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' Freitag, 7. Dezember IW«. Veit VIVIVDD »IiIM öder ssßMeiikii! Nr. 82. Erster Jahrgang. 5luer Tageblatt und /Anzeiger für das Erzgebirge verantwortlicher Rcdaktiier.. ^rih Arni, ott>. Für die Inserate reraniworilich: Arthur A » pfer. beide i» Aue. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntaac nachmittags von z—5> Uhr. — Telegramm Adresse: Tagcbtall Aue. — jcinsprecher 202. ^ür „»verlangt einoesandte kNonnskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag GebrNder veuthner (Inh.: Paul vciithner) in Aue. Lezuqrpreir: vnrcb unsere Bote» frei ins Naus monatlich so psv- Lei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 40 pfg. und wdchentlich ,0 pfg. — Bei der Post bestell« und selbst abgcholr vicrleljöhrltch «.so Mk. — Dur-I den Briefträger frei ins kfaur vierteljäbrlich , .-,2 Mk. - Einzelne Nummer ,0 pfg. - Deutscher Post,ei,ungs. katalog — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens g's, Uhr vormittags, Für Ausnahme von größere» Anzeigen au bestimuUcn Stellen kann um dann gebürgt werden, we»» sie am Tage vorher bei uns eingehcu. ^insertionspreis: Die stebengespa'ltene Aorpuszeilc oder deren Raum ,o Pfg., Reklamen 2S pfg Lei größere» Aufträgen enisprechendcr Rabatt. Dies- Ntrnrnrev s» Stkite» Das Wichtigste vom Tage. Der Landrat dcs Kreises K 0 S in ir« hat d r c i ß i st (A c- meindevorsteher uud S ch n l v 0 r 4 a n d s m i t g l i cd e r abgcsctzt. Im Befinden dcs ZciNrnmsührcrS H e i in ist ein st! ü ck s a l l cinstcirelen. Tie Krankheit gibt ,;n e r n st e n Besorgnisse n Anlass. Großherzog Friedrich August von Old en bürg ist gestern zum Besuche des Königs in Dresden eingettossen? Die Blirgerschaft ron Bremen nahm einen Gcschcnlmiirf an, der den staatlichcn Arbeitern und ?l ng c st e l l t c n vom l. Apnl Ill07 ab Pensionsberechtigung gewahrt. st! a ist li > i wiL den Verst.elern dir Mächte »nitteilcn, das, er Eur 0 Päcrn die A n si edel » n g in der Nähe von Tanger gestaltcl. * Näheres siehe unten. Parlamentsdiimmermig? - Mit grösser Entrüstung hat der deutsche Zeitungslcser Kenntnis genommen von den Dingen, die sich am letzten Montag im deutschen Reichstag ereisnet Haden. Der Krach des Herrn Koloniüldirektors Dernbürg, Les vielgerühmten neuen Mannes mit einem der maßgebendsten Mitglieder der stärksten Partei dcs Hauses, oder vielmehr der Krach derRegierun g mit dem Zentrum war auch in der Tat rocht interessant, und ist non den reichshauptstädtischen Blättern bereits am Diens tag in -aller Herrgottsfrühe in Leitartikeln van erheblicher Länge geziemend gefeiert worden. And mit sattem Behagen muhten Blätter zu erzählen, dich die Regierung endlich gebrochen habe mit der herrschsüchtigen Partei, die ihre Machtstellung nur dazu benütze, egoistische Zwecke zu Mrfolgen. Man klatschte Herrn Dornburg Beifall, weil er den Abgeordneten Roer en gründlich heruntergekanzelt und Llotzgestellt hatte, und vergab dabei merkwürdigerweise ganz, dah Roeaen sehr schwerwie gende Anschuldigungen gegen die Kolonialocrwaltung geschleudert hatte, aus die der neue Man» in seiner Abwehr auch u i ch t m i t e i n e m W 0 r t eingegangen ist. Nun ist es richtig, der Abgeordnete Roeren ist mitsamt seiner Partei am Montag etwas unter die Räder gekommen. Es ist ihm nachgewiesen worden, dah er seine, resp. die Machtstellung der Zentrums Partei dazu benutzt hat, Forderungen an die Kolonialverwaltung zu stellen, dah er den Kolonialbeamten Wistuba mehr in Schutz nahm, als man von einem Justiz beamten — Roeren ist doch Jurist — eigentlich hätte erwarten können. Es ist auch nachgewiesen worden, dah Roeren seine For derungen an die Kolonialverwaltung mit dem Hinweis gestellt hat, dah im Ablehnungsfälle das Zentrum die Kolonialpolitik