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Veit WMfflDG Montag, 21. Januar 1907. üdes ßZullll übiMitiil Rr. 17. Zweiter Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge verantwortlicher Redaktcur: Fritz Arnhold. Filr die Inserate verantwortlich: Arthur Kupfer beide in Aue. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von §—L Uhr. — Tciegramm-Adrcffe: Tageblatt Aue. — Fernsprecher ror. Für unverlangt eingcsandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Uruck und Verlag Gebrüder Beuthner (Inh.: Paul Benthner) in Aue. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins ksaus monatlich sn pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich eo pfg und wächentlich <o psg. — Bei der Post bestellt und selbst abgcholt vierteljährlich ,.so Mk — Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich ,.gr Mk. — Einzelne Nummer io pfg. — Deutscher postzeilungs- katalog — Erscheint täglich'in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Reichskanzler Für st B n l o w beleuchtete gelegentlich eines Festmahles des ko l o n i a l v o l i t s ch e n Aktions komitees am Sonnabend in Bcrli n die gegenwär tige p o l i t i s ch eL a g e, der G o u v e r n e n r v o n Dentsch- S li d w c st - A f r i k a , von Mindest nist hielt gestern in Dresden einen Vortrag über unsere B olvnicn. ' InLosia de m o n st rierte n gestern die Studenten wegen der Schließ n ug der Unive.sitüt v o r dem Palais des Fürsten, wobei es zu blutige n I n s a in m e n st v ß e n mit der Polizei und Militär kam. Auch i» Barcelona fanden gelegentlich einer P rotestversa m in lnng gegen die religiösen Vereinigungen schwere Ausschreitungen stall * Die Zahl der nach der Balastrophe von Kingston Vermißten betrügt 1745. Die Ablehnung englischer Hilfe durch den Gouverneur von Kingston dürste zu diploma tischen Schwierigkeiten zwischen England und den Vereintsten Staaten ühren. * *) Näheres siehe unten. Unter neuem Kurs. cs Wir leben in einer aufgeregten Zeit. Ein hoher Reichs beamter fährt im Reich herum und macht Stimmung siir sein Ressort. Ein nochhöherer spricht vor einem Parket von Pro- ießoren und Kommerzienräten über die Politik des Deutschen Reiches uno seines Kanzlers, umjubelt von Vcisall der Menge, ber das ungewohnte Schauspiel gefällt. Die Zeichen der Zeit stehen ein wenig aus Stur m. Das an sich ist nicht merkwür dig, wie ja auch die Reichstagsauslösung nicht die erste war im Deutschen Reiche. Aber merkwürdig ist die Art, wie die Re gierung sich in den Kamps wirst, und wie Kreise, die sonst der Politik überhaupt aus dem Wege gingen, auf einmal die Arena betreten und nach Kräften mittun. Es ist ganz in der Ordnung, von einem n e u e n Kurs zu sprechen. Die Regierung des Fürsten Bülow hat sich in sehr kur zer Zeit gewandelt, und aus dem Grandseigneur von einst ist ein Mann geworden, der mehr zu den Sitten der Kaufmannschast hinneigt, der es nicht unter seiner Würde findet, selb st Hand an das Werl zu legen, das er vorhnt. Der Fürst arbeitet außer ordentlich intensiv an den Wahlen, und man braucht nur seinen Moniteur, die Nordd. Allg. Ztg. anzusehen, die jeden Tag ihr Schlachtlied ertönen läßt, um zu wissen, wies e h r der Kanzler sich müht und plagt. Das offiziöse Bureau depeschiert die tanzlcrischen Acußerungen dann Tag um Tag hinaus in die weite Welt, um die Bevölkerung entsprechend zu bearbeiten — kann man mehr verlangen? Der Kanzler tut in der Tat, was er k a n n, um dem kommenden Reichstag eine nationale 'Mehr heit zu sichern, und cs ist nur die eine Frage, ob diese seine in tensive Tätigkeit auch den gewünschten Erfolg haben wird. Und wenn man an die Lösung dieser Frage herantritt, und zu gleich einen Blick auf die Mitarbeiter wirft, die sich die Regierung bestellt hat, gibt es eine n e u e Ueberraschung. Die