Volltext Seite (XML)
«. IMS. zchr,E,. und Anzeiger für das Erzgebirge veraniwoiUicher Rc-aklncr: Fritz Ar »hold. Für die Inserate verantwortlich: Arthur Kupfer, t-eide in Aue. mit der wöchentlicheii Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Honntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von -L Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 202. Für unverlangt eiugesaudte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Vruck und Verlag Gebrllder Beut hn er (Inh.: Paul Beuthner) in Aue. Bezugspreis: vnrch nnkere Boten frei ins Naus monatlich SN pfg. Bei der Geschäftsstelle abgcholt monatlich qu Pfg und wdchentlich <u pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgcholt vierteljährlich i.so Mk. — Vurch den Briefträger frei ins lfans vierteljährlich ,.g2 Ulk. - Linzclne Nummer >0 pfg. — Deutscher postzeitungs- katalog — Lrschciin täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens yyz Uhr vormittags. Für Aufnahme von grdsteren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn sie am Tage vorher bei uns eingehen. Insertionspreis: Vie siebengesxaltcne Korpuszeile oder deren Raum zo pfg., Reklamen 2S Pfg Lei grSsteren Aufträgen entsprechender Rabatt. Diese Nrrttrrrrei» »»«rrfe»s;L 8 Seite«» Das Wichtigste vorn Tage. Die F i r m ri K r u p p Hai ihren Beamte 11 angeblich eine Zuwendung in Höhe von zwei Millionen Mark gemacht.* Nachdem die beiden Redakteure der Erfurter Tribüne wegen Beleidigung des vrens; ischen Ab geordnetenhauses be st rast worden sind, hat dieses auch gegen die Magdeburger Volksstinime Strasantag g e st e l l t. In B r i t i s ch-W e st as r i k a herrscht unter de» Einge borenen grosse Erregung, weil ein Beamter zwölf Schwarzen anstatt ihres Lohnes je 25 Hiebe verabreichen lieh* Tie 1785 gegründete Londoner Times sollen in t ine Akliengcsell s chast n ingewandclt werden. In Kingston hat ein 80 Sekunden währendes Erdbeben stattgesundcn.* * Näheres siehe unten. Dernburg Triumphator. Ebenso überraschend, wie am Freitag der Konflikt zwischen dem neuen Kolonialherrn Der n bürg und dem Abgeordneten Roeren gekommen war, und die politische Situation verfinstert hatte, ebenso schnell und unerwartet löste sich am Dienstag wieder das Gewölk, und wir wurden von den Herren Wolkenfchiebcrn belehrt, daß es sich garnicht um ein allgemein-politisches Donner wetter mit schwerwiegenden Folgen, sondern lediglich um eine „sreundschastliche" persönliche Auseinandersetzung zwischen Dcrn- burg und Roeren gehandelt hatte, hinter der garnichts zu erfol gen rauchte. Wir sind so mokant, diese allzu^ harmlose Deutung der Vorgänge doch nicht ohne weiteres unterschreiben zu können. Hatte Roeren wirklich am Freitag ganz auf eigene Faust gehandelt? Hatte er sein objektiv schwer belastendes Material mit den daraus folgenden heftigen Anklagen gegen die herrschende Regierung wirklich ohne intimere Verständigung mit seiner Fraktion in die Oesfentlichkeit geschleudert? Nur politische Wickelkinder können das glauben. Das Zentrum hatte offenbar bei dein Vorschicken Roeren das Bestreben, nicht nur die Auf deckung der Greuel zu erzwingen — und das war löblich —, son dern auch dem neuen Kolonialdirektor die Macht der ultramon tanen „Nebenregicrung" und den starken Einfluss der Missionen zu Gemüte zu führen. Die Kühnheit, mit der Dernburg, alle tak tischen Rücksichten beiseite lassend, die Beeinflussungsversuche des Herrn Roeren vor aller Welt enthüllte, kam dem Zentrum ebenso unerwartet wie allen anderen Parteien. Das hatte noch niemand gegenüber der mächtigsten Partei gewagt. Dr. St übel war unter das „kaudinische Joch" gekrochen; Erev hatte auch einst gegen den Zentrumsstachcl