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Donnerstag, 27. Dezember 1906. 30ÜÜ »biiiM Nr. 97. Erster Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge V»ra»tlvoltlicher Lcdaklcur: Fritz Arnho Id. Für die Znserate veranlworllich: Arthur Kupfer beide iu Aue »nit der wöcL^efülicheti Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde der Aed.iktiou init Auruahm« der Souutage nachmittags von 4—s Ahr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 202. Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag Gebrilder Benthner ()nh.: Paul Leuthner) in Aue. 8ezu gs preis: Durch unsere Loten frei ins Hans monatlich 50 pfg. Lei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 4» pfg. und wdchentlich >n pfg. — Lei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich >.50 Mk. — Durch den LricftrSger frei ins Haus vierteljährlich i->2 Mk — Einzelne Nummer io Pfg — Deutscher postjeitungs- katalog — Trschelnt täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Januar wird in einer Versammlung des deutschen H a it d e l S t a g e s in Berlin K 0 l v n i a l d i r e k t 0 r Dcrnbnrg einen vjscnllichen Vortrag über den jetzigen Stand der kolonialen Entwi ek > n n g Deutschlands halten. * Näheres siehe unten. Ein in der Regel gut über koloniale Angelegenheiten infor miertes Blatt will, wie wir schon meldeten, wissen, daß die Bersebastämme unruhig geworden sind, und mit dem Ausstand drohen. Der Kapitän Goli ath wäre zwar durch aus königstreu, aber er hat einen Gegner unter seinen Leuten, und der soll vom Gebiet des Aufruhrs ersaht sein, Man habe den Kapitän bereits einmal totgesagt, und es wäre nicht un möglich, daß eines schönen Tages die Versebas mit ihren 600 Ge wehren sich gegen die Deutschen erheben. Nun fügt das Blatt allerdings ihrer Meldung noch eine Bemerkung hinzu, die den Wert der Nachricht etwas herabdrückt. Es meint nämlich, unter solchen Umständen könne man gar nichts besseres tun, also so schnell wie möglich die Bahn Kcctmannshoop—Kubub bauen, damit man dem Aufstande zuvorkommen könne. Diese merkwür dige Bahn! Was ist doch über diese Linie nicht alles im Reichs tag und in der Presse schon gesagt worden! Jüngst erst hieß es wieder, die Verwaltung in Südwestasrika lasse die Bahn einfach aus strategischen Gründen baue», wenn auch der Reichstag sie seinerzeit abgelehnt habe. Früher war sogar behauptet wor den, der neue Mann in Südafrika, dem man im Reichstag ohne hin nicht besonders grün war, hätte die Bahn auf eigene Liidwestafrika. Faust bereits erbauen lassen. Beide Nachrichten wurden natür lich dementiert, und wenn man auch nicht genau weih, ob Vor- - Wieder ist es Weihnachten gewesen, zum drittenmal, und nsch immer stehen unsere deutschen Landeskinder im Südwestcn Afrikas im Felde gegen einen heimtückischen und äußerst zähen Feind, der schon mehr denn einem Jahre vernichtet schien und doch immer wieder, bald hier, bald dort auftauchend, unse ren Truppen gefährlich wurde. Was unsere Soldaten da unten zu leiden haben, das kann der brave Bürger in der Heimat sich kaum entsprechend ausmalen. Es heißt viel, in steter Bereit schaft sein, aber die Strapazen unendlicher WUstenmärschc, die Qual des Durstes, die unendlich schlechte Verpflegung — es ist kein lustiges Kriegsspiel da unten — und nur mit größtem Mit leid und Bedauern gedenken wir unserer armen Südafrikaner die, wer weiß, wie lange noch, von der deutsche» Heimat getrennt find. Denn noch immer ist kein Ende Keses schrecklichen, auf reibenden Krieges gegen ein paar Hundert Gegner abzusehen, noch immer kann nicht davon die Rede sein, die Mehrzahl der Truppen wenigstens Heimzusenden. Die Regierung hat das ja letzthin — man wird nicht gerne an die begleitenden