Neichsregicruug hat bisher fast ausschließlich mit deu Konservative» gearbeitet. Die ganze Politik der letzten zehn Jahre ist daraus zugeschnitten. Und nun sieht man deu Kanzler sich plötzlich an die gemäßigte Linke wenden, an die Liberalen und deren Rückendeckung im Stand der In dustriellen und der Kaufleute. Auch die zumeist gar nicht konservative K U u st l e r s ch a s t erfreut sich, wie die Leute aus der G c l e h r t e n r e p u b l i k, des regierungsseitigen Wohl wollens. Ist das die Politik desKanzlers, oder hat sich am Ende noch weiter oben ein Eesiiinungsumschwung gezeigt, der sich aus diese Weise auodrückt? Es ist nicht unbemerkt geblieben, daß derKaiser seine Stellung beispielsweise zur modernen K u nst geändert hat. Was einst nach seinem Urteil nicht zur Kunst gehörte, das scheint nach oben kommen zu sollen. Der Simplizisfimuszeichner Bruno Paul z. B. hat einen sehr ehrenvollen Ruf nach der Reichshauptstadt erhalten, und wer weiß, was noch folgt. Es ist außerdem kein Geheimnis, daß der Kaiser sehr viel Verständnis für die kulturelle und soziale Be deutung der Industrie hat, und seine freundlichen Be ziehungen zur Großkausman n schäft sind bekannt genug, als daß man darüber ein Wort zu verlieren brauchte. Da ist es kaum ein allzugroßcs Wunder, wenn man auf den Gedanken kommt, daß der eigentliche Urheber des gegenwärtigen Um schwungs nicht im Reichskanzlerpalais, an der Wilhelmstraße zu Berlin sitzt, sondern noch höher. Bereitet sich nun wirklich eine Modernisierung un serer Politik vor, oder bedeuten die Zeichen, die wir zu bemerken glauben, weiter nichts, als daß man die Kreise, an die man sich jetzt wendet, für die Wahl brauchen möchte, um dann, nachdem ein neuer Reichstag der Regierung den Willen getan hat, wieder agrarisch-konservativ weiter zu re gieren, wie man bisher regiert hat? Das ist eine sehr diffi zile Frage an das Schicksal, und wir besitzen leider nicht so viel Talent zum Rätsellöscn, als daß wir eine Antwort zu geben wagten. Manches an dem neuen Kurs läßt recht schöne Hoff nungen ausblUhen, aber es gibt auch wieder Dinge, die uns we niger gefallen. Es ist hübsch, daß man so fleißig arbeitet, und wenn die Reisen unseres Kolonial-Sanitätsrats auch ein wenig ungewohnt erscheinen, so ist cs doch gewiß nicht nötig, daß i:an schlechte Witze über sie mucht. Nur das Publikum, das die Arrangeure der Versammlungen mit Regierungsreden zu Gaste laden, paßt uns nicht ganz. Dii Herren Professoren und Kom merzienräte, an die Dernburg und Bülow sich vorzugsweise wenden, bedürfen doch wohl der Auffrischung ihrer nationalen Gefühle nicht, und die Exklusivität, mit der man sich gerade an die Kreise wandte, läßt die Befürchtung auskommen, daß das Volk in seiner Gesamtheit bei der ganzen Geschichte nichts zu suchen hat. Es darf wohl national wählen, aber dann kann es wieder gehen, und die Ratgeber der Regierung, die Junker, erhalten nur eine Art von Beirat in den Professoren und Kaufleuten. Eine kleine Aufmischung der konservativen Ideen, sonst nichts. Es ist schon recht merkwürdig, daß man die Presse fast ganz bei dieser Aktion übergangen hat — wir kennen die Achtung allerdings lange, die man ihr in den sogenannten maßgebenden Kreisen ausgiebig entgcgenbringt. Das wäre indes unschwer zu verschmerzen, aber uns scheint, dem gegenwärtigen Kurse fehle überhaupt das Moment der Dessen tlichkeit ein wenig. Man wird ja sehen, wohin wir steuern, aber wir fürchten recht sehr, daß die Leute, die von der Regierung ein Brechen mir den agrarischen Prinzipien erwarten, nicht aus ihre Rechnung kom men. Bisher hat man davon nichts gehört, daß die Regierung für ihre neuen Freunde auch etwas tun will, sie wünscht nur von diesen ein besonderes Wohlverhaltcn. Das macht ein wenig mißtrauisch, aber um so besser, wenn wir