Volltext Seite (XML)
Freitag, 28. Dezember 1996. HOÜÜ Nr. 98. Erster Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge verantwortlicher Redakteur: Fritz rlrntzold. Ftlr die Inserate verantwortlich: Arthur Rupfer, beide iu Aue. init der wöcheiltlicheil UfUert)al1ungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von H—5 Nhi. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 202. Für unverlangt eiugesaudtr Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag Gebrüder Leuthner (Inh.: Paul Lenthner- in Aue. Sezu gr preis: Durch unsere Voten frei ins Haus monatlich 5N pfg. Lei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 4» j)fg. und wdchentlich ,o pfg. — Lei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich ,.5o Mk. — Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich ,.g2 Mk. - Einzelne Nummer >o pfg. — Deutscher Postzeitnngs- katalog — Lrscheiut täglich in den Mittagsstunde», mit Ausnahme von Soun- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens gy, Uhr vormittags. Für Aufnahme von größeren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur daun gebürgt werden, wenn sie am Tage vorher bei uns cingchen. Znsertionspreis: Di, siebengespaltene Rorpuszeile oder deren Raum ;o pfg-, Reklamen 25 pfg Lei grdtzeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Diese Nunrnrev ninfertzt 1» Seiten Das Wichtigste vom Tage. Prinz A u g u st W i l h e l in v o n P r e n ß e n , der 4 Lohn des Kaisers, hat sich mit Prine s s i n A lexandra Viktoria zu Schleswig-Holstein.Sondcrburg-tiilücksburg ver lobt* Der Hsemeinderat von Lira si b u rg hat v e r s u ch s iv eise die V e r s i ch e r ii n st stesten Arbeitslosigkeit pj„- ü'sührt? Kriegs >» ini st c r v) e b b a s ist in Ta a n st e r e in st e ,z o st c n. Die Laste in Marokk o soll sich ohne Fräste gebessert haben? Ein Telegramm aus Santiasto de Chile berichtet, das; stestern die Stadt Ariee dn r ch e i n E rdbe b e n zer - stört ivordeli ist. Von h enIe ab liesten in sämtliche» Ort e n des deut sche» Gleiches die W ahlcrli st e » ans. * Näheres siehe unten. Wahlbetrachtungen. Es ist wahrlich ein eigentümliches Spiel des Zufalls, daß die beiden so eng miteinander verbündeten mitteleuropäischen Katsermächtc säst zu derselben Zeit daran gehen, ihre Parlamente neu zu wählen. Allerdings ist es in der habsburgischen Monar chie nur die österreichische Reichshälfte, deren Abgeord netenhaus anfangs nächsten Jahres aus der Basis des allge meinen und direkten Wahlrechtes erneuert wird, aber auch U n - garn ist durch seine Abmachungen mit der Krone gezwungen, sein bisher höchst rückständiges Wahlgesetz entsprechend zu demo kratisieren, und es wird daher ebenfalls über kurz oder lang zu Neuwahlen schreiten müssen. ^Ohne Zweifel hat es grotzes Interesse, eine Parallele zwi schen den beiden Wahlaktionen zu ziehen, denn die Ursachen der Neuwahlen weisen in beiden Staaten unverkennbare Ähnlich keit auf. Hier wie drüben handelt es sich darum, jene Elemente, die sich dem Reichsgedanken feindlich gegenüberstellen, zurück zudrängen. Haben wir in Deutschland unsere Not mit der Kolonialpolitik, sowie mit den Machtgelüsten des Zentrums, so ist es in Oesterreich-Ungarn wieder der Nationalitätenhader und der Dualismus, gegen welche Uebel man nunmehr in der Wiener Hofburg das allgemeine Wahlrecht als Heilmittel anzuwenden gedenkt. Der alte Kaiser Franz Joseph hasst durch Heranziehung der breiten Massen des Volkes zur Mitregierung seinem Reiche neue Lebenskraft zuzusührcn, und in Berlin erwartet man, das; sich das nationale Empfinden des deutschen Volkes st a r t genug erweist, den verfahrenen Karren unserer Kolonialpolitik nicht im Das politische Jahr 1966. (V.) (Nachdruck verboten.) Wir wenden uns nunmehr zu der Frage, wie das Aus land das Jahr 1906 überstanden hat. Am nächsten steht uns hier zweisellos unser Brudervolk Oesterreich-Ungarn, mit dem uns außer der Nationalität noch enge BUndnisbandc verknüpfen. Auch siir Oesterreich-Ungarn ist das Jahr