Umstände erinnert — im Reichstag deutlich gesagt, und wenn man es auch nicht recht begreiflich findet, daß so viele Tausende von deutschen Soldaten dazu gehören sollen, um wenige Hundert von Schwarzen einigermaßen in Schach zu halten, so wird es doch wohl nicht anders sein. Zum Vergnügen läßt die Reichsrcgierung sicher die Truppen nicht in Südafrika und zu Paradczwecken ganz gewiß auch nicht. Es muß also sehr notwendig sein, wenn man sich für die Zahl der Truppen in Südwestasrika in die Unkosten einer scharsen inneren Krise stürzt, und daß unter solchen Umständen an ein rasches Ende des Feldzuges nicht zu denken ist, versteht sich eigentlich bereitungen zu dem Bau dieser Bahn getroffen und wie weit sie schon gediehen waren, so ist doch sicher, daß die Bahn nicht ge baut ist und vorerst auch wohl kaum gebaut werden kann, weil die Regierung das Risiko, die Verletzung des Vudgetrechtes des Reichstags zu rechtfertigen, kaum übernehmen wird, solange sie nicht genau weiß, w i e dieser Reichstag aussehen wird. Es srägt sich aber doch, ob die Bahn nicht aus militärischen Gründen gebaut werden könnte, ohne daß man vorher dem Reichstag die Frage vorlcgte. Wenn die Not zwingt, dann gibt cs unserers Erachtens kein Budgetrecht des Reichstags. Liege» die Dinge wirklich so, daß ein Ausstand der Bcrsebas zu befürch ten steht, dann wird man gut daran tun, sofort mit dem Bau der Bahn zu beginnen, denn wenn der Ausstand einmal da ist, dann ist die Zeit zum Bau der Bahn vorüber, dann heißt es an andere Dinge denken. Voraussehen wir bei diesen Ausführungen na türlich, daß das Berliner Blatt mit seiner Ausstandsbewcgung nicht nur den Zweck verfolgt, für den Bahnbau Stimmung zu machen. Aber: 600 Gewehre mehr, und für unsere deutschen Krieger bricht wieder eine furchtbare Zeit an! Man denke doch: ein Feind, der frisch in den Kamps zieht, der das Terrain kennt, und dazu unsere ermüdeten Truppen, die immer »och jene Gebietsteile nicht ganz entblößen dürfen, in denen sich die Neste der Hottentotten und Hereros Herumtreiben! Eine neue schwere Zeit, und wann würde sie enden? In Jahren vielleicht! Wir glauben aber nicht, daß die Dinge so schlimm stehen, wie das kolonialsreundliche Blatt sie darstcllt. Es mag wohl die Absicht des Gewährsmannes gewesen sein, die vielgenannte Bahn ein wenig zu propagiere«, und zur besseren Wirksamkeit hat er dann die Gefahr eines Ausstandes an die Wand gemalt. So hoffe» wir. Immerhin wäre es aber sehr wünschenswert, wenn die offiziellen Stellen sich zu der Angelegenheit recht eingehend äußern wollten, damit man doch weiß, wie man daran ist. Ist wirklich Gefahr im Verzug, dann muß die Re gierung ihre Maßnahmen treffen, und wenn schon der Bau der Bahn Keetmanshoop—Kubub unbedingt nötig erscheint, dann fange man eben an! Auf der einen Seite die Aussicht, daß unsere braven Truppen noch Jahre lang sich mit einem nichtswürdigen und grausame», heimtückischen und hinterlistigen Feind herum schlagen müssen, auf der anderen Seite die Notwendigkeit, den verbrauchten Millionen noch ein paar neue hinzuzufllgen — das müßte kein Patriot sein, der hier nicht leichte Wahl hätte. Wir hoffen, daß nächstes Jahr um diese Zeit endlich in Südafrika Ruhe herrscht, daß die Verhandlungen mit England wegen der Ueberläufer zu einem für uns günstigen Ende führen, und daß wir unsere brave» Leute bald Wiedersehen! , Bei den Verhandlungen über den Nachtragsetat für Sllo- westasrika im Reichstage wurde von Vertretern der verbündeten Regierungen und des Großen Eeneralstabes die Versicherung ab gegeben, unsere dort noch kämpfenden Soldaten möglichst schnell im gleichen Tempo mit den Fortschritten der kriegerischen Ope rationen weiter zu vermindern und Heimzusenden. Vom