der Regierung nicht mehr unterstützen wolle. Das sind an sich schlimme Dinge, und es liegt uns fern, auch nur nach einem Worte der Entschuldigung zu suchen. Es ist seiner Herrn Roeren auch nachgewiesen worden, dah er nicht besonders schweigsam war, wo er es hätte sein s 0 llen. Er hat der Germania ver trauliche Mitbeilungen zur Veröffentlichung gegeben, und das war nicht schön, kann nicht gebilligt werden. Sagen wir also offen: die Dinge, die Herr Dernburg am Montag Uber Herrn Roeren und das Zentrum erzählt hat, bedeuten eine B l a m a g e für die stärkste Partei dcs Reichstags. Diese Blamage war beabsichtigt— auch darüber kann kein Zweifel bestehen. Der Zentrumsabgeordnete Erzberger ist der Kolonialverwaltung und der Reichsregierung aus die Nerven gefallen, und Herr Roeren, der so schwere Angriffe aus Kolonialbcamte ausgesprocl-cn hat, nicht minder. Man muh das schon erwartet haben, denn nicht umsonst hatte man das ge samte Material gegen Herrn Roeren bereits bei der Hand, als der Krach begann. Herrn Roeren ist recht geschehen, durchaus recht. Aber man spricht von einer Parlamentsdämmerung, so weit das Zentrum in Frage kommt, man greift die Partei an und beschuldigt sie des Kuhhandels. Legendenbildung ist immer schädlich, ganz besonders aber in der Politik. Ganz gewih ist die Arbeit hinter den Kulissen, wie sie von Zentrums- ssührern betrieben wurde, nicht zu entschuldigen und nicht zu rechtfertigen. Al»r wer von euch ohne Schuld ist, der werse den ersten Stein! Sei«« wir doch ausrichtig! Hat nicht noch jede starke Partei versucht, hinter den Kulissen zu arbeiten? Hat nicht jede Partei schon hinter den Kulissen gearbeitet, wenn es ihr möglich war? Es wäre politische Heuchelei gemeinster Art, wollte man das in Abrede stellen. Der Kuhhandel in der Politik, so verwerflich er ist, ist alt, so alt, wie die Politik selber. Und wenn «ms das Treiben hinter den Kulissen auch anwidert, wen» der ehrliche Geist des Durchschnittsdeutschen sich auch empört — ist dir Macht Nicht immer mißbraucht worden? Haben nicht auch andere Leute „Personalien" hinter den Kulissen getragen, z. B. um Lei der Kotonialpolitik zu bleiben, der be rühmte Peters? Da» ganze Ach und Weh, das in der Oessent- lichkeit ausgeschlagen wurde, ist keinen Schuh Pulver wert — man wuhte doch schon lauge, woran man war, und was alles ge trieben wurde. Die Regierung, oder vielmehr der in solchen Dingen aus seiner früheren Praxis jrLenfalls sehr erfahrene Herr Dern burg, hat die Geschichte auch nur losgelassen, um diecigenc Blamagezuverdecken. Es war die letzte Karte, die Herr Derub urg warf — er hat für denAugenblick gewonnen! Aber die totgeprügelten Schwarzen sind deshalb nicht vergessen, wenn man auch im Augenblick mehr an die Zentrumsblamage denkt, als an sie. Es ist nicht vergessen, welche schreiende Miß- stände in unserer Kolonialverwaltung aufgedeckt wurden, die 23er Kolonie bleibt uns im Gedächtnis, ob nun Regierung und Zentrum miteinander oder gegeneinander arbeiten. Herr Dernburg hat versprochen, dah diese Mißstände beseitigt werden sollen, hat versprochen, daß man die schuldigen Beamten bestrafen wird. Wird er das Versprechen auch halten können? Wird er vor allem Zeit dazu haben? Das Zentrum ist auf den neuen Mann, den es bisher ziem lich protegierte, nicht gut zu sprechen, das versteht sich. Man muh aber doch erwarten, dah das Gerechtigkeitsgefühl in der aus schlaggebenden Partei zum Durchbruch kommt, dah man die Ko lonien bei« Aerger nicht entgelten läßt, den man gegen den Ko lonialdirektor empfindet. Und die Regierung — will sie wirklich den Bruch mitder Partei, die bisher in so hohen Gnaden stand? Sollte sie sich von der „Bevormundung", die soviel betont wurde, endgültig befreien wollen? Ach nein, wir glauben es nicht! Denn