ein U n - -.g jl ll ck s j a h r gewesen. Es hat in den Ausgleich von 1867 den erstell Ritz gemacht und damit den Grund zur Beseitigung des Dualismus gelegt. In Oesterreich bildete die Wahlreform den Ausgangspunkt des ganzen politischen Lebens, in Ungarn die Selbständigkeitsbestrebungen. In Oesterreich sind zwei Mi nisterien über die Wahlreform dahiygegangen, in Ungarn sind jetzt die Männer an die Spitze gelangt, in denen man Jahre hindurch die gefährlichsten Gegner der Krone zu sehen geneigt war. Gras Goluchowski , unser Sekundant von Algeciras, hat vor den Anfeindungen der Ungarn das Feld räumen müssen und Frhr. v. Aehrenthal führt jetzt das Regiment, der vor «klein die Sanierung des Verhältnisses zu Italien aus seine Fahne geschrieben hat. Rechnen wir hierzu die militärischen Neuernennungen in Oesterreich und Ungarn, so kann man wohl sagen, daß die Monarchie am Schlüsse des Jahres aus ganz an deren Augen schaut, wie zum Beginn desselben. Frhr. v. Gautsch ist daran zu Grunde gegangen, daß er in der Wahlrechtsvorlage ein« Partei gegen die andere ausspielen mußte, das ist so lange gegangen, bis er die Reihe rund war und wieder von vorn be ginnen wollte. Prinz Hohenlohe, der so berühmte rote Prinz, konnte gegen Dr. Wekerle nicht auskommen und mußte nach vterzehntägiger Amtsführung sich wieder nach dem Süden zuriickztehen, von wo er gekommen war und erst Frhr. v. Beck konnte die Früchte ernten, die seine Vorgänger in der Wahl, «form gesäet. De^auch jetzt noch nicht geregelt« Konflikt mit südwestafrikanischen Sande stecken zu lassen. Aber es ist leider sehr die Frage, ob die Rechnung auch wirklich stimmen wird, denn wer unbeirrt vom Parteistandpunkt kühl und objektiv die Entwickelung des parlamentarischen Regierungssystems über haupt während der letzten Dezennien verfolgte, der wird sich des Eindruckes wohl nicht erwehren können, daß die Bahn nicht aus wärts, sondern abwärts geht. Vor allem fällt ein erschrecken der Mangel an politischen Talenten auf, die imstande sind, nicht nur wohlgedrechselte, sondern auch inhaltsreiche Reden zu halten, mit anderen Worten, an der Gesetzgebung positiv mit zu schassen. Wir können dies am besten in unserem deutschen Reichstage sehen, wo die Gesetzesvorlagen der Regierung in der Regel nicht verbessert, sondert verbösert herauskommen. Dasür können die neuen Steuergesetze als ein Schulbeispiel gelten, wo bei allerdings konstatiert werden muß, daß auch die betreffende» Regierungsvorlagen ziemlich viel zu wünschen übrig ließen. Der Parlamentarismus kann eben nurdan n Großes leisten, wenn die einzelnen Parteien bedeutende Führer ausweisen, die es auch verstehen, die Reichsinteressen mit den Voltsinteressen in Einklang zub ringen. Statt dessen hat sich im deutschen Par lament die Unsitte eingebürgert, daß fast zu jedem einzelnen Gegenstand der Tagesordnung heillos viel geschwatzt wird, weil man keinen Unterschied zu machen weiß zwischen wichtigen und nebensächlichen Angelegenheiten. . Am traurigsten erscheint cs dabei, daß unser Reichstag, trotz dem er aus der Grundlage des allgemeinen und direkten 'Wahl rechtes ruht, keine wirtschaftliche Volksvertretung eigentlich dar stellt, sondern vielmehr eine Klasse nrepräsen tanz, und daß weite Kreise der deutschen Nation entweder gar keine oder doch verhältnismäßig wenige Abgeordnete im Wallotsbau am Königsplatze haben. Dies gilt namentlich von dem Mittelstände in den Städten, der, eingekeilt zwischen Sozialdemokratie und Agrarier, einen erbitterten, aussichtslosen Kamps um seine Exi stenz führen muß. Staats- und Privatbeamte, Kleingewerbetrei bende, Kleinkaufleute, Handwerker usw. — sie alle finden im Reichstage keine auch nur annähernd genügende Vertretung ihrer Interessen, und dies ist umso bedauerlicher, als deren Lebenslage bekanntlich nicht politisch unabhängig genannt werden darf. Wenn der Parlamentarismus lebensfähig bleiben will, so muß er sich vor allem in eine Körperschaft umwandeln, in der die wirtschaftlichen Bedürfnisse des