Kriegs schauplatz ist nun gestern folgende uns telegraphisch übermittelte Meldung eingetrosfen: Der Stamm der Bonde lzwarts hat sich unter worfen: Johannes Christian mit seinem nächsten Anhänge hat sich dem Oberleutnant v. Estorfs in Heirachabis gestellt. Die Zahl der Männer beträgt 120, der abgegebenen kleinkalibri gen Gewehre 105. Zerstreute Banden und Stammesangehörige die aus britischem Gebiet zurückkehren, sind in die Unterwerfung einbezogen. Kein Vondelzwart darf Schußwaffen tragen. Die Unterworfenen sollen bei Keetmannshoop und Kalkfontein Loka tionen erhalten und dort unter militärischer Aussicht in Lagern gehalten werden. Die Durchführung der Unterwerfungsbestim inungen wird noch einige Zeit erfordern. Auch stehen noch ein zelne Banden von anderen Stämmen, wie Simon Topper und Fielding, im Felde. An den leitenden Stellen in Berlin hegt man in Ueberein- stimmung mit dem Oberkommando in Südwestasrika die Zuver sicht, daß nunmehr der Krieg rasch zu Ende gehen wird und die kolonisatorische Arbeit in den weiten von ihm berührten Gebieten wieder beginnen kann. Diese günstige Wendung be stärkt zugleich in der Ansicht, wie falsch die Haltung der Mehr- heitspartcie» im verflossenen Reichstage war. Der mit der Wahrung des Vudgetsrechts der Volksvertretung motivierte Zentrumsantrag, trotz jener Versicherung der Verbündeten Re ¬ gierungen und des Kriegskommandos eine bestimmte Zahl für Das politische Jahr 1906. (IV.) (Nachdruck verboten.) Wir sind durch das Anschneiden der Braunschweiger Frage bereits von der Reichspolitik ab und in die Politik der Einzel- st aalen hincingekommen. Wir wollen daher jetzt in aller Kürze auf die wichtigste» Ereignisse eines jeden Bundesstaates eingehen. Wir beginnen mit Preußen. Bei keinem andere» Staate erscheint freilich Reichsgeschichte und Landesgeschichte so eng miteinander verbunden, wie gerade in Preußen. Die Hauptschuld daran tragen wohl die so eng mit einander verwachsenen Ministerien sowie der gemeinsame Zcn- tralpunkt der Reichs- und Staatsinteressen, das Königtum und Kaisertum und die gemeinsame Hauptstadt. Beispielsweise war schon die Ernennung des Generalleutnants Helmut von Moltke zum Chef des preußischen Generalstabcs an Stelle des 72jährigen Grasen Schliessen zwar eine rein preußische Angelegenheit, zweifellos aber für das Reich von der wesent lichsten Bedeutung. Auch in Preußen nimmt selbstverständlich die innere Politik das Hauptinteresse in Anspruch. Namentlich stehen noch immer die sozialen Gegensätze im Vordergründe und die zahlreichen Kongresse aller Parteien, aller Verussgruppen - und Arbeiterkategorien lassen das Fortschreiten dieser sozialen Bewegung deutlich erkennen. Die 25 Jahre sozialer Arbeit, die von Reichswcgen inzwischen geleistet worden sind, und aus die das Reich im November d. I. zurückblicken konnte, haben Früchte gezeitigt, die den Etnzelstaaten zugute gekommen sind. Die Bundesstaaten und ihre Oberhäupter haben so zweifellos den Beweis geliefert, daß sie ihre Hand zur Ausbesserung der Lage aller Schichten der Bevölkerung bieten wollen, und damit Be strebungen, die den legalen Boden verlassen wollen, von vorn herein die Berechtigung genommen. So ist der Kongreß der preußischen Bergarbeiter in Essen, auf dem die Kampfesstimmung groß zu werden schien, zu einer friedlichen Auffassung gelangt, so sind Bestrebungen zum Schutze und zur Versorgung der Heimarbeiter im Gange. Daß allerdings nicht immer die friedliche Stimmung in den Streitigkeiten zwi schen Arbeitern und Arbeitgebern die Oberhand behielt, braucht nicht erst besonders betont zu werden. Ausstände und Aussperrungen sind nicht ausgcblieben. Wir erinnern an den großen Vraunkohlenarbeiterausstand im mitteldeutschen Grubenrevier, an