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Rr. 7. Zweiter Jahrgang. Mittwoch, S. Januar 1W7. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge Veit EVMMDR rekleete - Sier Udmitmlei! ^«.antwoitlicher Redakteur: Fritz Arn hold. Für dir Inserate verantwartlich: Arthur A u p j c r. beide iu Aue mit der wöclieittlicheil Unterbaltuiigsbeilage: Illustriertes Sormtagsblatt. Sprechstunde der Redaktian mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von 4—5 Ahr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher :n?. Für unverlangt cingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Arnck und Verlag Gebrüder Leuth n er t)nh.: Paul Leuthner- in Aue. Lezogspreis: Durch unsere Boten srei ins ksan; niouatlich sn Pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 40 pfg. und wächentlich to pfg — Lei der Post bestell« und selbst abgeholt vierteljährlich <.so Mk. - Dur.«- den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich i.gr Mk. — Linzelnc Nummer ,0 Pfg — Deutscher Postzeitung^ katalog — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens ,'fz Uhr vormittags. Für Ausnahme von größeren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn sie am Tage vorher bei uns eingehen. Znsertionspreis: Vie stcbengcspaltene Aorpuszeilc oder deren Baum zo Pfg., Reklamen rs pfg. Bei grdßereii Aufträgen entsprechender Rabatt. Diese Nuinnrev »tnrsntzt i» Seiten Das Wichtigste vom Tage. Kolonialdirektor Dernbursi hielt gestern abend in Berlin einen Vortrag über die historische Entwickelung unserer Kolonien, wobei er besonders aus Deutsch- Süd w e st a f r i k a einging. " Die Gehei nien Legationsräte von König und Rose sind zur Disposition gestellt worden. Das Befinden der ehemaligen Königin von Han nover gibt zu crnsten Besorgnissen Anlaß. * * Die neuerdings wieder austauchcnden Meldungen, nach denen der Sultan die Aenderung der Thronfolge beabsichtigte, entbehcrcn jeder Begründung. * Der S ch a h v 0 n P e r s i e n ist gestern abend gest 0 rbe n." heute vormittag!> Uhr wurde in Petersburg der Mili- tärprokureur Generalleutnant Pawlow durch einen Revolverschuh getötet. *1 Näheres siehe unten. Zentrum, Kolonie» und Wahlkampf. s? Die Kriegserklärung durch den Zentrumsführer an die Reichsregierung ist ersolgt. Erzberger hat seine neue Kolo- nialbroschürc geschrieben und Trimborn hat in Köln eine Versammlung abgehalten, in der er die Regierung sehr scharf angrisf. Und wieder sind es die K 0 l 0 n i e n , die das Zentrum im Kamps in die erste Linie stellt. Erzberger kündigt neue Ent hüllungen über die Kolonien an, und Trimborn erklärte, er wolle nicht im Schmutz wühlen, aber wenn man weiter auf das Zen trum losschlage, dann werde dieses sich nicht abhaltcn lassen, den Mund auszutun, und anzuklagen. Das klingt wenig er baulich. Die Reichsregicrung hat bisher bei oen Kolonialskandalcn den Kürzeren gezogen, das ist klar. Sie hat Veränderungen im Kolonialamt vornehmen müssen, dieser und jener Beamte sind „geflogen" und Schmutz wurde gerade genug ausgerührt. Wir wollen an alle diese Dinge, die Herr Erzbcrgcr vorgebracht hat, und die sich leider zum Teil bewahrheiten, nicht mehr rühren, denn sic sind widerlich. Aber wenn das Zentrum noch weitere Pfeile gegen die Kolonialverwaltung im Köcher hat, dann heraus damit! Dieses Androhen neuer Ent hüllungen über neue Greuel mutz aus die Masse des Volkes viel beunruhigender wirken, als die klare Darlegung dieser Miß stände selber, wenn die Wissenden nicht hinter dem Berge hielten mit ihrem Wissen, sondern klipp und klar heraussagten, was geschehen ist. Oder ist es dem Zentrum darum zu tun, ein Wahlagitation-, mittel zu haben? Eine derartige Taktik wäre durchaus verwerflich, denn mit den offenen und versteckten