Angelegenheiten üben wollte, so dünkt uns das sonderbar. Fälle, wie der des Herr» R 0 eren sind nicht entschuldbar, aber jede Partei, die Herrn Temmlers Aermando Po-Projekt. Am 9. Dezember wurde in der Presse ein eigenartiges Vor kommnis in der Budgetkommission des Reichstages bekannt. Herr Erzberger hatte den Abg. Dr. Scmler beschuldigt, im 'Jahre 1901 einem Hamburger Kaufmann namens Goerne an geboten zu haben, er möge sich in Fernando Po ansicdeln, mit einer von der Deutschen Bank vorzustreckendcn Summe von 200000 Mark eine Farm gründen usw. und später mit der spa nischen Regierung einen Streit vom Zaun brechen. Die deutsche Regierung werde dann event. kriegerisch eingrcisen. Semlcr erklärte damals, er könne sich der Sache nicht entsinnen. Einige Tage daraus bestritt er in der Vudgctkommission Erz bergers Angaben und legte ein Schreiben seines Kompagnons Dr. Vitter vor — Semlcr ist Rechtsanwalt in Hamburg —, worin dieser ihm attestierte, daß es sich bei jenem Gespräch um ein Missverständnis des Herrn Goerne gehandelt haben müsse, das; von einer Beteiligung der Deutschen Bank, von der An zettelung eines Putsches und dcrgl. nicht die Rede sein könne. Außerdem wurde von einer Geisteskrankheit Eoernes gesprochen, von der auch schon Kolonialdirrktor Dernburg in der Kom mission geredet hatte. Diese gab sich mit der Erklärung Sem- lers zufrieden, und selbst der Abg. Spahn meinte, daß Erz berger sich nur auf den beteiligten Goerne als Zeugen berufen könne, während Dr. Semlcr einen ganz unverdächtigen Zeugen zu seinen Gunsten anführen könne. Jedes bürgerliche Gericht würde daher im Zweiselssalle zugunsten des Abgeordneten Seni ler entscheiden. Damit ruhte die Affäre. Herr Goerne selbst, der als Narr und Eeschichtenträger Beschuldigte, ist bisher noch nicht zu Worte gekommen. Nun aber erhält die Berliner Morgenpost von Herrn Goerne selbst einen ausführlichen Brief über die Einfluß besitzt, wird ihn auch üben — das ist doch schließlich ihr ganzer Zweck! Wir haben die Zentrumspolitik ganz gewiß nicht zu verteidigen, aber eine Liebe ist der anderen wert. Und wenn die Regierung eben mit einer Partei zusammenging, so muhte sie aus die Wünsche dieser Partei eben solange Rücksicht nehmen, als diese Wünsche sich in anständigen und rechtlichen Grenzen hielten. Die Regierung wird schwer eine Partei finden, die ihr stets den Willen tut, aber niemals eigene Wünsche zu hegen sich getraut. Es ist nicht sehr verlockend für die nationalen Parteien, und insbesondere sür die Liberale», wenn die Regie rung durchblicken läßt, daß sie nur eine I a s a g e - Maschine braucht, die Mehrheit des Reichstages aber nicht mitreden lassen will. Indes, darüber würde sich ja noch reden lassen! Wird nun der Brief des Kanzlers, der jedenfalls aus einer wohlerwogenen Absicht heraus entstanden ist, die gewünschte Wirkung tun? Soweit der Kanzler nationale Akkorde an schlägt, wohl. DieEinigung der nationalen Parteien scheint doch zum größeren Teil glücken zu sollen, unser liebes Sachsen natürlich ausgenommen, weil bei uns die agrarisch-konser vativen Herren immer eine Extramarke haben wollen. Nur wird leider gerade in der letzten Zeit von scharfmacherischer Seite wie der ein heftiger Vorstoß gegen dasallgemeineWahlrecht geübt, und Generalleutnant 0. Liebert, an den der Kanzler sein Schreiben richtete, steht diesen scharfmacherischen Tendenzen durchaus nicht fern e. Was in den Hamburger Nachrichten jüngst zu lesen war, das war bitter für alle Freunde des Fortschrittes, und die Leute, die hinter dem Blatt stehen, sind sehr gesinnungsverwandt mit denen, die den Reichsverband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie ins Leben riesen und ihm zur Zeit v 0 rstehen . Deshalb hat cs uns von Anfang an sehr leid getan, den Kanzler in dieser Gesellschaft zu sehen. Das hätte der Kanzler wissen sollen, daß der allzunahe Umgang mit den Herren vom Rcichsverband ihn in den Augen der libe ralen Wählerschaft nicht gerade besonders erhebt. Oder sollte darin bereits eine Andeutung auf kommende Dinge liegen? Sollte sich der Kanzler etwa schon mit