gelöckt und war bald sanglos und be scheiden von der Bildfläche verschwunden. Aber der neue Mann erdreistete sich in seiner naiven cholerischen Ehrlichkeit, die Akten aufzuschlagen und die H i n te r t r e p p e n p o l i t i k des Zen - t r u ni-s daraus zu verlese»! Man schäumte. Aber — mgn mutzte doch gute Miene zum bösen Spiel machen! Man mutzte klein bei geben. Denn, so sagte man sich, wenn wir nun Dernburg stürze», w c r k o m m t d a n n? Ist uns die Regierungssreundlichkeit, der wir so manches zu verdanken haben, nicht wertvoller, als ein Konslikt um der Kolonien willen? Und hat dieser Dernburg nicht doch manches getan, womit wir zusrieden sein müssen, ja, was wir sogar verlangt und glatt durchgcsctzt haben, wie die Aus lösung der Monopolverträgc? Dernburg jetzt stürzen, hietze einen inneren Konslikt von unermetzlicher Tragweite heraus beschwören. Und zur Aussechtung eines solchen Kampfes hat das Zentrum zurzeit nicht die geringste Neigung. So mutzte denn zurückgepsisfen werden. Herr Roeren aber war als. SUndenbock in die Wüste zu senden. Und, man muh cs gestehen, er trug dieses Geschick mit Würde und Ergebenheit. Noch niemals hat ein Ordnungsruf im Deutschen Reichstage eine so tiefe politisch-symbolische Bedeutung gehabt, wie derjenige, mit dem am Dienstag Ballestrcm beim Beginn der Sitzung den Jnkulpator des Zentrums belegte. Natürlich hatte der greise Pfissikus aus dem Präsidium genau verstanden, was Tags zuvor der Herr Roeren dem Kolonialdirektor an Verbalinjurien ins Gesicht geschleudert hatte. Jetzt holte er den Tadel nach und be urkundete damit, datz Roercns Rolle ausgespielt sei, Dernburg aber unter mächtigem Schutze stehe. Roeren nahm, ossenbar programmgemätz, alles aus seine Kappe und verschwand dann lautlos in der Versenkung. Fürst Bülow aber erhob sich und deckte Herrn Dernburg in einer knappen, entschiedenen Rede — spräche er doch stets so knapp und klar! — mit seiner vollen Autorität. Mit dem Zentrum cs zu verderben, das tonnte natürlich keineswegs im Sinne Bülows liegen, und so benutzte er denn auch gern das Zcntrumsargument, datz es sich hier ledig lich um die Sache eines einzelnen handele, und er erklärte mit gröberer Entschiedenheit wie vordem, datz alle Mitzstände in den Kolonien ihre unnachsichtlichc Sühne finden sollten. Dern- burg selbst griff erst sehr spät in die Debatte ein, er lehnte es ganz geschickt ab, überhaupt als Politiker gesprochen zu haben, er hielt ebenfalls an der Fiktion fest, datz nicht das Zen trum, sondern nur der unglückliche Roeren getroffen worden sei, und er gab dann ruhig, sachlich und ernst über einige der aufge rührten Mitzhandlungsasfären Ausklärung, soweit er sie zu geben in der Lage war. Man hätte gewünscht, datz er in diesem Tone dieTage vorher gesprochen hätte, dann wäre manche erregte Szene unterblieben, und das Vertrauen, mit dem man in allen Kreisen ihm entgegenkam, wäre niemals ins Wanken geraten. Das Zentrum hätte gern die ihm gebauten goldenen Brücken be treten. Aber die Niederlage blieb doch trotz der Opferung Roe rcns unverkennbar. Herrn Erzberger war die Rolle zuge- sallen, das RUckzugsgesecht der Partei auszufllhren, und er tat dies in einer ungemein geschickten, gelegentlich auch noch mit kleinen Angriffen verbundenen Rede. Was sonst noch gesprochen wurde, war Nachlese. Selbst Müller -Meiningen und Bebel konnten nicht mehr lebhafter fesseln, nachdem der grotze Streit punkt zwischen der Regierung und dem Zentrum erledigt war. Die Kolonialdebatte ist vorläufig zu Ende. Dernburg hat sein Schiff durch die tosende Brandung hindurch glücklich in ruhiges Fahrwasser gebracht. Wir wollen ihm und dem deutschen Reiche wünschen, datz