die Regierung ist viel zu schwach, und im Grunde hat sie ihre Position nicht gestärkt dadurch, daß sie dem diesmaligen Gegner nachwies, dah auch er keine ganz reine Weste hat. Mag sein, dah der Kamps noch ein „Weilchen" fortdauert aber schließ lich wird die Regierung die Kriegskosten mit irgend einem schö ne» Gesetzchen zahlen und Frieden schließen mit der Partei, die die Macht und folglich immer recht hat. Das Zentrum wird ja auch mit sich reden lasten, denn es will wahrscheinlich keine inneren Krisen. Parlamentsdämmerung wegen eines Skandäl- chens — lächerlich! Politische Tagesschau. Aue, 7. Dezember lö06. Maßnahmen gegen die Fleischtiurrung. « Wie die Post hört, bestätigt es sich, daß das preußischeStaats- ministcrium in seiner Sitzung vom Sonnabend sich eingehend mit der Frage beschäftigt hat, welche Maßregeln gegen die Fleisch teuerung zu ergreifen sein werden. Wenn auch naturgemäß über die in dieser Sitzung gefaßten Beschlüste nichts Positives mitge teilt wird, so geht doch aus gelegentlichen Aeußerungen maß gebender Persönlichkeiten hervor, daß das Staatsministeriuin nicht beabsichtigt, Maßregeln sür das ganze Deutsche Reich vorzuschlagen, sondern die Maßregeln aus das preußische Staatsgebiet zu beschränken. Alles weitere ist dein neuen Lano- mirtschastsminister v. Arnim überlasten worden, der auch in erster Linie die Fleischnot-Jnterpellation im Reichstage beant worten soll. So viel die Post gehört hat, ist an eine Oeffnung der Grenzen oder die Errichtung von Erenzschlachthäusern nicht zu denken, zumal sich in ausschlaggebenden Kreisen die lteberzeugung immer mehr gefestigt hat, daß von einer eigent lichen Fleischnot im Grunde genommen nicht die Rede sein könne, (!!) da einwandfreie (sehr gut! D. R.), dem politischen Getriebe sernstchende Landwirte — so noch vor kurzem ein ange sehener ostpreußischer Landwirt — wiederholt versichert haben, daß sie über zahlreiches und erstklassiges Schweinematerial ver fügen, dieses aber wegen mangelnder Nachfrage (Hier scheint Un zurechnungsfähigkeit vorzuliegen. D. R.) nicht losschlagen können. Man hat in Negierungskreisen den Eindruck gewonnen, daß trotz des Rückganges der Schwcinepreise im Großhandel die teuren Der Sprachenzwang und -er Polnische Schnlftreik. Am Mittwoch standen im Reichstag die Schulstreik-Jnter- pcllationen der Polen und des Zentrums aus der Tagesordnung. Von der Tägl. Rundschau und einigen nationalliberalen Blät tern, die die Weisheiten des Berliner Blattes nachbetetcn, war >>en Liberalen ein Vorwurf daraus gemacht worden, daß sie durch iytt' Unterschrift den Polen die Einbringung der Inter pellationen ermöglicht haben. Die bekannten Phrasen wurden zitiert und man spielte den Entrüsteten, was einem immer so schon anstcht. Nun, die Vertreter der Liberalen werden es an der nötigen Klarheit in ihrer Stellung zu der Frage nicht fehlen lasten. Jedenfalls aber verdient die Tatsache hervorgehoben zu werden, daß der Sprachenzwang im Religions-Unter richt, aus dem der polnische Schulstreik hervorgegangen ist, auch in protestantischen Kreisen als ein Unrecht angesehen wird. In der Christlichen Welt betont Fritz Friedrich nach drücklich das Recht der Polen auf die Muttersprache und führt des Näheren aus: Die Sprache ist keine staatliche Einrichtung, sondern ein nationales Gut, ein Erzeugnis des nationalen Geistes, das Allgemeinste, das Teuerste, das Heiligste, das es gibt. Wer seine Sprache verleugnet, den verachten wir, wer sie inmitten fremden Volkstums vergißt, den schelten wir und zeihen ihn nationaler Lauheit. Wie bitter schmeckt cs zu wissen, daß gerade uflseren Landsleuten dieser Vorwurf besonders häufig gemacht wird; wie eifrig sind Tausende an stiller und lauter Arbeit, um überall in der Welt, in den versteckten Tälern Welschtir 