Anschuldigungen von Leuten, deren Namen man nicht kennt, werden Steine auf die gesamte Beamtenschast unserer Kolonien geworfen, und die Unschuldigen haben mit den Schul- oigen zu leiden. Das ist ungerecht! Das Zentrum, resp. seine Führer sind moralisch verpflichtet, nicht mit Enthiil langen zu drohen, sondern anzuklagen, wo eine Schuld vor Hande» ist oder vermutet wird. Das ist ehrliches Spiel, und die Cinschüchterungsversuche, die da unternommen werden, können uns nicht gefallen, ga> nicht! Die Zentrumssllhrer enthüllen doch wohl, um zu bessern, um Remedur zu schasien und nicht aus Freude darüber, etwa den einen oder anderen mißliebigen Beamten hineinreitcn zu können. Um aber von Grund aus bessern zu können, mutz man ganz genau wissen, wo die Fehler liegen, die begangen wur den, und darum ist es unreell gehandelt, wenn man allgemeine Beschuldigungen ausstötzt, und sie nicht gleich mit Beweisen be legt. Denn aus allgemeine Beschuldigungen hin kann die Ko lonialverwaltung nicht eingreisen. Und cs ist ferner unreell, die Wissenschaft, die man angeblich besitzt, als ein Kampfmittel gegen die Regierung zu machen. Es ist doch wohl nicht anzu nehmen, datz die angeblich Schuldigen in unseren Kolonien und Schutzgebieten Mitschuldige im Kolonialamt oder noch weiter hinauf haben, und der verantwortliche Leiter der Reichsregierung kann ganz gewiß nichts dafür, wenn Unregelmäßigkeiten vorge kommen sind! Freilich hat Fürst Bülow in den Wald hineingerufen, aber er hat doch in seinem viclziticrten Schreiben dem Zentrum garnichtwehe getan. Es klang bei aller Mißstimmung noch immer ein wenig Liebe für die bisherigen Freunde durch, und die Zentrumslcitung dürste cs dem Kanzler nicht allzusehr ver übeln, wenn er sich eben an eine andere Adresse wendet, weil er von der mehr erwartet, als von der Partei der Mitte. Ohne Geplänkel geht es da eben nicht. Daß der Kanzler dem Zen trum einige Wahrheiten a u ch gesagt hat, und datz die Reichs tagsauslösung ein Streich gegen das Zentrum war, das ist ja klar. Aber das Zentrum hat wenig Grund, dem Kanzler be sonders gram zu sein, denn — gestehen wir es nur gleich ein: das Zentrum wird k c i n c n S ch a d c n bei der Neuwahl leiden, wie die Dinge jetzt liegen. Es sollte eigentlich dafür dankbar sein, denn es ist siir eine große Partei und deren Selbständigkeit gar nicht gut, wenn sie zu sehr mit der Regierung liiert ist. Doch, das sind Dinge, die uns nichts angehen. Mögen Reichsregierung und Zentrum sich miteinander vertragen oder aufeinander schla gen — das ist ihre eigene Angelegenheit. Aber um noch einmal auf die Kolonien und die angetiindig- tcn neuen Enthüllungen zurückzukommen: das deutsche Volk hat ein Recht daraus, zu erfahren, was geschehen ist, und welche Mängel man an der Verwaltung gesunden hat. Geheimnisse in dieser Richtung gibt cs nicht: sie sind ein Verbrechen in der All gemeinheit. Handelt cs sich wirklich um Skandale von Bedeu tung, dann wird sogar die Kolonialverwaltung für die Auf deckung dankbar sein. Aber auf die Kolonialpolitik selbst dürfen Verfehlungen einzelner Beamter keinen Einfluß üben, wie das leider bisher der Fall gewesen ist. Es war verfehlt vom Zentrum, im letzten Streit mit der Regierung einen echten Dick schädel zu zeigen, weil man verärgert war. Können vielleicht die deutschen Soldaten, die da unten wahrhaftig kein beneidens wertes Los haben, dafür, datz ein L e i st, einWehlau und an dere Herrschaften sich schandbar aufgesührt haben? Was können die deutschen Soldaten in Südafrika dafür, daß der Unter suchungsrichter mit Herrn Erzberger in den Reichstag „ging" oder datz gegen Herrn Wistuba und andere ein Disziplinar verfahren anhängig gemacht wurde? Das Zentrum aber hätte durch seine Taktik