er den Ballast von Schuld und Verbrechen so bald wie möglich aus dem seiner Leitung anver trauten Kolonialschisf entfernt und dann mit vollen Segeln glück licheren Zielen zustrebt. Politische Tagesschau. Aue, l). Dezeniber 1906. Minister v. Aehrenthal über die internationale Lage. Im Vudgctausschnß der ö st c r r e i ch i s ch c n D e l e g a t i on erklärte im Laufe der Beratungen des Budgets des Ministeriums des Aeutzcrcn Minister Aehrenthal: Die f r a n z ö s i s ch-eng lisch e Entente bestand schon seil drei Jahren. Sie entstand infolge Regelung gewisser Streitfragen, die diese großen Nationen viele Jahre aiiseinanderhiclten, die ägyptische und die Marokko frage. Allerdings nahm die Intimität in den letzten Jahren zu, aber ich kann die beruhigende Mitteilung machen, daß, soweit ich die Sache beurteilen kann, und wie ich ans den Mitteilungen maßgebender Persönlichkeiten weiß, diese Entente keine Tendenz zu einer Gruppierung der Mächte verfolgt, die weitere Folgen nach sich ziehen könnte oder aggressive Spitzen gegen irgendeinen an deren Staat enthält. Weiterhin teilte der Minister mit, daß zwischen O e st c r r c i ch - ll n g a r n und Italien klare und zufriedenstellende Versicherungen über die beiderseitige Rechts- und Machtsphäre an der Adri a ausgctauscht seien. Gegenüber den Ausführungen des Abg. KchsowSki über das Verbot des pol- Der erste Schnee. Skizze von A. Werner. (Nachdruck verboten.) Wochenlang hatte ein trüber, wolkcnschwercr Himmel über der Welt gehangen. Es hatte geregnet und es hatte genebelt, nie mehr wurde es ordentlich Heller Tag und die Menschen waren trübe und mißmutig geworden in diesem ewig grauen Einerlei. Nun war cs seit einigen Tagen empfindlich kalt geworden, noch dichter hatten sich die Wolken zusammengcballt und dann, leise, leise begann cs aus ihnen herabzustäuben und zu rieseln aus die mißmutige, graue Erde, in großen, weißen Flocken, der erste Schnee! An einem hübschen freien Platze der Stadt stand ei» hohes stattliches Haus, vom Keller bis zum Dache bewohnt und wie cs das öcbrn mit sich bringt, Reichtum und Armut, Freude und Leid wohnten darin. Im Parterre wohnte der Hausbesitzer mit seiner vielköpfigen Familie. In der Kinderstube herrschte, wie immer lebhaftes Getümmel. Ernst, der Schlingel, bemerkte cs natürlich zuerst. „Hurrah, es schneit!" ries er mit seiner schrillen Stimme, lieh seine Bau klötze im Stich und lies ans Fenster. Paul folgte ihm sofort. „Nun können wir einen Schnee mann bauen!" jubelte er, „und eine grotze Festung!" Ella, die noch eben beim Waschen so laut geschrien hatte, ent wischte den Händen des Kinder-Fräuleins und tanzte vergnügt im Zimmer umher. „Hurrah, nun hat das langweilige Turnen ein Ende", triumphierte sie. Fräulein Minna sammelte Handtuch, Seife und Schwamm zusammen. „Ja, es schneit wirklich," dachte sie betrübt. Nun würden natürlich die Kinder nicht ausgehen, sondern im Garten spielen wollen, und doch war der kurze, tägliche Spaziergang das schönste sllr sie in ihrem eintönigen, arbeitsreichen Leben. Be sonders seitdem man in der Kastanienallee, die die Kinder so gern hinabliefen, immer den höflichen, jungen Zollbeamten traf! und sie sah in den wirbelnden Schnee und seufzte ver zagt. Die Frau Kommerzienrat in der ersten Etage lag in ihrem Boudoir aus der Chaiselongue. Verdrießlich sah sie von ihrem französischen Roman aus. Man konnte heute aber auch garnichts sehen! Dann krauste sie erzürnt die weiße Stirn. „>l<m ckn-n, cs schneit, wie fatal!" und sie wollte doch nachher für ihre grotze Visitentour das neue Seidene mit der langen Schleppe anziehcn, wie würde man da aussehen! * * * In der Küche herrschte emsige