den Gedanke» eines schärferen Vorgehens gegen die Sozialdemo kratie, wie es beispielsweise Karl Peters verlangt, ein wenig befreundet haben? Da sollte man denn doch nicht gleich beim Zusammentritt des neuen Reichstages einmal den Kanzler aus Herz und Nieren prüfen, denn daß die Liberalen aller Schattierungen, deren sich der Kanzler nunmehr gar so liebevoll annimmt, unter den oben angcdcuteten Verhältnissen mit der Regierung gehen könnten, das ist denn doch ausgeschlossen. Wir wissen wohl, daß sich in r e ch t s l i b e r a l e n Kreisen auch ein gewisser Widerwille gegen das bestehende Reichstagswahlrecht festgesetzt hat und mit großer Zähigkeit hasten bleibt. Verschicdentliche Preßäußerun- gen haben das schon längst klar genug erkenne» lassen, und wenn auch die um Bassermann und weiter nach links treu an den alte» Errungenschaften des Liberalismus sesthalten, so ist der Zug nach rechts doch größer, als man allgemein an nehmen möchte. Und wir fürchten sehr, daß nach den Wahlen dieses Hinneigcn zur verkappten und offenen Reaktion noch be deutender wird, als es leider schon ist. Da wäre cs schon gut, wenn man sich gleich im Prinzip da- Angclcgcnhcit, der denn doch die Veranlassung bieten müßte, die Sache wieder aufzunehmen, da die Darstellung Goernes so präzis und ruhig ist, daß sie nicht totgeschwiegen werde» kann. Wir lassen den Bries des Herrn Gottlieb Goerne hier folgen. Er lautet: „In Ihrem geschätzten Blatte befanden sich ausführliche Berichte über die in der Budgetkommission des Reichstages bei den Kolonialvcrhandlungcn vorgekommencn Besprechungen eines geplanten Putsches zwecks Annexion der Spanien ge hörenden Insel Fernando Po. — Bei dieser Gelegenheit wurde auch wiederholt mein Name als Gewährsmann des Abgeordneten Herrn Erzbcrger genannt. Da ich aus längeren Reisen in D.ntsch- südwestasrika das Land vom äußersten Süden bis zum Norden, vom Osten bis Westen durchquert und alle drei Aufstände selbst mit erlebt habe, so glaube ich, in der Lage zu sein, ein zu treffendes Urteil darüber abgeben zu können, was unseren afri kanischen Kolonien n 0 t tut, um gesunde wirtschaftliche Verhält nisse herbeizusühren, und halte mich verpflichtet, nochmals auf die Angelegenheit eingehend zurückzukommcn. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß bei einer richtigen und sachgemäßen Leitung die Kolonien aufblühen und unserem deutfchen Vaterlande zum Nutzen gereichen müssen. Ich habe es immer als meine Aufgabe betrachte», vorhandene Mißstände rücksichtslos aufzudecken, um deren Abstellung herbei zusühren. Ich sehe aber die g r ö ß t e G e f a h r für den deutschen Besitz, wenn übereifrige Kolonialschwärmer das Deutsche Reich in Abenteuer verwickelst wollen, welche dasselbe in Konflikt mit anderen kolonialen Mächten bringen könnten, und deshalb ist eine wahrheitsgemäße Aufklärung über die Besprechungen, welche ich mit dem Abgeordneten Herrn Dr. Semler über Fer nando Po im Juni 1904 gehabt habe, meiner Ueberzeugung nach vom allgemeinen Interesse. Ich sehe sür jetzt davon ab, näher auf die persönlichen Kränkungen einzugehen, welche »on Herrn Dr. Bitter und dem in dieser Sache sehr schlecht insor- riiber möglichst klar würde, ob die Regierung reaktionäre Plane verfolgt oder nicht. Wir meinen, die Regierung wird ihr Verhalten so einrichten, wie eben die Reichstagswahl a u s f ä l l t. Da könnte man schon vorher etwas bestimmend auf die künftige Gestaltung der Politik einwirken, wenn man sich die Kandidaten jetzt, da es noch Zeit ist, ganz genau ansähe. Man kann national sein, ohne reak tionär zu sein. Man stelle deshalb Kandidaten auf, die national denken und fühlen, die aber für ein gesundes V 0 r - wärtsschreiten sind! Für die Liberalen ist bei den Jun kern nichts zu holen und zu wollen — mögen sie deshalb dahin wirken, daß nicht ein reaktionärer Block, sondern ein liberal- nationaler künftighin mitzureden hat bei der Gestaltung der deutschen Politik. Dazu regt die Wahlparole des Reichskanzlers ganz besonders an. Politische Tagesschau. Aue, 7. Januar 1907. Die deutschen Kolonien in Chile. Wie