ganzen Volkes zum harmoni schen Ausdrucke gelangen. Aber darin hat der deutsche Reichstag leider fast immer versagt, und nur in seltenen Fällen ist es gelun gen, allen Ansprüchen einigermaßen gerecht zu werden. Wenn es beispielsweise als notwendig bezeichnet wurde, unserer Land wirtschaft durch eine Zollerhöhung auf die Beine zu helfen, so hätte man damals schon die voraussichtliche weitere Erhöhung der Lebensmittelpreise berücksichtigen und hierfür auch den übrigen Ständen ein Aequivalent bieten müssen. Dies wurde jedoch ver säumt, und so steht heute die Reichsrcgierung einer nahezu allge meinen Unzufriedenheit des Volkes gegenüber. Hier wäre es Pflicht des Reichstages gewesen, die Initiative zu ergreifen, selbst aus die Gefahr hin, einen Reichstagskonslikt herauszube schwören. Mit dem System, gewisse Stände immer wieder zu protegiere» und gegen die anderen auszuspielen, muß in Deutsch land endlich gebrochen werden: in Oesterreich hat man mit der selben Taktik gründlich Fiasko gemacht! Serbien wegen des gegen den Berliner Vertrag verstoßenden eigenmächtigen Abschlusses der serbisch-bulgarischen Zollunion er regte eine Zeitlang Heiterkeit. Die Zuspitzung des Verhält nisses zu Italien hat nach dem erneuten Ministerwechsel in Italien einer wohltuenden Freundschaft Platz gemacht und der Besuch Kaiser Wilhelms unmittelbar nach der plötz lichen Erkrankung des greisen Kaisers Franz Joseph hat das Gefühl der Zusammengehörigkeit der beiden deutschen Nationen aufs neue bekräftigt. In Ungarn ist der Friede wieder eingc- kehrt, freilich unter schweren Opfern aus dem Altäre des Dualis mus. Das alte Zollbündnis mit Oesterreich soll nur noch bis 1607 bestehen und dann durch einen Handelsvertrag ersetzt wer den. Dazu erhält Ungarn einen eigenen Zolltarif, keinen mit Oesterreich gemeinsamen. So ist nach langem hin und her die Koalition der Parteien Ungarns schließlich doch Sieger geblie ben. Baron Föjervary hat sich umsonst geopfert. Was Italien anbelangt, so erschien unser Verhältnis zu ihm eine Zeitlang etwas getrübt. Es muß auch zugegeben werden, daß das Verhältnis Italiens zum Dreibunde unter den Ministern, die bis zum Sommer d. I. in Italien am Ruder waren, stark gelitten hat, erst die Wiederkehr unseres alten Freundes Tittoni in das Ministerium des Aeußeren hat hier Remedur geschaffen. Denn wenn die Minister des Aeußern Dr. San Giuliano im Kabinett Fortis und Guicciardini im Kabinett Sonnino ja auch ihre Geneigtheit bekundeten sich mit dem Dreibund wohl oder übel abzufinden, so war für sie doch immer das Verhältnis zu Frankreich und England die Haupt sache. Bei San Giuliano war namentlich die Feindseligkeit ge gen Oesterreich bemerkenswert. Es gehört ja schon zu seiner Zett als Abgeordneter zu seiner Lieblingsbeschäftigung, auf Ko sten Oesterreichs in Albanien zu konspirieren. Die Konferenz von Algeciras hat uns ja auch die Augen über den Wert dieser Freundschaft geöffnet. Mit Freuden ist es daher zu begrüßen, Wir versprechen uns im Grunde herzlich wenig von dem Erfolge der Reichstagswahlen, und befürchten im Gegenteile, daß die Situation eine Besserung kaum erfahren wird. Denn die komplizierte innerpolitische Lage, die den Anlaß zur Auf lösung des Reichstages gegeben hat, ist ja nicht das Produkt weniger Wochen und Monate, sondern reicht mit ihren Anfängen bis in jene Zeit zurück, wo der Regierung eine nationale Mehr heit nicht mehr zur Verfügung stand, und sie gezwungen war, zu lavieren, von Fall zu Fall mit dem Zentrum zu paktieren. Hiermit kam jener unheilvolle Kuhhandel in Schwung, der dem Parlamentarismus so verderblich geworden ist. Politische Tagesschau. Aue, 28. Dezember 1906 Was das preußische Abgeordnetenhaus zu tun hat. Die nationalliberale Fraktion hat im preußischen Abgeordne tenhaus für die am 8. Januar beginnende Tagung eine Inter pellation und eine Reihe von Anträgen eingebracht. Die Inter pellation betrifft die Verfügung des Kultusministeriums gegen die Landflucht der Lehrer. Es wird gefragt, wie sich