Tätigkeit, Dorettc, die fertige Köchin wandte gerade einen Augenblick den brodelnden Töpfen den Rücken zu, der Löffel entfiel ihr dabei vor Schreck: „Herr Gotte doch, Lene, sieh' mal blotz, es schneit! was machen wir nu? denn nun können Deiner und Meiner heute abend nicht über die Mauer steigen und wir können nicht nach's Gartenhaus, da sicht man doch die Futzspuren. Nein, der dumme Schnee! Nu kann man nicht mal mehr seinen Schah treffen." * » * Oben in der zweiten Etage hatte wie gewöhnlich der übliche Zank geherrscht. Er war bedrückt von geschäftlichen Sorgen, sie von häuslichen und die Kinder waren unartig. Man war gerade beim Pflaumenkompott angelangt, da sah zusällig irgend jemand nach dem Fenster. „Ha, es schneit!" rief er unwillkürlich dabei aus. Der Hausherr blickte ungläubig auf, dann warf er mit wil der Heftigkeit seine Serviette hin und sprang auf. „Wahrhaftig es schneit, was soll nun mit meiner großen Getreideverladung werden! Da denkt man, datz man endlich mal ein Geschäft ma chen kann bei diesen schlechten.Zeiten und da kommt einem sogar der Himmel dazwischen." Er stürmte hinaus und man hörte ihn drautzen die Tür heftig zuschlagen. Kaum war er fort, so gabs auch bei den Kindern kein Hal ten mehr. Mit Gelärm und Geschrei rannten sie davon und die Mutter hörte sie die Treppen nach dem Hose hinunterstürzen. Sie selbst begann den Tisch abzudecken. Seufzer um Seufzer entschlüpfte ihr dabei. — Schnee und damit Winter und Sorge! Wieviel mehr Feuerung brauchte man, wieviel mehr Licht. Die Kinder mutzten warme Kleidung haben, gutes Schuhzcug, ach und Arbeit gab es auch so viel mehr, wenn sie nun vom Hofe wieder herauskamen, wie sahen dann Treppe und Diele aus! Nein, ihr machte der Schnee gewiß keine Freude! * * * Droben in der hübschen kleinen Mansardenwohnung stand die junge Frau in ihrem schwarzen Kleide am Fenster. Ueber ihr Gesicht, das so schmal und blatz geworden war, glitt ein weh mütiges Lächeln. Sie schaute sinnend in das Flockengewtmmel. „Wie hübsch die weißen Flöckchen tanzen", murmelte sie, „es sind Fcderchen, mit denen der liebe Gott nun Babys Grab zudeckt." — Das Grab ihres Kindchens stand vor ihr, auf dessen Blumen flor nun die weiße Decke herabsank und der heiße, kaum ein we nig vergessene Schmerz stand wieder in ihrem Herzen auf. * * * Im Hinterhause, bei dem Flickschuster, herrschte großer Jubel. Der Meister sprang von seinem Dreibein auf. „Es schneit, Alte!" rief er vergnügt. „Nun gibts wieder Arbeit, ich kenne den Rum mel. Solange läuft wohl noch mancher mit einem Riß im Oberleder und einem Loch in den Sohlen aber wenn's erst Schnee gibt, dann ist's vorbei, dann müssen die Sticbel zum Schuster! Da, du Erasass", er warf seinem jüngsten Sprößling, der ihn mit offenem Mund betrachtete, einen Nickel zu. „Lauf und hol uns ein Stück Wurst zu der Erbsensuppe, die Mutter kocht, na, und ihr Buben", er wandte sich an ein paar größere Jungen, die in Erwartung des Mittagesfens dasaßen, „ihr könnt heut nach mittag losziehen, da gibt's einen Extragrofchen mit Schneefegen zu verdienen. Der Portier aber in seiner Kellerwohnung schimpfte, seinet wegen hätte die Arbeit nicht erfunden zu werden brauchen, er konnte gut ohne sie auskommen. „Schnee, weiß Gott! wozu es den wohl bloß gibt! doch nur zum Aerger von unsereins. Nun geht das Getobe von den Rangen in Hof und Garten wieder an, das Geschmier auf den Treppen, das Fegen und Kratzen auf den Stufen!" und grollend ging er, um Schneeschippe und Besen her vorzusuchen! Der Schnee aber fiel vom Himmel., dicht, weiß und glän zend. Er kümmerte sich nicht darum, was die großen und kleinen, die reichen und Armen, die frohen und traurigen Leute dazu sagten. —