uns irren! Gouverneur v. Lindeqnist vor die Front. >v. Der Gouverneur von Deutsch-SUdwestasrika von Lin- dequist hielt gestern mittag auf Einladung eines Komitees der Bürgerschaft im Ausftellungspalast in Dresden einen etwa anderthalbstündigen Vortrag über die nationale und wirt schaftliche Bedeutung unserer Kolonien, insbesondere Deutsch süd w e st a s r i k a s. Er gab zunächst seiner Freude darüber Ausdruck, sich in der Hauptstadt Sachsens über die nationale und wirtschaftliche Bedeutung von Deutschlands Ko lonien verbreiten zu können, denn gerade aus Sachsen wäre man cher tüchtige Mann nach den Kolonien gegangen, und über !>0 lapscre sächsische Krieger wären bei der Verteidigung des kolonialen Besitzes in Südwestasrika gefallen. Redner wies dann aus die unbedingte Notwendigkeit kolonialen Besitzes für Deutschland hin, gedachte der Veränderungen, die sich seit den 70er und 80er Jahren vollzogen haben, des Beitritts von Ame rika und Japan zu dem Konzert der europäischen Großmächte »nd der Entwicklung von England und Frankreich zu über seeischen 'Weltmächten. Deutschland stehe vor der Frage, ob es den Schritt zur Weltmacht machen wolle. Auch der gewaltige Aufschwung der deutschen Industrie fordere gebieterisch die Er schließung größerer kolonialer Gebiete des Reiches, damit Deutschland zu einer vom Auslände unabhängigen Wirtschaft gelangen und sich hinsichtlich eines Teiles der für die nationale Industrie notwendigen Kolon ialprodukte, wie Baumwolle, Kautschuk, Hans, Wolle und Straußenfedern, unabhängig mache. Die Erhaltung und Entwickelung eines kolonialen Besitzes wäre aber ohne die Entwicklung der nötigen Machtmittel und ohne Flüssigmachung von Geldmittel nicht möglich. Redner verwies dabei auf das Beispiel des englischen Parlamentes und Polles, das, trotzdem der Krieg gegen die Buren nicht populär war, wie ein Mann hinter der Regierung stand, als es den Engländern anfänglich smlecht ging, das alles bewilligte und alle Lasten des Krieges willig aus sich nahm, weil sein Nationalstolz verletzt war. Auch Frankreich in Algier und Madagaskar biete uns ein leuchtendes Vorbild! für beide Länder seien von Frankreich schwere Opfer gebracht wor den, und uns Madagaskar haben in dem Unterwerfungskriege nicht weniger als sechstausend französische Soldaten ihr Grab gesunden. Die Versagung der für die Fortführung eines Krieges notwendigen Mittel wäre aber auch unwürdig der Stellung einer Großmacht. Cs müßten aber auch diejenigen Mittel aufgebracht werden, die notwendig sind für die Verkehrs wege. eure) die unsere Kolonien aus der beschämenden Abhän gigkeit v '> fremden Mächten besten werden sollen. So habe in Ostasrika zur Beförderung der für die schleunige Unterwer fung des Ausstandes am Kilima-Ndscharogebiet bestimmten Truppe die englische Ugandabahn benutzt werden müssen, und in S ü d w e tt a f r i k a müsse für jeden Sack Reis, für jede Tonne Mehl zur Verpflegung der im Süden fechtenden Truppen ein Einfuhrerlaubnisschein von einer fremden Macht gelöst werden, die jederzeit durch Sperrung der Grenze in der Lage ist, die mi litärischen Operationen in diesen Gegenden zu unterbinden. Wäre dagegen die Bahn vor läge der Verbündeten Regie rungen im Mai v. Is. bewilligt worden, so wäre man nicht in dieser unwürdigen Lage, und dem deutschen Steuerzahlc» wären 2 U Millionen erspart worden. Zur Erhaltung und Sicherung unseres kolonialen Besitzes wären aber auch die Machtmittel notwendig, die erforderlich sind, den in die Kolonien hinausgehendcn Deutschen die Sicherheit ihres Le bens und Eigentums zu gewährleisten. Das gelte aber beson der für Südwestasrika, weil hier nach der Natur des Landes und der Art des Farmbetriebes die Ansiedelungen weit auseinander liegen. Es sei daher die Pflicht des verantwort lichen Gouverneurs, soviel