die ausschließliche Hervorhebung dieses Gesichtspunktes mit den In teressen der Schulverbände, besonders der Stadtgemeinden an der Hebung ihrer Volksschulen, und der Lehrerschaft an der ma teriellen und ideellen Hebung ihres Standes vertrage. Ein An trag verlangt Abänderung des Wahlrechts, und zwar anderweite Feststellung der Wahlbezirke und der Beibehaltung eines erhöhten Wahlrechts bei höherer Steuerleistung, erhöhtes Wahlrecht für die dritte Abteilung, Beseitigung der indirekten Wahl und Ermöglichung einer Vertretung der Minderheit. Wei tere Anträge fordern Teuerungszulage für die Unterbe amten, Ermäßigung der Eisenbahnpersonentarisc, allgemeine Einführung der fachmännischen Schulaussicht, Maßnahmen auf dem Gebiet der inneren Kolonisation, den veränderten Zeitver hältnissen entsprechende Regelung der Verhältnisse der richterlichen Staatsbeamten, Haftung des Staates, der Gemein den usw. siir von ihren Beamten verursachten Schaden und Er höhung der staatlichen Beihilfen an die Handelskammern. — Am 8. Januar werden die Fraktionen in das Abgeordnetenhaus in folgender Stärke einziehen: Konservative 142, Freikonser vative 64 (gegen 68), Nationalliberale 76 (gegen 74), Freisinnige Nolkspartei 25 (gegen 94), Polen 18, bei keiner der Parteien 7, erledigt 4 Mandate. Die Braunschweigische Thronfolgesrage. Die N. Fr. Presse meldet aus Gmunden: am Hofe des Her zogs von Cumberland herrsche frohe, zuversichtliche Stimmung. Die Ankündigung, daß die braunschweigische Thronfolgesrage vor den Bundesrat gebracht werden solle, ist mit Freuden begrüßt worden. Nachdem der Herzog in seinem jüngsten Manifest erklärt hat, daß sein zweiter Sohn, Prinz Ernst August, unter gleichzeitigem Verzicht aus Hannover aus dem Hause seines Vaters ausscheide, wodurch er eine selb- ständige Linie bilde, ist ein neues Moment in die Frage hineingetragcn worden, deren Entscheidung durch den Bundesrat man vertrauensvoll entgcgensicht. Die kürzliche Anwesenheit des Prinzen Max von Vaden in Penzing hing mit der braunschweigischen Angelegenheit zusammen; daß diese An- daß auch den Italienern selbst die Augen aufgegangen und daß sie reuig zu Eiolitti-Tittoni zurückgekehrt sind. Seitdem hat sich das Verhältnis wesentlich gebessert. Nicht nur der Dreibundgedanke hat davon Vorteil gehabt, sondern in erster Linie auch das Verhältnis der beiden Nachbarländer Italien und Oesterreich. Die trredentisttschcn Umtriebe in Süd tirol und im Küstengebiet haben daher den heimischen Nähr boden verloren und der Besuch des italienischen Eeneralstabs- chefs in Wien wie der Besuch des Frhr». v. Aehrenthal in Rom und das Telegramm der beiden verbündeten Monarchen aus Wien an König Viktor Emanuel. Ein Naturereignis hat außer dem dazu beigetragen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Dreibundsmächte noch zu erhöhe.», der furchtbare Ausbruch des Vesuv am 7. und 8. April, der Hunderten von Menschen das Leben kostete und eine große Anzahl blühender Orte in Lava und Asche begrub. Der Jammer, oen die Orte Bcsco- trecase, Torre Annunziata, San Giuseppe und Ottajano durch machen mußten, fehlt die Beschreibung, die Kirchen stürzte» über den Gläubigen zusammen und erschlugen diese mit ihren Trüm mern zu Hunderten. Ja bis nach Neapel übte der unheimliche Aschenregen seine Wirkung, indem hier unter seiner Last eine Markthalle in Trümmer sank. Unserem Nachbarlande, der Schweiz, war ein fried lich es Jahr beschieden, wenngleich die Handelsverträge mit Frankreich und Spanien nicht recht gelingen wollten, es mußte mit beiden Staaten erst zu einem Zollkriege kommen. Dagegen hatte die Schweiz die Freude, ein Werk des Friedens vollenden zu können, das in der Geschichte seines gleichen sucht, nämlich die Vollendung des Simplontunnels, der ein neues Bindeglied zwischen der Schweiz und ihrem südlichen Nach bar gebildet hat. Im Kanton Vern wurde ein neuer Schritt zur Demokratisierung getan, indem «ine Volksabstimmung sich mit überwiegender Mehrheit dafür entschied, die Kantonsregierung