dazu beitragen können, daß der Krieg in Süd afrika von neuem wieder aufgeflackert wäre — doch reden wir nicht darüber, es ist schon genug gesprochen worden. Aber wir erwarten, daß endlich ganz reiner Tisch gemacht wird — also heraus mit allen Anklagen! Es gilt die Ehre des Reiches! Politische Tagesschau. Aue, 9. Januar 1907. Zur Erkrankung der Königin Mari« von Hannover. Die zur Zeil 89 Jahre zahlende Königin Marie von Han nover, ^»die in Gmunden bei ihrem Sohne, dem Herzog von uns gemeldet wurde, in der Nacht von Sonn abend auf Sonntag plötz lich an einer Darmver schlingung erkrankt. Die Operation, die unmittel bar nach dem Eintreffen des Wiener Klinikers Pros. Mvsetig-Moorhvf vollzogen wurde, ist ge lungen und nach Angabe der Angehörigen erscheint jede Gefahr geschwunden. Man muß aber mit dem hohe n L c bcnsalter der Kranken rechnen, in dem ein so schwerer ope rativer Eingriff so schnell nicht verwunden wird. Da man angesichts der B r a u n s ch wc i ge r Erbfolge geneigt ist, großes Gewicht aus Leben und Tod der Königin Marie zu legen, so sind die Augen der Welt jetzt mit Spannung nach Gmunden gerichtet. Königin Marie wurde am 14. April 1818 dem Herzog Joses von Sachsen-Altenburg als ältestes Kind geboren und ver mählte sich im Alter von 20 Jahren mit dem damaligen Kron prinzen Georg von Hannover, der später als Georg V. den hannoverschen Thron bestieg, und >2 Jahre nach seiner Entthro nung am 12. Juni l878 starb. Der Ehe entstammen drei Kin der, der jetzige Ches drS Hauses Cumberland, Herzog Ernst A u g n st , Prinzessin Friederike, seit 1880 Freifrau von Pawel-Rammingen, und eine unvermählt g stvrbcne Prinzessin. Cumberland, wohnt, ist, wie bereits von In der Stnrnmacht. Novetlette von E. Morhalm. (Nachdruck verboten.) Der Schleusenwärter von Narum hatte seinen abendlichen Rundgang beendet und sah in tiefem Sinnen auf das Meer, das unruhig wogend, seine langen Diinenwogen den Strand hinaus rollte. Immer schneller und immer höher schwollen sie an. Sor genvoll sah der Alte aus die ausgeregte See und prüfte den dunk len Himmel, von dem schwarzes Gewölk fast bis auf die Wogen heradhing. Das wird eine schwere Nacht. Der Schleusen-Wärtcr kannte das. Wenn der SUowest lange Zeit geweht und große Wasfcrmcngcn durch den Kanal in die Nordsee getrieben und dann aus einmal umsprang aus Nord, wie seit gestern. — „Nun, Thoma, was haltet Ihr vom Wetter?" Der Schleu senwärter drehte sich um und grüßte den unbemerkt Näherge- kommencn. „Was ich davon halte, Herr Thiessen? Nicht viel Gutes. Die See ist zu voll Wasser. Seit einigen Wochen hat uns der West vom Atlantischen Ozean her zu viel durch den Kanal herübergewcht, und nun seit gestern der Nord. — Wenn der noch etwas zunimmt, dan trägt er uns das Wasser aus den Strand und wenn die Dämme reißen . . ." Sorgenvoll sah er wieder auf das Meer und dann etwas ostwärts, wo in den schützenden Damm eine Schleuse cingesügt war, die nur in der höchsten Not geöffnet werden durste: daß sich hier die Wasser srei ergießen konnten und nicht den ganzen Damm «egrissen. „Aber", fügte er ausmunternd hinzu, „was sollen wir sorgen und erwägen, was kommen kann. Wir find ja in Gottes Hand. Und der Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, und die Meere, der hat auch den Wassern in ihnen ein Ziel gesetzt." Benno Thiessen, der einsame East des kleinen Fischerdorfes, nickte und setzte dann seinen Weg fort, den Strand entlang, während ihm Hans Thoma, der Schleusenwärter, kopfschüttelnd nachsah. „Der ist noch einsamer, wie ich." sagte er leise vor sich hin. „M i r hat das Leben doch wenigstens noch frohe Erinnerungen gelassen, aber dem . . ." Jäh brach er ab und ging in seine Hütte. Dort war's still, sehr still. Nur sein eigener