den Buchbinderausstand, den Metallarbeiterausstand in Breslau, wo bei den Krawalle» dem Arbeiter Biewald von einem Schutzmann die rechte Hand abgehackt wurde, und an die Ausstände der Elbschisfer und der Werst- und Hafenarbeiter in den Seestädten. Daß die Arbeit geber schließlich von dem Zusammenhalten der Arbeiter gelernt und ihren Interessen in einem Arbeitgeber-Schutzver band gegen Streiks chäden einen gemeinsamen Mittel punkt gegeben haben, darf kein Wunder nehmen. Was die dem preußischen Landtage gestellten Forderungen betrifft, so nehmen die Wahlkreisänderung und das sogen. Schulunter hol t u n g s g e s e tz den Vorrang ein. Die Wahltreisänderung wollte mit einigen durch das Anwachsen der Bevölkerung in ein zelnen Wahlkreisen entstandenen Unzuträglichkeitcn aufräumen So erhielt Berlin statt 0 jetzt 12 Abgeordnete, desgleichen er hielt Charlottenburg einen Abgeordneten und Schöncberg-Rix- dors ebenfalls einen Abgeordneten. Insgesamt sollen statt -135 nunmehr -113 Abgeordnete zum preußischen Landtag gewählt werden. Das Schulunterhaltungsgeseh wurde schließlich nach langen Kämpfen angenommen. Der konfessionelle Einfluß auf die Volksschule wurde festgehalten, allerdings genügten die zur Wahrung der Konfesfionalität vorgesehenen Maßnahmen dem Zentrum nicht. Dieses lehnte die Vorlage deshalb ab, des gleichen die freisinnigen Parteien, die in der Vorlage einen Ein griff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden sahen. Schließlich nahm die Rechte gemeinsam mit den Nationallibe ralen die Vorlage an. Von sonstigen für Preußen bemerkens- wertenAngelegenheiten erwähnen wir die durch denTod desEisen bahnministers v. Budde nötig gewordene Neubesetzung des Postens des Ministers der Ocffentlichen Arbeiten durch den Eisenbahndirektionspräsidenten Breitend ach, der mit der Einweihung des neue» Krefelder Rheinhasens gleich Gelegen heit hatte, auch andere Ressorts seines umfangreichen Mini steriums kennen zu lernen, wie das Eisenbahnwesen. Von fröh lichen Ereignissen ermähnen wir noch den Gaunerstreich des Hauptmanns von Köpenick, der, wie allbekannt, am 15. Oktober den Bürgermeister von Köpenick sowie den Stadtkassen- rciidanten mit Hilfe von sieben Soldaten festnahm und -1000 M. beschlagnahmte. Er hat für manch erheiternde Stunde gesorgt, und es ist halb und halb zu bedauern, daß auch ihn die Schwere des Gesetzes treffen mußte. Wilhelm Voigt hat seine kühne Tat mit vier Jahren Gefängnis zu büßen. Was Bayern anlangt, so hat dieses eine parlamentarische Tagung im letzten Jahre hinter sich gebracht, die ihresgleichen sucht. Hat das Parlament doch rund 11 M o n a t e u n u n t e r - brachen getagt. Freilich, ganze Arbeit haben die Bayern getan. Ihre Wahlreform haben sie unter Dach und Fach gebracht, und was das Eisenbahnwesen anlangt, so sind bereits die Vorarbeiten im Gange, das ganze bayrische Staatsbahnnetz für den elektrischen Betrieb einzurichten.- Dabei muß man allerdings bedenken, daß Bayern in den Ursprungsgegenden sei ner der Donau von Süden zuströmenden Flüsse natürliche Kraft quellen für die Errichtung elektrischer Turbinen besitzt, die dem ganzen bayrischen Staatsbahnnetz die erforderliche Energie zu führen könnten. Direkte und geheime Wahl sind die Grundzllge der bayrischen Wahlreform, 25 Jahre Lebensalter und einjäh rige bayrische Staatsangehörigkeit des Steuerzahlers sind die Bedingungen für das Recht zu wählen und gewählt zu werden Daß aber bei den endlosen Debatten manch wackerem Bayern Zeit und Weile lang geworden ist, beweisen die Worte, die Prinz Georg am 2. August im Reichsrat an das Ministe rium richtete und in denen er die allzugroße Nachgiebigkeit des Ministeriums gegenüber den Wünschen aus weitere Dauer der