0 ls wie im Baltenlande, in Siebenbürgen wie in Amerika, die deutschen Sprachinseln vor der ringsum bran- > dcnden Flut fremden Volkstums zu bewahren; und wie glüht uns das Herz vor Zorn, wie ballten wir ohnmächtig die Faust, so ost wir lasen, wie magyarische oder russische Brutalität ge waltsam gegen die deutschen Kirchen und Bildungsstätten, Na men und Zeitungen vorging. Denn in tiefster Seele fühlt es jeder; hier geschieht uns nicht nur schwerer Schaden, hier ge schieht auch schweres Unrecht. Gebet dem Staate alles, was des Staates ist, und das ist nicht wenig; aber es gibt noch eine Welt geistiger Werte, die sich jedein äußeren Zwange, auch dein des Staates, entzieht und entziehen muß, wenn Kultur nicht ein Wort ohne Sinn sein soll, und die Sprache gehört zu diesen gei stigen Werten ebenso wie die Religion, die Wissenschaft und die Kunst. Ein Staat, der diese Dinge vergewaltigt, ist kein Kultur staat, und sein Verfahren ist barbarisch. In Bezug auf Religion, Kunst und Wissenschaft gibt das auch jeder zu, jeder wenigstens, der in protestantischer Lebenslust erwachsen ist; es aber mit Rücksicht auf die Sprache behaupten — heißt Sen timentalität in die Politik hineintragen. Wenn dem so wäre, dann begraben wir uns auch dcs Rechts, Uber die Vergewal tigung unserer deutschen Brüder im Auslande uns moralisch zu entrüsten; denn es gibt in diesen Dingen nicht zweierlei Maß, je nachdem es sich um sie, oder um die Po len Preußens handelt. Aber dem ist nicht so. Wohl hat die Eprachenfrage auch eine politische Seite, eine sehr ernste sogar; aber sie ist nicht mit den spezifisch politischen Mitteln des Zwanges und der Gewalt zu lösen, sondern allein im geistigen Turniere. Wir ehren die Wahrheit und uns, wenn wir das anerkennen; wir entehren sie, wenn wir es verleug - n e n. Deshalb sind wir moralisch im Unrecht, wenn wir den Polen in unseren Ostmarken wider ihren Willen die deutsche Sprache aufnötigen und den Gebrauch des Polnischen verwehren, und die polnischen Kinder und Eltern find moralisch im Recht, wenn sie sich mit allen Kräften dagegen zur Wehr setzen. Natürlich ist im Heer und im amtlichen Verkehr die Anwendung des Deutschen zu fordern. Aber der Masse der Bevölkerung in ihrer Heimatsprovinz durch die Schule das Deutsche aufzuzwingen, dazu habe der S t a a t k e i n R e ch t. Die Eroberungen für das Deutschtum dürsten nur moralische Er oberungen sein. Wie England den Wallisern ihr rein keltisches Schulwesen bis zur Hochschule hinauf, zugestanden habe, so könn ten wir unbeschadet unserer Ehre den Polen ihre polnische Volks schule gewähren. Friedrich seht dann weiter auseinander, daß auch praktische Gründe gegen die polnische Schulpolitik sprechen, indem er aussührt: Keinen einzigen Polen gewinnen wir dem Deutsch tum mit dieser Methode. Das Einzige, was wir erreichen, ist die Erzeugung einer maßlosen Erbitterung. Die Jun gen, die jetzt ihre Religionsbllcher auf den Boden werfen und das deutsche Vaterunser verweigern, werden, gleichviel, ob man sie jetzt zum Gehorsam zwingt oder nicht, diese Tage ihres Lebens n i e vergessen. Sie werden einst die Vorkämpfer des Polentums werden. Immer fester wird das polnische Volk sich in den Glau ben verrennen, daß ihm mit seiner Sprache und seinem Volks tum auch seine Religion angetastet werden solle, immer leiden schaftlicher wird es mit diesem geistigen Joche auch der politischen Fremdherrschaft zu entwinden streben, und so kann die Saat, die wir jetzt in Posen säen, eines Tages eine blutige Ernte geben. Dann aber wird nicht nur diePol en die Verant- woraung treffen. Die Polenpolitik habe lediglich den Polen sozial in die Höhe geholfen zum Nachteil unserer Landsleute in den Ostmarken und werde sie auch weiter auf dem Wege zur wirtschaftlichen Macht fördern.