Schritt knirschte aus den Dielen, wenn draußen die Winde nicht gar zu laut heul ten. Der Schleusenwärter hatte Licht gemacht und stand nun vor der kleinen Kommode, auf der die Lampe brannte und einige kleine Bilder, Photographien beleuchtete. Und die Erinnerun gen, die er unbewußt heraufgerufcn, sanden hier reichlich Nah rung. Frohe und trübe, ernste und heitere. Eins der Bilder nahm er in die Hand. Ein Knabe war's, im zartesten Alter. Aber sehr hübsch. Man glaubte auch aus dem Bilde seine blauen Augen leuchten und seine goldenen Haare glänzen zu sehen. „Mein Schmerzenskind". Der Alte hatte es leise vor sich hinge- murmelt, indem er das Bild lange und innig ansah. Und doch war's garnicht sein Kind. Er hatte es dem Meere abgerungen. Vor langen Jahren war's. Gerade als man sein letztes Kind hinausgetragen in die stille Gruft, In einer stürmischen Nacht, wie der kommenden, das letzte Mal wie er die Schleuse aufgezogen hatte und die empörten Wasser gurgelnd und schäumend wie ein reißender Wildbach durchschossen, wo unweit Narum ein wrackes Schiff trieb, da war es ihm wie ein Geschenk des Himmels zuge trieben. Und er hatte es an sich genommen und gepflegt und mit ihm gespielt in den einsamen Stunden. Nichts hatte es bei sich, als nur sein Bild, sorgsam eingewickelt in Oelpapier. Aber kein Name, kein Zeichen deutete auf seine Herkunst hin. Aber der alte Thoma, so wurde er immer genannt, hatte geschworen, es aufzuziehen, besser als die Seinen, auf daß, wenn er einst Rechenschaft geben mußte, er in Ehren bestehen konnte. Und doch, wie's so kommt. Die Jahre hielten die früh ge hegten und hoch gespannten Erwartungen nicht. Aus dem srohen, schelmischen Knaben wurde ein leichtsinniger Jüngling, und immer tiefer, immer tiefer führte die Bahn, von der keine Strenge, keine Liebe ihn wegbringen konnte. Seit einigen Jah ren hatte er ihn nicht mehr gesehen und das letzte was er gehört, war, daß er wegen Hochstapelei ins Gefängnis wanderte. Die Erinnerung war schmerzhaft, und doch nährte er sie mit stiller Hoffnung auf bessere Tage, die ja doch kommen mußten. Ein heulender Windstoß, der die Hoftür ausdrückte, weckte ihn aus seinen Gedanken. Langsam ging er hinaus, um die Tür zu schließen, doch prallte er entsetzt zurück — denn draußen, in all dem Wetter, stand Benno Thiessen, traurig, den Kopf gesenkt. „Ihr seid es, Herr, in dem Wetter?" rief der Wärter ver wundert. Der Angeredete nickte traurig. „Ich sah Licht bei Euch, und ich wollte Euch einmal besuchen, wenn ich nicht störte," sagte er so leise, daß der alte Thoma cs kaum hörte. „Kommt nur herein, Herr," rief er dann laut. Und drinnen dem zittern den Thiessen einen Stuhl neben den warmen Ofen ziehend, sagte er wie entschuldigend: „Viel kann ich Euch nicht bieten, Herr, aber was ich habe, sei gern mit Euch geteilt." Thiessen drängte sich dicht an den Ofen. Ihn fröstelte in der kalten Sturmnacht und Thoma, der dies bemerkte, bot ihm einen Grog an. Aber dankend lehnte der andere ab. Laßt nur, sagte er leise, mit selt sam traurig bewegter Stimme. „Es ist weniger die Kälte als die Angst. Ja," fuhr er fort, als er den verwunderten Blick des Wärters sah, „seht mich nur an. Es ist die Angst, der Schrecken. O, wenn Ihr wüßtet, wie der Sturm in mir rüttelt und schüttelt. Und gerade solche Nacht tst's, wie vor zwanzig Jahren. Da habe ich hier Weib und Kind verloren. Ja, hier, hier! Darum bin ich so manchen Sommer, Herbst und Winter hier. Ich meine, ich müßte eines von ihnen wiederftnden." Die Spannung, die einen Augenblick seinen Körper aufge richtet hatte, erlosch wieder und in sich zusammengesunken, saß er still da, bis er plötzlich mit starrem Blick aufmerksam durchs Zim mer spähte. Dann einen lauten Schrei und ein wilder Sprung,