dilettantisch und planlos unsere Kolonialpolitik bisher betrieben wurde, das zeigt sich am besten in der aus fallend neutralen Haltung, welche die Deutsche Reichs regierung gegenüber den deutschen Ansiedelungen in den über seeischen Ländern einzunehmen pflegt. Um ja nicht in den Ver dacht zu kommen, die deutschen Ansiedelungen etwa in Süd amerika dem deutschen Kolonialbesitze einzuverleiben, behandelt man in der Wilhelmstraße die Volksgenossen, die sich in fernen Ländern ein neues Heim geschaffen haben, fozusagen alsStief - linder. Darüber führt wieder die Deutsche Zeitung in Val divia herzbewegliche Klage, indem sie darauf hinweist, welchen fruchtbaren Ackerboden die deutschen Ansiedler in Chile aus den Urwäldern geschaffen haben. Ietzt, wo ein Menschenalter hindurch der Deutsche diese schwerste Arbeit vollbracht hat, be ginne eriwut im großen Umfange der Zuzug der anderen Nationen insbesondere der Italiener, die sich in das von Deutschen gemachte Bett legen. Vom Norden bis zum Süden wirke die ganze italienische Kolonie gemeinsam mit ihrem Ee» sandten und ihrem Konsul, ihrer Presse und Kaufmannschaft sür das italienische Volkstum. Dagegen finden die deutschen An siedler bei ihren Bestrebungen weder bei der deutschen Regierung mit ihren Gesandten und Konsuln irgend welche Unterstützung. Zum Schlüße greift das genannte Blatt das deutsche Konsulat wesen in Chile an. dem es Bequemlichkeit und In teressen losigkeit vorwirst. — Das sind böse Anklagen, die aber sicher nicht unbegründet sein werden, denn man weiß ja zur Genüge, daß unserer Regierung das Deutschtum im Aus lands Hekuba ist. Es scheint demnach, als ob der Deutsche, trotz dem sei» Mutterland eine Weltmacht geworden ist, wenn er sich im Auslande niederläßt, noch immer in der Hauptsache die Rolle des Kulturdüngers spielt wie seine Vorfahren vor anderthalbtausend Jahren. Es würde sich jedenfalls viel bester rentiert haben, wenn wir von dem Gel de, das uns bisher unser südwe st afrikanisch er Besitz gekostet hat, einen Teil zur Unterstützung der blühenden deutschen Ansiedelungen in Süd amerika verwendethätten. mirrten Herrn Kolonialdirektor Dernburg mir wider fahren sind. — Die Art und Weise, in welcher mein früherer An walt Herr Dr. Bitter Bemerkungen über mich gemacht hat, die meine Glaubwürdigkeit anzweifeln sollten, wobei ich nur kon statieren möchte, das, ich, was geflissentlich von ihm verschwiegen worden ist, von sachverständiger Seite für völlig geistig gesund erklärt bin, was gerichtsseitig anerkannt wurde — richtet sich von leibst, und ich habe in dieser Beziehung, da meine persönliche Ehie angegriffen ist, die erforderlichen Schritte durch meine An wälte Herrn Dr. Heymann und Dr. Horowitz eingeleitet. Zur Sache selbst bemerke ich, daß seitens Herrn Dr. Seniler die Angelegenheit in tendenziöser Weise vollständig ent stellt wiedergegeben ist. — Herr Dr. Semler leidet offenbar an einer bedauerlichen Gedächtnisschwäche, was ohne weiteres drraus hervorgeht, daß er, trotzdem er mit mir seit Oktober 1901 bekannt ist und ich wiederholte Unterhandlungen und Kor respondenzen mit ihm gehabt habe, dem Abgeordneten Herrn Erzberger im Jahre 1906, wie derselbe mir schriftlich mitteilte, aus Befragen erklärt hat, „er kenne mich überhaupt nicht!" — Die maßgebende Unterredung hat nicht in Gegen, wart des Herrn Dr. Bitter stattgefunden und dieser Herr ist des halb durchaus nicht in der Lage, irgend etwas von ausschlag gebender Bedeutung in der Sache mitzuteilen. Von der in Be tracht kommenden Unterredung mit Dr. Semler, die unter vierAugenin dessen Zimmer stattfand, sind nur einige ein leitende Worte in Gegenwart von Dr. Bitter vorher in besten Zimmer gefallen und dieser Herr wünschte mir zu den mir zu machenden Vorschlägen im voraus Glück, als ich ihn verließ. Schon im August 1804 hat Dr. Bitter einem Freunde von mir, Herrn August Stulle,, erklärt, daß ein Projekt vorläge, durch welches ein gutes Fortkommen für mich gesichert sei, er könne aber nicht darüber sprechen, denn die Sache sei tiefstes Geheimnis. Ich hab« nicht nötig, mich auf mein Gedächtnis zu