Truppen im Lande zu behalten, als nach gewissenhafter Ueberlegung erforderlich sind. Von gleich falls weittragender Bedeutung ist die Entschädigungs- frage der Ansiedler, die durch den Ausstand Hab und Gut ver loren haben. Es ist von besonderer Wichtigkeit für die Ent wickelung der Kolonie, wenn man diesen erfahrenen Ansiedlern die Mittel zur völligen Wiederaufnahme ihres Wirt schaftsbetriebes gewährt, damit sie die neu Zuwandernden un terweisen könnten. Zum Schluß bemerkte Redner noch, daß, nachdem in dem weitaus größten Teile des Schutzgebietes Ruhe und Ordnung wiederhergcstellt sein würden, kein Hindernis mehr oorliegc, daß die deutsche Frau dem deutschen Manne nach Südwestasrika folge. Denn n u r dann werde diese Ko lonie wirklich deutsch werden, wenn sich dort deutsches Fa milienleben und deutsche Gesittung entfalte. Dem Vortrag, der von dem zahlreich versammelten Publi kum mit lebhaftem Beifall ausgenommen wurde, wohnten die Minister Frhr. von Hausen, Graf v. Hohenthal, Dr. Otto und v. Sch lieben, Hausminister v. Metz sch. dec preußische und der bayerische Gesandte, der Kommandierende General des 12. Armeekorps v. Vroichem sowie andere Spitzen der Behörden und viele Vertreter der Wissenschaft, der Kunst, der Finanz- und der Handelswelt bei. Der Vorsitzenoe des Komitees Oberbürgermeister Beutler dankte dem Red ner in herzlichen Worten und schloß mit einem Hoch aus den Kaiser und den König von Sachsen. Am Nachmittage wurde Gouverneur v. Lindequist vom K ö - n i gc im Rcsidenzschlossc in Audienz empfangen. Politische Tagesschau. Aue, 2l. Januar 1807. Krönnngs- und Ordenssrjt am Berliner Hose. re. Die Feier des volkstümlichsten der Hosfeste, des Krö- nungs- und Ordens-Festes, nn Königlichen Schloße begann gestern, Sonntag vormitatg bald nach i) Uhr in gewohnter Weise. Die neu zu dekorierenden Personen versammelten sich in der ersten braunschweigischen Kammer, und von 10 Uhr ab ging in der zweiten braunschweigischen Kammer die Ordens-Verteilung vor sich. Inzwischen begann die Anfahrt der zur Cour und zum Gottesdienste geladenen Herrschaften; Schaulustige hatten sich am Lustgarten und Unter den Linden — bei kühlem, aufklären- dcm Wetter — genug eiiigesundcn. Schon lange vorher herrschte in den Küchen und Kellereien des Schlosses die regste Tätigkeit, sollten doch etwa 1000 Personen feierlich gespeist werden. Der Kaiser hatte eine Ausjahrt und einen Spaziergang gemacht und begab sich mit der Kaiserin gegen 11'/^ Uhr nach dem Rittersaal zur Abnahme der Cour der vorzustellcnden neuernannten Rit ter des Noten Adler-Ordens, des Kronen-Ordens und des Kgl. Haus-Ordens von Hohenzollern. Zu den Seiten des Thrones hatten der Kronprinz und die Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hauses Ausstellung genommen, weiter die Ritter des Schwarzen Adler-Ordens, die Staatsminister, die Hofstaaten und die Gefolge. In der Schlotzkapclle hatten sich unterdessen die zur Feier außerdem geladenen Ritter und Inhaber einge funden, ferner die Botschafter und das diplomatische Korps etc. Am Altar stand die Hosgeistlichkeit. Unter großem Vortritt nahte das Kaiserpaar, während der Domchor mit Psalm 95 ein setzte. Die Herrschaften nahmen dem Altar gegenüber Platz. Nach dem Gottesdienst begaben sich die Teilnehmer gegen 2 Uhr, abermals in feierlichem Zuge, nach dem Weißen Saal, der das gewohnte prunkvolle Bild bot. Unter den Klängen eines Mar sches zog der Hof ein. An der Haupttafel waren wie üblich auch eine Reihe von Inhabern des Allgemeinen Ehrenzeichens und der Rcttungsmedille plaziert worden, Feldwebel, Wachtmeister, Eiseubahnbeamte. Im Verlaus des Mahles erhob sich der Kaiser und trank aus das Wohl der neu ernannten Ritter und der früheren. Die Musik spielte den dorischen Marsch. Nach der Tafel hielt das Kaiserpaar Cercle.